Rede von
Norbert
Geis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, wenn ich Ihnen so zuhöre, dann habe ich nicht den Eindruck, daß Sie die Lust an der Rechtspolitik verloren haben. Auch wir haben sie nicht verloren.
Ihre Bemerkung zur Staatsangehörigkeit will ich doch kurz aufgreifen. Für uns steht die Staatsangehörigkeit am Ende der Integration. Sie ist nicht direkt ein Mittel zur Integration, sondern sie steht, wie gesagt, am Ende eines solchen Vorganges. Deswegen haben wir Skepsis gegenüber einer doppelten Staatsangehörigkeit im Kindes- und Jugendalter, weil wir meinen, daß dies letztendlich doch zu einer endgültigen doppelten Staatsangehörigkeit führt. Wir überlegen uns derzeit Möglichkeiten und Wege, wie wir es so gestalten können, daß wir zwar den Kindern die Integration besser ermöglichen, als dies derzeit der Fall ist, daß aber am Ende nicht die Notwendigkeit steht, es zu einer doppelten Staatsangehörigkeit kommen zu lassen. Ihr Modell scheint uns ein wenig in diese Richtung zu gehen. Deswegen lehnen wir es ab.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist zweifellos richtig, daß wir uns Gedanken machen müssen - das ist bei beiden Vorrednern schon angeklungen -, wie wir die Justiz, um ein Schlagwort aufzunehmen, verschlanken. Es liegen bereits zwei Gesetzentwürfe des Bundesrates in dieser Richtung vor. Die VwGO haben wir schon verabschiedet.
Diese Gesetzentwürfe des Bundesrates werden von den Überlegungen motiviert, daß man auch in der Justiz sparen müsse. Zweifellos muß man dies, und zweifellos gibt es auch Ansatzpunkte, in der Justiz zu sparen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß man von einer Kostenexplosion in der Justiz
Norbert Geis
nicht reden kann. Man muß auch ein wenig darauf achten, daß die Justiz eine wichtige Staatsaufgabe ist. Manchmal scheint mir das bei dieser Diskussion um die Verschlankung auch der Justiz verlorenzugehen.
Die Justiz hat im Jahre 1991 in Bund und Ländern zusammen 11 Milliarden DM verbraucht. Das war genausoviel wie die wirtschaftspolitisch umstrittenen Subventionen für die Kohle. Im Jahre 1995 waren es 16 Milliarden DM. Zweifellos ein krasser Anstieg, aber er ist bedingt durch den Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern, die inzwischen natürlich auch Geld fordert.
Also, von der Justiz zu sagen, sie stehe unbedingt unter Sparzwängen - wie das beispielsweise im gesundheitspolitischen Bereich der Fall ist, in dem man wirklich von einer Kostenexplosion reden und sich Gedanken darüber machen muß, wie man das in den Griff bekommt -, so weit, glaube ich, brauchen wir nicht zu gehen. Die 16 Milliarden DM sind nicht einmal 1 Prozent der Gesamtausgaben von Bund und Ländern.
Bei dieser Debatte sollten wir, meine ich, auch auf diesen Gesichtspunkt hinweisen.
Natürlich heißt das nicht, daß wir nicht reformieren sollten. Selbstverständlich müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Verfahrensgänge beschleunigen können, wie wir den Einzelrichter stärken können und wie wir vielleicht auch in bezug auf die Rechtsmittel Einschränkungen vornehmen können. Das ist zweifellos ein Thema. Das will ich gar nicht vom Tisch wischen.
Es wird immer behauptet, die Justiz sei ein öffentlicher Dienstleistungsbetrieb für private Konflikte. Zweifellos ist es richtig, daß beide Parteien, die zur Justiz gehen und einen Zivilprozeß führen, diesen staatlichen Dienstleistungsbetrieb, wenn ich das einmal so salopp sagen darf, in Anspruch nehmen. Aber jedes Urteil wirkt ja nicht nur für und gegen eine Partei, sondern hat zugleich immer auch eine rechtspolitische Gesamtbedeutung, eine Bedeutung für die Gesellschaft überhaupt. Vor allen Dingen wenn es von einem Obergericht kommt und dort erstritten ist, schafft es Klarheit in einer umstrittenen Rechtsfrage. Das ist jedenfalls sehr oft der Fall. Das darf man nicht außer acht lassen, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie man Justiz verschlanken kann.
Das führt dann dazu, daß man das Argument, es würden bei uns zu viele Prozesse geführt, relativ sehen muß. Es ist richtig, daß die Richter bei uns nicht über Arbeitsmangel zu klagen haben. Es werden bei uns viele Prozesse geführt, und es gibt bei uns auch viele Richter, mehr als in anderen europäischen Ländern. Das war zwar immer so, muß aber nicht immer so bleiben.
Aber wenn es richtig ist, daß jedes Urteil im zivilprozessualen Bereich nicht nur zwischen den Parteien wirkt, sondern darüber hinaus für die gesamte Rechtsordnung Bedeutung hat, dann ist jedenfalls das Argument, bei uns würden zu viele Prozesse geführt, auch unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen. Ich will dieses Argument damit gar nicht wegwischen, aber ich möchte dieses Argument, das uns immer entgegengehalten wird, einmal unter diesem Blickwinkel beleuchten. Deswegen brauchen wir uns auch nicht so arg viele Sorgen darüber zu machen, wenn in einem bestimmten Rechtsgebiet plötzlich eine große Zahl von Prozessen geführt wird. Das ist meistens ein Zeichen von Unsicherheit im rechtlichen Bereich. Diese Unsicherheit kommt sehr oft durch Neuerungen und durch neue Erkenntnisse. Die Justiz versucht, in diesen Prozessen die Unsicherheit wieder einzufangen, sie in richtige Bahnen zu lenken und auf sie zu reagieren. Sie kann es oft viel besser als der Gesetzgeber, weil sie sensibler und auf den Einzelfall bezogen reagieren kann.
Dennoch gibt es bei uns Prozesse, bei denen man sich fragen muß, warum sie geführt werden. Das sind viele. Es gibt Rechtsgebiete, die seit Jahren ausgepaukt sind. Denken wir einmal an den verkehrsrechtlichen Bereich. Dennoch haben wir im Jahre 1995 über 130 000 Prozesse im verkehrsrechtlichen Bereich gehabt. Man fragt sich natürlich, woher das kommt. Das kommt daher - das dürfen wir bei einer solchen Gelegenheit nicht verschweigen -, daß die Parteien die Kosten nicht zu scheuen brauchen, weil sie rechtsschutzversichert sind. Es kommt auch daher - auch das muß man bei einem solchen Bereich erwähnen -, daß die Anwälte hier und dort nicht immer richtig beraten.
Vielleicht ist für diesen Bereich der Schlichtungsgedanke, die Schiedsgerichtsbarkeit, die Möglichkeit, einen Konflikt außerhalb der Gerichte zu regeln, der richtige Weg. Wir wollen diesen Gedanken jedenfalls unterstützen. Man braucht ihn nicht auf einen ausgepaukten Rechtsbereich zu begrenzen, sondern kann ihn auch auf Prozesse mit einem Streitwert von unter 500 DM ausdehnen. Das muß man gut abwägen. Aber den Schlichtungsgedanken, also die Möglichkeit der Konfliktbereinigung außerhalb des Gerichtes, wollen wir nachhaltig unterstützen. Dabei sind wir, Herr Minister, an Ihrer Seite.
Während wir in dieser Legislaturperiode im Bereich der Justizentlastung noch ganz am Anfang stehen, sind wir im Bereich des Kindschaftsrechts schon erheblich weitergekommen. Ich möchte Ihnen, Frau Kollegin, bei dieser Frage ein wenig widersprechen, weil ich meine, daß durch Ihre Ausführungen vielleicht ein falscher Akzent entstanden ist. Wir treten dafür ein, daß beide Elternteile, wenn eine Ehe geschieden wird, grundsätzlich auch nach der Scheidung Verantwortung für ihre Kinder übernehmen müssen. Ich bin sicher, darin sind wir einer Meinung.
Deswegen, sagen wir, ist das gemeinsame Sorgerecht der richtige Weg. Aber ich stimme mit Ihnen überein: Wir wollen das nicht gesetzlich vorschreiben bzw. verordnen. Wir wollen es auch nicht auf einen Antrag im Prozeß ankommen lassen. Wir wollen aber der Notwendigkeit Rechnung tragen, das Thema im Prozeß zu erörtern. Es kann nicht einfach
Norbert Geis
stillschweigend darüber hinweggegangen werden. Sofern es um das Nichtbeachten geht, ist die massive Kritik, die an diesem Gedanken geübt worden ist, richtig. Wir wollen, daß das im Prozeß erörtert wird, weil wir meinen, daß das eine viel zu wichtige Frage ist, als daß sie der Richter einfach schweigend übergehen kann. Darin stimmen wir mit Ihnen überein.
Ich möchte noch auf einen anderen wichtigen Bereich eingehen, obgleich ich gerne noch weitere Probleme des Kindschaftsrechts erörtert hätte. Dieser andere Bereich der Justizpflege ist die Bekämpfung der Kriminalität. Das ist eines der wichtigsten Gebiete unseres politischen Bemühens. Wir werden in Kürze die Möglichkeit haben, Gangsterwohnungen elektronisch überwachen zu können. Wir haben dann endlich das Mittel, das andere europäische Länder längst haben.
Der organisierten Kriminalität geht es aber vor allen Dingen um den Gewinn, um das Geld. Deswegen werden wir das Geldwäschegesetz in seinen Tatbeständen erweitern. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, wenn Sie sagen, daß wir den Zugriff auf das Verbrechergeld in einer Weise ermöglichen müssen, die die Polizei nicht dazu zwingt, stehenzubleiben, wenn sie auf jemanden mit einem Koffer Geld trifft. Aber wir haben doch - ich bitte um Verständnis dafür - rechtsstaatliche Bedenken, ob wir die Beweislastumkehr mitmachen sollen.
Wir denken daran, den Zugriff - die vorläufige Beschlagnahme, also die Möglichkeiten nach § 111 b der Strafprozeßordnung - zu erleichtern und die Bedingungen dafür nicht so scharf einzugrenzen, wie das im Augenblick der Fall ist. Dazu gibt es Vorschläge vom Justizminister. Ich hoffe, daß wir dem Anliegen gerecht werden, ohne daß wir dabei von rechtsstaatlichen Grundsätzen abweichen müssen.
Wir werden in Kürze die Vorlage der Bundesregierung zur Bekämpfung der Korruption im Bundestag erörtern können. Ich meine, daß die Unkenrufe, hier komme die Koalition nicht zu Stuhle, falsch sind.
Die Konferenz von Stockholm gegen Kindesschändung und die gleichzeitig bekanntgewordenen furchtbaren Verbrechen in Belgien haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt, und das ist gut so. Wir stimmen mit dem Justizminister überein, daß man überlegen muß, ob man nicht den Strafrahmen für die schweren Straftaten in diesem Bereich von zehn Jahren auf 15 Jahre und die Eingangsstrafen, also die unterste Strafmöglichkeit in leichteren Fällen, von sechs Monaten auf zwölf Monate erhöhen sollte. Insofern meinen wir, daß der Justizminister recht hat.
Aber es muß uns vor allen Dingen um die Bekämpfung der Kinderpornographie gehen. Hier sind auch von seiten des Jugendministeriums, von Frau Nolte Vorschläge gemacht worden. Deswegen ist es nicht
richtig, zu sagen, wir hätten nur im strafrechtlichen Bereich argumentiert. Vielmehr haben wir die gesamten Notwendigkeiten im Auge.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Schlußwort: In den Augusttagen ist bestätigt worden, daß das Urteil gegen Bonhoeffer schon 1946 durch ein bayerisches Gesetz aufgehoben worden ist. Gleichzeitig ist der Gedanke laut geworden, man sollte eine gesetzliche Regelung für ganz Deutschland finden. Dies ist sicherlich eine richtige Forderung. Aber wir müssen sehen, daß viele Länder in dieser Frage schon lange Regelungen getroffen haben. Der Bundestag hat zwar 1990 eine Regelung für die einstige englische Besatzungszone getroffen; wir haben aber keine Regelung für die neuen Bundesländer. Deswegen brauchen wir eine Regelung. Der Justizminister ist dabei. Ich hoffe, daß wir auch in dieser Frage in Kürze einen entsprechenden Vorschlag auf dem Tisch haben.
Wir unterstützen den Haushalt. Wir unterstützen den Minister in seinen Bemühungen. Wir hoffen auf eine gute Zusammenarbeit, wie es sie immer im Rechtsausschuß gegeben hat, auch in Zukunft.