Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß wir uns über unser Verhältnis zu unserem wichtigen tschechischen Nachbarn in der Aktuellen Stunde unterhalten, ist gut und richtig. Daß dies an Äußerungen des Kollegen Waigel beim Pfingsttreffen aufgehängt wird, halte ich für weniger gut; denn wenn Sie die Rede nachlesen, werden Sie wohl nicht so sehr viel finden - nicht einmal aus Ihrer Sicht -, was da zu kritisieren wäre.
Der Kollege Waigel hat in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der CSU Ausführungen zum Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen gemacht. Er hat sich dabei - wenn Sie es bitte nachlesen wollen - nachdrücklich zur Versöhnung und zur Zusammenarbeit mit der Tschechischen Republik bekannt und seine Unterstützung für die Heranführung an und Hineinführung in die europäischen Institutionen bekannt und die Einrichtung eines deutsch-tschechischen Zukunftsfonds unterstrichen. Das entspricht voll und ganz der Politik der Bundesregierung.
Er hat im übrigen Fragen angesprochen, die im Augenblick Gegenstand der Gespräche sind, die zu einer gemeinsamen Erklärung führen sollen. In diesem Zusammenhang hat er sich ausdrücklich zu dem schlimmen Unrecht bekannt, das den Tschechen geschehen ist, und von der tschechischen Seite ein klares Wort des Bedauerns zum Unrecht der Vertreibung der Sudetendeutschen sowie ein klärendes Wort zu den Beneš-Dekreten und zum sogenannten Amnestiegesetz gefordert. Das sind alles Punkte, die wir in unsere Gespräche mit der tschechischen Seite aufgenommen haben,
und wir sind dabei sehr weit.
All das, was wir erreichen wollen, soll zusammen mit einem klaren deutschen Bekenntnis zu den Verbrechen der Nazidiktatur am tschechischen Volk seinen Niederschlag in der gemeinsamen Erklärung finden, mit der wir über den Nachbarschaftsvertrag von 1992 hinaus die Schatten der Vergangenheit verscheuchen und Versöhnung erreichen wollen.
Ich finde jedenfalls, daß die Äußerungen des Kollegen Waigel in diesem Zusammenhang keinerlei Anlaß zu Aufgeregtheit geben.
- Ja, das ist meine ehrliche Überzeugung. Es gibt ja ein paar andere Äußerungen; vielleicht haben Sie die verwechselt.
Im übrigen war auch die tschechische Reaktion auf den Sudetendeutschen Tag insgesamt gelassen, sieht man von eher wahlkampfbedingten Bemerkungen einmal ab.
Die seit Juli letzten Jahres von mir geführten Gespräche sind sehr weit gediehen. Ich verletze die zwischen den Verhandlungspartnern vereinbarte Vertraulichkeit nicht - ich habe übrigens heute nacht in Florenz das letzte Gespräch mit dem tschechischen Vertreter geführt -, wenn ich sage, daß sich in einer Reihe der wichtigsten Fragen die Positionen weitgehend angenähert haben.
Das Ergebnis der tschechischen Parlamentswahlen Anfang Juni und die jetzt in Gang gekommene Regierungsbildung in Prag werden den weiteren zeitlichen Ablauf zweifellos beeinflussen. Aber nach dem, was wir heute nacht und in den letzten Tagen besprochen haben, bin ich ganz ruhig und zuversichtlich. Ich bin auch froh, daß mit Ausnahme des Kollegen Zwerenz, der offensichtlich bewußt etwas in die Debatte hineinbringen wollte, hier bisher ruhig und sachlich, im Interesse der gegenseitigen Beziehungen diskutiert wurde.
Wir wollen mit der angestrebten gemeinsamen Erklärung einen entscheidenden weiteren Impuls für den Aussöhnungsprozeß zwischen Deutschen und Tschechen setzen. Ich bin fest entschlossen, das bald zu einem erfolgreichen Abschluß zu führen. Ich weiß sicher, daß das auch der Wille der Koalition und der Bundesregierung ist.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß ich mit den Gesprächen und Verhandlungen, die ich geführt habe, in einer jahrzehntelangen Tradition der deutschen Außenpolitik, wie sie von meinen Vorgän-
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
gern Scheel und Genscher geprägt wurde, stehe. Diese Politik wurde übrigens stets vom Deutschen Bundestag unterstützt.
Wir möchten unsere engen und freundschaftlichen Beziehungen mit der Tschechischen Republik konsequent fortentwickeln. Diese Beziehungen sind gut. Ein gutes Verhältnis zu unserem wichtigen Nachbarn ist im Hinblick auf unsere gemeinsame Geschichte von absolut zentraler Bedeutung. Dabei wissen wir sehr genau, daß wir die Vergangenheit nicht abstreifen, nicht verdrängen können - wir wollen das auch nicht -, sondern uns dieser Vergangenheit stellen müssen. Das gilt für beide Seiten.
Aber es darf nicht nur um das gehen, was war. Unser Blick muß, so wie ich es vor diesem Hause am 31. Januar 1996 gesagt habe, in die Zukunft gerichtet sein. Dazu gehört auch, daß Deutschland ohne Bedingungen den Wunsch der Tschechischen Republik nach Beitritt zur Europäischen Union und zur NATO unterstützt.
Die Bundesregierung steht zu ihrer Aussage, daß die Sudetendeutschen in die Gespräche, wie bisher schon geschehen, einbezogen werden. Ich habe in den Gesprächen, die liefen und laufen, die sudetendeutsche Seite, so wie es nur irgendwie ging, einbezogen. Ich habe mich auch, übrigens schon vor Jahren, der tschechischen Seite gegenüber, Ministerpräsident Klaus und dem Außenminister gegenüber, für Gespräche zwischen der sudetendeutschen und der tschechischen Seite eingesetzt.
Die Verhandlungen selbst sind selbstverständlich Sache der Regierungen.
Dabei ist es genauso selbstverständlich, daß wir die Anliegen der Sudetendeutschen im Auge haben.
Ich habe mich außerordentlich bemüht, den Versuch zu machen, alles zu tun, damit die Wunden wirklich verheilen können. Aber Versöhnung wird eben nur dann eintreten, wenn sie von beiden Seiten kommt und wenn sie wirklich hilft, die Wunden auf beiden Seiten, so weit es irgend möglich ist, zu heilen.
Die Sudetendeutschen haben schon früh ihren Willen zur Aussöhnung bekundet und haben, wie der Kollege Waigel in Nürnberg zu Recht festgestellt hat, die Brücke nach Osten gebaut und die Hand zum gemeinsamen Bau des neuen Europa ausgestreckt.
Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind ein besonders wichtiger Eckpfeiler im Bau des neuen Europa. Wir müssen mit aller Kraft, die wir haben - und das tun wir -, anstreben, das Verhältnis zu diesem wichtigen Nachbarn politisch und atmosphärisch so zu gestalten, wie uns das mit den anderen Nachbarn möglich war.
Ich bin zuversichtlich, daß wir in absehbarer Zeit, wenn es die Umstände in der Tschechischen Republik zulassen, zu dieser gemeinsamen Erklärung kommen werden, die die Versöhnung hoffentlich endgültig bringt.
Vielen Dank.