- Ich habe Ihnen zugehört.
- Aber natürlich. Ich habe Ihnen präzise zugehört, obwohl es gelegentlich schwerfiel. Andere lesen Zeitung, das mache ich nicht. Ich habe wirklich zugehört und antworte darauf, wie Sie sehen. Ich gehe auf Ihre Argumente ein.
Ich sage Ihnen: Der Verzicht auf die Abschaffung der Vermögensteuer ist kein Einsparvorschlag. Damit können Sie die Steuer- und Abgabenbelastung nicht senken. Wir können gern darüber diskutieren.
Ich komme zum nächsten Punkt: Sie haben auch darauf hingewiesen - hier haben Sie wieder die Kommission der Europäischen Union zitiert -, daß wir uns in einem Standortwettbewerb um Investitio-
Dr. Wolfgang Schäuble
nen befinden und daß in der Tat die Mobilität von Kapital zu den Problemen führt, die wir haben. Arbeitskräfte sind weniger mobil; das ist wahr. Was heute am mobilsten ist, sind Kapital und Informationen. Das gehört zu den dramatischen Veränderungen, mit denen alle in der Weltwirtschaft zu tun haben. Wir, die wir das höchste Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit, nicht jedoch das höchste Maß an Flexibilität und Innovationsfreundlichkeit haben, müssen uns darauf, daß Kapital und Informationen heute rund um den Weltball mobil sind, durch Innovation und Veränderung einstellen.
Das heißt nun einmal: Wenn wir Arbeitsplätze in Deutschland behalten und neue schaffen wollen, brauchen wir Investitionen in Deutschland. Wenn wir Investitionen in Deutschland behalten wollen, müssen wir uns dem - angesichts größerer Mobilität von Kapital härter gewordenen - Wettbewerb um Investitionen stellen.
Die Antwort darauf in Ihrer Rede, Herr Lafontaine, war: Wir brauchen deshalb die europäische Steuerharmonisierung. - Das ist wahr, das ist völlig unstreitig. Wahr ist auch, wir haben sie noch nicht. Und wahr ist auch, daß wir nicht warten können, bis wir sie haben, sondern wir müssen jetzt handeln.
Es ist überhaupt kein Streit zwischen uns: Wir wollen die europäische Steuerharmonisierung. Keine Regierung setzt sich mehr dafür ein als diese Bundesregierung. Wenn wir uns da einig sind, ist es gut. Aber es gehört zur Wahrheit, daß das noch dauern wird. Deswegen noch einmal: Es wäre besser gewesen, wenn wir letztes Jahr schon die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft hätten.
Jede Woche länger, die sie nicht abgeschafft wird, verhindert Investitionen am Standort Deutschland und schadet dem Kampf gegen Arbeitslosigkeit.
Sie können doch im Ernst nicht mehr bestreiten, daß wir weniger Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland haben werden, wenn investiertes Kapital in Deutschland wesentlich höher als in anderen - auch westeuropäischen - Ländern besteuert wird. Deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden, deswegen verstehe ich bis jetzt Ihre Alternative zu unserem Vorschlag nicht, die Vermögensteuer auf investiertes Kapital, auf Betriebsvermögen, ersatzlos wegfallen zu lassen. Das kann man natürlich sozialdemagogisch diffamieren, wie Sie es jetzt wieder versucht haben. Dessen waren wir uns bewußt. Aber als Antwort auf die Frage, was das Richtige für die Menschen ist, was uns hilft, mehr Arbeitsplätze zu bekommen, gibt es immer noch kein überzeugendes Argument dagegen, daß das Ergebnis einer im Vergleich zu Frankreich, Belgien und den Niederlanden höheren Besteuerung des in Deutschland investierten Kapitals die Abwanderung von Arbeitsplätzen ist.
Vor dieser Alternative haben wir uns in der Regierung, in der Koalition dafür entschieden - auch wissend, daß wir solche Angriffe wie die von Ihnen aushalten müssen; aber sie sind ein wenig zu billig, weil das Problem zu ernst ist -,
zu sagen: Laßt uns doch dafür sorgen, daß wir mehr Investitionen und damit mehr Arbeitsplätze in Deutschland haben. Deswegen muß die Vermögensteuer auf Betriebsvermögen wegfallen, deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer wegfallen.
Wenn wir uns durch Zurückhaltung bei Ausgaben in den öffentlichen Haushalten und in den sozialen Sicherungssystemen Spielräume für Steuer- und Abgabensenkungen erschließen - je mehr, desto besser -, dann haben wir auch die Möglichkeit, darüber hinaus die Lohnnebenkosten und die Steuern auf Löhne und Einkommen zu senken - aber nur in diesem Maße.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, ich bin wieder ein wenig hoffnungsvoll. Wir erleben ja richtige Wechselbäder. Vor Monaten schon war verabredet - Bundesfinanzminister Waigel hat daran erinnert -, daß von Bundesregierung und Landesregierungen gemeinsam Sparvorschläge erarbeitet werden sollen. Diese Absprache gab es mit Herrn Schleußer und Herrn Voscherau. Dann fand die Ministerpräsidentenkonferenz statt. Auf einer Klausurtagung wurde angekündigt, die Länder würden entsprechende Sparvorschläge vorlegen. Dann sind die Finanzminister beauftragt worden, diese zu erarbeiten; ihrer Klausurtagung haben wir mit großen Erwartungen entgegengesehen.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung war allerdings nicht dabei; Herr Schleußer ist gar nicht erst hingefahren - er hat nicht einmal einen Staatssekretär geschickt -, weil er inzwischen offenbar wußte, daß die Weisung aus der Parteizentrale der SPD war: Es werden keine Vorschläge gemacht, es wird alles blockiert.
Jetzt ist Herr Voscherau gestern wieder beauftragt worden, die Gespräche doch zu führen, wobei ich allerdings gehört habe, daß zwischen Ihnen und dem Vorsitzenden der CDU, Helmut Kohl, offenbar darüber diskutiert worden ist, ob diese Vorschläge im SPD-Präsidium Unterstützung finden, damit Herr Voscherau entsprechend legitimiert ist. Herr Bundeskanzler, notfalls müssen Sie einmal in das SPD-Präsidium gehen, damit das, was im Kanzleramt verabredet worden ist, dort auch durchgesetzt wird.
Vom Spaß nun aber wieder zum Ernst. Das alles zeigt, daß an Einsparungen kein Weg vorbeiführt.
Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds, Kollege Bernrath - bis vor kurzem Mitglied der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion -, hat dieser Tage in klaren, nüchternen Worten gesagt: Es führt kein Weg an Einsparungen auch im Sozialbereich vorbei. Die Sozialdemokratie sollte ihre bisherige Haltung
Dr. Wolfgang Schäuble
möglichst schnell aufgeben. - Hören Sie doch ein wenig auf diejenigen, die Verantwortung - auch für Sie - in den Kommunen tragen!
Wenn an Einsparungen also kein Weg vorbeiführt, dann geben Sie doch das taktische Geplänkel, das Ihre Bundesratsmehrheit Ihnen ermöglicht, auf - lieber heute als morgen -, weil es unserem Land und seinen Bürgern schadet.
Wir bleiben mit allen über alle Fragen gesprächsbereit. Wir wollen um die besten Lösungen gemeinsam ringen. Sie aber müssen ernsthafte, in der Sache begründete Alternativen vorlegen.
Es führt kein Weg daran vorbei: Die Rahmenbedingungen für Investitionen müssen verbessert werden. Wenn wir einig sind, daß die Kosten für Arbeit zu hoch sind, dann müssen wir verhindern, daß sie weiter steigen. Wir brauchen die Verantwortung der Tarifpartner, um Arbeitskosten zu senken, und können die Lohn- und die Lohnzusatzkosten nur dadurch reduzieren, daß wir bei den Ausgaben sparen.
Es führt kein Weg daran vorbei, daß wir beweglicher werden müssen. Angesichts einer sich so dramatisch veränderden Arbeitswelt werden in den großen Industrieunternehmen, in den großen Verwaltungen keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen - weder bei VW noch bei den großen Banken oder Versicherungen. Das ist die Wahrheit! Das ist bitter, hat aber mit der Mobilität von Information zu tun, mit der Modernität von Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Technik. Das nennt man Rationalisierungsprozeß, dem man nicht ausweichen kann.
Wenn wir trotzdem wollen, daß alle Menschen, die dazu fähig und willens sind, auch in Zukunft Arbeit finden, dann müssen wir neue, beweglichere Modelle finden. Wir müssen sie vor allem im Bereich von Dienstleistungen finden. Deswegen hoffe ich, daß Sie den Schritt, private Haushalte als Arbeitgeber stärker für reguläre Beschäftigungsverhältnisse zu nutzen,
endlich nicht mehr blockieren - was Sie jahrelang getan haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen Opposition und der Mehrheit im Bundesrat, ein anderes Beispiel: Wir haben uns in dieser Woche bei unserer Fraktionssitzung in Berlin mit der Novellierung des Ladenschlusses nicht leicht getan - das ist kein Ruhmesblatt; aber so sind die Realitäten in Deutschland.
Man kann sehr unterschiedlicher Meinung über diese Frage sein; jedenfalls wir haben sehr um eine Entscheidung gerungen. Aber die Antwort aus Ihrer Partei, daß mit Sozialdemokraten überhaupt keine Änderung des Ladenschlusses zu machen sei, zeigt
wiederum Ihre typische Position, jede Innovation, jede Flexibilität zu verhindern. Wer jede Veränderung, jede Anpassung verweigert, wird den sozialen Besitzstand verlieren. Das sind die wahren Sozialabbauer!
In einer Zeit, in einer Welt, in der sich so vieles verändert, kann man Veränderungen zwar beklagen, aber dann muß man ins Museum gehen.
Wer jede Veränderung verweigert und blockiert, wer nicht auf die Modernität unserer Zeit antwortet und die Veränderung von Besitzständen tabuisiert, wird die Grundlagen von Wohlstand und sozialer Sicherheit verspielen. Das darf im Interesse der Zukunft unseres Landes nicht passieren. Das ist die eigentliche Frage.
Ich behaupte ja gar nicht, daß wir in allen Fragen den Stein der Weisen alleine gefunden hätten. Das kann doch gar nicht das Problem sein. Ich behaupte ja gar nicht, daß es bei jeder Frage, um die es geht - Veränderungen sind immer schmerzhaft -, auch berechtigte Kritik und Rückfragen gibt. Ich weiß, daß es Auseinandersetzungen geben muß und daß streitige Prozesse auch in der Öffentlichkeit sein müssen. Nur, das Ergebnis darf nicht sein, daß alles blockiert wird.
Das Ganze ist im übrigen zu schade, um parteipolitische, taktische Spielchen zu treiben.
- Nein, das können Sie nun wirklich nicht sagen. - Ich knüpfe noch einmal in aller Ruhe und in aller - -
- Na gut. Frau Matthäus-Maier, wir gehen gelegentlich freundlich und gelegentlich hart und klar miteinander um. Sie erlauben mir sicherlich, daß ich für mich das Recht in Anspruch nehme, zu sagen, was ich möchte. Ich gestehe Ihnen das Recht zu, anderer Meinung zu sein.
Jetzt sage ich trotzdem: Die Lage ist zu ernst, um diese parteipolitischen Spielchen zu treiben. Deswegen sage ich Ihnen noch einmal in aller Ruhe und in aller Eindringlichkeit - dies richtet sich an alle, die es angeht und die zuhören mögen -: Wir waren in diesem Lande schon weiter.
Wir waren im Januar weiter bei der gemeinsamen Verabredung von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie bei dem 50-Punkte-Programm.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Ich komme gleich darauf. - Mit dem 50-PunkteProgramm für Wachstum und Beschäftigung haben wir im Januar alles in der Richtung beschrieben, was wir jetzt Schritt für Schritt konkretisieren.
Darin war zum Beispiel enthalten, daß man Einstellungshemmnisse für Meine Unternehmen abbauen muß, um die Einstellungsbereitschaft gerade bei den kleinen Betrieben, bei Existenzgründern, im Handwerk, im Mittelstand und bei Dienstleistern zu stärken, und daß man über den Abbau von Einstellungshemmnissen im Arbeitsrecht reden muß. Dafür haben wir jetzt die Gesetze eingebracht.
Es war auch ganz unstreitig - bleiben Sie doch einmal bei der Sache -, daß wir die Motivation der Beschäftigten verbessern müssen. Deswegen haben Arbeitgeber und Gewerkschaften verabredet, sie wollten über den Abbau von Fehlzeiten in den Betrieben miteinander reden. Sie sind leider nicht zu Ergebnissen gekommen. Ich beurteile nicht, bei wem die Schuld liegt. Ich war bei diesen Gesprächen nicht dabei. Aber wir haben immer gesagt: Das kann nicht dazu führen, daß über einen unbegrenzten Zeitraum nichts geschieht. Deswegen haben wir jetzt diesen Vorschlag vorgelegt.
Wir haben das doch nicht getan, um das Klima anzuheizen oder zu verschärfen, sondern weil das von Gewerkschaftern und Arbeitgebern selber im Januar im Prinzip für notwendig erklärt worden ist. Handlungsbedarf beim Abbau von Fehlzeiten in Betrieben ist von ihnen als gegeben erklärt worden. Ich meine, in dem Bereich, der nicht durch Tarifverträge geregelt ist, sondern durch den Gesetzgeber, müssen wir eine Lösung schaffen, weil wir sonst wie auch in allen anderen europäischen Ländern Lohnkosten und Lohnzusatzkosten nicht gesenkt bekommen, von denen wir übereinstimmend sagen: Sie sind zu hoch, und das ist ein Grund, warum wir eine zu hohe Arbeitslosigkeit haben.
Es geht uns bei allen Maßnahmen darum, die Chancen zu verbessern.
- Nein, doch nicht mit der Peitsche, sondern mit Argumenten und mit Vorschlägen dafür, um die Lage zu verbessern. - Es geht uns darum, mehr Arbeitsplätze zu bekommen.
Ich will noch etwas sagen: Ich habe seit Januar die Schwierigkeiten derjenigen, die sich auf der Gewerkschaftsseite an diesem Diskussionsprozeß beteiligt haben, gut verstanden. Denn für Gewerkschaftsvertreter und für diejenigen, die für die Beschäftigten in besonderer Weise sprechen - Verantwortung tragen wir alle in gleicher Weise; ich nehme das in meinem Engagement so wichtig wie irgend jemand -, sind die Gegenleistungen in diesen Gesprächen, die Arbeitsplätze, das Ergebnis der Prozesse und der Entscheidungen, die wir in Gang setzen müssen. Kein Verbandsvertreter, keine Regierung kann am Anfang der Gespräche zusagen, daß es um soundsoviel Arbeitsplätze geht. Das ist vielmehr das Ergebnis der Prozesse. Darin liegt ein Problem. Deswegen müssen wir so schnell wie möglich Ergebnisse haben.
Deswegen ist es so wichtig, daß wir Maßnahmen ergreifen, die kurzfristig die Beschäftigtenzahl erhöhen. Dies können wir durch Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Gestaltung der Arbeitsverhältnisse in den privaten Haushalten und dergleichen mehr erreichen. Hier setzt unser Programm an. Deswegen ist es so wichtig, daß in diesem Jahr die Ausbildungszusage der deutschen Wirtschaft erfüllt wird. Es kann nicht wahr sein, daß in diesem Jahr die gesamte deutsche Wirtschaft, nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen, sondern auch die Großunternehmen, nicht dafür sorgen, daß jeder junge Mensch in Deutschland, der einen Ausbildungsplatz will, auch einen Ausbildungsplatz findet. Auch das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit.
Das ist der wichtigste Beitrag, der kurzfristig auch von denjenigen geleistet werden kann, die gelegentlich Anforderungen und Mahnungen an die Politik richten. Dies trägt dazu bei, bei Gewerkschaften wie bei Arbeitnehmern das Vertrauen zu stärken, daß der Weg, den wir gemeinsam gehen, um für mehr Beschäftigung zu sorgen, der richtige Weg ist.
Eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Lafontaine, weil Sie wieder ein wenig in die Zeiten vor den Landtagswahlen zurückgefallen sind. In einem Punkt haben Sie Ihre Position gegenüber der Zeit vor der Landtagswahl verändert. Damals haben Sie sehr Stimmung gegen die europäische Währungsunion gemacht. Inzwischen sagen Sie, Kriterien und Zeitplan müssen eingehalten werden. Da stimmen wir genau überein.
- Ich habe genau gelesen, was Sie vor der Landtagswahl gesagt haben. - Ich habe vorgestern mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments diskutiert. Das ist Ihr Parteifreund. Ich weiß, was er davon gehalten hat. Er hat es öffentlich gesagt. Jetzt ist Ihre Position in Ordnung. Allerdings gilt, was Theo Waigel gesagt hat: Wenn wir die Kriterien der Währungsunion erfüllen wollen, dann darf die SPD über ihre Mehrheit im Bundesrat nicht verhindern, sie zu erreichen. Den Karren gegen die Wand zu fahren und dann zu beklagen, daß er zerschellt ist, geht nun wirklich nicht.
Mit dem Thema Fremdrenten sind Sie aber in Ihren Versuch vor den Landtagswahlen zurückgefallen, die Aussiedler zu den Sündenböcken unserer Probleme von Wirtschaft und Gesellschaft zu machen. Das ist nicht in Ordnung. Es ist eine Unverschämtheit. Das ist nun wirklich nicht berechtigt.
Dr. Wolfgang Schäuble
- Wenn Ihre demagogischen Methoden einmal konkret entlarvt werden, dann schreien Sie auf, dann tut es weh, aber es muß gelegentlich sein.
- Wenn wir nach den Maßstäben gehen, nach denen vorhin in der Aktuellen Stunde das Präsidium die Sitzung geführt hat, dann wird es, Frau MatthäusMaier, noch eine Nachwirkung geben.
Aber wieder zum Ernst. Wir können die Probleme nur lösen, wenn, was die öffentliche Hand betrifft, Bund, Länder und Gemeinden an einem Strang ziehen. Deswegen dürfen wir keinen Verschiebebahnhof zu Lasten der Gemeinden machen.
- Ich bitte Sie wirklich! Ich gehe darauf ein. Wir haben gestern wieder die Anrufung des Vermittlungsausschusses beschlossen, weil Sie die Änderung des Bundessozialhilfegesetzes und des Asylbewerberleistungsgesetzes bisher blockieren. Bisher haben Sie gesagt, es wird bei den Ärmsten der Armen gespart. Heute sagen Sie, wenn ich es richtig verstanden habe, Sie stimmen der Sozialhilfereform zu - das ist ein Schritt weiter -, aber Sie möchten nicht, daß damit verbunden die originäre Arbeitslosenhilfe abgeschafft wird.
Zu diesem Argument sage ich Ihnen folgendes. Wir können Einsparungen natürlich nicht nur für die Länder und die Gemeinden, sondern müssen sie auch für den Bund beschließen.
- Frau Fuchs, fallen Sie mit Ihren Zwischenrufen nicht unter Ihr Niveau! Ich rede wirklich ganz ernsthaft und eindringlich zur Sache und tue nichts anderes. - Bei der Sozialhilfereform geht es um Einsparungen zugunsten der Gemeinden. Diese Einsparungen sind übrigens um ein Vielfaches höher als die äußerstenfalls zu befürchtenden Folgewirkungen bei einer Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, die für die Sozialhilfeträger entstehen können.
Ich sagte, wir brauchen Einsparungen für Gemeinden, Länder und den Bund. Unsere Gesetze beinhalten ausgewogen Einsparungen für Länder, Gemeinden und den Bund. Wir haben die zweite Stufe der Pflegeversicherung zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft gesetzt. Das führt zu einer erheblichen Einsparung bei den Sozialhilfeträgern, insbesondere den Gemeinden und Gemeindeverbänden. Verweigern Sie bitte nicht auch dem Bund die notwendigen Einsparungen! Wir sind bereit, unserer Verantwortung für Gemeinden und Länder Rechnung zu tragen. Meine Bitte ist aber, von seiten der Bundesratsmehrheit der Verantwortung auch für den Bundeshaushalt Rechnung zu tragen.
Unsere Gesetze verschieben im Saldo die Belastungen nicht auf die Gemeinden, sondern sind in Wahrheit eine Entlastung der Gemeinden.
Ihr Vorschlag, Herr Lafontaine, die Fremdrentenregelung zu schließen, ist allerdings nun eine ganz einseitige Verschiebung der Belastung von der Rentenversicherung in die Sozialhilfehaushalte. Wenn Sie die Fremdrentenregelung schließen, müssen die Sozialhilfeträger genau denselben Betrag, der nach unserem Gesetz daraus entsteht, aufbringen. Wenn Sie konsequent sein wollen, ziehen Sie diesen Vorschlag gleich wieder zurück.
- Frau Fuchs, ich habe es doch schon zweimal gesagt, aber ich sage es Ihnen auch noch ein drittes Mal, weil ich wirklich hoffe, daß Sie zuhören und dann nicht wider besseres Wissen das Gegenteil behaupten. Ich bestreite ja gar nicht, daß die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe gewisse Folgewirkungen für die Sozialhilfehaushalte haben wird.
- Das bestreite ich doch gar nicht. Mein Argument ist: Zusammen mit der Sozialhilfereform und mit dem Asylbewerberleistungsgesetz ist unser Gesetz im Saldo eine Entlastung für die Gemeinden.
Ich gehe einen Schritt weiter. Auch wenn Sie sagen, Sie wollen die originäre Arbeitslosenhilfe unter gar keinen Umständen abschaffen, dann werden wir trotzdem, CDU/CSU, F.D.P., Regierung und Koalition
- ich spreche jetzt für Sie mit, aber wir sind uns so einig, daß ich mir das ohne Auftrag anmaße -,
unsere Verantwortung für die Länder und die kommunalen Haushalte als Gesetzgeber wahrnehmen. Aber meine Bitte ist, daß Sie wie auch die Bundesratsmehrheit Ihrer Verantwortung auch für den Bundeshaushalt gerecht werden, denn der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Wenn Sie die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe nicht wollen, dann machen Sie doch bitte einen gleichwertigen und geeigneten Alternativvorschlag. Wir werden dann darüber reden.
Ich bin wirklich gesprächsbereit. Ich will, daß Lösungen zustande kommen. Ich will nicht, daß in diesem Lande die Konfrontation immer stärker wird und das Ergebnis nur Stillstand ist, weil ich weiß: Stillstand ist Rückschritt. Stillstand gefährdet die Grundlagen von Wohlstand, sozialer Sicherheit und am Ende die demokratische Stabilität. Das darf unter gar keinen Umständen sein! Notwendige, auch schmerzliche Entscheidungen, kritische Diskussionen und auch Durchsetzen gegen Widerstand müssen sein, aber immer heißt das Ziel: mehr Arbeitsplätze, und damit die Chancen einer guten Zukunft für die Menschen zu sichern und die Stabilität unseres freiheitlichen rechtsstaatlichen und sozialen Wohlfahrtsstaates zu
Dr. Wolfgang Schäuble
erhalten. Das ist das Anliegen der Union und der Koalition, dafür werden wir arbeiten,
dafür werden wir mit jedem streiten und zusammenarbeiten, der guten Willens ist.
Herzlichen Dank.