Rede von
Dr.
Christoph
Zöpel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Am 17. September 1992 wurden in Berlin Sadegh Sharafkandi, Fattah Abdoli, Homyoun Ardalan und Nurulah Mohamadpour Dehkordi ermordet. Sie waren Gäste der Sozialistischen Internationale und damit auch Gäste der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Wie andere habe auch ich Sadegh Sharafkandi drei Tage vor seiner Ermordung getroffen und mit ihm gesprochen. Alles, was seitdem im Zusammen-
Dr. Christoph Zöpel
hang mit dem „Mykonos"-Prozeß geschehen ist, hat viele Sozialdemokraten und auch mich in dieser ganz persönlichen Weise betroffen.
Heute, nach dem Urteil des Berliner Kammergerichts, wissen wir, daß das Regime im Iran für die Ermordung verantwortlich ist. Es macht auch heute Sinn - es ist eine Verpflichtung-, der Ermordeten zu gedenken und auch heute noch einmal ihren Angehörigen Anteilnahme auszusprechen.
Es könnte für die Verbesserung der internationalen Beziehungen, an denen der Iran teilnehmen will, wie seine Staatsführung bekundet, überlegenswert sein, den Angehörigen der Ermordeten im Rahmen des Möglichen zu helfen. Die Debatte, die wir heute nach dem Urteil im ,,Mykonos"-Prozeß führen, kann für die Sozialdemokratie nahtlos an die Debatte anschließen, die wir am 29. November 1996 hier geführt haben. Wir haben damals bekundet, daß wir alle Versuche des Iran, auf dieses Gerichtsverfahren Einfluß zu nehmen, entschieden zurückweisen und verurteilen. Wir haben zum Ausdruck gebracht, daß es eine Pflicht des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland ist, allen Menschen, die in Deutschland leben, den höchstmöglichen Schutz für ihr Leben und ihre Sicherheit zu garantieren.
Gegenüber Menschen aus dem Iran, die in Deutschland leben, ist dieses Gebot heute noch nachdrücklicher und noch entschiedener zu beachten. Ich gehe davon aus, die Regierungen von Bund und allen Ländern werden dem nachkommen.
Das Urteil des Kammergerichts in Berlin ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Beitrag zu Klarheit in internationalen Beziehungen. Das geht über den Beitrag zur Klarheit des Rechtsstaatscharakters der Bundesrepublik Deutschland hinaus. Mit diesem Urteil - das halte ich für wichtig - muß jede Regierung in dieser Welt wissen, daß sie, wenn sie an Straftaten, an Mordanschlägen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, damit vor Gericht kommen und verurteilt werden kann, und das ist gut so.
In den vergangenen Wochen gab es für mich und andere manche Gelegenheit, Repräsentanten gerade islamischer Staaten dieses zu sagen. Wie jeder, der sich mit dem Islam beschäftigt, weiß ich, daß der Islam an sich eine Religion ist, die nicht unfriedfertig ist. Aber die Welt ist auch davon bestimmt, daß diese Religion zu machtpolitischen Zwecken mißbraucht wird, was es übrigens auch schon im Christentum gab. Staaten, die dieses tun, nicht nur der Iran, müssen wissen: Pseudoreligiöse Begründung von Machtmißbrauch ist völkerrechtlich nicht zu dulden. Das gilt ganz prinzipiell und ist eine Voraussetzung dafür, daß es interkulturell erträgliche Beziehungen zu
Staaten gerade des mittleren und nahen Ostens geben kann.
Nach dem Urteil hat das Regime im Iran Probleme, sonst würde es vor der deutschen Botschaft nicht demonstrieren lassen, sonst gäbe es Erklärungen und Verlautbarungen, einschließlich der Verlautbarung des Staatspräsidenten, nicht. Es ist gut, daß der Iran damit Probleme hat, daß er mit der Realität konfrontiert ist. Mit dazu trägt bei - darüber freuen wir uns sicher alle -, daß die Europäische Union weitestgehend geschlossen reagiert hat.
Soweit die Bundesregierung dazu beigetragen hat, Herr Außenminister, würdige ich das ausdrücklich.
- Wir bemühen uns immer um Objektivität.
Dennoch gilt es, einen Blick zurück auf das Verhalten der deutschen Politik zu werfen. Ich unterstelle zunächst einmal, daß insbesondere alles, was die Regierung getan hat, in pflichtgemäßem Ermessen lag, daß es vielfach gut gemeint war und daß es für manches Gründe gab. Dennoch ist Politik immer auch an ihren Wirkungen zu messen. Es gut gemeint zu haben reicht nicht.
In der Summe der Würdigung der einzelnen Beiträge deutscher Politik zu den Beziehungen zum Iran steht eines für mich im Mittelpunkt, und dies, Herr Kollege Seiters, ist auch das einzige, was in dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen steht: Es sind Illusionen erweckt worden, daß es die Bundesrepublik Deutschland mit der Bewahrung ihrer Rechtsstaatlichkeit und mit der Unabdingbarkeit ihres Einsatzes für Menschenrechte vielleicht doch nicht so ernst meint.
Die Formulierung der „traditionell guten Beziehungen" zum Iran ist richtig, wenn man an die guten Beziehungen einzelner Menschen untereinander denkt. Sie kann aber zu schrecklichen Mißverständnissen führen, wenn mit ihr nachträglich möglicherweise noch Missetaten des Schahregimes legitimiert werden, und sie kann zu Illusionen im Iran führen, weil der Iran dann glaubt, man werde schon über Menschenrechtsverletzungen hinwegkommen. Das ist das entscheidende Problem.
Es kann auch nicht ein Ausspielen von Menschenrechtspolitik gegen Wirtschaftspolitik geben. Das nützt meines Erachtens schon mittelfristig nicht einmal deutschen Unternehmen.
Ein Land, das Menschenrechte verletzt, kann auch
sehr schnell die Menschenrechte Deutscher, die wirt-
Dr. Christoph Zöpel
schaftlich in diesem Land tätig sind, verletzen. Es gibt ja Deutsche, die das erfahren haben.
Beispielsweise ist nach der letzten Reise des Kollegen Möllemann in den Iran in Presseartikeln der Eindruck entstanden - ich habe ihn selber nicht gehört; deshalb sage ich, der Eindruck ist entstanden -, daß gegenüber dem Iran Menschenrechtsfragen hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen könnten. Dies ist unerträglich und schadet - ich sage es noch einmal - selbst deutschen Wirtschaftsinteressen.
Der Fall „Mykonos" sollte lehren: Es darf nirgendwo die Illusion entstehen, an den Prinzipien des Rechtsstaates und der Einführung von Rechtsstaatlichkeit in das Völkerrecht könnte es in Deutschland irgendeinen Zweifel geben.
Derselben Gefahr ist auch immer der ausgesetzt, der Geheimdienstkontakte hat. Ich muß das wiederholen. Sie mögen manchmal gut gemeint gewesen sein. Wenn der Eindruck entsteht, Kontakte mit fremden Geheimdiensten führten dazu, daß diese hier Dinge tun dürften, die unerträglich sind, ist dies schon politisch falsch.
Wo ich schon bei Illusionen bin, möchte ich auch ein Wort zum iranischen Widerstand sagen. Im Iran gibt es nicht die Möglichkeit des demokratischen Machtwechsels. Dies legitimiert Widerstand. Das sage ich sehr deutlich.
Aus diesem Grunde sind aus meiner Sicht Kontakte zu politischen Gruppen, die im Iran Widerstand leisten, sogar geboten. In diese Gespräche müssen zwei Dinge einfließen: Erstens. Wir akzeptieren keine Rechtsverstöße - auch nicht durch Widerstandsbewegungen des Iran - auf dem Boden der Bundesrepublik.
Zweitens. Wir akzeptieren grundsätzlich keine terroristischen Anschläge gegen Beteiligte irgendwo auf der Welt, auch nicht gegen die Zivilbevölkerung im eigenen Lande.
Man muß auch ein offenes Wort zu den Möglichkeiten Deutschlands sagen, zu einer Widerstandsbewegung zu stehen. Die Welt mußte lernen, daß zumindest in etwas größeren Ländern keine Möglichkeit besteht, einen Regimewechsel von außen herbeizuführen. Das wäre illusionär.
Wer feststellt, daß der kritische Dialog gescheitert ist - und das tun wir -, muß auch sagen, daß die amerikanische Politik ebenfalls nicht erfolgreich gewesen ist. Das wird in Amerika sehr selbstkritisch diskutiert. Verhältnisse im Inneren ändern sich, wenn es Menschen gibt, die diese Verhältnisse ändern wollen, wenn sie ihre völkerrechtlich legitimierten Rechte wahrnehmen. Dann kann man nur hoffen, daß die Mehrheit der Völkergemeinschaft durch ihr klares Festhalten an Menschenrechtspositionen mit dazu beiträgt, daß die Implosion eintritt. Das ist die Lehre aus der Implosion in Osteuropa, zu der deutsche Außenpolitik, vor allem die der 70er Jahre, mit beigetragen hat.
Notwendig ist es dann noch, das Verhältnis von diplomatischen Beziehungen, die hier keine Fraktion gegenüber dem Iran aufkündigen will, an ihren Zielen klarzumachen: Diplomatische Beziehungen kann eigentlich nur der diskreditieren, der sie selber unterhält, und zwar dann, wenn unklar ist, was Ziele und Mittel sind.
Menschenrechte sind ein Ziel diplomatischer Beziehungen. Sie können nicht instrumentalisiert werden - was der Iran erhofft hat -, indem man bei der Frage, ob wir jemanden, dessen Menschenrechte verletzt wurden, verteidigen, nachlässig ist oder auch nur die Frage aufkommen läßt, ob ein rechtsstaatliches Gericht in Deutschland das „Mykonos" -Verbrechen ahnden wird.
Das ist ganz wichtig: Beziehungen zum Iran brauchen wir. Vermutlich sind sie fast gegenüber jedem Staat dieser Welt unverzichtbar, weil die Völkergemeinschaft in der globalen Situation, in der wir leben, zusammenarbeiten muß, aber immer um dreier Ziele willen, die unabdingbar sind: erstens, um einen Beitrag zum Weltfrieden zu leisten - der Iran ist auf die Unterstützung oder zumindest Tolerierung des nahöstlichen Friedensprozesses zu verpflichten -,
zweitens: um der Rechte der Menschen willen. Drittens haben diplomatische Beziehungen ihren Sinn wegen Wirtschaftskontakten. Aber - da wiederhole ich mich - diese können nicht gegen die beiden anderen Ziele ausgespielt werden. Das ist unmöglich.
Schließen möchte ich mit einer Bemerkung, die uns alle und über Deutschland hinaus alle Europäer angeht. Der „Mykonos"-Prozeß hat sicher dazu geführt, daß erneut Unsicherheit über die Zukunft der Beziehungen zu islamischen Staaten auftritt. Es gibt Bücher dazu, unter spektakulären Titeln, wie „Clash of Civilizations"; das Buch ist diffenzierter als der Titel. Ich glaube, ein „Clash of Civilizations" darf nicht eintreten, auch nicht in den Beziehungen zu den islamischen Ländern.
Es ist die Aufgabe europäischer Politik, unter Wahrung ihrer internationalen Ziele Maßnahmen zu ergreifen, Konzepte zu haben, die Frieden auch zwischen der islamischen und der europäischen Kultur ermöglichen.