Rede von
Ernst
Schwanhold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor ungefähr zwei Stunden wurde bei AP veröffentlicht, daß die Pleitewelle wieder schneller rollt. 2004 Unternehmen sind im Januar 1997 in den Konkurs getrieben worden. Das sind 6 Prozent mehr als im Vergleichsmonat des Jahres 1996. Bei 'den Unternehmen sind es sogar 7,3 Prozent.
- Darauf werden wir noch zurückkommen, Herr Kollege Friedhoff.
Die Bundesregierung feiert also tatsächlich Rekorde, und zwar fast ausschließlich Negativrekorde: Massenarbeitslosigkeit und Staatsverschuldung.
Heute sollten wir über die Frage reden: Schaffen wir es eigentlich, Arbeitsplätze in dem Maße wiederaufzubauen, wie sie an anderer Stelle vernichtet werden, oder hat das Problem der Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Pleiten eine hausgemachte politische Komponente, und wie können wir diese überwinden?
500 000 Arbeitsplätze sind durch Konkurse im Jahre 1996 verlorengegangen. Im Jahre 1995 sind es ein paar weniger gewesen. Im Jahre 1994, dem Referenzjahr, sind 380 000 Arbeitsplätze durch Konkurse verlorengegangen. Das muß zu denken geben. Dies hat eine hausgemachte Komponente und ist nicht unabhängig von der Regierung, selbst wenn ich weiß, daß Unternehmen auch pleite gehen, wenn sie ein Mißmanagement haben. Wir müssen uns den Rahmen anschauen, der in die Konkurse hineinführt, und sollten nicht in Teilnahmslosigkeit verfallen, Sprüche des Wirtschaftsministers wiederholen und sagen, Wirtschaft finde sowieso in der Wirtschaft statt, und man könne nichts dagegen tun.
Ernst Schwanhold
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Erhalt von Arbeitsplätzen ist die zentrale Frage. Die Frage lautet: Welchen Rahmen können wir setzen, damit Unternehmen am Markt bleiben, einen Markt finden und profitorientiert arbeiten können?
Ich stelle die Zahl der Konkurse nur deshalb in den Vordergrund, weil in Europa der Trend eigentlich umgekehrt ist. In Europa insgesamt ist der Anstieg der Zahl der Konkurse außerordentlich gering. Für den Anstieg ist allein die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich. Alle unseren europäischen Nachbarländer haben keine ansteigenden Konkurswellen. Dies muß uns zu denken geben.
Herr Kollege Uldall und Herr Kollege Friedhoff, Sie sind ja wirtschaftspolitische Sprecher der Regierungsfraktionen. Vielleicht ist dieses Thema auch für Sie so interessant, daß Sie hören möchten, was ein Oppositionspolitiker dazu zu sagen hat.
Um 14,6 Prozent - so wurde von der „Creditreform" vor wenigen Tagen angekündigt - werden die Konkurse bei uns steigen, und im europäischen Umfeld werden es nur 1,5 Prozent sein. Dies ist genau die Querschnittsumme, die sich aus dem Anstieg bei uns ergibt. Die europäischen Zahlen sind also diesmal nicht Referenzzahlen, auf die Sie sich berufen können. Weil alle anderen besser sind, müssen Sie sie vielmehr bei der Antwort auf die Frage berücksichtigen, was Sie falsch gemacht haben.
Die dramatische Zunahme der Unternehmenszusammenbrüche ist also höchstens zum Teil mit konjunkturellen Problemen zu erklären. Denn da geht es ja durchaus ein kleines Stück bergauf. Darüber freuen wir uns natürlich. Die Rezession, auf die Sie im Referenzjahr 1994 für die Jahre 1992 und 1993 abgehoben haben, kann für die aktuellen Zahlen, die gerade für den Januar veröffentlicht worden sind, nicht herangezogen werden. Somit ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung zu einem Teil verantwortlich, und nur durch sie sind auch die europäischen Abweichungen zu erklären.
Lassen Sie mich weiterhin den gravierenden Tatbestand der zunehmenden Insolvenzzahlen daraufhin hinterfragen, was eigentlich getan werden muß. Die Pleiten - etwa bei der AG Weser und der Konkurs des Maschinenbauers Traub - erregen Aufmerksamkeit. Immer dann, wenn es um Hunderte oder Tausende. von Arbeitsplätzen geht, tritt irgendein Politiker, ganz gleich, welcher Couleur, werbewirksam auf. Der Mittelstand stirbt still, und in jedem mittelständischen Unternehmen gehen Arbeitsplätze verloren.
Die Vielzahl der Arbeitsplätze geht in den Unternehmen bis zu zehn oder bis zu 50 Beschäftigten verloren. Deshalb müssen wir eine Mittelstandpolitik in den Vordergrund unserer Beratungen rücken.
Der Antwort der Bundesregierung entnehme ich, daß 32 Prozent der Unternehmensinsolvenzen Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten betrifft, insgesamt 48 Prozent Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten und insgesamt 78 Prozent solche mit bis zu 50 Beschäftigten. Ich kenne keine wirtschaftspolitische Initiative dieser Bundesregierung aus den letzten vierzehneinhalb Jahren, die sich mit den fast 80 Prozent der Unternehmensinsolvenzen der mittelständischen Unternehmen auseinandergesetzt hat, keine einzige Initiative.
Hilmar Kopper hat mit seiner schlimmen Entgleisung, als er von den Peanuts sprach, nur das ausgesprochen, was für diese Regierung und für die 26 000 Insolvenzen und für die im vergangenen Jahr vernichteten 500 000 Arbeitsplätze gilt. Dies war für die Bundesregierung kein Anlaß, irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen. Das sind für Sie Peanuts im Sinne der Kopperschen Argumentation.
Dabei läuft ein bedenklicher Erosionsprozeß in der mittelständischen Wirtschaft in diesem Jahr ungebremst weiter, und diese Regierung sieht keinen Handlungsbedarf. Ich finde das empörend.
In der letzten Zeit hört man ja ohnehin nur sehr wenig aus dem Bundeswirtschaftsministerium, doch was von der Regierung noch rudimentär gemacht wird, wie das Investitionsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau, muß sogar noch der Kanzler persönlich verkünden, und dann zieht er zwei Wochen später mit einem Vorschlag nach, den die Sozialdemokraten ihm gerade vorgelegt haben.
Also, Herr Wirtschaftsminister, die Mittelstandspolitik muß in den Vordergrund rücken, und wenn Sie schon sonst nichts mehr zu sagen haben, weil die Regierung Ihnen alles weggenommen hat, dann werden Sie wenigstens ein anständiger Mittelstandspolitiker, und machen Sie ein Mittelstandsministerium aus Ihrem Haus!
Aber auch das scheint zu spät zu sein.
Was sind die Ursachen der dramatischen Pleitewelle in Deutschland? - Zu geringe Eigenkapitalkraft gerade der mittelständischen Unternehmen in der Gründungsphase, Steuer- und Abgabenlast für mittelständische Unternehmen, mangelnde unternehmerische Ausbildung von jungen Unternehmern
- stellen Sie doch eine Zwischenfrage, Herr Hinsken, ich antworte gerne besonders von Technikern, schlechte Zahlungsmoral der öffentlichen Auftraggeber, die dabei eine ganz besondere Rolle spielen.
Wenn Koalition und Bundesregierung bereit wären zu handeln, dann könnten Sie doch beim nächsten Steuergipfel in der kommenden Woche mit uns vereinbaren, daß die Lohnnebenkosten zum 1. Juli 1997 gesenkt werden. Das haben wir Ihnen doch angebo-
Ernst Schwanhold
ten; das wäre doch ein Entlastungsprogramm für die mittelständischen Unternehmen.
Dann würden Sie mit 2 oder gar 3 Prozent Entlastung dafür sorgen, daß 1,5 Prozent der Lohnsumme auch bei den Unternehmen verblieben. Dieser Betrag von 1,5 Prozent ist angesichts der Ertragssituation der mittelständischen Wirtschaft ein durchaus guter Schluck aus der Pulle. Warum blockieren Sie das eigentlich? Das könnten Sie sofort mit uns haben.
Wenn wir uns dann noch über eine finanzierbare und ausgewogene Steuerreform verständigen wollen, in deren Rahmen der Steuersatz für gewerbliche Einkünfte in angemessener Weise gesenkt wird, dann wären Sie wiederum dicht bei dem, was wir Ihnen in einem zweiten Schritt angeboten haben. Auch das könnten Sie mit uns haben, aber das steht nicht im Vordergrund Ihrer Betrachtungen.
Im Vordergrund Ihrer Betrachtungen steht die Frage danach, wie Sie Vermögen entlasten können, nicht aber Unternehmen, insbesondere mittelständische Unternehmen.
Wie kommen denn sonst die Ungleichheiten zwischen der Steuerbelastung von Vermögen und Kapitalertrag im Verhältnis zur Steuerbelastung auf Arbeitsplätze und auf unternehmerische Tätigkeiten zustande? Das kann doch nur das Ergebnis Ihrer Politik sein, Herr Friedhoff; erwecken Sie doch nicht den Eindruck, als ob Sie damit nichts zu tun hätten!
Lassen Sie uns also darüber nachdenken, was in den nächsten Wochen geschehen kann. Die unverschuldeten Zahlungsschwierigkeiten, in die manche mittelständischen Unternehmen geraten, könnten auch durch Überbrückungshilfen behoben werden. Damit wären diese Unternehmen nicht darauf angewiesen, entweder den Zylinderhut zu nehmen oder sich weiterhin mit Krediten, in unerträglicher Gutsherrenart von Fürsten deutscher Großbanken gewährt, zu verschulden, Krediten, die hinterher nicht mehr abzutragen sind.
Wir sollten Unterstützung dabei geben, daß Unternehmen, die Aufträge haben, die ertragsstark sind, die zur Zeit am Markt Schwächen haben, in die nächste Aufschwungphase gerettet werden, weil es allemal billiger ist, Unternehmen im Markt zu halten, als hinterher über Neugründungen zu versuchen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Zahl der vernichteten Arbeitsplätze ist in jedem Fall höher als das, was wir erhalten könnten, wenn Sie dort eine Initiative starteten.
Die Konjunkturbelebung ist ein nächster Punkt, über den wir nachdenken müssen. Es gehen im wesentlichen Unternehmen in Konkurs, die binnenmarktorientiert sind, weil natürlich völlig klar ist: Die Exportkonjunktur ist das einzige, was läuft. Sie aber denken immer noch darüber nach, wie Sie den Export steigern oder die Angebotsseite verbessern können, anstatt auch einmal Überlegungen darüber anzustellen, daß zum Beispiel Handwerker aus dem Baubereich Aufträge in Deutschland brauchen, übrigens auch Aufträge von der öffentlichen Hand, zum Beispiel durch Verstetigung der öffentlichen Ausgabepolitik, die nicht nur darauf ausgerichtet ist, Steuereinnahmeausfälle durch Sparen zu kompensieren, sondern auch darüber nachdenkt, wie Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik unter der Bedingung von Wachstumsorientierung und Orientierung an der Erhaltung von Arbeitsplätzen auszusehen hat.
Ich bin beim Arbeitsmarkt und bei der Konjunkturbelebung. Nach wie vor überwiegen bei uns die Rationalisierungsinvestitionen. Rund 50 Prozent des Investitionsvolumens wird für Rationalisierungsinvestitionen verausgabt. Vorzieheffekte einer Steuerreform könnten insofern auch negative Arbeitsmarkteffekte haben, wenn das geschieht, was Sie jetzt vorhaben, wenn nämlich die degressiven Abschreibungsbedingungen verschlechtert werden. Dies würde kurzfristig zu erneuten Rationalisierungsschüben auch in der mittelständischen Wirtschaft führen, was einerseits gewünscht ist, aber andererseits Arbeitsmarkteffekte hätte. Wenn wir nicht binnenwirtschaftlich in eine Wachstumsphase bei Investitionen und der Nachfrage kommen, kann dies am Ende auch noch negative Aspekte haben.
Davor ist zu warnen.
Die Auftragseingänge boomen nur beim Export; binnenwirtschaftlich stagniert alles. Die Produktivitätsentwicklung neutralisiert Wachstumsbelebungen für den Arbeitsmarkt. Die Rahmenbedingungen waren allerdings relativ gut: geringe Inflation, niedrige Zinsen - obwohl die Bundesbank viel zu spät reagiert hat; dies muß kritisiert werden -, sinkende Lohnstückkosten.
Die Unsicherheit der Investoren geht vorwiegend von dieser Bundesregierung aus: chaotische Finanzpolitik, ungeklärte Verschuldensentwicklung, Sparen zu Lasten der Zukunftsinvestitionen, Verunsicherungen über Renten und Krankenkosten, Steuerbelastungen für Geringverdiener und Verunsicherungen wegen des Euro; der eine spricht von 3,0 Prozent, der andere sagt: „Wir wollen den Euro" und nutzt Interpretationsspielräume.
Meine Damen und Herren von der Regierung, wenn Sie nicht bald Rahmenbedingungen schaffen, die für die mittelständische Wirtschaft verbindlich sind, die für sie planbar machen, wohin die Entwicklung der Lohnnebenkosten geht, ob Sie bereit sind, die Kosten, die nicht zu den Lohnnebenkosten gehören, herauszunehmen, ob Sie bereit sind, dafür zu sorgen, daß sich mittelständische Unternehmen wie-
Ernst Schwanhold
der mehr an Forschungsergebnissen beteiligen können und die Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte beschleunigt wird, wenn Sie nicht bereit sind, Fachhochschulen so auszustatten, daß sie mittelständischen Unternehmen beim Innovationsprozeß helfen können - -
- Entschuldigung, Fragen des Forschungshaushaltes und der Mittel, die dafür bereitgestellt werden, aus dem Hochschulförderprogramm und dem Hochschulbauprogramm sind beim Bund angesiedelt. Tun Sie nicht so, Herr Hirche, als ob Sie das nicht wüßten!
Die Rahmenbedingungen also sind es, die der mittelständischen Wirtschaft und den Unternehmen, die in den Konkurs gehen müssen, Schwierigkeiten bereiten.
Es gibt einen zweiten Punkt, auf den ich zusätzlich hinweisen will. Sie haben Anstrengungen unternommen, den Marktzugang zu verbessern. Viele mittelständische Unternehmen aber schaffen es nicht, in der boomenden Exportwirtschaft Fuß zu fassen. Wir sollten daher den Forderungen der Opposition, der Sozialdemokratie, nachkommen, den Marktzugang für mittelständische Unternehmen zu verbessern, insbesondere in den schnell wachsenden Märkten. Wenn es uns schon nicht gelingt, die Binnenkonjunktur anzukurbeln, sollten wir wenigstens die Kraft haben, ihnen den Zugang zu Messen zu verschaffen, damit sie dadurch zukünftige Arbeitsplätze sichern können.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir mit einem konzertierten Programm Arbeitsplätze durch Innovation schaffen, der mittelständischen Wirtschaft Planungssicherheit geben, Entlastungen dort, wo sie nötig sind, also bei den Lohnnebenkosten, einleiten, den Übergang von technischer Entwicklung in Produktion und Produktionszweige für die mittelständische Wirtschaft fördern. Dies wären Maßnahmen, die einerseits jungen Unternehmen helfen würden, andererseits Unternehmen, die sich auf den Märkten neu orientieren, Zukunftschancen eröffneten.
Es kann niemand belegen, daß die mittelständische Wirtschaft innerhalb der Bundesrepublik Deutschland schlecht geführt würde. Alle Sonntagsreden von Ihnen deuten darauf hin, daß die mittelständische Wirtschaft selbst alles getan hat, was zu tun notwendig ist, um am Markt zu überleben. Es muß also, wenn die Pleiten dort angesiedelt sind, an den Rahmenbedingungen liegen.
Kaprizieren Sie sich nicht darauf, zu sagen: Wir müssen bei den Spitzensteuersätzen nur die Vermögen entlasten! Kaprizieren Sie sich darauf, wie das, was zu tun ist, arbeitsplatzwirksam wird. Die fünf Punkte, die ich Ihnen eben vorgehalten habe, könnten ein Weg sein, die Pleiten zumindest für die Jahre 1997 oder 1998 zu vermindern, damit wir nicht die Lokomotive des europäischen Pleitenkurses sind.
Dies wird sich spätestens im Jahre 1998 dadurch ändern, daß Sie keinen neuen Auftrag bekommen, Mittelstandspolitik zu betreiben. Dies ist dringend notwendig.