Rede von
Marina
Steindor
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Rede mit dem Zitat eröffnen, das Aldous Huxley seinem Buch „Schöne neue Welt" vorangestellt hat:
Utopien erweisen sich als weit realisierbarer, als man früher glaubte. Und wir stehen heute vor einer auf ganz andere Weise beängstigenden Frage: Wie können wir ihre endgültige Verwirklichung verhindern? ... Utopien sind machbar. Das Leben hat sich auf die Utopien hinentwickelt. Und vielleicht beginnt ein neues Zeitalter, in dem Intellektuelle und Gebildete Mittel und Wege erwägen werden, die Utopien zu vermeiden und zu einer nichtutopischen, einer weniger „vollkommenen" und freieren Gesellschaftsform zurückzukehren.
Meine Damen und Herren, trotz aller politischen Differenzen bei der Debatte um das Embryonenschutzgesetz von 1990 war das Verbot des Klonens des Menschens eine interfraktionelle Konsensinsel. Damals dachte man noch nicht an die Zellkerntransplantation, die das geklonte Schaf Dolly erst möglich machte. Man hatte das Embryonensplitting im gesetzlichen Auge, also die künstliche Mehrlingsherstellung durch Teilung eines Embryos.
Strafrechtliche Regelungen laufen immer Gefahr, von den realen Entwicklungen überholt zu werden. Wir fordern heute fraktionsübergreifend die rechtliche Überprüfung der entsprechenden Passage des Embryonenschutzgesetzes und gegebenenfalls die Präzisierung des Klonierungsverbots.
Trotz aller politischen Differenzen bei der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes können wir heute gemeinsam stolz darauf sein, das weltweit restriktivste Gesetz für den Schutz von Embryonen
zu haben. Wir haben auf Grund unserer Geschichte eine ganz besondere Verantwortung.
Streng genommen handelt es sich bei Dolly gar nicht um Gentechnologie, sondern um Reproduktionstechnologie. Das ist in der öffentlichen Darstellung immer vermischt worden. Es gibt in unserem Hause sicherlich einige, die mit forschen Bekenntnissen zum Verbot des Klonens von Menschen die Genmanipulationskuh vom Eis bringen wollen.
Allenthalben herrscht in der Bevölkerung Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft - völlig zu Recht. Gen- und Reproduktionstechnologien sind gemeinsam Grundmethoden der synthetischen Biologie. Sie sind der vorläufige Höhepunkt der technisch-instrumentellen Beherrschung der Natur durch den Menschen. Man kann damit Leben genmanipulieren, umkonstruieren und kopieren.
Insgesamt kommt es so zu einer kulturellen Entwertung von Leben, zu einem manipulierbaren Rohstoff, der an industrielle Prozesse und Nützlichkeitsvorstellungen gentechnisch angepaßt und privatwirtschaftlich verwertet werden kann.
Wir fordern hier heute gemeinsam, weltweit das Verbot des Klonens von Menschen festzulegen. Wir alle wissen, daß es nicht leicht sein wird. Für Bündnisgrüne sind aber weder die Bioethik-Konvention des Europarats noch die Bioethik-Deklaration der UNESCO geeignete Bezugspunkte.
Wenn wir heute auf unserer Konsensinsel über das Verbot des Klonens von Menschen debattieren, können doch die Widersprüche in diesem Hause nicht unbeachtet bleiben. Denn die Regierungskoalition sieht beispielsweise keinen Angriff auf die Würde des Menschen, wenn menschliche Gene laut EU- Richtlinie patentierbar werden.
In den USA sind die Gesetze zum Stopp von Forschungsfördermitteln und zum strafrechtlichen Verbot des Klonens von Menschen nur deshalb in den Kongreß eingebracht worden, weil man den Verlust der öffentlichen Akzeptanz der Gentechnologie und insbesondere die gesellschaftliche Forderung nach einem totalen Verbot des Klonens transgener Tiere fürchtet.
Wie brüchig in diesem Hause das Konsenseis ist, auf dem wir uns derzeit bewegen, konnten wir letzte Woche in der Tierschutzdebatte sehen, in der unser Antrag zum Verbot der Genmanipulation und der Klonierung von Tieren mitberaten worden ist. Die schottischen Forscher - das sei Ihnen noch einmal mitgeteilt - arbeiten übrigens auch an einer künstlichen Gebärmutter.
Ich frage Sie: Halten Sie es für glaubwürdig, daß, wenn Sie jegliche technische Manipulation am Tier weiter vorantreiben, die Ethik hier in diesem Hause erst bei der eigenen Spezies beginnt? Halten Sie es angesichts einer Technik, die in der Lage ist, so tief in unser Verständnis von uns selber und in unser Verständnis vom Leben einzugreifen und in so hohem Maße die Menschenwürde zu verletzen, für glaubwürdig, bei Tieren einfach über all diese ethi-
Marina Steindor
schen Fragen hinwegzugehen und sie weiterhin der gewohnten Verwertungslogik zu unterwerfen?
Welch eine Hybris nach all den gesellschaftlichen Erfahrungen in diesem Hause, weiterhin die Tatsache zu verdrängen, daß Forschung und Umgang mit Tieren Wegbereiter für Techniken sind, die später am Menschen angewandt werden, und daß das Etikett „Gesundheitsforschung" nicht länger zur Legitimation von allem Machbaren akzeptiert werden kann.
Leider kann ich jetzt nicht auf die Gesetzeslücken des Embryonenschutzgesetzes, bei der Embryonalzelltransplantation und der Embryonenforschung zu sprechen kommen. Die Klonierung aus einer differenzierten Zelle ist das wissenschaftlich Revolutionäre an Dolly.
Neben dem Feuerwerk an sozialen und wissenschaftlichen Phantasien - der ethischen Schockwelle, wie „Science" es ausdrückt -, die durch die Existenz von Dolly entfacht wurden, überprüfen nun die Parlamente ihre Gesetzgebung, während die wissenschaftliche Fachwelt wie gebannt auf das Klonschaf starrt.
Derzeit, meine Damen und Herren, ist die Klovierung des Menschen noch nicht möglich. Laut „Science" wird sie technisch zwar nicht so leicht sein wie beim Schaf, aber einfacher als bei der Maus.
Wie lange wird Dolly leben? Wie ist die Euterzelle zur Totipotenz reprogrammiert worden? Ist die DNA durch das Ablesen tatsächlich denaturiert?
Wir haben die großen Bewährungsproben in diesem Parlament erst vor uns. Die Bundesärztekammer hat in dieser Situation nichts Besseres zu tun, als neben einer gewissen zur Schau getragenen Besinnlichkeit genau wie vor sieben Jahren das Verbot der Präimplantationsdiagnostik im Embryonenschutzgesetz zu diskutieren. Präimplantationsdiagnostik aber bedeutet ein diagnostisches Embryonensplitting und -klonen und. muß jetzt angesichts von Dolly mehr denn je untersagt bleiben; denn die Unterscheidung von Totipotenz und Differenzierung ist mittlerweile wissenschaftlich hinfällig.
Die großen Bewährungsproben hat dieses Parlament noch vor sich. Was, wenn die Klonierung von Menschen möglich ist und es denkbare medizinische Anwendungen gibt? Was, wenn die Medizin Klonierung als Therapiemethode bei männlicher Unfruchtbarkeit, bei heterozygoten Trägerinnen rezessiver genetischer Krankheiten oder bei mitochondrialen Erkrankungen favorisiert?
Was, wenn geklonte Embryonen als Organersatzteillager ins Gespräch kommen, nicht in Gestalt von lebenden Menschen, sondern in Form von individuell reprogrammierten, gewissermaßen embryonalen Zellkulturen, die zu Organen oder Organoiden weitergezüchtet werden können?
Wir werden heute gemeinsam diesen interfraktionellen Antrag verabschieden, aber die großen Bewährungsproben für dieses Parlament stehen in der
Zukunft erst an. Wir werden dann sehen, wie weit der Konsens trägt.