Herr Präsident! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Same procedure as the year before the last: Wir debattieren den Unfallverhütungsbericht.
- Das können wir uns dann noch gemeinsam überlegen.
Alle zwei Jahre legt die Bundesregierung uns den Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr und eine Übersicht über das Rettungswesen vor. Der Kollege Börnsen hat schon darauf hingewiesen, daß neben der kurzfristigen Entwicklung in den Jahren 1993 und 1994, die ja heute zur Debatte stehen, ein Blick auf die langfristige Entwicklung interessant ist. In den alten Bundesländern - nur in bezug auf sie sind ja Vergleiche möglich - wurden von 1947 bis 1995 585 619 Menschen, also mehr als eine halbe Million - das ist eine gute Großstadt -, bei Unfällen im Straßenverkehr tödlich verletzt. Das Risiko, bei einem Straßenverkehrsunfall getötet zu werden, war in den 50er und 60er Jahren um ein Vielfaches höher als heute. Das müssen wir konstatieren. 1970 gab es in den alten Bundesländern 17 Millionen Fahrzeuge. Die Zahl der insgesamt gefahrenen Kilometer und die Verkehrsdichte waren viel niedriger als heute.
1995 hat sich die Zahl der Kraftfahrzeuge im Vergleich zu 1970 mehr als verdoppelt. Die Fahrleistungen sind um 100 Prozent gestiegen. Die Anzahl der Getöteten - ich beziehe mich wiederum auf die alten Bundesländer - ist auf 6 500 zurückgegangen. Das ist erfreulich. Wir dürfen hier aber nicht aufhören.
Ein Blick in die Statistik des Berichtszeitraumes zeigt uns, daß die Zahl der polizeilich erfaßten Unfälle von 1994 bis 1995 wiederum zurückgegangen ist. Es gab aber immer noch 390 000 Unfälle mit Personenschaden. Wir wissen, daß das nicht nur Leichtverletzte sind. 1995 sind bei Verkehrsunfällen 9 485 Menschen getötet worden.
Auch wenn die Entwicklung dieser Unfallzahlen über einen langen Zeitraum, gemessen am Bestand und an der Dichte der Fahrzeuge, relativ positiv ist, dürfen uns diese Statistiken nicht beruhigen. Vieles hat zu dieser positiven Entwicklung beigetragen. Ich nenne nur die verbesserte Fahrzeugtechnik, Maßnahmen wie Sicherheitsgurte, Kopfstützen usw. Ich nenne die guten, effektiven Rettungsdienste. Wir haben uns bei denen, die dort tätig sind, zu bedanken.
Natürlich haben wir auch eine bessere und modernere Medizin.
Trotzdem können wir nicht alle zwei Jahre nach der Vorlage dieses Berichtes, wenn wir den Rückgang der Unfallzahlen begrüßt und die Verkehrstoten beklagt haben, einfach zur Tagesordnung über-
Heide Mattischeck
gehen. So läuft das aber in der Regel. Wir müssen uns vielmehr sehr genau ansehen, wer besonders häufig an Unfällen beteiligt ist und welche Gruppen besonders gefährdet sind, also Kinder und ältere Menschen. Wir sollten aus diesen Beobachtungen dann auch Konsequenzen ziehen. Darin sehen wir - das müssen wir sagen - bei der Regierung erhebliche Defizite.
Die Unfallzahlen bei den jugendlichen Fahrern in der Altersgruppe 18 bis 24 Jahre sind erschreckend. Darauf hat der Kollege Börnsen schon hingewiesen. Dabei muß man bemerken, daß die jungen Männer einen höheren Anteil an den Unfällen haben als die jungen Frauen. Ich möchte nicht, daß wir in diesem Bereich aufholen.
Jeder vierte Pkw-Fahrer im Bundesgebiet, der seinen Führerschein noch keine zwei Jahre hatte, hat einen Unfall mit Personenschaden verursacht. Jeder fünfte Unfall mit Personenschaden wurde von jungen Fahrern im Alter von 18 bis 24 Jahren verursacht.
Es wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Anzahl der älteren Menschen, die einen Führerschein haben, größer wird. Trotzdem werden die vielleicht abnehmende Sehtüchtigkeit und andere Unsicherheiten dadurch kompensiert, daß ältere Menschen einfach vorsichtiger fahren. Auch das sollte man berücksichtigen.
Die Tatsache der besonderen Betroffenheit von jungen Unfallfahrern hat 1986 zur Einführung des Führerscheins auf Probe geführt. Es gab kleine Erfolge damit. Sie reichten aber nicht aus. Die Anhörung des Verkehrsausschusses im November letzten Jahres hat deutlich gemacht, daß hier erheblicher Handlungsbedarf besteht. Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, in dem Konsequenzen aus der Anhörung gezogen werden.
Erst gestern - die, die im Anbau sitzen, sind da immer etwas benachteiligt - habe ich einen Bericht über die Unfallhäufigkeit der jungen Fahranfänger erhalten. Der mit dem Problem befaßte Bund-LänderAusschuß „Fahrerlaubniswesen" hat mehrheitlich ein Konzept gebilligt, das wir, denke ich, im Verkehrsausschuß demnächst diskutieren werden. Da gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, die der Kollege Börnsen schon genannt hat.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Vorschlag hinweisen, der in diesem Bund-LänderAusschuß offensichtlich keine Einstimmigkeit gefunden hat. Mir scheint er aber wichtig zu sein. Es ist der Vorschlag gemacht worden, ein besonderes Tempolimit für junge Unfallfahrer einzuführen. Sicherlich kann man sich darüber streiten; das sollten wir dann auch tun und uns überlegen, welche Konsequenzen das haben kann.
Der Bundesverkehrsminister ist der Meinung, daß das keine geeignete Maßnahme sei; denn Anfänger sollen von Beginn an lernen, entsprechend den Situationen zu fahren und ihre Geschwindigkeit der Verkehrslage, dem Wetter usw. anzupassen. Ich meine, daß für einen Fahranfänger, der gerade seinen Führerschein gemacht hat und 18, 19 oder 20 Jahre alt ist, selbst eine Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern zu hoch ist. Wenn ich in den Berichten, die uns vorliegen, lese, daß man heute mit gut einem Viertel aller Fahrzeuge schneller als 180 Stundenkilometer fahren kann - das muß man sich einmal überlegen - und daß die meisten Anfänger kein eigenes Auto haben, sondern das der Eltern benutzen, dann, meine ich, ist diese Möglichkeit in den Händen eines jungen Fahranfängers keine richtige Lösung. Wir sollten uns über die Möglichkeit einer Begrenzung ganz leidenschaftslos unterhalten. Ich finde, es gibt genügend Gründe, darüber zu diskutieren.
Auf die Gefährdung der Kinder will ich hier nicht weiter eingehen, weil dies die Kollegin Rehbock-Zureich tun wird.
Aus purer Ideologie weigert sich die Regierung, weigert sich die Koalition immer wieder, auf unsere Vorschläge zum Tempolimit einzugehen. Ich spreche jetzt nicht von Tempo 30, sondern von einer Harmonisierung des Tempolimits auf europäischer Ebene für Bundesstraßen und Autobahnen, die wir immer wieder eingefordert haben. Es gibt ja positive Erfahrungen damit. Erstaunlich ist deshalb die Auskunft der Bundesregierung auf unsere Frage, ob ihr Untersuchungen vorliegen, wie sich die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnabschnitten auf die Häufigkeit und Schwere von Unfällen ausgewirkt hat: Es liegen überhaupt keine aktuellen Forschungsarbeiten vor. Das halte ich für ein starkes Defizit.
Der weitaus größte Teil der Unfallursachen - das ist schon gesagt worden und überrascht auch nicht - entfällt auf Fehlverhalten der Fahrzeuglenker oder -lenkerinnen. Weit an der Spitze rangiert die nicht angepaßte Geschwindigkeit. „Nicht angepaßt" heißt ja wohl - damit verweise ich noch einmal auf das vorher Gesagte - nicht zu langsam, sondern zu schnell. Es folgen Vorfahrtsfehler, die auf Autobahnen natürlich in der Regel nicht passieren. Deshalb steht die Autobahn in der Statistik ja auch gut da. Weitere Unfallursache ist ungenügender Sicherheitsabstand. Auch diesbezüglich habe ich von der Bundesregierung noch keinerlei Vorschläge gehört. In anderen Ländern gibt es sogenannte Tempolimitierungen durch optische Kennzeichnung auf Autobahnen. Ich erwarte, daß die Bundesregierung auch dazu Vorschläge macht.
Eine weitere häufige Unfallursache ist Alkohol im Straßenverkehr. Auch in diesem Bereich, so müssen wir anmahnen, bleibt die Bundesregierung untätig. Alkoholisierte Autofahrer verursachen - das zeigt uns die Statistik - besonders schwere Unfälle. Es ist deshalb unverständlich - ich meine sogar: ein Skandal -, daß es die kleine Gruppe der F.D.P. immer wieder schafft, zu verhindern, daß der Bundestag endlich die Senkung der Promillegrenze von 0,8 auf 0,5 beschließt.
Heide Mattischeck
Wir lesen in Zeitungen immer wieder, daß sich auch einige Kollegen aus der CDU/CSU für eine Senkung der Promillegrenze aussprechen. Ich finde, man kann vieles zu einer Koalitionsfrage machen; aber dies ist wirklich kein geeigneter Punkt. Um auch das noch einmal deutlich zu sagen: Wir wollen keinem die Freude am Bier oder Wein verbieten, sondern einfach, daß das Fahren unter Alkoholeinfluß nicht erlaubt ist.
Der Entzug des Führerscheins gilt - das beobachte ich immer wieder - als Kavaliersdelikt. Das ist, so meine ich, starker Tobak. Die Hinnahme eines Unfalles, verursacht durch die erhöhte Einnahme von Alkohol, ist wirklich kein Kavaliersdelikt mehr.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf eines hinweisen - auch Herr Börnsen hat es, etwas verschämt, schon getan -: Bei den Haushaltsberatungen sollten die Mittel für Aufklärung und Verkehrserziehung eine größere Rolle spielen. Ich darf dazu ein paar wenige Zahlen nennen: 1992 waren noch 39 Millionen DM für Maßnahmen der Verkehrserziehung - für eigene und für die der Verkehrssicherheitswacht usw. - eingestellt. Die mittelfristige Finanzplanung sah dann für 1994 - das muß man sich einmal vor Augen führen - einen Betrag von 14 Millionen DM vor. Nur die Proteste der Oppositionsparteien sowie der Sicherheitswachten und anderer Organisationen, die hier verdienstvolle Arbeit leisten, haben dazu geführt, daß wir zumindest 1994 wieder auf 25 Millionen DM gekommen sind. 1995 wurden dafür dann nur noch 23,5 Millionen DM in den Haushalt eingestellt.
Ich halte das für einen Skandal. Es hat keinen Sinn, darüber immer wieder Krokodilstränen zu vergießen und im Verkehrsausschuß zu betonen, alle seien einer Meinung, daß das eine wichtige Sache ist. Sie müssen in den Haushaltsberatungen dann auch Konsequenzen daraus ziehen.
Den Äußerungen des Kollegen Börnsen habe ich entnommen, daß wir in vielen Fragen einer Meinung sind. Dann, so meine ich, können Sie unserem Entschließungsantrag auch bedenkenlos zustimmen. Dafür würde ich mich sehr herzlich bedanken.
Schönen Dank.