Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über das Beitragsentlastungsgesetz, und damit reden wir über das Zentralthema in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich wie die viel zu hohe Arbeitslosigkeit wirkungsvoll bekämpft werden kann.
Am 23. Januar haben sich die Bundesregierung, die Arbeitgeber, aber auch die Gewerkschaften darauf verständigt, daß ein ganz wichtiger Beitrag zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit darin zu sehen ist, daß die Sozialversicherungsbeiträge nicht zu hoch sind, daß wir alle Bemühungen unternehmen müssen, um unter 40 Prozent zu bleiben. Das war, wie gesagt, nicht nur Auffassung der Bundesregierung, sondern auch Auffassung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften. Mit dem Beitragsentlastungsgesetz wird der Versuch unternommen, diesem Ziel ein Stück näher zu kommen.
Auch wenn der Abgeordnete Rudi Dreßler gesagt hat, es gebe nur eine von der Regierung geschürte Diskussion über angeblich zu hohe Lohnnebenkosten: Das Präsidium der SPD hat sich ebenfalls dazu bekannt, daß bei den Lohnnebenkosten etwas getan werden muß.
Nun wird vorgeschlagen, 7,5 Milliarden DM einzusparen. Ich halte das für eine mutige und auch gute Leistung des Bundesgesundheitsministers. Denn was wäre denn gewesen, wenn er sich verweigert hätte? Wo wären dann 7,5 Milliarden DM eingespart worden? Dann hätten wir in den Bereichen der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung diese 7,5 Milliarden DM aufbringen müssen.
Wenn man weiß, daß die Heraufsetzung der Altersgrenze für Frauen im Jahr 2000 lediglich den Betrag von 2,5 Milliarden DM erbringt, und wenn man weiß, daß die Verschiebung der Erhöhung des Kindergeldes 4 Milliarden DM erbringt, erkennt man doch - hier dreht es sich um 7,5 Milliarden DM -, was man dann alles noch hätte tun müssen.
Deshalb gebührt dem Bundesgesundheitsminister ein Dank dafür, daß er mutig genug war, auch im eigenen Bereich Sparvorschläge vorzulegen.
Ich sage ein Zweites: Es macht wenig Sinn, wenn betont wird, man solle es der Selbstverwaltung überlassen, ob sie die Beitragssätze senkt oder ob sie sie nicht senkt. Unser Prinzip ist: Wer die Verantwortung für etwas trägt, der soll auch für die Folgen aufkommen.
Die Kassen haben vorher immer zu Recht kritisiert, daß es gesetzgeberische Entscheidungen gegeben hat, die auf die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung einen wichtigen Einfluß nehmen. Sie haben beim Gesetzgeber angemahnt, der Gesetzgeber möge seiner Verantwortung gerecht werden.
Aber was im positiven Falle gilt, gilt natürlich auch andersherum. Wenn sich der Gesetzgeber entschließt, Maßnahmen zu ergreifen, die nicht leicht sind, zum Beispiel die Erhöhung der Zuzahlung bei den Arzneimitteln oder die Senkung des Krankengeldes - um nur einige Maßnahmen zu nennen -, dann muß man ihm auch das Recht zubilligen zu sagen: Ich möchte, daß dieses Geld auf Heller und Pfennig den Versicherten und ihren Arbeitgebern wieder zugute kommt und nicht etwa für andere Zwecke mißbraucht wird.
Ich finde, das muß man dem Gesetzgeber nun wirklich zubilligen.
Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen. In der Diskussion sind, zum Beispiel von Herrn Kirschner, die Begriffe „Horrorkatalog", „Sozialdarwinismus" oder „irrsinnige, menschenverachtende Sparaktion" - das hat Rudi Dreßler gesagt - gefallen.
Ich möchte Sie wirklich bitten, im Ton etwas maßvoller zu sein.
Es geht bei Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 250 Milliarden DM jährlich um ein Einsparvolumen von 7,5 Milliarden DM. Jeder, der nachrechnen kann, weiß, das sind 3 Prozent der gesamten Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn Sie dann in diesem Zusammenhang von „Sozialdarwinismus", von „menschenverachtendem Irrsinn" und von „Horrorkatalog" sprechen, sind Sie, meine Damen und Herren, wirklich nicht mehr in der Realität. Das kann niemand mehr nachvollziehen.
Es wird beispielsweise auch gesagt, die Eigenbeteiligung in Deutschland sei viel zu hoch. Sehen wir uns einmal die Zahlen, die das Volumen der Zuzahlung der privaten Haushalte bei den Krankenversicherungen widerspiegeln, im europäischen Vergleich an. In Deutschland werden 11,3 Prozent zugezahlt, in Österreich 13,9 Prozent, in Großbritannien 14,7 Prozent, in Frankreich 17,3 Prozent und in der Schweiz sogar 24,6 Prozent.
In diesem Zusammenhang sprechen Sie davon, daß bei uns der Beitrag, den das Individuum zu zahlen hat, der also nicht kollektiv finanziert ist, weit überzogen sei und daß man ihn demzufolge nicht mehr vertreten könne. Auch Sie müssen darüber nachdenken, welches Gleichgewicht wir denn für
Ulf Fink
die Sozialversicherungssysteme in Zukunft haben können. Wir können nur einen Teil kollektiv finanzieren, und wir müssen einen anderen Teil privat finanzieren. Daß wir uns hier nicht außerhalb der in Europa üblichen Größenordnung befinden, das zeigt der entsprechende Vergleich. Ich möchte Sie bitten, das wirklich ernst zu nehmen und solche Themen in anderer Form darzustellen.
Zu den einzelnen Maßnahmen ist schon eine ganze Menge gesagt worden. Aber ich möchte von meiner Seite aus gerne noch einige Themen ansprechen. Das eine Thema ist: Von den 7,5 Milliarden DM wird nur ein Teil über zusätzliche Selbstbeteiligung finanziert. Einen ganz gewichtigen Teil, auf den Sie gar nicht eingegangen sind, machen aber die Einsparungen im Krankenhaussektor aus. Es sind 800 Millionen DM im nächsten Jahr, ansteigend auf 2,4 Milliarden DM in drei Jahren. Von den Gesamteinsparungen in Höhe von 7,5 Milliarden DM sind allein 2,4 Milliarden DM Einsparungen bei den Krankenhausausgaben. Diese sind doch nun wirklich vertretbar. Denn wir führen zum 1. Juli die zweite Stufe der Pflegeversicherung, die stationäre Pflege, ein. Damit werden die Krankenkassen entlastet, weil dann nicht länger Pflegefälle in Akutkrankenhäusern versorgt werden müssen und die Kosten nicht mehr von der Krankenversicherung getragen werden müssen. Das ist eine sinnvolle und notwendige Einsparmaßnahme. Daher kann ich nicht verstehen, Herr Kirschner, daß Sie sagen, Sie wollten diesen Horrorkatalog ablehnen, obwohl Sie doch früher selber mit dafür gesorgt haben, daß diese Einsparungen durch die Pflegeversicherung der Krankenversicherung zugute kommen. Wenigstens dieser Maßnahme müßten Sie dann doch zustimmen.
Die Einsparungen im Krankenhausbereich machen einen erheblichen Teil der 7,5 Milliarden DM aus.
Sie sagten eben ferner, auch der Wegfall der Zuschüsse der Krankenkassen zu Brillengestellen gehöre zum Horrorkatalog und sei ein menschenverachtender Irrwitz. Viele Leute bezahlen heute für ihre Brille 400 oder 1 000 DM. Und da soll es menschenverachtender Irrsinn sein, wenn sie die 20 DM selber bezahlen müssen? Wo leben wir denn überhaupt? Das ist doch nicht zu glauben.
Nein, ich finde, man muß, wenn man sich über diese Themen sinnvoll unterhalten will, sehr viel korrekter und unmittelbarer argumentieren.
Dasselbe gilt auch für das Krankengeld. Auch da müßte doch der Grundsatz, daß man, wenn man eine Sozialversicherungsleistung bezieht, nicht mehr Geld bekommen soll, als man vorher als Arbeitender bekommen hat, von Ihnen anerkannt werden. Sie können doch nicht an der Tatsache vorbeisehen, daß das Krankengeld in den letzten beiden Jahren in den alten und den neuen Ländern von 13,3 Milliarden DM im Jahre 1993 auf 18,4 Milliarden DM im Jahre 1995 gestiegen ist, sich also um fast 50 Prozent erhöht hat. Bei einem Mehraufwand von rund 5 Milliarden DM weiß doch jeder, was passiert ist. Es ist im Grunde genommen folgendes gemacht worden: Da die Unternehmen nicht mehr bereit waren, ihre Sozialkosten zu bezahlen, haben sie sie nicht nur auf die Rentenversicherung verlagert, sondern auch auf die Krankenversicherung. Sie müssen doch mit mir einer Meinung sein, daß man so etwas unterbinden muß.