Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Knake-Werner, Sie haben die Debatte mit dem Vorwurf eröffnet, es gehe uns nicht um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
- Das wird hier noch bestätigt. - Können wir uns einmal darauf verständigen, daß wir hier im Parlament um den besten Weg zur Überwindung der Arbeitslosigkeit streiten?
Wenn das hier von der SPD bestätigt wird, dann weise ich die Behauptung als eine Unverschämtheit zurück, wir würden uns mit der Arbeitslosigkeit abfinden.
Wir streiten uns über den Weg. Der Streit muß auch sein. Aber bei 4 Millionen Arbeitslosen kenne ich niemanden, der ruhig sitzen bleiben kann.
Niemand kann mit dem Zustand zufrieden sein. Es wäre besser, wir würden den Streit als einen Wettbewerb um den besten Weg führen und nicht als eine moralische Verdächtigung derjenigen, die Ihren Weg nicht bevorzugen.
Denn von diesen wechselseitigen Vorwürfen haben die Arbeitslosen überhaupt nichts.
Ich halte fest: Es ist jetzt ein Jahr her, daß sich Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung auf das ehrgeizige Ziel verständigt haben, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000 zu halbieren. Dieses Ziel gilt. Es ist nicht ein Ziel, das die Bundesregierung, die Koalition sozusagen im Alleingang erreichen kann. Es ist ein Ziel, das nur erreicht werden kann, wenn alle mitwirken. Keiner schafft es allein.
Wir haben uns darauf verständigt, die Sozialabgaben bis zum Jahr 2000 unter 40 Prozent zu drücken.
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
Sagen Sie mir einmal, wie Sie das ohne Sparen erreichen wollen!
- Sie sind doch gegen jeden Sparvorschlag.
Ich glaube, daß wir auch umfinanzieren müssen. Aber ohne Sparen - das ist eine Frage von Adam Riese -, ohne Entlastung der Sozialsysteme ist das nicht zu schaffen. Das ist kein populärer Weg. Bisher habe ich aus Ihren Reihen eigentlich immer nur Vorschläge zu den versicherungsfremden Leistungen gehört. Das sind sehr respektable Vorschläge; aber mit Veränderungen nur bei versicherungsfremden Leistungen erreichen Sie das Ziel nicht. Auch das ist keine Frage der Meinung, sondern des Rechnens.
Im Grunde, glaube ich, geht es schon um zwei Denkschulen.
Die eine Denkschule fragt: Geht uns die Arbeit aus? - Wenn das stimmt, dann bleibt eigentlich nur Arbeitsverwaltung und -verteilung. Das ist ganz konsequent. Dann gibt es nur Hin- und Herschieben. Die andere Denkschule fragt: Hat die Arbeit Zukunft? - Freilich fällt sie nicht vom Himmel. Sie muß neu organisiert werden. Wir brauchen Umstellung. Kostenmanagement muß um Innovationsmanagement ergänzt werden.
Dazu gehören nicht nur neue Produkte, sondern auch eine neue Arbeitsorganisation. Die Arbeit muß bezahlbar sein, daran führt kein Weg vorbei. Darum bemühen wir uns.
Sie können unsere Vorschläge ablehnen. Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß wir gehandelt haben. Wenn alle so gehandelt hätten, wären wir schon ein Stück weiter. Wir haben die Frühverrentung mit Zustimmung der Sozialpartner, mit Zustimmung der Gewerkschaften eingedämmt. Wir haben Altersgrenzen angehoben
- das alles ist nicht populär -, Ausbildungszeiten verkürzt.
Wir haben den Kündigungsschutz für Arbeitnehmer
in Betrieben unter zehn Arbeitnehmern in der Tat
nicht beseitigt. Es kann doch nicht jeder machen, was er will; wir sind doch nicht im Wilden Westen. Wir haben den Schwellenwert für Sozialauswahl in kleinen Betrieben angehoben. In Betrieben mit bis zu fünf Arbeitnehmern gab es diese Sozialauswahl schon bisher nicht. Im übrigen ist in Kleinbetrieben die Möglichkeit zur Sozialauswahl relativ klein. Ich bleibe dabei: In der Tat haben die, die gesagt haben, das sei ein Einstellungshemmnis, nun auch einzustellen. Die Politik kann nicht einstellen, die Politik schafft keine Arbeitsplätze.
Wir haben Voraussetzungen dafür geschaffen. In der Tat erwarten wir von denjenigen, die das gefordert haben, jetzt verstärkte Anstrengungen. Wir leben Gott sei Dank nicht in einer Staatswirtschaft. Um zu wissen, wohin eine Staatswirtschaft führt, brauchen wir in Deutschland keine neuen Feldversuche.
Wir hatten 40 Jahre Feldversuche dazu.
Wir brauchen neue Beschäftigungsfelder. Warum machen Sie den Haushalt als Beschäftigungsfeld immer madig? Ist der Haushalt ein minderwertiger Arbeitsplatz? Mir ist es jedenfalls lieber, jemand hat in einem Haushalt ein ordentliches Arbeitsverhältnis, als daß er mit einer geringfügigen Beschäftigung abgespeist wird. Mir ist es lieber, er hat Arbeit, als daß er vom Arbeitsamt Unterstützung erhält.
Frau Jäger, um auf Ihren Debattenbeitrag zum AFG einzugehen: Sie haben bedauert, daß für die neuen Länder Regelungen auslaufen. Sie hätten das verhindern können. Sie hätten dem AFG freie Bahn geben müssen.
Dann gäbe es seit dem 1. Januar neue Instrumente. Dann gäbe es einen Lohnkostenzuschuß in Höhe des Arbeitslosengeldes bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen in kleinen Betrieben mit bis zu zwei Arbeitnehmern bzw. mit unter zehn Arbeitnehmern und in größeren Betrieben. Wenn das heute nicht gezahlt wird, Frau Jäger, wenden Sie sich an Ihre eigenen Reihen. Auf der rechten Seite des Hauses sitzen nicht diejenigen, die das Ganze blockiert haben.
Wenn Sie die Blockierer suchen, müssen Sie auf der linken Seite des Hauses suchen. Sie haben das Arbeitsförderungsgesetz blockiert.
Sie haben noch nicht einmal unsere ausgestreckte Hand zu einem Vermittlungsversuch ergriffen. Sie
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
haben einfach kurzerhand blockiert. Wir werden das Arbeitsförderungsgesetz jetzt zustimmungsfrei auf den Weg geben. Wir hoffen, daß die neuen Instrumente am 1. April wirken.
Sie haben zu verantworten, daß wir drei Monate für neue Instrumente in den neuen Bundesländern verloren haben. Frau Jäger, Sie und Ihre Fraktion haben die neuen Instrumente verhindert.
Wir wollen uns in besonderer Weise den Langzeitarbeitslosen zuwenden. Die Betroffenheit der Arbeitslosen ist höchst unterschiedlich: 30 Prozent sind unter drei Monate arbeitslos, 60 Prozent unter sechs Monate. Es geht ganz besonders um jene 40 Prozent, die lange arbeitslos sind und die es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, einen Arbeitsplatz zu finden. Deshalb sind wir für neue, auch für ungewöhnliche Wege, beispielsweise für einen Eingliederungsvertrag, der den Betrieben das Risiko der Lohnfortzahlung in den ersten sechs Monaten nimmt. Dieses Risiko hat sich als Einstellungshürde erwiesen.
Wir kommen mit den Globalvorwürfen nicht weiter. Wir kommen nur durch konkrete Politik weiter. Mit den Anstrengungen, die wir unternehmen, Sozialabgaben zu mindern und den Beitragsanstieg abzubremsen, sparen wir doch nicht für irgendwelche Ölscheichs, für irgendwelche Millionäre. Wir sparen für Millionen von Beitragszahlern, die an der Grenze der Belastbarkeit angekommen sind. Wir sparen dafür, daß Arbeitsplätze von Kosten entlastet werden.
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, um zu sagen: Kein Mensch denkt an Rentenkürzungen, obwohl das immer wieder als polemische Keule benutzt wird, um 17 Millionen Rentner in Unruhe und Angst zu stürzen. Es geht überhaupt nicht um Rentenkürzungen. Es geht vielmehr um das Rentenniveau. Das ist das Verhältnis zwischen Rentenhöhe und den vergleichbaren Einkommen der Erwerbstätigen. Wenn die Anpassung des Rentenniveaus eine Rentenkürzung wäre, dann wäre die Nettorente, die wir mit Ihnen eingeführt haben, eine Rentenkürzung gewesen. Niemand von Ihnen hat das damals behauptet. Deshalb sollten Sie vorsichtig sein, die Anpassung des Rentenniveaus für Polemik zu nutzen. Es bleibt dabei: Die Rente muß leistungsbezogen sein. Ich werde mit allen immer ein Rentensystem verteidigen, das Abstand zur Sozialhilfe hält.
In all unseren Sozialsystemen muß nicht nur gespart werden. Es muß auch gefragt werden: Was muß mit Beiträgen bezahlt werden? Was muß mit Steuern bezahlt werden? Es ist richtig: Nicht die Sozialleistungsquote ist davongelaufen, unter dem Dach der Sozialleistungsquote hat es eine Verschiebung von Steuern zu Beiträgen gegeben.
Diese Entwicklung muß umgekehrt werden. Aber ohne Sparen geht es nicht. Ohne Sparen können wir keine dauerhafte Entlastung schaffen.
Im übrigen nutze ich die Gelegenheit, auch Sie zu bitten, die zum Konsens ausgestreckte Hand nicht schon dann zurückzuweisen, wenn wir gerade am Beginn einer großen Reformaufgabe stehen. Wir erreichen das Ziel also nicht, indem jeder auf seinem Weg bleibt, sondern nur, indem wir alle zusammenarbeiten. Deshalb bin ich für ein „Bündnis für Arbeit" .