Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz der tropischen Wälder ist spätestens seit Mitte der 70er Jahre ein globalökologisches Dauerthema. Die Einsicht, daß Erhalt oder Zerstörung dieser Wälder Einfluß auf die gesamte Biosphäre der Erde haben, wurde national wie international längst zum Allgemeingut nicht nur einer Elite von Politikern und Fachleuten, sondern auch einer breiten Öffentlichkeit.
Der Druck, diese Wälder wirksam zu schützen, wächst seitdem ständig. Folgerichtig jagen sich internationale Konferenzen, wurden weltumspannende Organisationen gegründet, Projekte erarbeitet und ins Werk gesetzt. Es müßte bei so viel Aktionismus zu erwarten sein, daß der Schutz der tropischen Wälder auf der Seite der Erfolgsbilanz der globalen Herausforderungen steht. Wir wissen alle, daß dem nicht so ist.
Die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema und die Antwort der Bundesregierung offenbaren einige Gesichtspunkte dieses Dilemmas. Ich greife ein markantes Beispiel heraus: Auf die Frage, welchen politischen und praktischen Sinn einzelne Tropenwaldschutzprojekte und -programme haben, wenn die nationale Politik der entsprechenden Staaten die Gefährdung oder Zerstörung von Tropenwaldgebieten zuläßt, antwortet die Bundesregierung mit den Hinweisen auf eingeschränkte Spielräume der Partnerregierungen sowie auf einen Dschungel an Interessenkonflikten in den Partnerländern, und sie verweist auf die Notwendigkeit von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen in diesen Ländern.
Diese Antwort sagt mehr, als sie vielleicht sagen soll. Sie beinhaltet nämlich das Eingeständnis, daß unsere Anstrengungen zum Schutz der Tropenwälder in vielen Fällen von höchst zweifelhafter Wirkung sind
und so in dem Verdacht stehen, als wenig wirksame Rechtfertigung dafür dienen zu müssen, daß bilaterale wie multilaterale Schutzprojekte und -programme zum großen Teil nur Symptombastelei sind.
Diese Antwort enthält aber noch ein Problem: Sie bestätigt nämlich die Vermutung, daß wir exemplarisch in unseren Bemühungen um den Schutz der Tropenwälder immer noch zu sehr davon geleitet sind, daß die globalen Herausforderungen in der Dritten Welt und nicht auch bei uns gelöst werden müssen.
Der Vertreter Ghanas hat diesen Fehlschluß und seine möglichen internationalen Folgen auf dem Umweltgipfel in Rio 1992 mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht - ich zitiere -:
Die weltweite Partnerschaft wird dann nicht funktionieren, wenn wir in den Entwicklungsländern permanent ignoriert oder belehrt werden sowie uns andauernd neue Verhaltensvorschriften gemacht werden, die, wie wir alle wissen, unsere Entwicklungschancen verschlechtern. Wenn sich diese Einstellungen nicht ändern, können und wollen wir uns den Industrieländern bei unserer großen gemeinsamen Aufgabe, die Welt neu zu gestalten, nicht anschließen.
Es geht bei diesen Feststellungen nicht um die Aufrechnung von Schuld. Es geht um den Kern des Dilemmas. Noch nie wurde international so viel für die Erhaltung der Tropenwälder getan. Doch nichts verhindert bislang die weitere Vernichtung, obwohl sich die Gesamtfläche der tropischen Wälder schon dramatisch auf weniger als 50 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche verringert hat. Ein großer Teil dieser Situation ist auf unser zwanghaftes Helfersyndrom zurückzuführen, dessen guter Wille scheitern muß, weil er viel zu sehr unsere eigenen Interessen mit den Schutzprogrammen zusammen exportiert und viel zuwenig anerkennt, daß wir die betreffenden Länder nicht in unsere großen Zoos und unsere heilen botanischen Gärten verwandeln können.
Soweit ich sehe, besteht ein breiter Konsens darin, daß der Schutz der tropischen Wälder eine globale Verantwortung erfordert, die sich keineswegs in ökologiepolitischen Maßnahmen erschöpfen darf, sondern ein Zusammenspiel auch der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Komponenten sein muß. Wenn dem so ist, lohnt es sich, exemplarisch nach Möglichkeiten zu fragen, wie solche Vernetzungen die Wirksamkeit des Tropenwaldschutzes erhöhen könnten.
Als erstes Beispiel sei noch einmal an Arun III erinnert. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich die Bevölkerung Nepals verdoppelt und der dortige Waldbestand halbiert. Der dadurch entstandene ökologische Notstand korrespondiert mit einem wirtschaftlichen - besonders energiewirtschaftlichen - und sozialen Notstand. Das Arun-Wasserkraftwerk sollte nicht nur die Energiemisere Nepals beenden, sondern auch die sozialen und ökologischen Parallelwirkungen eindämmen.
Hätten wir als einer der Hauptgeldgeber von Anfang an stärker darauf gedrungen, zugleich mit Arun III dezentrale Alternativprojekte zu erarbeiten,
Dr. Mathias Schubert
wären Nepal wohl ein Jahrzehnt energiewirtschaftlicher Stagnation, ein Jahrzehnt sozialen und ökologischen Abstiegs und - damit verbunden - ein Jahrzehnt überlebensnotwendigen, aber selbstzerstörerischen Waldraubbaus erspart geblieben.
Zweites Beispiel: In Nordbrasilien stehen riesige Erzverhüttungswerke, die fast ausschließlich Holzkohle, gewonnen aus primärem oder sekundärem Regenwald, als Energieträger benutzen. Die ökologischen, aber auch die gesundheitlichen Folgen für die Menschen sind verheerend. Wenn die Bundesregierung besonders ihre im Lateinamerikakonzept formulierten wirtschaftlichen Interessen ernst nimmt: Wäre es dann nicht auf Grund unserer oft beschworenen sozialökologischen Globalverantwortung wenigstens eines Versuches wert, gemeinsam zum Beispiel mit der deutschen Stahl- und Energiewirtschaft den Brasilianern ein fundiertes Investitionsprojekt anzubieten, das dort auf eine Energieträgerwende zielt, ökologisch und gesundheitspolitisch sinnvoll ist und uns zudem auch noch die Möglichkeit eröffnete, energiewirtschaftliches Know-how vom Neuesten und damit Energiesparendsten zu exportieren?
Ein letztes Beispiel. Die Statistiken sind eindeutig: Mit etwa 90 Prozent trägt die Landwirtschaft den Löwenanteil an der Tropenwaldzerstörung. Die Ursachen dafür sind natürlich vielschichtig und größtenteils in den Verteilungs- und Sozialverhältnissen dieser Länder zu finden. Doch machen wir uns nichts vor: Manche Ursachen liegen auch in einigen unserer zumeist unreflektierten Lebensgewohnheiten. Besonders in Lateinamerika existiert eine geradezu tropenwaldfressende extensive Tierwirtschaft, die vom Rinderexport für gelb-rote und andersfarbige Imbißketten in den Industrieländern lebt.
Es ist somit deutlich, daß es nicht an Theorien und gutem Willen mangelt, den Tropenwald zu schützen. Der Mangel liegt im unzureichenden praktisch-politischen Umsetzungsvermögen.
Die Kardinalforderung für einen nachhaltigen Schutz der Tropenwälder besteht erstens nach wie vor in der Entwicklung integrierter Konzepte, die insbesondere auch die wirtschaftlichen Interessen der betreffenden Länder gleichberechtigt einbezieht. Den Widerspruch zwischen blumiger Öko-Rhetorik und globaler Partnerschaft einerseits sowie dem tatsächlich regierenden Interessenpoker zwischen Nord und Süd andererseits kann nur der Norden auflösen.
Zweitens wird die Erhaltung der Tropenwälder nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Industriestaaten und die internationalen Organisationen nicht allein Hilfsprogramme anbieten, sondern ihre ökonomischen Potentiale zum Aufbau nachhaltig stabiler Wirtschafts-, Sozial- und Umweltentwicklungen einsetzen.
Drittens werden unsere Schutzinteressen für die Tropenwälder erst dann bei den Partnerländern auf politisch-moralische Anerkennung hoffen dürfen, wenn wir unsere selbstproduzierten globalen Gefährdungen - Stichwort: CO2-Reduktion - ernsthaft und glaubwürdig selbst zu beheben beginnen.
Viertens sind alle Programme weiterzuentwickeln, die die Inwertsetzung der Tropenwälder als Wirtschaftsfaktor für die betreffenden Länder unterstützt. Tropenholzeinschlagverbote und Tropenholzimportverbote haben zwar einen gewissen romantischen Charme, entwerten aber gerade die Wälder für diese Gesellschaften und tragen so zu deren Zerstörung bei. Wir dürfen besonders hier nicht mit zweierlei Maß messen. Der jährliche Holzexport Brasiliens ist geringer als der jährliche Holzeinschlag im Schwarzwald.
Fünftens sind nach wie vor nationale Aufklärungsprogramme bei uns nötig, um die Ursachen, die Verantwortung, die Zusammenhänge und die Folgen von Tropenwaldraubbau, Klimakatastrophe, Umweltflüchtlingen, Bodenerosion usw. auch bei uns selbst zu erkennen und zu verinnerlichen.
Sechstens werden wir auch bei diesem Thema im eigenen Lande nur dann vorankommen, wenn Entwicklungspolitik nicht mehr zuerst Hilfspolitik bleibt, sondern Querschnittspolitik wird.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist der Schritt von einer Politik der Symptomkuriererei hin zu einer Politik der Prävention. Die ist nicht nur wirksamer, die ist in aller Regel auch billiger, und sie dient vor allem auch unseren eigenen Interessen.