Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich lehne es in jeder Form ab, Menschen mit herabsetzenden Etiketten zu versehen, von denen ich glaube, daß sie unserer Zivilisation nicht entsprechen, sondern ein Stück verbaler Brutalismus sind.
Deshalb, finde ich, gibt es hier eine Tabugrenze und keine Entschuldigung für die Verwendung solcher Worte.
Im übrigen: Im Rechtsstaat gibt es auch für die Anwendung von Gewalt keine Entschuldigung.
Der Rechtsstaat hat das Gewaltmonopol. Auch die Gewalt, die einem Arbeitsplatzverlust zugrunde liegt, erlaubt - auch wenn ich sie, wie Ministerpräsident Lafontaine, mit den Kollegen als sehr schmerzhaft empfinde - keine Gewaltanwendung. Sonst fallen wir zurück ins Neandertal.
Wem Recht und Gesetz nicht passen, der muß für neue Mehrheiten arbeiten, kämpfen, demonstrieren. Aber Gewalt ist in unserer demokratischen Zivilisation kein legitimes Mittel.
Ich wollte zur Sache sprechen, weil sie mir wichtig zu sein scheint. Die Sache darf am Schluß dieser Woche - es war keine schlechte Woche -, am Schluß dieser Debatte nicht verlorengehen. Daß wir in schwierigen Zeiten, angesichts schwieriger Probleme einigungsfähig sind in unserem Staat, das halte ich, jenseits der Frage um die Kohleförderung, für einen großen Erfolg unserer Republik.
Das geht nur mit Kompromissen.
Ich habe den Kompromiß nie verachtet. Er ist geradezu eine zivilisatorische Errungenschaft. Die Durchsetzer haben die Welt viel mehr gefährdet als die Kompromißfähigen. Und es war ein Kompromiß: Die einen wollten mehr, die anderen wollten weniger. Keiner Seite ist er leicht gefallen. Denn jede Seite hatte gute Gründe. Es war ja kein Kampf wie im Märchenbuch, zwischen Engeln auf der einen Seite und Hexen auf der anderen.
Viele haben daran mitgewirkt, daß dieser Kompromiß möglich wurde. Ich möchte zweien besonders danken: Helmut Kohl und Hans Berger, beiden in gleicher Weise.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Sie hatten es beide nicht leicht. Ich weiß, wovon ich spreche. - Auch Fritz Bohl, dem Transportarbeiter des Kompromisses, will ich Dank sagen. - Ich weiß, was Hans Berger in seiner Gewerkschaft mitgemacht hat. Daß er, gegen jede Versuchung des Populismus, auf einer pragmatischen Linie blieb, verdient Respekt. Die Bergleute sind die Gewinner des Pragmatismus und nicht die Gewinner der Anheizer.
Lieber Herr Kollege Lafontaine, wenn zwei Züge aufeinander zufahren, dann muß man sehen, daß sie nicht zusammenprallen. Denn nach dem Crash kann man nur die Trümmer bewundern und sagen, man habe recht gehabt. Geholfen ist damit aber niemandem. Wenn zwei Züge aufeinander zufahren, darf man nicht anheizen. Wenn ich einen Heizer auszusuchen hätte, trüge er den Namen Oskar Lafontaine.
Nur das noch: Daß Sie noch klatschen, wenn Ihr Parteivorsitzender Mitglieder dieses Hauses als „Flaschen" bezeichnet, ist schlimm. Wieso wundem Sie sich eigentlich, daß, wenn Politiker aus den eigenen Reihen mit Dreck überschüttet werden, das Volk anschließend sagt, die seien aber schmutzig? Merken Sie nicht, daß wir eine gemeinsame Verantwortung haben, das Ansehen der Politiker gegenüber einem neuen Populismus zu verteidigen?
Kein einziger Arbeitsplatz ist durch diese Scharfmacherei gerettet worden. Die Arbeitsplätze, die erhalten werden, verdanken wir einem Vertreter eines alten gewerkschaftlichen Pragmatismus. Sein Name ist Hans Berger. Ich möchte hier in diesem Bundestag Dank sagen, daß er den Kurs der Vernunft gehalten hat, daß die Bundesregierung die Hand ausgestreckt hat und ihrerseits eine ausgestreckte Hand ergreifen konnte, auch wenn es nicht ohne Anstrengung ging. Das finde ich ein gutes Ergebnis dieser Woche, abseits aller Inhalte.
In schweren Zeiten einigungsfähig zu bleiben, ist wichtig. Und es ist ja nicht die erste schwierige Zeit. Wenn man an die Nachkriegszeit zurückdenkt, muß man auch einmal fragen, welche Tugenden uns befähigt haben, aus dem Elend der Nachkriegszeit - mit heute gar nicht vergleichbar - herauszukommen. Das war die Fähigkeit zu Gemeinsamkeit, und das war die Fähigkeit zur Anstrengung. Damals wurde nicht nach dem Staat gerufen. Ich finde, sich daran zu orientieren, bleibt auch bei der Bewältigung der Aufgabe heute ein Maßstab.
Diese Woche haben wir in unserer Republik ein Beispiel dafür geliefert, wie man trotz einer schwierigen Ausgangslage eine Einigung herbeiführt: keine Massenentlassungen, lebender Bergbau. Eine Einigung war freilich auch: Kohle wird gefördert, aber die Subventionen gehen zurück, und die Belegschaftszahlen werden halbiert. Das ist zwar kein Traumergebnis, aber ein Realergebnis, das den Menschen hilft. Das ist auch ein Zeichen gegen Hoffnungslosigkeit; dessen bin ich mir ganz sicher.
Diejenigen, die uns draußen zuhören, sind nicht so sehr daran interessiert, wer von uns in den Streitereien recht hat, ob wir in diesem Hause nur einen Macht- und Wahlkampf führen. Sie wollen vielmehr wissen, ob wir fähig sind, Probleme gemeinsam zu lösen. Das ist es, was die Menschen wirklich interessiert.
Deshalb rufe ich dazu auf, bei der Steuerreform den Versuch einer Einigung zu machen. Warum muß da immer wieder der Verdacht von großer Koalition oder kleiner Koalition aufkommen? Können wir nicht einmal, statt taktisch zu denken, problemorientiert denken? Müssen die Insider, die Parteifunktionäre dauernd in den Kategorien „Wer mit wem?" denken? Können wir uns nicht einmal überlegen, wie wir Probleme gemeinsam lösen? Sie haben im Bundesrat die Mehrheit, wir im Bundestag. Keiner kann sich alleine durchsetzen. Wir könnten jetzt zwar eine Blockadepolitik machen und dann einen Wahlkampf führen, in dem wir sagen: „Der andere ist daran schuld!". Aber das wird die Leute nicht interessieren.
Deshalb rufe ich dazu auf - nicht um jeden Preis, keine faulen Kompromisse -, den Versuch einer Steuerreform, einer Rentenreform, einer Gesundheitsstrukturreform zu machen - um der Arbeitslosen willen.
Wir sind ja nicht in einer hoffnungslosen Lage: Wir haben fleißige Arbeitnehmer, tüchtige Handwerker. Wir haben eine qualifizierte Arbeitnehmerschaft, wie es kaum eine zweite in der Welt gibt. Freilich: Es gibt bei uns auch Schwächen. Ein Problem sind die Kosten. Sie können nicht einerseits der Entlastung von Kosten zustimmen - die Kosten, die wir bestimmen, sind die Lohnzusatzkosten -, andererseits bei jeder Einschränkung dagegenstimmen. Sie können nicht auf der einen Seite sagen, wir würden alles falsch machen, und im nächsten Satz dann erklären, wir würden nichts machen.
Das AFG blockiert. Wann haben Sie im letzten Jahr einem Entlastungsgesetz zugestimmt? Ich bin wie Sie für Umfinanzierung. Ich glaube nicht, daß wir das Ziel allein mit Sparen erreichen.
- Ich habe von den Sozialgesetzen gesprochen. - Ich bin für Umfinanzierung. Das geht allerdings nicht ohne Einschränkungen.
In der Rentenversicherung geht es um etwas fast Familiäres: Es gibt doch eine wechselseitige Rücksichtnahme der Jungen auf die Alten und der Alten auf die Jungen. Die einen sollen nicht ein Rentenniveau bekommen, das abstürzt, und die anderen nicht Beiträge, die sie nicht zahlen können. Also muß man um einen Ausgleich bemüht sein.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Ein Rentenniveau von 64 Prozent, Herr Vorsitzender,
ist nun wirklich nicht völlig unzumutbar. Das ist nämlich das Niveau, wie es schon einmal, 1973, war. Da hat die SPD regiert. - Ich sage das ja gar nicht polemisch. Ich möchte nur, daß es nicht wieder eine Kampagne von Angst und Schrecken gibt. Die Leute sind genug in Schrecken.
Mir ist vor wenigen Tagen in Holland eins aufgefallen: Bei den Holländern kann man mit der Opposition reden, da kann man mit der Regierung reden, da kann man mit den Arbeitgebern reden, da kann man mit den Gewerkschaftern reden, und alle sagen: Unser Land ist gut. Wenn ich aber hier mit irgend jemandem spreche, wird als erstes einmal gejammert. - Unser Land ist nicht so schlecht, wie es gemacht wird!
Manchmal denke ich auch, es ist in unserem Lande sehr leicht, gegen etwas zu sein. Wenn man kontra ist, kommt man in jede Schlagzeile. Wir bräuchten einmal ein paar Bürgerbewegungen für etwas. Wir müssen hier im Bundestag damit anfangen und sollten uns nicht wechselseitig Vorwürfe machen. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen lohnt sich diese Anstrengung doch. Allein schaffen wir es nicht, diese Zahl zu senken; wir schaffen das nur zusammen. Das erfordert die Anstrengungen der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und auch der Länder.
Ein Wort zur Bildungspolitik: Es ist doch ein Armutszeugnis, daß die Bundesanstalt für Arbeit - über die Beitragszahler finanziert - 500 Millionen DM ausgibt, damit der Hauptschulabschluß, der in der Schule nicht geschafft wurde, nachgeholt werden kann. Das ist ein Armutszeugnis für die Schulpolitik. Statt dessen gibt es Glaubenskämpfe bei dem Versuch, die Gesamtschule durchzusetzen. Statt dessen lernen die Achtjährigen, wie man interfamiliäre Konflikte bearbeitet. Wie sollen die lernen, was sieben mal drei ist? Das wäre vielleicht wichtiger, auch für die Berufsausbildung.
Es gibt also genug zu tun.
Zu den Ungelernten, bei denen ich die größte Bedrohung sehe: Es ist wichtig, daß diese über den Einstiegstarif einen Nettolohn erhalten, für den es sich rentiert zu arbeiten, aber nicht einen Lohn, der unter dem Satz der Sozialhilfe liegt. Das ist doch ganz praktisch. Die Hilfen sind nicht so ideologisch, wie es die Schaumschläger hier immer wieder darstellen. Die Hilfen sind ganz praktisch: Bildungspolitik, Qualifizierung.
Zur Technologie: Wir werden auf dem Weltmarkt nur durch das Angebot von Spitzenprodukten vorwärtskommen. So billig wie in der Dritten Welt werden wir nie produzieren können. Wir werden unsere Position nicht halten können, wenn die Amerikaner und die Japaner die Mikrochips herstellen und wir die Kartoffelchips. Damit werden wir unseren Exportplatz in der Welt nicht halten.
Ich fasse am Ende dieser Woche zusammen: Bei allen Schwierigkeiten, lieber Kollege Hans Berger, lieber Bundeskanzler - -
- Doch, ich nenne beide ausdrücklich so zusammen. Ich habe niemanden verhauen. Die Gewerkschaften haben eine große Anstrengung unternommen, die Koalition auch. Es ist gut, daß wir am Ende dieser Woche nicht vor einem Trümmerhaufen, sondern vor einer Einigung stehen. Jetzt laßt uns gut über die Einigung reden und sie nicht nachträglich madig machen!
Allen, die an der Einigung mitgewirkt haben, gilt mein Respekt. Ich weiß, daß es nicht leicht war, aber den Menschen hat es geholfen. Darum geht es!