Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns heute in der ersten Lesung mit einem Vorhaben von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt auseinandersetzen, das genauso kläglich scheitern kann wie alle seine bisherigen Bemühungen auf dem Feld der Energiepolitik.
Herr Rexrodt, Sie blicken auf eine lange Reihe von gescheiterten Ansätzen und Vorschlägen zurück. Zweimal sind Sie mit Ihren Bemühungen um einen Energiekonsens wegen Ihres sturen Festhaltens an Maximalpositionen gescheitert, und ein drittes Mal ist dies auch nicht ausgeschlossen.
Volker Jung
Realistische Maßnahmen zum Klimaschutz, der von allen Parteien im Bundestag übereinstimmend für dringlich gehalten wird, haben Sie gar nicht erst vorgeschlagen. Deshalb bescheinigen Ihnen auch Ihre eigenen Gutachter, daß Sie das Ziel, die CO2Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent zu senken, glatt verfehlen werden.
Eine Energiesparpolitik, die Sie selbst fordern, können wir schlicht nicht erkennen. Deswegen steigt der Energieverbrauch in unserem Land auch wieder an und mit ihm die Klimagasemissionen.
Ihre schwachen Energiesteuervorschläge sind schon im Vorfeld von dem wirtschaftspolitischen Flügel Ihrer Partei abgeblockt worden, und mit Ihren Kürzungsvorschlägen bei der deutschen Steinkohleförderung haben Sie einen politischen Proteststurm ausgelöst, den Sie hoffentlich so schnell nicht vergessen werden. Den Kompromiß in letzter Minute haben andere zustande gebracht, nicht Sie.
Jetzt konfrontieren Sie uns mit einem Gesetzentwurf zur Energierechtsreform, der von der übergroßen Mehrheit des Bundesrates abgelehnt wird und für den Sie im Bundestag noch nicht einmal die volle Unterstützung der Koalitionsfraktionen haben.
Aber wir müssen handeln, meine Damen und Herren. Die europäische Stromrichtlinie ist seit Februar in Kraft. Sie muß in zwei Jahren umgesetzt sein; das ist uns wohl bewußt.
Wir haben die Stromrichtlinie nicht gewollt, jedenfalls nicht so, wie sie verabschiedet worden ist. Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, daß sie schwerwiegende Konstruktionsmängel aufweist.
Da ist einmal die Wahlmöglichkeit zwischen dem verhandelten Netzzugang und dem Alleinabnehmersystem, das zwar als ein gleichwertiges Wettbewerbssystem dargestellt worden ist, das aber die bestehenden Staatsmonopole zum Beispiel in Frankreich im wesentlichen unangetastet lassen wird, wenn zu dem Regime der öffentlichen Dienstleistungsverpflichtung auch die staatliche Langfristplanung gehört - wir haben dies im Wirtschaftsausschuß eindringlich dargestellt -, mit der praktisch jede Marktöffnung verhindert werden kann.
Da ist zum anderen die Diskriminierung der zumeist kommunalen Verteilerunternehmen, die anders als die Großverbraucher vom europäischen Wettbewerb ausgeschlossen sind.
Damit ist aber am Ende die Rechnung von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt doch noch aufgegangen. Mehrmals ist er mit seinem Gesetzentwurf hier in Bonn gescheitert; gleichzeitig hat er aber seine Reformpläne auf dem Umweg über Brüssel vorangetrieben. Hier wurde sozusagen über Bande gespielt - ein Spiel, das auch seine drei Vorgänger sehr gut beherrschten; ich erinnere nur an die Kohlepolitik.
Das heißt, der Wettbewerb kommt, zunächst bei der Elektrizitätsversorgung, später möglicherweise auch bei der Gasversorgung.
Als gute Europäer akzeptieren wir dieses Ergebnis. Wir werden mithelfen, die europäische Stromrichtlinie in nationales Recht umzusetzen, allerdings so, daß wir ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen, um eine effiziente, umweltverträgliche und zugleich kommunalfreundliche Energieversorgung zu schaffen.
Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, setzen einseitig auf reinen Preiswettbewerb. Eckpunkte Ihres Gesetzentwurfs sind die Beseitigung der kartellrechtlichen Ausnahmeregelung für die leitungsgebundene Energieversorgung, die ein Durchleitungsrecht von Strom und Gas und die Möglichkeit des Baus von Direktleitungen begründen soll. Damit werden die Demarkationsverträge praktisch untersagt und Konzessionsverträge in der alten Form nicht mehr möglich sein. Mit einem Wort: Der Gebietsschutz soll entfallen; geschlossene Versorgungsgebiete wird es nicht mehr geben.
Die kommunalen Spitzenverbände haben eindringlich darauf hingewiesen, daß dieses Wettbewerbssystem dazu führen wird, daß lukrative Großabnehmer aus dem Versorgungsbereich der Stadtwerke herausgebrochen werden können. Dagegen werden sich die Stadtwerke nur schwer wehren können. Das liegt nicht daran, daß sie nicht kostenbewußt und wirtschaftlich arbeiten. Das liegt vor allem daran, daß sie systembedingte Wettbewerbsnachteile haben, die sie nicht aus eigener Kraft beheben können.
Die Fixkosten der kommunalen Versorgungsunternehmen beruhen insbesondere auf der Anschluß-
und Versorgungspflicht, die trotz des Wettbewerbs - das ist im Grunde völlig systemwidrig - nicht aufgehoben werden soll. Sie müssen Kapazitäten vorhalten, um jeden Kunden, der das wünscht, an ihr Netz anzuschließen. Werden dann auch noch Großabnehmer aus ihrem Kundenkreis herausgebrochen, müssen die steigenden Kosten in Form von höheren Preisen an die verbleibenden Kunden weitergegeben werden.
Das heißt: Wenn die Industriekunden mit Kampfpreisen umworben werden, werden am Ende die Tarifkunden - das sind die Haushaltskunden, die kleinen und mittleren Unternehmen - die Zeche bezahlen müssen.
Eine mögliche Anpassungsreaktion wäre auch, die Gleichpreisigkeit in Stadt und Land aufzugeben. Dann werden die Strom- und Gaspreise im ländlichen Raum gegenüber den städtischen Ballungsgebieten erheblich steigen. Das trägt mit Sicherheit
Volker Jung
nicht dazu bei, die Standortbedingungen in strukturschwachen Gebieten zu verbessern.
Zu den Wettbewerbsnachteilen gehört schließlich, daß das geltende Kommunalrecht die Betätigung der Stadtwerke grundsätzlich auf ihr Gemeindegebiet beschränkt. Es wäre zwar prinzipiell möglich, die in dieser Hinsicht einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung zu ändern, wie es auch vom Bundeswirtschaftsminister angeregt worden ist. Diese Forderung ist und bleibt richtig, meine Damen und Herren. Aber dabei handelt es sich um Landesrecht. Wer etwas Phantasie hat, der wird sich vorstellen können, was am Ende herauskommen würde, wenn man die Änderung von 16 Gemeindeordnungen durch 17 Landesparlamente bringen wollte - ein unmögliches Unterfangen.
Es würde auf jeden Fall viel Zeit kosten, in der sich die Versorgungsstrukturen verändern und viele Stadtwerke vom Markt verschwinden.
Bezeichnenderweise sind in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Vorschriften gegen einen Verdrängungswettbewerb, für eine Fusionskontrolle oder gar Fusionsverbote vorgesehen. Das steht im krassen Gegensatz zu der vorgegebenen Intention des Gesetzentwurfs, auf den Energiemärkten mehr Wettbewerb zu schaffen.
Der dadurch ausgelöste Konzentrationsprozeß ist bereits im vollen Gange, meine Damen und Herren, insbesondere im deutsch-französischen Grenzgebiet. Ich nenne nur die großen Stadtwerke in Stuttgart und Karlsruhe, die Verbindungen mit ihren Vorlieferanten, den Neckarwerken und dem Badenwerk, eingehen. Das ist ein Vorgriff auf die gesetzliche Regelung.
Es ist zu befürchten, daß bei einer Zurückdrängung der kommunalen Versorgungsstufe das Aufkommen aus den Konzessionsabgaben erheblich geschmälert wird und, noch viel gravierender, ein Teil der Wertschöpfung nicht mehr in den Kommunen verbleibt, sondern in die Kassen von mehr oder weniger anonymen Konzernzentralen fließt.
Die anfallenden Gewinne würden dann nicht mehr zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung stehen.
Wer dies will oder, wie Herr Rexrodt, zumindest billigend in Kauf nimmt, der muß darlegen, meine Damen und Herren, wie er bei der akuten Finanznot der Städte die entstehenden kommunalen Finanzierungslücken decken will.
Die kommunale Versorgungswirtschaft hat bei der umweltfreundlichen Gestaltung der Energieversorgung eine Vorreiterrolle eingenommen; das ist unbestritten. Die kommunalen Energieversorgungsunternehmen wandeln sich bewußt in Energiedienstleistungsunternehmen um. Reiner Preiswettbewerb
wird sie allerdings dazu zwingen, sich viel stärker an kurzfristigen Rentabilitätsüberlegungen zu orientieren. Energiedienstleistungen, die keine Absatzsteigerung versprechen, sondern Verbrauchseinschränkungen bezwecken, werden kaum aufrechtzuerhalten sein. Mit einem Ausbau der kommunalen KraftWärme-Kopplung, die wegen ihrer hohen Brennstoffausnutzung besonders umweltfreundlich ist, ist schon gar nicht zu rechnen.
Die Umweltverträglichkeit soll zwar als gleichberechtigtes Ziel neben der Versorgungssicherheit und der Preisgünstigkeit Gesetzeszweck werden; aber es werden keine Instrumente vorgesehen, mit denen dieses Zielumgesetzt werden kann.
Um es zusammenzufassen:. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist und bleibt auch nach der Gegenäußerung der Bundesregierung zu der vernichtenden Stellungnahme 'des Bundesrates extrem einseitig, kommunalfeindlich, ökologisch blind und verfehlt die selbstgesteckten Ziele.
Darum haben wir einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, mit dem wir zeigen wollen, daß ein alternativer Ordnungsrahmen aus einem GuB möglich ist. Das möchte ich an einigen Eckpunkten unseres Gesetzentwurfes darlegen.
Erstens. Wir wollen die Gasversorgung zunächst aus dem Reformwerk ausklammern. Wir halten es für ein abenteuerliches Unterfangen, mit der europäischen Stromrichtlinie gleich auch die Gasrichtlinie, die es noch gar nicht gibt und die es vielleicht überhaupt nicht geben wird, in nationales Recht umsetzen zu wollen. Aber Herr Rexrodt will sie schon in diesem Sommer umgesetzt haben.
Zweitens. Wir halten das Unbundling nach der europäischen Stromrichtlinie für zwingend. Dazu mußte sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung auch durchringen. Eine rechnungsmäßige Trennung von Erzeugung, Netzbetrieb und Verteilung ist notwendig, damit man Wettbewerb in den Bereichen einführen kann, in denen dies möglich und sinnvoll ist, nämlich bei der Stromerzeugung und der Stromverteilung, und den Netzbetrieb, der mit Sicherheit eine Monopolveranstaltung bleiben wird, so regulieren kann, daß er den Wettbewerb nicht behindert. Der Direktleitungsbau, der vorgesehen ist, wird schon aus ökonomischen Gründen eher die Ausnahme bleiben, von dem ökologischen Unsinn paralleler Leitungen einmal völlig abgesehen.
Ausschlaggebend wird - drittens - sein, daß ein diskriminierungsfreier Zugang zum Netzmonopol für jeden Stromerzeuger und jeden Stromverbraucher geschaffen wird. Wenn schon Durchleitung,
Volker Jung
dann aber keine, mit der beliebig manipuliert werden kann oder die sich erst über lange Kartell- und Gerichtsverfahren durchsetzen muß, wie es das Bundeswirtschaftsministerium vorschlägt.
Viertens. Wir wollen das verfassungsmäßige Recht der Kommunen auf Selbstverwaltung schützen.
Dazu gehört nach unserem Verständnis auch die Energieversorgung, die traditionell den Kern der kommunalen Wirtschaft darstellt.
Wir wollen den Gemeinden die Wahlmöglichkeit geben, den Wettbewerb völlig freizugeben - dann gibt es natürlich auch keine Anschluß- und Versorgungspflicht -, eine Pflicht zur Versorgung bestimmter Kundengruppen, zum Beispiel Tarifkunden, einzuführen oder auch einem Versorgungsunternehmen die Rechte und Pflichten eines Alleinabnehmers zu übertragen.
Das Argument, an dem der Bundeswirtschaftsminister verbissen festhält - was er auch heute wieder demonstriert hat -, damit würden die Gemeinden den Wettbewerb abschotten wollen, wird auch durch seine ständige und gebetsmühlenartige Wiederholung nicht richtiger.
Ich muß an dieser Stelle daran erinnern, daß den Koalitionsfraktionen die halbherzige Zustimmung zu der europäischen Stromrichtlinie mit dem nicht weniger verbissenen Argument des Bundeswirtschaftsministers abgerungen wurde, das Modell des Alleinabnehmers sei ein gleichwertiges Wettbewerbsmodell, weil er die vom Lieferanten gewährten Preisvorteile an den Kunden weitergeben muß. Dies kann nicht nur für die Electricité de France, sondern dies muß auch für jedes Stadtwerk gelten, wenn es dazu von der Gemeinde beauftragt wird.
Fünftens. Wir wollen die Konzessionsabgabe an den örtlichen Netzbetrieb binden und damit auf eine einwandfreie rechtliche Grundlage stellen. Die zum x-tenmal nachgebesserten Vorschläge des Bundeswirtschaftsministeriums, um bestehende Konzessionsverträge zu schützen, gelten eben nur für bestehende Konzessionsverträge. Wie künftige Verträge aussehen werden, die auf einer unsicheren Rechtsgrundlage abgeschlossen werden müssen, bleibt ein wohlbehütetes Geheimnis der Beamten des Bundeswirtschaftsministeriums.
Sechstens. Wir wollen das Stromeinspeisungsgesetz in das Energiegesetz einbeziehen, weil es sonst auf der Strecke bleiben würde.
Strom aus erneuerbaren Energien muß vorrangig in das Netz eingespeist und von den Netzbetreibern, die die Mehrkosten den Netzbetriebskosten zuschlagen können, mit festen Sätzen vergütet werden. Um die regionale Ungleichbelastung auszugleichen, sind die Netzbetreiber auf allen Ebenen aufgefordert, einen Kostenausgleich durchzuführen.
Siebtens. Ebenso wollen wir mit dem Strom aus Kraft-Wärme-Koppelung verfahren. Wir wollen nicht nur Investitionsruinen verhindern; wir wollen diese Technologie dauerhaft schützen und ihren Anteil ausbauen. Sie stellt nicht nur eine besonders vorteilhafte ökologische Variante dar, sie ist auch die vorrangige Energieerzeugungsart von Stadtwerken, die Eigenerzeugung betreiben. Nah- und Fernwärme auf der Grundlage von Kraft-Wärme-Koppelung sind wettbewerbsfähig, wenn gesichert ist, daß der Strom auch abgesetzt werden kann.
Schließlich achtens. Wir wollen vermeiden, daß die horrenden Investitionen zur Nachrüstung der Braunkohlenkraftwerke in den neuen Bundesländern Investitionsruinen werden. Auch hier hat sich der Bundeswirtschaftsminister zur Nachbesserung gezwungen gesehen. Was er allerdings vorschlägt, kann den Stromstreit in den neuen Bundesländern nicht entschärfen. Wenn die Sicherung der ostdeutschen Braunkohleverstromung ein Abwägungsgrund bei der Durchleitung sein soll, dann kann das ostdeutsche Verbundunternehmen VEAG den Regionalversorgern und insbesondere den Stadtwerken alternative, preisgünstige Bezugsquellen verschließen, aber sich selbst Großkunden aus dem Versorgungsgebiet dieser Unternehmen herausbrechen. Das ist eine völlig schiefe Schlachtordnung, und deshalb ist dieser Vorschlag für uns inakzeptabel.
Wir wollen für eine Übergangszeit eine bundesweite Verpflichtung zur Abnahme von ostdeutschem Braunkohlestrom begründen, der ja im Prinzip, das heißt nach Abschreibung der Investitionen, wettbewerbsfähig ist. Es ist ohnehin unsere Auffassung, daß dies kein ostdeutsches, sondern als Folge der deutschen Einigung ein nationales Problem ist.
Die Abnahmeverpflichtung könnte nach unserer Vorstellung gehandelt werden, so daß nur ein finanzieller Ausgleich der Belastungen stattfindet. Das ist richtlinienkonform; das ist marktgerecht, und das entspricht unserer nationalen Verantwortung.
Meine Damen und Herren, wir meinen, mit unserem Gesetzentwurf aufzeigen zu können, wie man unser Energierecht richtlinienkonform, umweltgerecht und kommunalfreundlich reformieren kann. Dafür haben wir die Unterstützung der sozialdemokratisch geführten Landesregierungen, möglicherweise auch einiger anderer Landesregierungen. Wir sind in einem konstruktiven Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden und nicht zuletzt auch mit den Umweltverbänden.
Volker Jung
Wir stehen vor einer intensiven Debatte in einem komplexen Gesetzgebungsverfahren. Dazu sollten wir uns die notwendige Zeit nehmen. Es ist bei diesem Thema völlig unangemessen, es jetzt bis zur Sommerpause durchpeitschen zu wollen.
Dazu kündige ich bereits heute an, daß wir eine gründliche Anhörung der betroffenen Gruppen und Verbände verlangen werden, in der auch unser Gesetzentwurf vorbehaltlos geprüft werden soll. Es ist unser Ziel, schon im Bundestag zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Ich halte überhaupt nichts davon, daß das Reformvorhaben weiterhin in Konfrontation mit dem Bundesrat betrieben und am Ende im Vermittlungsausschuß entschieden wird. Deshalb sind wir zur Kooperation bereit.
Schönen Dank.