Rede von
Kerstin
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum dritten Mal beschäftigen wir uns heute mit dem Sparpaket - nach einem angeblich gescheiterten Vermittlungsversuch, wie Herr Schäuble gerade wieder berichtet hat. Herr Scharping hat recht, ein ernsthaftes Vermittlungsverfahren hat es doch gar nicht mehr gegeben, denn es gab nichts mehr zu vermitteln, und das ist seit Monaten klar. Dies nicht etwa,
Kerstin Müller
weil die Opposition eine Blockadehaltung eingenommen hätte, wie Sie so gerne behaupten. Es gab nichts zu vermitteln, weil die Bundesregierung ihre Blockadehaltung nicht aufgegeben hat.
Als die Koalition in der Kanzlerrunde im April den Dialog mit den Gewerkschaften aufgekündigt hat, haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, klipp und klar gesagt: Verhandlungen über das Sparpaket wird es mit uns nicht geben. Wir konnten Sie zu solchen Verhandlungen leider nicht zwingen. Sie haben die Gesetze so geschnürt, daß der Bundestag unsere Bedenken und die vieler Menschen in diesem Land einfach niederstimmen kann.
Aber dann, Herr Schäuble, lassen Sie doch bitte die Heuchelei. Es bringt nichts, immer wieder Dialogangebote zu machen. Der Kanzler hat das erst vorgestern wieder gemacht. Bei Ihnen, Herr Schäuble, gehören die Gesprächsangebote schon zu Ihren Standardfloskeln. Ich schlage Ihnen einfach vor: Lassen Sie es. Es nimmt Ihnen draußen keiner mehr ab.
Der Bundeskanzler hat das „Bündnis für Arbeit" ausgeschlagen. Seitdem geht es für Sie nicht mehr darum, möglichst tragfähige Lösungen für die drängenden Probleme zu finden, Sie sind seitdem für Argumente taub und für die gesellschaftlichen Folgen blind. Nur eines zählt für Sie seit diesem Moment: Es soll Geschlossenheit demonstriert werden, koste es, was es wolle.
Meine Damen und Herren, welche Chance haben Sie in diesem Jahr vertan! Sie hätten mit den Gewerkschaften, mit den Kirchen, mit der SPD und auch mit uns über Veränderungen reden können: über eine Modernisierung des Sozialstaates, zum Beispiel, der wirklich nach dem Bedarf und nicht mit der Gießkanne verteilt, über eine Modernisierung der Arbeitswelt, die Überstunden abbaut und Teilzeit fördert, und auch über einen Einstieg in eine ökologische Steuerreform.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Herr Blüm hat gestern im Bundesrat noch einmal mit Pathos gefragt, wo denn die Vorschläge der Opposition zur Senkung der Lohnnebenkosten blieben. Wir haben Vorschläge gemacht. Denn mit der Ökosteuer können wir wirklich dauerhaft zu einer Senkung der Lohnnebenkosten kommen.
Das Sparpaket bewirkt genau das Gegenteil. Kürzungen bei der Lohnfortzahlung und letztlich auch die Aufweichung beim Kündigungsschutz führen zu
enormen Einnahmeausfällen bei den Sozialversicherungskassen. Und vor allem: Sie schaffen mit diesem Sparpaket keinen einzigen Arbeitsplatz mehr.
Herr Schäuble hat in seiner Rede am Mittwoch gesagt:
Wer es mit dem Gebot der Nachhaltigkeit menschlichen Wirtschaftens oder mit der Verantwortung für kommende Generationen ernst nimmt, der muß heute Entscheidungen treffen.
Das stimmt. Aber was bieten Sie denn der jungen Generation an? Was passiert denn in Wirklichkeit? Sie haben tatenlos zugesehen, wie die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren die Zahl der Ausbildungsplätze um ein Drittel gesenkt hat. Dann hat der Kanzler Gespräche geführt und ein feierliches Lehrstellenversprechen der deutschen Wirtschaft bekommen: 10 Prozent mehr Lehrstellen innerhalb von zwei Jahren. Dann haben Sie wieder tatenlos zugesehen, wie die Wirtschaft dieses Versprechen gebrochen hat. Und jetzt loben Sie den Kanzler, weil er wieder Gespräche führt.
Meine Damen und Herren, Sie müssen endlich die Rahmenbedingungen für ausbildende Betriebe verbessern, zum Beispiel durch eine Ausbildungsplatzabgabe. Nicht ausbildende Betriebe müssen belastet, ausbildende entlastet werden.
Aber da verweigern Sie sich, und nicht nur da. Wo, bitte schön, sind denn die Initiativen für nachhaltiges Wirtschaften, wo die Förderprogramme für nachhaltige, ressourcenschonende Technologien? Wo ermuntern Sie Unternehmen, die auf Sonnenenergie und Windkraft setzen, am Standort Deutschland zu investieren?
Ich sage: Sie gestalten nicht die Zukunft, Sie verweigern sie meiner Generation. Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit - Herr Schäuble, bei Ihnen gerinnt all das zu einer belanglosen Phrase.
Apropos Phrase. Herr Eppelmann, Sie als Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse haben noch in der „Bild am Sonntag" am 12. Mai völlig zu Recht geschrieben:
Die geplanten Einschnitte bei der Lohnfortzahlung radikalisieren die laufenden Arbeitskämpfe.
Und:
Das gilt auch für die geplante Verschlechterung des Kündigungsschutzes. Dies schafft keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz mehr.
Und Sie kündigten an:
Die CDA bleibt bei ihrem Widerstand gegen den sinnlosen Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Kerstin Müller
Und Ihr Stellvertreter, Herr Keller, hat noch in der „taz" vom 21. Mai gefordert:
Diese Giftzähne müssen dem Regierungsprogramm gezogen werden.
Die „Giftzähne" wurden dem Sparpaket nicht gezogen. Ich frage Sie: Wo ist heute Ihr Widerstand gegen den Abbau von Sozialleistungen und Arbeitnehmerrechten?
Frau Süssmuth, auch Sie wendeten sich gemeinsam mit dem Kollegen Link im „Kölner Stadtanzeiger" vom 14. Mai gegen die geplante Verschlechterung bei der Lohnfortzahlung für Kranke und beim Kündigungsschutz. Sie forderten, die Familienförderung müsse verbessert werden. Und jetzt? Selbst Schwangere sind von den Kürzungen der Lohnfortzahlung nicht ausgenommen; auch an der Verschiebung der Erhöhung des Kindergeldes wird weiter festgehalten.
Sie, Frau Süssmuth, und auch Sie, Frau Eichhorn, haben scharfen Widerstand gegen dieses Sparpaket angekündigt. Und der Kollege Fell vom Familienbund der Deutschen Katholiken wollte „bis zum Schluß für Veränderungen in diesem Sparpaket kämpfen."
Dieses Sparpaket verbessert nicht die konkreten Hilfen für Familien mit Kindern; es verschlechtert sie. Haben Sie heute den Mut, diesen familienfeindlichen Vorhaben nicht zuzustimmen!
Zum Schluß: Herr Eppelmann, Herr Link und Herr Keller, Ihre eigene Regierung hat nicht nur den Dialog mit den Gewerkschaften aufgekündigt, sie betrachtet die Arbeitnehmerschaft der Union ganz offensichtlich als zahnlosen Tiger. Wie sagte Herr Link so schön am 8. Mai im Deutschlandfunk: „Fraktionsdisziplin um jeden Preis gibt es sowieso nicht bei uns. "
Wir werden es heute sehen.
Die CDA hat noch im Mai gefordert, alle parlamentarischen Mittel gegen die geplanten pauschalen Einschnitte auszuschöpfen. Ich sage Ihnen: Jetzt haben Sie dazu Gelegenheit. Stimmen Sie heute mit Nein!