Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern liegen nicht vor.
Vizepräsident Hans Klein
Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, zu den Einzelplänen 07 und 19.
Ich erteile dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, das Wort.
Bundesminister der n
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, B u d
Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Haushaltsdebatte geht jetzt um den Einzelplan 07, also um den Plan des Justizministeriums.
Haushaltspläne werden heutzutage leider immer von Sparzwängen geprägt. „Pecunia nervus rerum" muß das Motto sein. Das kann man beklagen, aber das ist so. Das gilt leider überwiegend auch für die Justiz und Rechtspolitik.
- Ich sage ja: Ich bedaure es.
Dabei zählt die Justiz keineswegs zu den Hauptverursachern der betreffenden Leere in den Kassen: Die justizspezifischen Ausgaben von Bund und Ländern machen, wie wir ausgerechnet haben, 1996 gerade 1,76 Prozent der Gesamtvolumina aus. Mein Haushalt, also der Einzelplan 07, füllt für 1997 mit 0,16 Prozent sicher nur eine sehr geringe Quote des Bundeshaushalts. Klein, aber fein.
Dennoch ist es für mich als entschiedenen Verfechter des schlanken Staats oder der politischen Intention, die hinter der Forderung nach einem schlanken Staat steht, selbstverständlich, an die Justiz im Prinzip dieselben Prüfkriterien wie an die Verwaltung anzulegen. Es geht also um die Frage der Aufgabenkritik.
Ich denke, für eine Aufgabenkritik ist in der Justiz nur sehr begrenzt Möglichkeit vorhanden. In einzelnen Bereichen müssen wir nachfragen, ob das alles, was Justiz heutzutage tatsächlich tut, notwendig ist, das heißt notwendigerweise bei der Justiz zu tun ist. Aber dabei wird nicht viel herauskommen. Es werden dort Marginalien zu besprechen und zu erörtern sein.
Die Aufgabenkritik wird dort nur begrenzt zu Erfolgen führen, denn die Sicherung des inneren Friedens durch das staatliche Gewaltmonopol gehört nun einmal zu den klassischen Kernaufgaben des Staates. Nur die Herrschaft des Rechts bietet dem einzelnen die Gewähr, seine Rechte und Freiheiten gefahrlos ausüben zu können. Ohne das Recht, welches die verschiedenen Interessen abgrenzt und ordnet, sicher auch begrenzt, würde der Mensch mit seinen existenziellen Bedürfnissen, seinen Entfaltungswünschen in ständiger Unsicherheit leben. Eine Herrschaft des Rechts ist nicht ohne eine funktionierende Justiz denkbar, die seine friedensstiftende Funktion sichert.
An diesem Punkt, nämlich bei dem Thema Justizentlastung kommt manches wieder, was Kollege
Scholz soeben für den Bereich der Verwaltung schon gesagt hat. Ich denke, daß dies vorwiegend eine Aufgabe der Länder ist. Der Bund verfügt in Sachen Justiz nur über die obersten Gerichtshöfe.
Beim Thema Justizentlastung darf aber jedenfalls nicht allein aus dem Blickwinkel der leeren Kassen diskutiert werden. Lediglich in Randbereichen kann darüber nachgedacht werden, ob sich der Staat aus Aufgaben zurückzieht.
Hier will ich das Thema ,,außergerichtliche Streitbeilegung" ansprechen. Denn da ist der Bund als Gesetzgeber natürlich in der Lage, etwas zu tun. Dieser Bereich muß mit Sicherheit gestärkt werden.
Ein Ansatz ist der von mir eingebrachte Entwurf für die Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts. Er modernisiert das aus dem Jahr 1879 stammende Schiedsverfahrensrecht und paßt es an die von der Kommission für Internationales Handelsrecht der Vereinten Nationen entwickelten Standards an.
Ich gehe davon aus, daß dieser Gesetzentwurf nicht nur die Bereitschaft zu einer raschen außergerichtlichen Streitbeilegung erhöht, sondern daß es auch gelingt, mehr internationale Schiedsverfahren nach Deutschland zu holen.
Ein zweiter Ansatz für die Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung ist eine Öffnungsklausel für eine landesgesetzliche Einführung obligatorischer außergerichtlicher Schlichtungsverfahren in geeigneten Fällen. Mit meinen Länderkollegen habe ich eine solche Öffnungsklausel insbesondere für Verfahren mit einem Streitwert von nicht mehr als 500 DM und für bestimmte Nachbarschaftsstreitigkeiten ins Auge gefaßt.
Eine weitere Entlastung der Justiz durch verfahrensrechtliche Deregulierung - ebenfalls ein Prüfstein des schlanken Staats - stößt sicherlich an Grenzen. Aber den Raum bis an diese Grenzen wollen wir mit Bedacht ausschöpfen.
Die Bundesregierung hat in allen Bereichen des Prozeßrechts Reformen durchgesetzt und auf den Weg gebracht. Die entsprechende Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung war heute - Sie wissen es wahrscheinlich - Beratungsgegenstand in einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses. Bei dieser Novelle zur Verwaltungsgerichtsordnung geht es im Kern um die Einführung einer allgemeinen Zulassungsberufung und der Zulassungsbeschwerde. In der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses ist heute eine Einigung erzielt worden. Wenn diese Einigung im Vermittlungsausschuß noch Bestand hat und das Parlament zustimmt, rechne ich ab 1. Januar nächsten Jahres mit einer deutlichen Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und im übrigen auch mit einer Stimulierung der Investitionstätigkeit; denn das Ganze gehört ja in das Maßnahmenpaket zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie ihrer entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.
Im Gesetzgebungsverfahren befindet sich ebenfalls eine Novelle zum Ordnungswidrigkeitenrecht. Auch das gehört zu dem Bereich Vereinfachung und
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Deregulierung. Die Möglichkeit, einen Einspruch auf die dem Betroffenen wichtigen Punkte zu beschränken, und eine attraktivere Ausgestaltung des schriftlichen Verfahrens werden das Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht nur vereinfachen, sondern auch betroffenenfreundlicher machen.
In der Ziviljustiz haben das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz aus dem Jahre 1990 und das Gesetz zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens von 1993 bereits zu einer Entlastung geführt. Wenn Sie beklagen - wofür ich viel Verständnis habe -, daß dies alles nicht genug sei, dann ist jedenfalls der Bund nicht die richtige Mauer, um die Klagen abzulassen. Die Klagemauer müßten vielmehr die Länder sein.
Das jetzt von den Ländern im Bundesrat eingebrachte weitere Gesetz zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens wäre dann schon die dritte Entlastungsnovelle innerhalb eines Jahrzehnts. Die Kollegen, die weiter als ein Jahrzehnt zurückgezählt haben, sind schon bei zweistelligen Zahlen angelangt. Dies zeigt, daß offenbar unsere Wünsche noch nicht erfüllt wurden, was eine Vereinfachung und Verschlankung des zivilgerichtlichen Verfahrens anbetrifft.
Meine Skepsis gegenüber solchen Initiativen, solange ihnen nicht eine wirklich erkennbare Konzeption zugrunde liegt, will ich gar nicht verschweigen. Dennoch werden wir die Vorschläge natürlich unvoreingenommen prüfen.
Auch - damit will ich auf die Strafjustiz kommen -20 Jahre intensiv betriebene Entlastung der Strafjustiz hat nur einen eher bescheidenen Ertrag gebracht. Das ist wohl mit darauf zurückzuführen, daß Entlastungsmaßnahmen wie das 1994 mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeführte beschleunigte Verfahren bisher nicht ausreichend genutzt wurden. Dabei ermöglicht dieses Verfahren ein schnelles Prozedere, wenn der Sachverhalt einfach oder die Beweislage klar ist. Jetzt, fast zwei Jahre nach Inkrafttreten dieser Regelung, nehmen die Landesjustizminister auf meine Bitten hin endlich auf Staatsanwaltschaften und Gerichte Einfluß, damit diese Straftaten im beschleunigten Verfahren verhandelt werden.
Dies zeigt, daß Neuregelungen erst konsequent genutzt werden müssen, und zwar von der Landesjustiz, ehe neue Entlastungsmaßnahmen eingeleitet werden. Hektischer Gesetzesaktionismus ist keine Lösung. Weitere Reformwünsche müssen sorgfältig geprüft werden.
Deshalb habe ich zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts - denn auch hier sind wir nicht auf die Länder angewiesen - eine Kommission eingesetzt, die alle vorhandenen Vorschläge - da gibt es eine ganze Fülle, die für die Verschlankung des Bundesverfassungsgerichts gemacht worden sind - unvoreingenommen und ohne irgendwelche Vorgaben sorgfältig prüfen soll und, wenn es irgendwie möglich ist, auch neue erarbeiten und diskutieren soll,
um zum Schluß einen Vorschlagsfächer zu präsentieren.
Eine Reform ist hier dringend nötig. Niemand wird das bestreiten. Sie ist vor allen Dingen dringend geboten, wenn das Gericht nicht in der Flut seiner Streitsachen ertrinken soll. Für leichtfertige Einschnitte und Schnellschüsse ist hier kein Platz; denn dafür sind Bundesverfassungsgericht und seine Konzeption viel zu wichtig.
Man hat es als Krone des Rechtsstaats bezeichnet, und nicht wenige Länder beneiden uns um diese Einrichtung. Dann haben wir aber auch wirklich die Pflicht, und ich will sagen: die verdammte politische Pflicht und Schuldigkeit, für seine Schlagkräftigkeit und seine Handlungsfähigkeit zu sorgen.
Die Möglichkeiten einer Ausdünnung des Verfahrensrechts stoßen im Rechtsstaat an Grenzen. Deswegen müßten wir uns wahrscheinlich und überall darum bemühen, auch das materielle Recht zu deregulieren. Gerichte wenden nur das Recht an, das ihnen der Gesetzgeber, das wir ihnen an die Hand geben.
Gesetze sind geronnene Politik. Eine wirkliche Deregulierung ist bei diesem unbestreitbaren Sachverhalt nur möglich, wenn wir uns auch von liebgewordenen politischen Anliegen zu verabschieden bereit sind. Das fällt uns natürlich immer einigermaßen schwer.
Gleichzeitig muß die Deregulierung Hand in Hand mit einer Modernisierung der Rechtsordnung gehen. Als Bundesjustizminister beabsichtige ich, noch in dieser Legislaturperiode einige solche Erneuerungsvorschläge voranzubringen. Ich will einige nennen. Im Bereich des Zivilrechts sind dies neben den bereits im Parlamentsgang befindlichen Reformen des Kindschaftsrechts und des Eheschließungsrechts vor allem eine Vereinfachung des Mietrechts und eine Modernisierung des Handelsrechts.
- Genau, dazu will ich noch ein paar Worte sagen.
Das geltende Mietrecht nämlich ist verstreut und zum Teil hochkompliziert geregelt und damit für die Mieter, im übrigen genauso für die Vermieter, unübersichtlich. Es soll im BGB zusammengefaßt und wieder systematischer sowie verständlicher werden. Die zwischen den - das sage ich ganz deutlich, weil da immer irgendwelche Tatarenmeldungen in die Presse gesetzt worden sind oder auch Befürchtungen laut geäußert wurden - Interessen von Mietern und Vermietern ausgleichende Funktion des Mietrechts bleibt erhalten. Es geht also wirklich um eine Vereinfachung.
Die Reform des Handelsrechts ist ein Musterbeispiel für „Renovierung", wie ich hoffe. Wir werden sie Ihnen präsentieren; Sie mögen dann die Dinge kritisch beurteilen. Sie sieht vor, daß verschiedene altvordere Strukturen und Figuren aufgehoben bzw. geglättet werden. Das gilt etwa für das Recht der Firmennamen. Dieser Teil ist, um es deutlich zu sagen, antiquiert und paßt nicht mehr in die heutige Wirtschaftsordnung. Darüber hinaus wird unter anderem
Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
- selbst wenn das ganze Lehrbuchregale zum Einstürzen bringt - der Kaufmannsbegriff vereinheitlicht.
Zum Schluß will ich noch auf das Strafgesetzbuch eingehen, das ebenfalls überarbeitet werden soll. Es sieht nach den Wertungen aus der Gründerzeit des deutschen Kaiserreichs hohe Strafen für Eigentums- und Vermögensdelikte vor. Das wird angesichts der geringeren Strafen für Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit heutzutage wohl nicht mehr durchzuhalten sein. Daran müssen wir also auch arbeiten.
Ich bitte Sie herzlich, kritisch, konstruktiv und - vor allen Dingen - im Ziel solidarisch daran mitzuarbeiten, die Schlagkraft der Justiz, der Rechtsordnung in diesen schwierigen Zeiten zu erhöhen, zu stärken. Ich bitte um Ihre Unterstützung für den Haushalt des Einzelplans 07.