Rede von
Eva-Maria
Bulling-Schröter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates. Sie haben einen tollen Kompromiß ausgehandelt, der den politischen Realitäten in Deutschland Rechnung trägt. Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer brauchen ihrer Meinung nach Ausnahmeregelungen; anscheinend trauen sie ihnen doch noch ziemlich viel Widerstandswillen und Kritikfähigkeit zu. Deshalb brauchen sie weniger Klage- und Einspruchsmöglichkeiten als ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westdeutschland.
Widerspruchs- und Anfechtungsklagen von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern sollen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen keine aufschiebende Wirkung haben - im Unterschied zu den Rechten von Westdeutschen, denen, wie wir gehört haben, nach dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses sehr wohl das elementare Rechtsmittel der aufschiebenden Wirkung zugestanden wird.
Mit der Sonderregelung sollen im Osten bis zum Jahre 2002 - das wurde verlängert; danach wird es wahrscheinlich auch im Westen einziehen - Einspruchs- und Klagerechte für empfindliche Bereiche eingeschränkt werden: für alle Verfahren, die emittierende Anlagen betreffen, für die Genehmigung von Abfalldeponien, für Verfahren im Zusammenhang mit Kraftwerksbauten, für Vorhaben nach dem Bundesberggesetz, für Straßenbauvorhaben und andere Dinge. Das heißt, daß hier der Gang zu Verwaltungsgerichten quasi unwirksam ist.
Wenn ich noch mal die bayerischen Verwaltungsrichter zitieren darf, die uns damals einen Brief geschrieben haben:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gehört es zu den fundamentalen Grundsätzen des öffentlichen Prozesses, daß Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben und nicht schon vor einer gerichtlichen Entscheidung vollendete Tatsachen geschaffen werden.
Verfehlt wird dadurch auch das Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Denn zwangsläufig wird sich die Zahl der Eilanträge und damit die Belastung der Gerichte automatisch erhöhen.
Das ist die Aussage der bayerischen Verwaltungsrichter; das steht im Widerspruch zu dem, was hier gesagt worden ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Osten kann nach diesem üblen Kompromiß also weiter Wildwest gespielt werden. Was man in den alten Bundesländern kaum noch durchsetzen kann - in den neuen Ländern läßt es sich machen: Müllverbrennungsanlagen, brisante chemische Anlagen, exzessiver Autobahnbau, die Ausplünderung von Kiesen und Sanden. Alles läßt sich ohne störende Baustopps durchziehen. Die Bau- und Anlagenlobby wird in den neuen Bundesländern weiterhin Strukturen schaffen, die eine nachhaltige Fehlentwicklung zementieren.
Manche Idealisten haben sich von der SPD im Vermittlungsausschuß einen Versuch der Abwehr dieser grundrechteverletzenden Bestrebungen der Bundesregierung erhofft. Bekommen haben sie neben diesem skandalösen Zweiklassenrecht nur Korrekturen von Tippfehlern. Die Substanz der Beschleunigungsgesetze bleibt nämlich unangetastet.
Weiterhin begünstigen die Regelungen in vielfacher Hinsicht die Eigentümer von Industrieunternehmen und schneiden tief in die Schutzrechte der Bürger ein; der Kollege Rochlitz hat das ja bestätigt. Sie verwandeln Gerichte in „Reparaturbetriebe" der Verwaltung und machen aus der Erteilung einer Genehmigung eine Dienstleistung am Kunden. Diesem Tenor schlossen sich auch alle Sachverständigen der Anhörung an, natürlich mit Ausnahme der Vertreter von Bayer, BASF, des Bundes Junger Unternehmer und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
Im Juni haben Vertreterinnen und Vertreter der wichtigsten Umweltverbände auf ihrer Bonner Pressekonferenz angekündigt, wenn diese Beschleunigungsgesetze durchkämen, dann sei es vorbei mit den Gängen durch die Instanzen, dann werde den Umwelt- und Bürgerbewegungen wieder die Straße gehören. Auf der gleichen Konferenz haben die Umweltverbände übrigens schon resignierend festgestellt, daß sie die Hoffnung aufgegeben haben, der Bundesrat könnte seine Macht ökologisch nutzen. Nach der Transrapid-Entscheidung sicher eine Illusion!
Im Schatten der Armutsbeschleunigungsgesetze, die am 13. September beschlossen wurden, haben Sie hier einem Kompromiß zugestimmt, der ebenfalls nichts anderes ist als die in Verwaltungsdeutsch eingegossene Standortideologie der Bundesregierung.