Rede von
Peter
Keller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen jetzt einen Sprung machen von einem wichtigen Gesetz zur deutschen Sozialpolitik hin zu einem wichtigen Thema der europäischen Sozialpolitik.
Es scheint ja bisweilen so zu sein, daß in Europa die politischen Entscheidungswege besonders lang sind. Aber gerade deshalb freue ich mich heute, daß endlich auch die Arbeitnehmer in europaweit tätigen Unternehmen einen gesetzlichen Anspruch auf Unterrichtung und Anhörung haben.
Ich möchte daran erinnern, daß bei uns in Deutschland die Mitbestimmung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer ein zentraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft ist, ein zentraler Bestandteil dessen, was wir soziale Partnerschaft nennen. Das 1952 verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz zeigt, wie wichtig für Adenauer und Erhard die Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer waren. Dieses Vertrauen in eine betriebliche Sozialpartnerschaft hat auch in Deutschland entscheidend zum sozialen Frieden beigetragen.
Lassen Sie mich einen Vergleich europäischer Art anstellen: Der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien beweist, daß Partnerschaftsmodelle nicht nur sozialer, sondern auch wirtschaftlich erfolgreicher sind.
An dieser Stelle möchte ich der jetzigen Bundesregierung, insbesondere unserem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, aber auch früheren Bundesregie-
Peter Keller
rungen dafür danken, daß sie das deutsche Mitbestimmungsmodell nicht auf dem Einheitsaltar Europas geopfert haben. Vergessen wir nicht: Auch bei uns hat sich die Mitbestimmung seit dem Jahre 1951/ 52 kontinuierlich entwickelt.
Ich mache keinen Hehl daraus, daß auch manches von meinen persönlichen Vorstellungen als früherer Betriebsrat dem Koalitionskompromiß, wie er jetzt vorliegt, zum Opfer gefallen ist. Aber ich sage auch: Lieber das Machbare umsetzen, als immer dem Wünschenswerten nachtrauern.
Mit diesem Gesetz zeigen wir deutlich, daß der europäische Binnenmarkt nicht nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum sein darf. Die soziale Dimension muß im gleichen Maße mit entwickelt werden. Europaweit tätige Unternehmen brauchen eine europäische Arbeitnehmervertretung. Allerdings dürfen wir nicht dem Fehler erliegen, den Europäischen Betriebsrat, weil der Begriff gleich ist, auch in der Sache mit dem deutschen Betriebsrat gleichzusetzen. Die Richtlinie ist kein harmonisiertes europäisches Betriebsverfassungsgesetz.
Der Begriff „Betriebsrat" mag bei manchen von uns zu hohe Erwartungen wecken. Vorerst haben die Arbeitnehmer ein Unterrichtungs- und Anhörungsrecht. Sie erfahren jetzt also rechtzeitig von geplanten Verlagerungen ihrer Betriebe, Unternehmensschließungen oder europaweiten Massenentlassungen.
Der vorliegende Gesetzentwurf steckt eben Mindestbedingungen ab. Denjenigen, denen er nicht weit genug geht - wie Teilen der Opposition -, sei gesagt: Setzen wir auf die Eigenverantwortung und Vernunft der betrieblichen Partner! Es gibt viel mehr pragmatische Lösungen, viel mehr partnerschaftliche Zusammenarbeit, als man uns glauben machen will.
Auch aus persönlicher Erfahrung meine ich: Die Sozialpartnerschaft muß, gerade im Betrieb, gelebt werden. Wir können sie nicht per Gesetz verordnen.
Eines möchte ich noch deutlich herausheben: Das deutsche Mitbestimmungsrecht darf auch zukünftig nicht durch EU-Recht ausgehöhlt werden. Ich sehe hier eine gewisse Gefahr auf uns zukommen; denn die Kommission hat bereits Vorschläge für Verordnungen zu dem Statut einer Europäischen Genossenschaft, einer Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft und eines Europäischen Wirtschaftsvereins. Ziel ist es, die grenzüberschreitende Tätigkeit zu erleichtern, indem für sie eine europäische Rechtsform möglich wird.
Das bedeutet natürlich im Klartext, daß damit beispielsweise eine deutsche Aktiengesellschaft leichter in einen europäischen Wirtschaftsverein umgewandelt werden kann und so der deutschen Mitbestimmung entfliehen könnte. Deshalb müssen wir unsere ganze Kraft darauf konzentrieren, daß diese neuen Gesellschaftsformen mit ausreichenden Informations-, Konsultations- und Mitwirkungsmöglichkeiten verknüpft werden.
Noch eines: Für die nationalen Mitbestimmungsregelungen muß ein Bestandsschutz gelten, soweit sie über EU-Mindestnormen liegen. Eine Schlußbemerkung, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Ich meine, wir haben mit dem Europäischen Betriebsräte-Gesetz nicht ein halbleeres Glas, sondern ich sage, wir haben ein halbvolles Glas vor uns stehen. Wir haben etwas in der Hand, das wir gemeinsam weiterentwickeln können. Ich möchte die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermuntern und auffordern, diese partnerschaftliche Möglichkeit optimal zu nutzen. Das Gesetz über Europäische Betriebsräte gibt Ihnen dazu die Chance.
Vielen Dank.