Rede von
Dr.
Christa
Luft
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesfinanzminister hat in der gewohnten Tonart eine Rede vorgetragen. Das zeigt, er ist auf dem Wege der Genesung. Ich wünsche ihm dabei gute Fortschritte.
Sein Haushalt 1997 aber leidet an einem chronischen Infekt. Dieser Haushalt wird im nächsten Jahr garantiert kraftlos zusammenklappen.
Diese Aussicht ist nicht einmal für eine Oppositionspartei Anlaß zu Schadenfreude und Häme. Denn die Menschen, die ohnehin am meisten betroffen sind, werden es am schwersten haben. Diese Menschen,
die es schon bisher am schwersten hatten, Herr Bundesminister, sind in Ihrer Rede nicht vorgekommen. Sie klopfen sich pausenlos selber auf die Schulter.
Sie, Herr Solms, sorgen sich nur um das Sparvermögen der Gutverdienenden und der Vermögenden, damit es zu Investitionen kommt. Aber die letzten Spargroschen derer, die wenig verdienen oder gar keine Arbeit haben, liegen Ihnen nicht am Herzen. Das ist schon eine eigenartige Konstellation.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, sagen: Ich bin in der vergangenen Woche in meinem Wahlkreis mit sehr vielen Frauen zusammengekommen, alle zwischen 30 und 50 Jahren. Sie sind regelrecht verzweifelt. Nach der Verabschiedung dieses Haushalts wird sich an deren Befindlichkeit überhaupt nichts ändern.
Ich kann den arbeitslosen Frauen nicht sagen, sie sollten endlich Existenzgründerinnen werden. Dazu haben sie weder Anfangskapital noch Beleihungsgrundlagen. Ich kann ihnen auch nicht empfehlen, Sie sollten nicht länger Besitzstandswahrerinnen sein. Diese Frauen haben nichts mehr, auf das sie verzichten könnten.
Ich kann ihnen leider auch keinen Tip geben, wo sie sich in Berlin oder anderswo bei einem Einzelhändler, einem privaten Handwerker, in einem Dienstleistungs- oder Produktionsunternehmen bewerben sollten, weil man dort gegenwärtig jemanden sucht, der einzustellen wäre. Es werden keine Menschen eingestellt; jedenfalls in Berlin kenne ich solche Fälle nicht.
Vielleicht bekommen Sie demnächst aus dem CDU-regierten Sachsen die Quittung. Dort sind nämlich zum Jahreswechsel drei Viertel aller Frauenprojekte durch die ABM-Mittelkürzungen akut gefährdet. Mit dieser besonderen Frauenfeindlichkeit Ihrer Haushaltspolitik gewinnen Sie keine Zukunft, auch nicht für die Kinder und die Enkel, von denen Herr Sohns gesprochen hat.
Für die vier Millionen offiziell Arbeitslosen und für die ebenso vielen Quasi-Arbeitslosen verbindet sich nach dem Etatansatz für 1997 keinerlei Hoffnung auf einen Job. Sie nehmen den Menschen die durch Fortbildung und Umschulung erhofften neuen Beschäftigungschancen sogar noch, indem Sie dort neuerliche Kürzungen vorgenommen haben.
Das Baugewerbe ist schon 1996 auf einer absoluten Talfahrt gewesen. Diese Talfahrt wird sich fortsetzen allein durch die Absenkung der öffentlichen Investitionen aus dem Bundeshaushalt von 7 Milliarden DM. Was in den globalen Minderausgaben sonst noch pro Ressort versteckt ist und inwieweit davon öffentliche Investitionen betroffen sein werden, das wissen wir noch gar nicht.
Beschäftigungseinbrüche wird es in den Rehabilitationseinrichtungen, bei Physiotherapeuten, bei Zahnprothetikern geben. Man kann die Liste fortset-
Dr. Christa Luft
zen. Reihenweise droht kleinen und mittleren Unternehmen - Herr Solms, auch Sie wissen das - der finanzielle Ruin, weil sie durch den Rückgang bei der Inlandsnachfrage in ihrer Lebensfähigkeit beeinträchtigt werden.
Außerdem verschlechtert sich in diesem Lande die Zahlungsmoral katastrophal. Es wäre doch ein Betätigungsfeld für die F.D.P., denke ich, diese Sache einmal zu untersuchen und zu prüfen, wie wir dort vorankommen könnten. Das ist doch inzwischen ein Greuel und eine Geißel für die kleinen und mittleren Unternehmen und die dort Beschäftigten.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat gestern noch einmal nachdrücklich vor der ersatzlosen Kürzung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit gewarnt. Dramatische Einschnitte auf diesem Sektor führen nicht nur zu höherer Arbeitslosigkeit, sondern sie bedrohen auch weite Teile der sozialen Infrastruktur, besonders in den neuen Bundesländern.
Nach Angaben dieses Verbandes werden rund 50 000 der Beschäftigten im Bereich sozialer Dienste und der Jugendhilfe als ABM-Kräfte oder über Lohnkostenzuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit finanziert. Bei vielen sozialen Diensten in den neuen Ländern arbeitet auch sechs Jahre nach der deutschen Einheit noch kein einziger regulär Beschäftigter. In Thüringen sind über die Hälfte aller Alteneinrichtungen und über 40 Prozent aller Dienste für Behinderte vollständig auf Zuschüsse der Arbeitsämter angewiesen. Ich habe noch nicht bemerkt, daß sich dort ein privates Unternehmen vor die Tür stellt und sagt: Ich möchte diese Dienste übernehmen.
Allein die Art und Weise, wie Sie mit dem alle Berufsgruppen in diesem Lande betreffenden Übel Massenarbeitslosigkeit in diesem Haushalt umgehen, ist Grund, ihn abzulehnen.
Hinzu kommt, daß Sie das Ost-West-Gefälle in Deutschland zementieren, daß Sie für Bildung, Forschung und den ökologischen Umbau, also für beschäftigungsintensive Dinge, viel zuwenig Mittel bereitgestellt haben.
Gründe für die Ablehnung dieses Haushaltes sind außerdem die fortgesetzte Praxis des Bundes, sich auf Kosten der Kommunen zu entlasten, wodurch auch ein Grundprinzip, nämlich das der kommunalen Selbstverwaltung, in Frage gestellt wird.
Schließlich trägt Ihr Haushalt in keiner Weise der veränderten außen- und sicherheitspolitischen Lage in Deutschland Rechnung. Sonst hätten Sie sich endlich von der Anschaffung neuer Waffensysteme verabschiedet.
Nicht zustimmungsfähig ist der Haushalt auch, weil er grundgesetzwidrig ist; das ist hier schon angeklungen. Sie können dem Parlament nicht nachweisen, daß zur Stunde der Verabschiedung dieses Etats die Nettokreditaufnahme geringer ausfallen wird als die Summe der öffentlichen Investitionen; denn niemand weiß, wie sich die öffentlichen Investitionen angesichts der globalen Minderausgabe ausnehmen werden.
Sie haben die Nettokreditaufnahme gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung in der Tat abgesenkt. Dies aber haben Sie doch wohl vor allem deshalb getan, um einen Puffer beim Haushaltsvollzug zu haben. Schon heute ist abzusehen, daß Sie Anfang 1998, also kurz vor der Bundestagswahl, einige Trostpflästerchen, kurzfristigen Wahlspeck sozusagen, verteilen werden. Das vorzubereiten ist Ihnen wichtiger, als langfristige, dauerhafte Antworten auf Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft zu geben.
Sagen Sie nicht, die PDS kritisiere sowieso nur und habe nichts dazu beizutragen. Ich kann Ihnen sagen - wir haben es noch einmal zusammengezählt -, daß wir zu 127 Titeln des Haushaltsentwurfs Erhöhungs-
und Absenkungsanträge gestellt haben. Die Erhöhungen und Absenkungen halten sich in etwa die Waage. Wir haben Vorschläge gemacht, wie die Einnahmen um annähernd 3 Milliarden verbessert werden können. Diese Vorschläge schlagen Sie in den Wind. Damit hätte man gut und gerne eine kommunale Investitionspauschale finanzieren können. Das wäre eine Initialzündung für mehr Beschäftigung in Ostdeutschland.
In den Kommunen könnten diese Mittel kompetent ausgegeben werden.
Sie sagen, daß es öffentliche Gelder sind, die wir mit dem Bundeshaushalt verteilen, und daß man sorgsam damit umgehen muß. Meine Damen und Herren, da kann man Ihnen nicht widersprechen. Das ist ein richtiger Grundsatz. Aber warum fällt Ihnen dieser Grundsatz, dieser Fingerzeig immer dann ein, wenn es um Sozialleistungen geht? Warum verausgaben Sie die öffentlichen Mittel eigentlich nicht endlich mit einem Höchstmaß an Beschäftigungswirkung? Das ist doch im allerhöchsten öffentlichen Interesse.
Wozu die Anschaffung sogenannter intelligenter Minen? Man möge sich allein diese Wortzusammenstellung einmal zu Gemüte führen: intelligente Minen. Wozu also die Anschaffung dieser Minen? Wozu die Anschaffung eines Eurofighters? Weshalb nicht Konversion? Das wäre beschäftigungswirksam.
Wozu Kernfusion statt Finanzierung alternativer Energiequellen?
Wozu Abriß des Palastes der Republik, anstatt ihn schnell zu sanieren und in Betrieb zu nehmen? Auch das wäre ein Beitrag zur Beschäftigung.
Warum stellen Sie eigentlich nie die Frage, wem die Zinsen zugute kommen, die Sie für die unter dieser Regierung aufgelaufenen Staatsschulden aus dem Haushalt jährlich zu begleichen haben? Das
Dr. Christa Luft
sind ja doch immer zwischen 90 und 100 Milliarden DM. Wäre es in dieser Situation des Landes nicht an der Zeit, diejenigen, für die der klamme Bund zur Melkkuh geworden ist, zu einer solidarischen Leistung heranzuziehen?
Ich komme zum Schluß und sage: In einer schwierigen Lage und unverhofft mußte in dieser Runde der Haushaltsberatungen Kollege Kurt Rossmanith die Leitung des Ausschusses übernehmen. Ich möchte ihm ausdrücklich den Respekt der Mitglieder der Gruppe der PDS im Haushaltsausschuß für seinen fairen Umgangsstil zollen.
Natürlich wünsche ich auch, daß Kollege Helmut Wieczorek bald vollends hergestellt ist und wie früher der Fels in der Brandung sein kann.
Mein Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats des Haushaltsausschusses für ihre stete Hilfsbereitschaft.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition werden - daran wird kein Zweifel bestehen -, mit Ihrer knappen Mehrheit heute diesen unsolide finanzierten Haushalt beschließen. Eine Grundlage für eine hoffnungsvolle Zukunft von Millionen verunsicherter Menschen, darunter vieler Jugendlicher und Kinder, legen Sie damit nicht.
Danke schön.