Rede von
Dr.
Ruth
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bereits mit der Gesundheitsreform verbundenen Abstriche an der sozialen Qualität der Krankenversorgung reichen der Regierung offensichtlich nicht. Mit einem sogenannten Beitragsentlastungsgesetz soll kurzfristig zusätzlich und noch rabiater in das Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung eingegriffen werden.
Als Argument wird, wie immer bei der Ausweitung von Zuzahlungen und Leistungskürzungen, von der „Eigenverantwortung der Versicherten" gesprochen. Dabei ist es nun wirklich eine Binsenweisheit, daß im anbieterdominierten Gesundheitswesen die Versicherten den geringsten Einfluß auf Umfang und Höhe der ihnen verordneten Leistungen haben. Aber dort, wo der Begriff der Eigenverantwortung noch am ehesten einen Sinn macht, nämlich im Zusammenhang mit gesundheitsfördernden Lebensstil und Verhaltensweisen, will die Regierung gerade erst geschaffene Voraussetzungen wieder zunichte machen.
Die Einführung von Gesundheitsförderung, paritätisch finanziert und als Teil des gesetzlichen Leistungskatalogs, war zweifellos ein wichtiger Fortschritt auf dem Weg zum Ausbau präventiver Leistungen in der Gesundheitsversorgung.
Es ist nicht nur vernünftig, sondern entspricht völlig den internationalen Entwicklungen in der Prävention, ergänzend zu medizinischer Vorsorge und Früherkennung auch unmittelbar auf die Festigung der Gesundheit der Menschen hinzuwirken. Betriebliche Gesundheitsförderung, Bewegungskurse oder Ernährungsberatung haben eben durchaus ihren Sinn und tragen letztlich auch zur Wirtschaftlichkeit der gesundheitlichen Versorgung bei.
Nun soll wegen bekannter Fehlentwicklungen, die man sehr leicht korrigieren könnte, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und sollen sämtliche Leistungen der Gesundheitsförderung auf einen Streich beseitigt werden. Eine ebensolche grundsätzliche Fehlentscheidung ist es, den Kassen die Möglichkeit zur Förderung von Selbsthilfegruppen weitgehend zu nehmen. Es ist schon paradox: Es geht lediglich um eine Summe von 10 Millionen DM. Aber dafür würde vielen Tausenden von Selbsthilfegruppen die Förderung entzogen. Jeder weiß, daß dies nicht nur zu einer fachlichen Verschlechterung der Betreuung vieler Menschen führt, sondern auch dazu, daß ein lebendiges Element demokratischer Mitwirkung und Partizipation im Gesundheitswesen wieder zurückgedrängt wird.
Sozial- und gesundheitspolitisch ebenfalls völlig kontraproduktiv sind solche Vorhaben wie die vorgesehene vollständige Aussperrung der heutigen Kinder und Jugendlichen von zahnprothetischer Versorgung
oder die beabsichtigte Streichung der Finanzierung von Brillengestellen durch die gesetzliche Krankenversicherung. Mit letzterem würde erstmals die bisher noch mögliche Vollversorgung mit einer Sehhilfe abgeschafft.
Die Argumentation beim Zahnersatz muß als geradezu zynisch bezeichnet werden.
Jeder weiß, wie schlecht es in Wahrheit immer noch um die zahnmedizinische Prophylaxe in diesem Land bestellt ist. Hinzu kommt, daß vor allem die Kinder aus sozial schwächeren Familien wiederum besonders betroffen und besonders bestraft wären.
Während die Regierung im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform von „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" spricht, scheut sie bei diesem Gesetz nicht vor einem neuen Gipfel administrativer Reglementierung zurück. So will sie nunmehr die Beitragssätze per Gesetz festschreiben bzw. am Beginn des Jahres 1997 quasi mit der Heckenschere kürzen. Dabei ist völlig unklar, ob die der Kürzung um 0,4 Prozentpunkte zugrunde liegende Einsparsumme überhaupt erreicht werden kann.
Das vorliegende Gesamtpaket enthält bekanntlich weitere sozialpolitische Grausamkeiten wie Kürzung des Krankengeldes, Anhebung der Arzneimittelzuzahlung, zusätzliche Belastungen bei Kuren und weitere Streichung von Mitteln für die Krankenhäuser. Was sie durchweg verbindet, ist nicht nur die sozialpolitische Kälte. Darüber hinaus sind all diese Grausamkeiten im Gegensatz zu den anmaßenden Erklärungen der Regierung weder begründbar noch wirklich notwendig. Sparpotentiale und Wirtschaftlichkeitsreserven im Gesundheitswesen gibt es bekanntlich nicht wenige. Um sie zu erschließen, muß man sich allerdings mit mächtigeren Kräften als mit kranken, behinderten oder älteren Menschen anlegen.
Mehr noch: Während wir glauben sollen, daß es die Zwänge der globalen Märkte sind, die künftig die Bezahlung von Zahnersatzleistungen, Brillengestellen und Kuren sowie die Unterstützung von Selbsthilfeinitiativen oder Gesundheitsförderung verhindern, denkt die Regierung nicht einmal im Ansatz daran, beispielsweise spekulative Geldgewinne und unverdiente Bodenpreissteigerungen abzuschöpfen oder große Steuerhinterziehungen zu unterbinden.
Mit dem Gesetz soll also die verhängnisvolle Gesamtstrategie der Regierung mit aller Härte auf das Gesundheitswesen übertragen werden. Auch hier
Dr. Ruth Fuchs
sind es allein die sozial Schwächeren und insgesamt die Lohnabhängigen, die im wahrsten Sinne des Wortes am eigenen Leibe die Folgen dieser verfehlten Politik erfahren sollen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.