Rede von
Ilse
Falk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das politische Tagesgeschäft dieser Woche und die heutige Tagesordnung spannen wieder einmal einen weiten Bogen und fordern von uns nicht nur viel Flexibilität, sondern auch zu später Stunde noch unsere volle Aufmerksamkeit,
handelt es sich doch, fast am Ende dieses Tages und als Frauenthema wohlplaziert zwischen Behinderten und Kriminalität,
um ein Thema, das sich zwar auch sonst in erster Linie in der Dunkelheit der Nacht bzw. im Verborgenen abspielt, das es aber nichtsdestotrotz verdient, endlich einmal unvoreingenommen und unverklemmt behandelt zu werden.
„Prostituierte - igitt!" sagen die einen und rümpfen die Nase. Die anderen machen dumme Witze. „Nutten", „Bordsteinschwalben" - über sie redet man höchstens herablassend. Sich für sie zu interessieren schickt sich nicht. Hätten wir, die wir die Gunst der frühen Geburt miteinander teilen, nicht Irma la Douce und die Nitribitt gehabt, wüßten wir vielleicht noch viel weniger über diesen Beruf.
Denn eigentlich wüßte man doch zu gerne mehr über sie. Entdeckt man sie, wenn sie öffentlich ihre Dienste anbieten, versucht man wenigstens, einen Blick zu erhaschen, um sich hinterher um so besser skandalisieren zu können.
Und überhaupt! Die anständige Frau sollte gar nichts von ihr wissen. Doch daß es sie überhaupt gibt, liegt womöglich an dem aufrechten Gatten dieser anständigen Frau.
Und wer sieht eigentlich die vielen Fernsehsendungen zu später Stunde mit einschlägigen Inhalten und nutzt die Telefonnummern, mit denen Frauen und Männer ihre Dienste sehr eindeutig anbieten? Sowohl Fernsehprogramme als auch Werbung leben von Erfolgsquoten.
Hier liegt also Doppelmoral in hoher Potenz vor, die uns zunächst einmal mehr als nachdenklich machen müßte, Doppelmoral, die sich in unserer Gesetzgebung niederschlägt und uns den Blick für die notwendigen Änderungen verstellt.
Persönlich sehe ich Handlungsbedarf, weil ich es für unehrlich halte, wenn wir akzeptieren, daß täglich Hunderttausende Männer die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen, wir diesen aber gleichzeitig annehmbare rechtliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verweigern,
weil wir mit dem Hinweis auf die Sittenwidrigkeit den Prostituierten Rechte, wie die Absicherung über die Sozialversicherung, vorenthalten, ihnen aber auf der anderen Seite die Steuerpflicht auferlegen, die dann auch noch mit der Wertfreiheit des Steuerrechts begründet wird.
Es ist jetzt nicht die rechte Zeit, sich mit den moralischen Aspekten der Prostitution zu befassen und die Tätigkeit von Prostituierten einer Wertung zu unterziehen.
Aber solange wir ihre Dienstleistungen tolerieren und nicht verbieten, solange sie in unserer Gesellschaft solch große Nachfrage erfahren, gibt es auch für mich keinen Grund, ihr Tun zu diskriminieren.
Nehmen wir also endlich die gespreizten Finger von den Augen, sehen genauer hin und reden offen miteinander!
Ilse Falk
Zunächst: Über wen? Nicht über die, die der Beschaffungsprostitution nachgehen - bei denen steht notwendigerweise die Bewältigung der Sucht im Vordergrund -, nicht über Menschenhandel und Zwangsprostitution - auch hier bedarf es anderer Antworten -: Wir reden über die sogenannten professionellen Prostituierten.
Aus einer gerade vorgelegten Studie des Sozialpädagogischen Instituts Berlin sind folgende statistische Angaben zu entnehmen, die auf einer Befragung von 260 professionellen Prostituierten in Deutschland beruhen: Ihr Einstiegsalter lag zwischen 12 und 50 Jahren. Fast die Hälfte begann zwischen 18 und 21, 15 Prozent schon wesentlich früher.
Als Gründe dominieren Geldsorgen, Arbeitslosigkeit und hohe Schulden; es folgen falsche Vorbilder, und für 14 Prozent war der Grund: Mein Freund oder Mann wollte es so. Spaß an der Sache nennen nur zwei Prozent als Grund für den Einstieg in die Prostitution.
Ein Ausstieg, sozusagen vom Strich ins Büro, scheint immer noch nicht leicht zu sein, obwohl immerhin rund die Hälfte über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und nur 15 Prozent keinen Schulabschluß besitzen und obwohl man sich entgegen landläufiger Meinung im ältesten Gewerbe trotz hoher Nachfrage bei steigendem Angebot und sinkenden Preisen keine goldene Nase mehr verdienen kann. Der durchschnittliche Lebensunterhalt einer Prostituierten betrug nach dieser Studie rund 2 000 DM, ein „Spitzeneinkommen" mit 3 000 DM und mehr, jeweils netto, erzielten rund 34 Prozent. Die Hälfte aber lag bei unter 1 700 DM, und ein hoher Anteil der Prostituierten lebte von staatlicher Unterstützung.
Am Ende der statistischen Daten noch ein Hinweis auf einen der dunkelsten Aspekte des Milieus, über den man an anderer Stelle sicher auch noch reden müßte: Über 50 Prozent der Prostituierten wurden Opfer von Gewalttaten durch Freier, durch Zuhälter oder Betreiber eines Etablissements - je jünger, desto hilfloser, desto öfter betroffen.
Ich höre schon das Gegenargument: Dann sollen sie doch aufhören! Sicher, aber wenn man das Ziel, den Ausstieg aus der Prostitution zu fördern, ernst nimmt, müßte man den Ausstiegswilligen ohne moralische Vorhaltungen entsprechenden Zugang zu den Instrumenten der Arbeitsvermittlung und Umschulung ermöglichen.
Dazu gehört dann auch, Prävention durch Beratung und Aufklärung zu fördern und das Thema Prostitution in andere Bereiche sozialer Arbeit zu integrieren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen, die für Jugendliche arbeiten, müßten besonders geschult werden, um den Blick nicht nur für sexuellen Mißbrauch, sondern auch für vorhandene Kontakte zum Prostituiertenmilieu zu schärfen, so daß den Betroffenen eine adäquate, vorurteilsfreie Beratung und Unterstützung angeboten werden kann. Vorhandene Prostitutionsaktivitäten der Mädchen und jungen Frauen sollten dabei weder tabuisiert noch moralisch verurteilt werden.
Kollegin Schewe-Gerigk hat die Benachteiligungen und Diskriminierungen, wie sie auch von den Prostituierten selber und ihren Interessenverbänden gesehen werden, bereits deutlich gemacht und die Lösungsansätze des Gesetzentwurfes dargestellt. Ich persönlich glaube nicht, daß so viele Paragraphen tatsächlich gestrichen oder geändert werden müssen bzw. sollten. Aber dazu wird sicher der Kollege Eylmann noch etwas aus juristischer Sicht sagen.
Nicht die Gesetze scheinen mir das Problem zu sein, sondern vielmehr die Rechtsprechung, die häufig nicht mehr dem gewandelten gesellschaftlichen Verständnis entspricht. Die Rechtsprechung wiederum ist durch das öffentliche Bewußtsein geprägt. Der gesellschaftliche Dialog müßte offensiver geführt werden, damit sich auch an der Rechtsprechung etwas ändert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind erst ganz am Anfang einer notwendigen gesellschaftlichen, aber auch parlamentarischen Diskussion. Vergessen wir in Zukunft den moralisierenden Zeigefinger und die schlüpfrigen Witze! Nehmen wir die Lage der Prostituierten ernst und lassen Sie uns in den anstehenden Beratungen gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir dem berechtigten Anliegen der besseren sozialen und rechtlichen Absicherung der Prostituierten entsprechen können.