Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem ist, Herr Solms, daß nicht die PDS in dieser Gesellschaft Spaltungen hervorruft, sondern Sie, und zwar vehement zwischen Arm und Reich und darüber hinaus auch noch zwischen Ost und West.
Es ist nämlich kein Zufall, daß die Zahl der Wahlstimmen für die F.D.P. im Osten, die 1990 - übrigens aus mir unerklärlichen Gründen - beachtlich war, inzwischen gegen Null tendiert. Die Leute wissen einfach, was ihnen die F.D.P. bringt. Es ist eine Klientel, die die Immobilien haben will, sich aber um die Sorgen der Menschen nicht kümmert. Das ist die Realität.
Sie, Herr Solms, haben gesagt, daß das, was hier beschlossen werden soll, zumutbare Opfer seien. Sa-
Dr. Gregor Gysi
gen Sie doch einmal, welches Opfer Sie und ich in dieser Situation bringen!
In dieser Gesellschaft müssen immer die Kleinen die Opfer bringen. Dabei kann es nicht bleiben.
Sie haben übrigens etwas gesagt, was ich noch viel besser fand. Sie haben gesagt: Wem es schlechtgeht, der muß mehr arbeiten. Ich kann nur hoffen, daß es dieser Regierung, dieser Koalition nach der nächsten Wahl so schlecht geht, daß sie dann wirklich anfangen muß zu arbeiten. Anders scheint dies nicht einzutreten.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat gesagt: Wir müssen nach dieser Debatte lernen, Mehrheitsentscheidungen, das heißt: einen demokratischen Grundkonsens, zu akzeptieren. Darf ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, darauf hinweisen, daß Sie eine demokratische Prozedur zur Formalie reduziert haben, indem Sie schon vor der Sitzung des Bundesrates die Abstimmung über den Einspruch des Bundesrates angesetzt haben, obwohl Sie zu diesem Zeitpunkt weder die Debatte noch die Entscheidung des Bundesrates kennen konnten. Damit sagen Sie doch nicht mehr und auch nicht weniger, als daß Sie weder das Ergebnis dieses Verfassungsorgans noch das, was dort inhaltlich vorgetragen wird, interessiert. Ansonsten hätten Sie nach dem gestrigen Tag erst einmal eine Denkpause eingelegt.
Sie machen aus demokratischen Strukturen reinen Formalismus und untergraben damit wichtige Grundlagen.
Im übrigen halte ich Ihr sogenanntes Sparpaket für verfassungswidrig.
Ich sage aber noch etwas: Was ich besonders übel finde, ist, daß Sie den Staat durch völlig ungerechtfertigte Steuergeschenke arm gemacht haben und dann, wenn er arm ist, daherkommen und sagen, sie müßten Sozialabbau betreiben, weil kein Geld mehr da ist.
Wer die Schuld an der Armut des Staates trägt, ist zu einer solchen Argumentation nicht legitimiert.
Noch etwas: Sie können nicht über Sozialabbau in dieser Gesellschaft reden, wenn Sie nicht gleichzeitig auch über Reichtum in dieser Gesellschaft reden. Was machen Sie denn angesichts der Tatsache, daß seit 1989 die Einkommensmillionäre um 40 Prozent zugenommen haben, daß wir inzwischen 100 Milliardäre haben? Diese Leute ruft niemand zur Solidarität auf, sondern immer nur die Arbeitslosen,
Kranken und Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger. Das ist der eigentliche Skandal Ihres Pakets.
Nennen Sie mir eine Bestimmung, die Millionäre betrifft! Es ist keine dabei.
Ich komme zur Steuerflucht. Sie sind doch an der Regierung. Weshalb ändern Sie eigentlich nicht die Steuergesetze dahin gehend, daß die Einnahmen dort zu versteuern sind, wo sie erzielt werden? Mir ist es ganz egal, wo eine private Person ihren Wohnsitz hat. Wenn sie im belgischen Fernsehen auftritt, soll sie das Honorar, das sie dort verdient, auch dort versteuern, aber wenn sie in Deutschland ihr Geld verdient, dann soll sie es auch hier versteuern.
Das gleiche muß für Unternehmen gelten. Es kann nicht weiterhin so sein, daß Unternehmen wie Daimler Benz hier alle Vorzüge genießen, aber die Steuern woanders zahlen, weil die Gewinne ins Ausland transferiert werden, und sich somit aus der Bezahlung der Bundesrepublik Deutschland verabschieden.
Sie nehmen das alles widerspruchslos hin.
Sie wollen den Kündigungsschutz in breitem Rahmen abschaffen und wissen, was das bedeutet. Wenn Sie für 80 Prozent der Unternehmen und für 30 Prozent der Beschäftigten den Kündigungsschutz abschaffen, dann können Sie ihn auch für die anderen 70 Prozent nicht halten. Der Zug, den Sie hier auf die Fahrt schicken, wird katastrophale Folgen haben, übrigens auch für die Bedeutung der Gewerkschaften.
Sie reduzieren die Lohnfortzahlung und das Krankengeld und scheuen nicht einmal davor zurück, in diese Regelung die schwangeren Frauen mit einzubeziehen. Damit entlarven Sie all Ihre Sätze zur Kinderpolitik und zum Schutz des ungeborenen Lebens als glatte Heuchelei.
Wer Schwangeren das Geld im Falle der Krankheit nimmt, kann hier mit diesem Thema nicht mehr auftreten.
Ich füge hinzu: Es sind die Frauen, die bei der Krankheit ihrer Kinder, nachdem sie erst einmal geboren sind, zu Hause bleiben müssen. Auch denen entziehen Sie die finanziellen Mittel. Sie haben in der Frage der Gleichstellung den Rückwärtsgang eingelegt. Ich hoffe aber, daß Ihnen die Frauen - und mit ihnen solidarisch auch die Männer - diesen Rück-
Dr. Gregor Gysi
wärtsgang verübeln werden und ihn letztlich nicht zulassen.
In Richtung der ostdeutschen Abgeordneten muß ich noch etwas zu den Kürzungen im ABM-Bereich sagen. Sie haben ja angekündigt, sich mutig dagegen zu wehren. Schon jetzt werden die Weichen gesetzt. Schon jetzt soll in Ostdeutschland die ABM-Vergütung um 20 Prozent und damit auf Sozialhilfeniveau reduziert werden. Auch dieser Zug ist nicht mehr zu stoppen, es sei denn, Sie hätten den Mut, heute mit Nein zu stimmen. Es hat aber sicherlich wenig Sinn, an das Gewissen einzelner Abgeordneter der Koalition zu appellieren.
Aber ich will es dennoch tun: Wenn die ostdeutschen Abgeordneten in der Koalition heute nicht gegen dieses Sparpaket stimmen, dann verlieren sie jede Glaubwürdigkeit im Osten. Sie beweisen damit, daß Sie aus Ihrem Unterordnungsdenken früherer Zeit immer noch nicht heraus sind, sondern es beibehalten haben. Nur, jetzt haben Sie einen neuen König; das ist der einzige Unterschied.
Mein letzter Satz. Dieses Sparpaket wird dazu führen, daß sich die Bevölkerung diese Regierung bei der nächsten Wahl spart.