Rede von
Ulrich
Irmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Freien Demokraten wiederhole ich das, was wir immer gesagt haben:
Erstens. Bei der Vertreibung handelt es sich um schlimmes Unrecht; es war eine ethnische Säuberung. Gerade in einer Zeit, in der wir zunehmend ethnische Säuberungen in verschiedenen Teilen der Welt erleben, muß das so deutlich gesagt werden. Das wird auch nicht durch irgendwelche völker- oder staatsrechtlichen Pseudolegitimationen - Stichworte: Potsdam, Beneš-Dekrete, Amnestiegesetz - bemäntelt. Es war Unrecht.
Zweitens. Die F.D.P. würdigt das Sonderopfer, das den Vertriebenen auferlegt wurde. Im Vergleich zu vielen anderen Deutschen hatten sie ein besonders hartes Schicksal zu tragen. Wir würdigen auch die konstruktive Rolle, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg gespielt haben, um Gräben zu überwinden.
Drittens. Aufrechnung führt nicht zur Versöhnung, ebensowenig wie Vergessen, Verschweigen und Vertuschen. All dies vorausgeschickt, muß man aber auch sagen, daß es außerordentlich problematisch erscheint, wenn man angesichts der heiklen Beziehungen immer wieder Entschuldigungen von Nachbarn verlangt, die Opfer des Hitlerschen Aggressionskrieges waren.
Es könnte sonst sehr leicht der Zustand eintreten, daß Ursachen und Folgen nicht mehr richtig gesehen werden.
Vergessen wir nicht: Es waren Deutsche, die mit massiven Kriegsdrohungen das Münchener Abkommen herbeigepreßt haben. Es waren Deutsche, die in Böhmen und Mähren eingefallen sind. Es waren Deutsche, die die - wie es damals hieß - Resttschechoslowakei zerschlagen haben. Es waren Deutsche, die die Greuel von Lidice gegenüber der Zivilbevölkerung, gegenüber Frauen und Kindern begangen haben. Und es waren - auch daran möchte ich erinnern - Deutsche, die durch die Ausrottung der Juden dafür ursächlich waren, daß ein ganz wesentlicher, elementarer Kulturbestandteil dieser europäischen Region nicht überleben konnte. Prag war nämlich das Zentrum einer Kultur, die sich aus tschechischen, deutschen und jüdischen Elementen in gleicher Weise zusammensetzte und das europäische Geistesleben in heute kaum mehr vorstellbarer Weise bereichert hat.
Das alles gibt es nicht mehr.
Meine Damen und Herren, all das rechtfertigt in keiner Weise das Unrecht der Vertreibung. Dennoch darf all das genausowenig verschwiegen werden wie das Unrecht der Vertreibung. Ich meine aber: Wer heute den Vertriebenen vorgaukelt - ich nenne keine Namen -,
das Rad der Geschichte könne zurückgedreht werden - die meisten der Vertriebenen sind zur Versöhnung bereit; die große Mehrheit der Vertriebenen stellt keine Ansprüche -, der begeht ein anderes Unrecht, weil er Hoffnungen erweckt, von denen er genau weiß, daß sie sich nicht erfüllen können.
Ulrich Irmer
Die vermögensrechtlichen Ansprüche sind bewußt ausgeklammert worden, weil wir uns sonst Reparationsforderungen in ungeahnter Höhe ausgesetzt hätten. Eine förmliche rückwirkende Aufhebung - des Beneš-Dekrets, des Amnestiegesetzes - lehnen die Tschechen ab, so wie wir es mit Recht abgelehnt haben, das Münchener Abkommen als für von Anfang an null und nichtig zu erklären. Es bringt nichts, förmliche Rechtsakte nachträglich aufzuheben, weil dies nicht in die Zukunft weist. Präsident Havel hat im übrigen mehrfach das Bedauern, die Reue angesprochen und hat das Unrecht der Vertreibung als Unrecht bezeichnet.
Die Verhandlungen führt selbstverständlich der Bundesaußenminister, der dafür von der Regierung beauftragt ist. Er redet mit den Vertriebenen, aber am Tisch sitzen er und die Regierung.
Ein letztes Wort: Es darf aus der Vergangenheit heraus keine Vorbedingungen für die Aufnahme der Tschechischen Republik und Polens in die Europäische Union geben.
Das wäre auch ganz unlogisch; denn durch die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union erreicht jeder Unionsbürger, dann also auch die Sudetendeutschen, das Recht, sich dort niederzulassen, wo er herkommt.
Insofern würde durch die Aufnahme dieser Länder in die Europäische Union auch ein Teil der Vergangenheit bewältigt werden können.
Ich fordere alle auf, daran und an der Versöhnung mitzuwirken, und bitte insbesondere die Vertriebenen, die auf Grund ihrer Geschichte dazu prädestiniert, dazu besonders geeignet sind, sich diesem Versöhnungswerk nicht zu verschließen, sondern daran - wie die meisten von ihnen bisher - konstruktiv und zukunftsweisend mitzuwirken.
Ich danke Ihnen.