Rede von
Ulla
Jelpke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne mit einem Punkt, zu dem sich der Innenminister gerne ausschweigt. Es geht, Herr Kanther, um die Methode, wie Sie - sei es im Verfassungsschutzbericht oder bei der Beantwortung von Kleinen Anfragen - mit den Gefahren des Rechtsextremismus umgehen, die Sie in der Regel verleugnen und vertuschen. Ich möchte das an dem Beispiel des Brandanschlags von Lübeck deutlich machen.
Schon frühzeitig führten Spuren offensichtlich ins neofaschistische Lager. Diese wurden jedoch verschlampt oder nicht verfolgt. Die Täter sind bis heute unangetastet geblieben. Das gleiche gilt für die hinter ihnen stehenden Organisationsgeflechte.
Das Perfide an Lübeck ist jedoch: Systematisch wurden über Monate die Opfer zu Tätern aufgebaut, was zu Recht von der Internationalen Unabhängigen Untersuchungskommission zu Lübeck kritisiert worden ist. Das können wir nur unterstützen.
Bei der Einordnung offensichtlicher Straftaten bereinigt das BMI willentlich die Statistik, wenn es um rechtsextremistische Straf- oder Mordtaten geht.
Ich will hier nur das Beispiel eines mutmaßlichen Rechtsextremisten aus Gladbeck nennen, der als unpolitisch eingestuft wird, obwohl er nachweislich einer fest organisierten rechtsextremistischen Szene zuzuordnen ist.
Der Kollege Körper hat es bereits angesprochen; auch ich möchte auf das Länderspiel Polen gegen Deutschland eingehen. Dort wurden Transparente wie „Schindlers Juden, wir grüßen Euch" oder „Wir sind in Polen, um die Juden zu versohlen" möglich. Wie hier schon von Herrn Körper erwähnt worden ist, wurde vorweg vom nordrhein-westfälischen LKA darauf hingewiesen, daß diese Gefahren existierten.
Herr Kanther, ich möchte Sie nur daran erinnern, daß im Frühjahr bei den Newroz-Aktivitäten der Kurden jede Fahne, jedes Symbol zum Anlaß genommen wurde, einen Polizeieinsatz durchzuführen, damit solche Symbole nicht gezeigt werden konnten. Offenbar geht das bei den Rechten nicht.
Beim Rechtsextremismus wird gezielt weggesehen. Herr Dr. Uelhoff, hier geht es um weit mehr als um einzelne Aussagen oder Fehltritte auf den letzten Tagungen der Vertriebenen. Es geht darum, daß in Zeitungen wie dem „Ostpreußenblatt" systematisch rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet wird. Die Leugnung des Holocaust kann dort immer wieder erfolgen. Das Schlimmste ist, daß die herausgebenden Verbände Bundesmittel beziehen.
Im übrigen honoriert die Bundesregierung auch noch den stellvertretenden BdV-Präsidenten Latussek, der inzwischen mit Schönhuber und dem „National-Zeitungs" -Herausgeber Gerhard Frey in neonazistischen Zeitungen • schreibt. Jener Autor des „Ostpreußenblattes", der vor allem durch seine Artikel hervorgetreten ist, in denen die Schuld NS-Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geleugnet wird, wurde zum Presseoffizier des deutschen Kontingents der IFOR-Truppen im ehemaligen Jugoslawien benannt. Ich halte das für einen Skandal.
Nächstes Stichwort: Bosnien. Das ist das Stichwort, mit dem ich auf die Abschottungspolitik der Bundesregierung gegenüber Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten zu sprechen komme.
Mein Kollege Such hat es hier bereits kritisiert: Die Bundesregierung möchte 320 000 bosnische Kriegsflüchtlinge auf dem schnellsten Weg loswerden. Eine Verletzung des Abkommens von Dayton nehmen Sie wie auch manche SPD-geführte Landesregierung kalt lächelnd in Kauf. Dayton sieht nämlich die freiwillige Rückkehr der Flüchtlinge vor, wie hier heute schon gesagt worden ist, und zwar vor allen Dingen nicht in „ethnisch gesäuberte" Regionen, sondern ausdrücklich dorthin, wo ihre Herkunftsorte sind.
Um diese Massenabschiebung zu gewährleisten, sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bun-
Ulla Jelpke
desamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sechs Ex-und-hopp-Anhörungen pro Tag durchführen. „Bei Bosniern muß man ja die Situation nicht in aller Breite erörtern" , so erst letzte Woche der stellvertretende Präsident des Bundesamtes, Herr Weickhardt. Mit welchen Methoden der Chef des Bundesamtes, Herr Dusch, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entsprechenden Schnellverfahren bewegte, das haben wir bereits im Frühjahr im Innenausschuß ausführlich diskutiert.
Ihre diesbezügliche Devise, Herr Kanther, lautet: rausschmeißen! So benennen Sie in Ihren Haushaltserläuterungen als Jahresziel des Bundesamtes zuallererst die Beschleunigung der Asylverfahren.
Die Mittel für den Bundesgrenzschutz sollen weiter steigen, um die hermetische Absicherung insbesondere der Ostgrenzen gegenüber Flüchtlingen und Einwanderern voranzutreiben. Wärmebildkameras, Nachtsichtbrillen, Kohlendioxiddetektoren - nichts ist Ihnen zu teuer, um sich abzuschotten. Über 5 000 BGS-Beamte und -Hilfspolizisten sind schon heute an den Ostgrenzen stationiert. Jetzt soll die Zahl noch einmal um 500 aufgestockt werden.
Bei der Kriminalitätsbekämpfung bietet die Politik der Bundesregierung meiner Meinung nach ein jammervolles Bild. Jedes Jahr wird aufs neue vom BMI versucht, dramatische Steigerungsraten zum Beispiel bei der Drogenkriminalität oder bei der sogenannten Schleuserkriminalität nachzuweisen. Doch über eine ursachenorientierte Lösung dieser Fragen macht sich Herr Kanther, wie er auch heute wieder gezeigt hat, keinerlei Gedanken,
daß nämlich der Konsum sogenannter harter Drogen ein soziales und ein medizinisches Problem ist und Modelle für eine ärztlich kontrollierte Abgabe dieser Substanzen einen Weg weisen könnten.
Inwieweit die gesamte Schlepper- und Schleuserkriminalität allein auf den Ausbau der Festung Europa zurückgeht, müßte ernsthaft untersucht werden.
Statt dessen wiederholt die Bundesregierung gebetsmühlenartig ihre Konzepte zur konservativ-autoritären Bekämpfung dieser erst durch ihre Politik erzeugten und verschärften Kriminalitätsformen.
Den großen Lauschangriff und später auch - im angekündigten Doppel mit der SPD - den Spähangriff will die Regierung einführen. Mein Kollege Such hat dies ebenfalls ausführlich angesprochen.
Das Abhören von Telefonen soll dem Verfassungsschutz durch eine Änderung des G-10-Gesetzes noch leichter gemacht werden.
Das Geldwäschegesetz soll verschärft, das BKAGesetz soll novelliert werden, so daß dieser Apparat
parlamentarisch noch weniger kontrolliert werden kann, als das jetzt überhaupt möglich ist.
Nehmen Sie das Bundesamt für Verfassungsschutz: In den letzten sieben Jahren hat es elf Prozent mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Im selben Zeitraum wurde der Haushalt des Bundeskriminalamtes um 80 Prozent erhöht und der des BGS um glatte 122 Prozent. Und wenn die Zahl der Einzeldelikte im Bereich der sogenannten organisierten Kriminalität 1995 hinter der des Vorjahres zurückgeblieben ist, dann stecken Sie, Herr Kanther, kurzerhand den Kopf in den Sand.
Dessenungeachtet soll nämlich der Stammhaushalt des BKA nicht gesenkt, sondern um 1,26 Prozent erhöht und dessen Personalstärke nicht - wie in der restlichen Verwaltung - reduziert, sondern um 77 Planstellen ebenfalls ausgeweitet werden.
Während Sie dabei sind, den Sozialstaat zu demontieren, rüsten Sie die Polizei nach innen wie nach außen zur repressiven Lösung sozialer Konflikte massiv auf. Ich frage mich, welche gesellschaftliche Perspektive Herr Kanther mit dieser Politik eigentlich verfolgt.