Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist es schon soweit, daß Sie die Bundesrepublik Deutschland sozusagen nach Gutsherrenart mit dem Sultanat Helmut Kohl verwechseln, daß Sie meinen, wenn Menschen von ihrem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen, sei das Anlaß zu einer solchen regierungsamtlichen Provokation, sei das Anlaß, die Gespräche abzusagen?
Ich hätte mir gewünscht, Herr Westerwelle, daß Sie nach der Absage der Gespräche, als es zu einer Überschreitung der Bannmeile gekommen ist, anstatt nur im Fernsehen aufzutreten und dort weiter anzuheizen, den Mut gehabt hätten, zu den Kumpels auf die Heussallee zu gehen, wie es andere Kolleginnen und Kollegen gemacht haben. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie den Mut gehabt hätten, die Menschen dort zu überzeugen. Dort hätten Sie die Möglichkeit gehabt, konkret mit Leistungsträgern über Ihre Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Aber diesen Mut hatten Sie nicht.
Schauen wir uns die Situation weiter an. Wie handlungsfähig ist diese Koalition eigentlich noch? Nach der zweiten öffentlichen Koalitionsverhandlung des Kollegen Schäuble mit der SPD wäre man fast versucht, zu sagen, Herr Schäuble: Nun tun Sie es doch endlich! Ich wäre fast versucht, den Sozialdemokraten zu sagen: Okay, die können nicht mehr alleine, die brauchen euch. Dann macht endlich eine Große Koalition! Die F.D.P. wird dazu noch klatschen. Bitte, dann tut es.
So kann es doch nicht weitergehen: Die Arbeitslosenzahl nimmt zu, und Herr Schäuble hält dieselbe Rede in drei Wochen erneut und bietet wieder die alten Kamellen an.
Schauen Sie sich doch die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Februar 1997 an, Herr Kollege Schäuble. Der offizielle Bericht der Bundesanstalt für Arbeit weist Ihre Reform des Schlechtwettergeldes als einen der Hauptfaktoren für den Anstieg der Arbeitslosigkeit aus.
Das muß Ihnen doch wie das große Geläut in den Ohren klingen.
Es geht aber noch weiter, meine Damen und Herren. Es sind nicht nur die 4,7 Millionen Arbeitslosen, die uns alle alarmieren müssen. Viel mehr muß uns eine Zahl, die in der öffentlichen Debatte relativ wenig Wirkung zeigte, alarmieren: Das Statistische Bundesamt spricht davon, daß im Jahre 1996 500 000 Arbeitsplätze netto verlorengegangen sind. Das heißt, daß wir insgesamt eine real rückläufige Entwicklung bei den Arbeitsplätzen haben, also nicht nur einen Anstieg der Arbeitslosenzahl, sondern einen realen Verlust an Arbeitsplätzen in diesem Lande.
Joseph Fischer
Dann leisten wir uns solche Debatten, statt die energiepolitische Zukunft zu gestalten, statt sich zusammenzusetzen. Es ist relativ einfach, einen Konsens zwischen Leuten zu erzielen, die sich einig sind. Einen Konsens zu erzielen zwischen Leuten, Kollege Schäuble, die nicht einig sind, ist die Herausforderung, vor der wir in der Energiepolitik stehen.
Wenn man die letzten Wochen Revue passieren läßt, kann man daran die ganze Innovationsschwäche, aber auch die Perspektivlosigkeit dieser Koalition erkennen. Ihr habt in der Kohlepolitik völlig versagt. In der Atompolitik - das wißt ihr - könnt ihr diesen Kurs nicht fortsetzen. Das sind aber nicht die zukunftsfähigen Punkte. Vielmehr brauchen wir einen Energiekonsens unter Einschluß der Anti-Atom-Opposition. Anders wird es keinen Energiekonsens in diesem Lande geben.
Wir müssen die Probleme im Zusammenhang mit der energiepolitischen Zukunft, den erneuerbaren Energieträgern, den Energiesparpotentialen, der Einordnung der konventionellen Energieerzeugungsträger für das kommende halbe Jahrhundert, gemeinsam lösen, damit auf dieser Grundlage dann die Investitionsplanung beginnen kann. Statt dessen erlaubt sich diese Koalition rückwärtsgewandte Auseinandersetzungen.
Herr Kollege Schäuble, ich habe die „FAZ" schon beim Frühstück gelesen, aber das, was ich heute dort gelesen habe, werde ich noch mehrmals lesen; denn das hat es in sich, daß der Bundeskanzler mittlerweile mit Nessie verglichen wird.
Ich lese dort vom ideologischen Oberajatollah des Neoliberalismus - garantiert kein Grüner, garantiert kein Sozialdemokrat - Hans Dieter Barbier:
Loch Brahmsee
Ein Gespenst steigt auf aus den Fluten des Brahmsees:
Kohls milliardenschweres Konjunkturprogramm. Es sieht zum Verwechseln ähnlich jenen wirtschaftspolitischen Hilflosigkeiten, die in den späten siebziger Jahren der damalige Bundeskanzler Schmidt alljährlich von seinem Feriendomizil aus in die Bonner Regierungsmaschinerie einspeiste: viel Geldaufwand ohne jede Wirkung.
Ich würde am liebsten den ganzen Artikel vorlesen, aber dafür reicht meine Redezeit nicht.
Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen eines sagen: Damit wir uns nicht mißverstehen, ich teile diese Kritik nicht.
Aber Sie waren doch der Hauptkritiker dieser Investitionsprogramme. In der letzten Debatte hat der Kollege Schäuble den Sozialdemokraten altmodische keynesianische Orientierung vorgeworfen. Und jetzt machen Sie genau das gleiche.
Nun kommt der entscheidende Punkt: Sie tun das alles doch nicht, weil Sie plötzlich sozusagen der zweite Helmut Schmidt werden, wobei Ihnen das zu denken geben sollte; denn das erinnert schwer an dessen Spätphase, und in der Spätphase sind Sie in der Tat.
Der entscheidende Punkt ist ein anderer, Herr Bundeskanzler. Was ich befürchte, ist, daß Sie mittlerweile die Hosen, bezogen auf die Einführung des Euro, so voll haben, daß Sie mittlerweile auch zu diesen Instrumenten greifen. Deswegen bitte ich Sie, darüber heute klare Auskunft zu geben.
Mit Gesundbeten - Sie kennen meine Position - ist da nichts mehr zu machen. Schlägt man die Zeitungen auf, egal, welcher politischer Couleur, so wird darin jeden Tag bezweifelt, daß die Bundesrepublik Deutschland die Kriterien zur Einführung des Euros erfüllen kann. Da ist mit Gesundbeten nichts mehr zu machen.
Wir wollen vom Bundesfinanzminister endlich wissen, ob es tatsächlich so ist, daß wir mit 20 bis 25 Milliarden DM zusätzlichem Defizit in diesem Jahr zu rechnen haben, ob es stimmt, was die Großbanken sagen, daß wir mit einem Anstieg der Nettoneuverschuldung in Höhe von 3,5 bis 5 Prozent in diesem Jahr zu rechnen haben. Dann kann man den Euro vergessen.
Ich sehe, Graf Lambsdorff nickt. Ich erwarte dann von einem verantwortlichen Regierungschef, daß er heute im Bundestag Klartext redet und nicht weiter in Gesundbeten oder Täuschen macht. Das ist das, was mich in diesem Zusammenhang wirklich bewegt.
Schauen wir uns, Kollege Schäuble, einmal das an, was Sie zur Steuerreform vorgeschlagen haben. Ich stimme Ihnen völlig zu - ich habe das bei der Bewertung der Vorlage der Koalition schon einmal gesagt -: Eine Angleichung der nominalen an die realen Steuersätze ist ein vernünftiger Schritt.
Nur, Sie sind die Regierung, Sie haben die Mehrheit. Sie wissen so gut wie ich: Es bleibt eine Finanzierungslücke von 44 Milliarden DM.
Joseph Fischer
Wir könnten, wenn man die soziale Ungerechtigkeit der Tarife außen vor läßt, die wir nicht mittragen können, den Ansatz, die nominalen an die realen Steuersätze anzupassen, mittragen. Das haben wir immer wieder betont.
Eines erwarten wir aber von Ihnen, und dazu haben Sie heute wieder einmal geschwiegen. Wie soll denn die Finanzierung dieser Deckungslücke aussehen? Heißt das Mehrwertsteuererhöhung? Ich frage die Sozialdemokraten: Wenn es um Steigerung der Massenkaufkraft geht - wir haben ein dramatisches Hinterherhinken der Binnennachfrage; das belegen alle Zahlen -, ist dann eine Mehrwertsteuererhöhung sinnvoll?
Ich sage nein; denn das heißt, wir schöpfen noch mehr Massenkaufkraft ab. Und je geringer die Einkommen - leider ist es so, daß die Mehrzahl unserer Bevölkerung nicht hohe oder höchste Einkommen beziehen, sondern sehr mäßige -, desto höher wird eine Mehrwertsteuererhöhung relativ zuschlagen.
Hinzu kommt - das wissen auch Sie, Herr Kollege Schäuble -: Eine Mehrwertsteuererhöhung wird vor allen Dingen in dem Bereich, in dem noch Arbeitsplätze geschaffen werden, nämlich beim Handwerk, auf dramatische Art und Weise vermutlich zu einem Anstieg der Schwarzarbeit führen. Ich frage Sie nochmals: Wenn wir uns einig sind, daß wir die Steuertarife angleichen wollen, und wenn wir uns gleichzeitig einig sind, daß eine Mehrwertsteuererhöhung vermutlich große negative Auswirkungen auf die Binnenkonjunktur haben wird, die eh schon in einem erbärmlichen Zustand ist, warum kommen Sie dann nicht endlich dazu, die Lohnnebenkosten über die Einführung einer Energiesteuer zu senken?
Ich frage Sie, Herr Repnik und Herr Schäuble, nochmals: Was spricht gegen diese Konzeption? Warum können wir diesen Schritt nicht gemeinsam tun? Sozialdemokraten und Grüne bieten Ihnen ausdrücklich an, diesen Schritt zu tun, damit wir die Senkung der Lohnnebenkosten finanzieren können.
- Daß dies bei der F.D.P. nur zu Gelächter führt, zeigt meines Erachtens, wie weit Sie von der Realität in diesem Lande entfernt sind und wie ideologisiert Sie jenseits aller Realitäten in diesem Lande sind.
Denn, Herr Westerwelle und Herr Gerhardt, Sie werden durch weiteres Rüberschaufeln zugunsten der Besser- und Bestverdienenden im Rahmen Ihrer Steuerreform nicht einen einzigen Arbeitsplatz mehr schaffen.
Sagen Sie mir einmal, was von den 11 Milliarden DM
durch den Wegfall der Vermögensteuer an Arbeitsplätzen in diesem Land tatsächlich geschaffen
wurde. Daß Sie die Vermögensteuer abgeschafft haben, hat nicht einen einzigen Arbeitsplatz geschaffen.
In einem Punkt, Herr Schäuble, muß ich Ihnen widersprechen. Sie machen den Leuten nach wie vor etwas vor. Sie wissen so gut wie ich: Wir brauchen verstärkte Zukunftsinvestitionen. Sie haben bei der Finanzierung Ihrer Steuerreform nicht nur ein Defizit von mindestens 44 Milliarden DM, sondern Sie haben auch die Notwendigkeit verstärkter Zukunftsinvestitionen. Sie fahren ständig die Forschungsmittel des Bundes herunter. Statt dessen stehen notwendige Investitionen in eine neue Energiepolitik und in eine neue Verkehrspolitik an.
Was gegenwärtig bei der Bahn geplant wird, nämlich eine flächendeckende Streckenstillegung größten Ausmaßes, ist das Gegenteil dessen, was Kommunen, was Länder, was aber auch dieses Land insgesamt unter dem Gesichtspunkt einer neuen Verkehrspolitik brauchen.
Sie fahren im Grunde genommen einen engstirnigen Sanierungskurs, der die Zukunft nicht bedenkt, der das Gegenteil dessen bewirkt, was wir in diesem Lande brauchen, nämlich einen Investitionsschub im Hinblick auf die Verkehrsträger Bahn und Schiene. Nur, das würde entsprechende Gelder voraussetzen.
Ferner besteht die Notwendigkeit der Reform unseres Bildungs- und Ausbildungssystems. Wir müssen in den kommenden 20 Jahren Bildung und Ausbildung in das Berufs- und in das Erwachsenenleben integrieren. Wir können das nicht mehr nur als Angelegenheit der Bundesanstalt für Arbeit unter den Gesichtspunkten Ausbildung, Wiedereingliederung und ähnlichem abtun. Damit stehen wir nicht vor einer Entstaatlichung. Wir müssen vielmehr endlich den politischen Mut zur Rahmengestaltung des nötigen Strukturwandels aufbringen. Wer den Menschen erzählt, das gehe zum Nulltarif, der betrügt sie und verkauft die Zukunft.
Deswegen, Herr Schäuble, sage ich Ihnen: Sie können hier lange davon reden, wir müßten Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Sie werden, wenn Sie so weitermachen, dieses Land auf einen Punkt sanieren, an dem wir die Zukunft verspielt haben werden. Wir brauchen statt dessen Anpassung in verschiedenen Punkten. Dazu haben wir Ihnen unsere Angebote gemacht. Aber der entscheidende Punkt ist, die Erneuerungsschwäche dieses Landes zu überwinden. Die Überwindung dieser Erneuerungsschwäche setzt ökologische, soziale und bildungspolitische Zukunftsinvestitionen voraus.
Deswegen halten meine Fraktion und meine Partei es für falsch, den Menschen eine Nettoentlastung zu versprechen. Wir können den Menschen heute nicht sagen: Es gibt mehr Geld im Portemonnaie. In Wirk-
Joseph Fischer
lichkeit werden Sie es ihnen auf anderem Wege wieder aus der Tasche ziehen. Wir müssen ihnen vielmehr sagen: Wir stehen für eine Politik der ökologischen und sozialen Erneuerung, die den Mut hat, den Strukturwandel anzupacken. Dann muß man aber auch den Mut haben, den Menschen die Lasten zu erklären. Außerdem muß die öffentliche Hand die notwendigen Investitionen hierfür aufbringen.
Das ist das Gegenteil dessen, was die Partei des neuen Egoismus vorschlägt. Insofern kann ich Ihnen nur sagen: Sie vertreten nicht die Zukunft, sondern die finsterste Vergangenheit.