Rede von
Herbert
Lattmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema, das uns an diesem Vormittag beschäftigt, gehört zweifellos zu den zentralen Themen der Bundesrepublik, wenn es nicht das zentrale Thema überhaupt ist. Bei der Behandlung eines solchen Themas, das die Menschen mehr bewegt als fast alles andere, kann man erwarten, daß Vorschläge vorgelegt werden, diese Vorschläge gewertet, gewichtet und natürlich auch hart kritisiert und dann entschieden werden. Was wir hier heute morgen erleben, ist etwas anders verlaufen. Die Regierung hat Vorschläge vorgelegt - es müßte verwundern, wenn es darüber
Herbert Lattmann
nicht harte Auseinandersetzungen gäbe -, aber es hat hier keine Auseinandersetzung, bzw. nur in wenigen Punkten, in der Sache gegeben. Stattgefunden hat der Versuch, die Dinge falsch darzustellen, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen und Menschen zu diffamieren.
Manches, was von der linken Seite des Hauses gesagt worden ist, und manche hier gebrachte Vokabel ist von einer Qualität, für die man sich nur schämen kann.
Manche Reden, die von der linken Seite gehalten worden sind, wären vielleicht als Grußwort für das Jahrestreffen der politischen Brandstifter geeignet, aber mit Sicherheit nicht für eine Debatte des Deutschen Bundestages.
Nun mag das ja - das ist schon angesprochen worden - damit zusammenhängen, daß es mit den eigenen Alternativen nicht so weit her ist. All das ist hier schon gewürdigt worden; ich will darauf nicht weiter eingehen. Aber wie immer, wenn die eigenen Alternativen nicht ausreichen und damit auch die Argumente nicht, wird versucht, durch Diffamierung Andersdenkender und anderer Positionen das eigene Defizit zu überdecken.
Die Diskussion hat dafür ja verschiedene Beispiele geliefert.
Nun ist kritisiert worden, wir hätten das Recht der Demonstranten bestritten, ihre Meinung in öffentlichen Kundgebungen zum Ausdruck zu bringen. Das ist natürlich völliger Unsinn. Kein Mensch in diesem Hause wird vernünftigerweise auf die Idee kommen, das Recht auf Demonstration zu bestreiten. Kritisiert haben wir - das muß ja noch möglich sein -, daß die zu dieser Demonstration eingeladenen Menschen, die natürlich nicht in allen Fragen - das kann ja nicht verwundern - Detailkompetenz besitzen können, mit falschen Informationen und mit Diffamierungen dorthin getrieben worden sind.
Als Kollegin Rönsch deutlich machte, wie sich das im einzelnen abspielt, nachdem sie Menschen angerufen und gefragt hatte, warum sie denn dorthin gefahren seien, was dahinter stehe und was ihre Motive seien, und die Ergebnisse hier vortrug,
wurde das als mieser Stil dargestellt. Wenn man also die Wahrheit hinterfragt, ist das ein mieser Stil. Besser kann man nicht kennzeichnen, worum es Ihnen geht.
Herr Lafontaine hat hier vorgetragen - das ist ja Ihr Standardsatz; das gehört einfach zum Einmaleins der sozialdemokratischen Vortragsweise -, wir hätten bei den sozial Schwachen gekürzt und bei den Reichen draufgesattelt.
Ich wäre dankbar, wenn einmal etwas genauer definiert werden könnte, was denn in Ihrem Verständnis die Reichen sind, damit wir uns einmal darüber einig werden könnten, worüber wir hier eigentlich streiten. Von Ihrem Fraktionsvorsitzenden wissen wir, daß er schon die Facharbeiter für die Besserverdienenden hält. Vielleicht kann einmal jemand anderes eine Definition dessen liefern, um was es hier geht.
Nur eines geht mit Sicherheit nicht: auf der einen Seite, wie es Herr Lafontaine mit seinen Zahlenangaben hier dargestellt hat, Facharbeiter zu den Besserverdienenden zu rechnen und anschließend hier zu klagen, daß der Facharbeiter und der Mittelstand übermäßig belastet würden. Entweder ist die Belastung in diesem Bereich gegeben - diese Belastung abzubauen ist ja eines unserer wichtigsten Anliegen -, dann muß man das akzeptieren, oder sie ist nicht gegeben; dann dürfen Sie solche Reden hier nicht führen. Aber diese Belastung zu beklagen und unsere Bemühungen, sie abzubauen, als eine Entlastung der Reichen zu diffamieren, das ist weder seriös noch für eine sachliche Lösung geeignet.
Es ist ja überhaupt festzustellen, daß Sie hier mit sehr merkwürdigen Maßstäben an die Dinge herangehen. Sie haben das Thema Lohnfortzahlung kritisch begleitet. Das ist ja auch in Ordnung; aber Sie haben das in einer Weise getan, als liefen wir hier als sozialpolitische Monster durch die Landschaft.
- Ja, ja, ich weiß, daß Ihr Diffamierungspotential noch nicht ausgeschöpft ist. Das beunruhigt mich aber nicht weiter.
Nur, wenn das, was wir hier bei der Lohnfortzahlung machen, so schlimm wäre, wie Sie es beschreiben, dann erklären Sie diesem Haus und der deutschen Öffentlichkeit einmal, warum manches, was viel weiter geht, unter Sozialdemokraten in Holland, in Schweden, in Finnland und in anderen Ländern akzeptiert wird. Sind auch Ihre Parteifreunde in anderen Ländern sozialpolitische Monster? Das müssen Sie hier einmal erklären, weil das nämlich alles andere als überzeugend ist.
Wenn ich mir im übrigen ansehe - Herr Kollege Seehofer hat es schon beschrieben -, was Sie gestern mitbeschlossen haben oder was von Ihnen geführte Landesregierungen in eigener Verantwortung den Menschen zumuten - Niedersachsen: Kürzung bei der Sozialhilfe, bei der Krankenhausfinanzierung, bei den Behinderteneinrichtungen, bei den Pflegeeinrichtungen -, dann frage ich mich, wie Sie, die Sie
Herbert Lattmann
das alles zu verantworten haben, eigentlich dazu kommen, uns hier zu kritisieren, daß wir uns darüber Gedanken machen, wo wir die notwendigen Entlastungen durchführen können.
Nein, Sie machen das immer nach der gleichen Melodie: Es werden die Probleme beschrieben - meistens sogar zutreffend. -, die Ursachen werden benannt - das ist oft auch noch richtig -, und dann betreiben Sie eine Diffamierung eines jeden Lösungsansatzes.
Das geht folgendermaßen: Sie stellen fest, daß jemand friert, die Ursache ist klar - es ist kalt -, und wenn er sich einen Mantel umhängt oder heizt, dann heißt es nicht: „Er zieht sich warm an", sondern: „Er verschleiert die nackten Tatsachen. "
Nach dieser Methode machen Sie das auch bei diesem Thema: Sie beklagen mit uns gemeinsam die hohe Arbeitslosigkeit und ihre sozialen Folgen. Bei der Beschreibung sind wir auch noch ziemlich dicht beieinander: Die viel zu hohe Kostenbelastung der Arbeitsplätze in Deutschland ist eine der Hauptursachen, wenn nicht die Hauptursache. Aber alles, was wir tun, um diese Belastung abzubauen, wird dann von Ihnen als Sozialabbau diffamiert.
Da Sie Argumenten aus unseren Reihen nur begrenzt zugänglich sind, möchte ich Ihnen folgendes Zitat vorhalten:
Sie
- die Gewerkschaften -
wissen doch, daß die Sozialversicherungsbeiträge noch nie so hoch waren und die Kassen gleichzeitig so leer sind. Sie wissen doch, daß Arbeitnehmern nach all den Abzügen immer weniger Kaufkraft übrigbleibt und daß Unternehmen Arbeitsplätze aus dem Hochlohn- und Hochsteuerland Deutschland ins Ausland verlagern. Da kann man doch nicht so tun, als ließen sich all diese Übel dadurch kurieren, daß man einigen Reichen über die ohnehin starke Steuerprogression hinaus noch einige Mark mehr abknöpft. Wer soll solchen Milchmädchenrechnungen Glauben schenken?
Das ist ein Zitat aus der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", einer wichtigen Zeitung in der Norddeutschen Tiefebene. An dem Verlag ist die SPD mit 30 Prozent beteiligt. Das sage ich, damit der politische Hintergrund einmal klar ist.
Wenn es richtig ist - das wird ja von den Fachkompetenten, zu denen übrigens auch Mitglieder der Opposition gehören, nicht bestritten -, daß wir an diesen Bereich der zu hohen Kostenbelastung herangehen müssen, dann müssen wir eine Antwort darauf geben, was das im einzelnen bedeutet. Dann kann man nicht bei jeder Einzelmaßnahme beklagen, daß das ungerecht ist, und fragen: Wo bleiben denn hier die neuen Arbeitsplätze?
Wenn die Kostenbelastung insgesamt zu hoch ist, dann gibt es nur eine Antwort, nämlich diese Belastung abzubauen und dafür zu sorgen, daß die Menschen, die etwas schaffen wollen in Deutschland, dafür zukünftig mehr Spielraum bekommen, und daß im übrigen die redlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die all dies auf ihren Schultern oft mitzutragen haben, endlich in einer Form entlastet werden, wie sie dies verdienen.
Darauf verweigern Sie bisher jede Antwort, und deshalb sind Sie weder zukunfts- noch regierungsfähig. Im übrigen bin ich ganz froh, daß vor der deutschen Öffentlichkeit in dieser Debatte einmal mehr deutlich geworden ist: Eine wirklich brauchbare, überzeugende, handhabbare Alternative zu den Vorschlägen der Koalition gibt es nicht.