Rede von
Rudolf
Scharping
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage ist ernst, in mancher Hinsicht ist sie dramatisch. Sie ist ernst wegen der wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der finanziellen Folgen für die öffentlichen Haushalte, wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt und vieler anderer Umstände. In dieser Situation muß es Änderungen geben. Der Streit geht nicht um die Frage, ob es Änderungen geben muß, sondern darum, in welche Richtung sie gehen. Der Streit geht nicht um die Frage, ob man in einer krisenhaften Situation Chancen entwickelt, sondern um die Frage, ob diese Regierung fähig ist, für das Land insgesamt Chancen zu entwickeln,
und ob sie eine neue, eine moderne, eine soziale Demokratie wirtschaftlich und kulturell begründen und die Kräfte bündeln kann, fernab der Tatsache, daß diese Regierung vor dem 24. März die Öffentlichkeit,
Rudolf Scharping
das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger belogen hat.
Fernab dieser Tatsache mache ich auf eines aufmerksam: Mit der Bereitschaft der Gewerkschaften, strukturelle, tiefgreifende Reformen im Sinne von Beschäftigung und Wachstum mitzutragen, mit der Einsicht der Wohlfahrtsverbände und Kirchen, im Zweifel auch noch mit einem Angebot der Opposition spielt man nicht taktisch. Genau das aber haben Sie getan.
Sie vertun eine enorme Chance und fallen zurück in den alten Trott. Sie machen aus einem Holzweg einen Trampelpfad Ihrer Politik!
Und ich sage das in allem Ernst; denn wer dauernd nach Auswegen sucht, landet am Ende in der Ausweglosigkeit. Ihre Politik ist in der Ausweglosigkeit gelandet.
In einem Land mit acht Millionen Menschen, die als arm gelten, mit sechs Millionen Menschen, die mit irgendeiner Form von öffentlicher Unterstützung leben, mehr als vier Millionen Menschen, die arbeitslos sind, mehr als zwei Millionen Menschen, die eine preiswerte Wohnung suchen, mehr als einer halben Million Kinder, die ohne anständiges Dach über dem Kopf leben, häufig sogar auf der Straße leben müssen usw. usw., Herr Bundeskanzler, in einem solchen Land, das unbestritten Reichtum hat und Chancen bietet, aber mit dem Reichtum und den Chancen ungleich und ungerecht umgeht, dank Ihrer Politik,
sich in einem solchen Land, Herr Bundeskanzler, hinzustellen und von einer ungeheuer erfolgreichen Politik zu reden, das muß den betroffenen Menschen und den vielen anderen, die sich Sorgen machen, wie Hohn und wie selbstgefällige Arroganz in den Ohren klingen!
Ich finde, so mobilisiert man keine Kräfte.
Und dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie davon geredet, man dürfe sich in einer solchen Situation nicht an Besitzständen festhalten. Ja, welche Besitzstände meinen Sie denn da? Die Besitzstände derer, denen Sie die Lohnersatzleistungen seit mehreren
Jahren gekürzt haben und erneut kürzen wollen? Die Besitzstände derer, die hoffen, daß es eine intelligente Lösung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gibt statt der pauschalen Bestrafung aller, die krank geworden sind?
Die Besitzstände jener Menschen, die Kinder alleine erziehen?
Ich finde es - und ich sage das auch hier im Parlament - eine Obszönität, daß die Erhöhung des Kindergeldes ausgesetzt werden soll und Sie gleichzeitig die Vermögensteuer abschaffen wollen. Das ist eine soziale Obszönität!
Und dann wird ja fröhlich immer an den falschen Fronten gefochten. Ich nenne Ihnen fast wahllos einige Beispiele:
Da kommt der Bundesfinanzminister und sagt, die SPD müsse endlich mal die Frage beantworten, ob sie mehr Kreditaufnahme wolle. Zunächst, damit Sie Ihre Antwort haben: Wir sind der Auffassung, daß man die 160 Milliarden Mark Kosten der Arbeitslosigkeit nicht durch Ausgabenkürzung hereinholen kann. Das ist völlig ausgeschlossen.
Man muß den Sozialstaat langfristig konsolidieren, ja, aber ich sage einmal: Lügen Sie doch nicht sich, dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit in die Tasche! Ich habe hier einen Vermerk Ihrer Arbeitsgruppe Haushalt. Da steht: Im Bundeshaushalt 1997 beträgt nach derzeitigem Stand die Deckungslücke 30 Milliarden. Diese resultiert aus Steuermindereinnahmen usw. Diese Deckungslücke soll in Höhe von 25 Milliarden durch Einsparungen und in Höhe von 5 Milliarden durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme geschlossen werden.
Meine Damen und Herren, es ist unredlich, eine Täuschung der Öffentlichkeit und für die weitere Debatte auch nicht gerade fruchtbar, uns vorzuwerfen, wir wollten die Erhöhung der Nettokreditaufnahme, während Ihre Arbeitsgruppen fröhlich vereinbaren, wir reden nur von 25 Milliarden und verschweigen die 5 Milliarden, die wir zusätzlich beim Kredit aufpacken wollen.
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Standortfaktoren. Die Arbeitgeber, nicht die SPD, nicht die Gewerkschaften und nicht irgend jemand sonst, sagen: Für den Standort sind erstens Qualifikation, zweitens technisches Wissen, drittens Arbeitsproduktivität, viertens effektives Management, fünftens Abgabenquote besonders wichtig. Irgendwo bei zwölftens oder dreizehntes kommen die Arbeitskosten.
Abgabenquote: Nie zuvor hat eine Regierung in der Bundesrepublik Deutschland die Abgabenquote
Rudolf Scharping
so hoch getrieben wie diese. Das ist die Folge ihrer Feigheit, dem Steuerzahler die Wahrheit zu sagen.
Sie sagen: Die Arbeitskosten in Deutschland sind zu hoch. Das heißt nichts anderes, als daß der Bock, sich als Gärtner gerierend, die Folgen seiner eigenen Untaten beklagt.
Die Arbeitskosten in Deutschland sind nicht zu hoch, wohl aber die Abgaben auf die Arbeit.
Ich frage Sie in allem Ernst, ob Ihnen in einer exportorientierten Nation, die Nachfrage im eigenen Land zur wirtschaftlichen Belebung braucht, nicht etwas auffällt, wenn Sie sich folgendes anhören: Die Lohnquote der Arbeitnehmer, also ihr Anteil am gemeinsam Erwirtschafteten, beträgt in Japan 75 Prozent, in den USA und Großbritannien 72 Prozent, in der Europäischen Union im Durchschnitt 70 Prozent und in Deutschland 66 Prozent.
Die Tatsache, daß die Arbeitnehmer durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft seit Jahren - wirtschaftlich gesprochen - keinen wachsenden Ertrag mehr haben, wirkt sich auf der Nachfrageseite unserer Wirtschaft aus und hat zur logischen Konsequenz, daß wir in wirtschaftliche Schwächen hineinrennen. Wenn Sie diesen Prozeß fortsetzen, werden Sie die wirtschaftlichen Schwächen fortsetzen.
Niemand bestreitet - wir sagen das auch in unserem eigenen Vorschlag -, daß wir die Zukunft sichern und den Zusammenhalt stärken müssen. Jawohl, es muß einiges verändert werden, es muß langfristig konsolidiert werden, aber dann bitte auch auf allen Seiten.
Ich habe von unhaltbaren Zuständen gesprochen und ein bestimmtes politisches Vorhaben obszön genannt. Es ist am 14. Februar 1996 ein Urteil des Bundesfinanzhofs auf der Grundlage geltender Gesetze in Deutschland ergangen. Die Anschaffungskosten für ein in ein Einfamilienhaus eingebautes Schwimmbad gehören zu den Anschaffungskosten des Gebäudes und damit zur Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Einkommensteuergesetz.
Das heißt in schlichtem Deutsch folgendes: Wir haben es hier mit einer Koalition zu tun, die bereit ist, die Erhöhung des Kindergeldes auszusetzen, die aber unfähig ist, die Anschaffungskosten für ein privates Schwimmbad aus der Wohnungsbauförderung herauszunehmen. Das nenne ich skandalös.
Nun will ich Ihnen noch etwas im Zuge der wahllosen Beispiele - die Redezeit und Ihr Bedürfnis, nach Hause zu kommen, ist eine doppelte Begrenzung dafür, Ihnen jedes denkbare Beispiel zu nennen - zu den Vermögen und ihrer Entwicklung sagen. Wir sind der Auffassung - das ist die erste grundsätzliche Antwort der Sozialdemokratie -: Entlastet die Arbeit von Kosten, sorgt dafür, daß sich der Einsatz von Arbeitskraft stärker lohnt!
Das hat Folgen für die Lohnnebenkosten, für die Sozialversicherungsbeiträge, für die langfristige Konsolidierung des Sozialstaats, für die Beseitigung struktureller Defizite und für vieles andere. Es muß auch eine Folge in der Frage haben: Was lohnt sich eigentlich in Deutschland? Seine Arbeitskraft einzusetzen bekanntlich nicht, das muß man tun, um leben zu können. Zu investieren lohnt sich zu wenig, das ist auch ein allgemein bekannter Tatbestand, für den Sie leider Verantwortung tragen. Geldvermögen anzusammeln lohnt sich besonders. Das zeigt eine einfache Zahl, und ich nenne sie Ihnen nur für den Westen Deutschlands, weil sich im Osten Deutschlands, wie die Dinge liegen, Vermögen nur in ganz, ganz wenigen Händen ansammeln kann - skandalöse Zustände, wie ich finde, und wirtschaftlich übrigens höchst unvernünftig.
Wir haben am Ende des Jahres 1994 ausweislich der Antwort der Bundesregierung in Deutschland ein Bruttogeldvermögen von 4 320 Milliarden DM. Auf den Westen Deutschlands entfallen davon 4 038 Milliarden DM. Im Westen Deutschlands ist allein das Geldvermögen - ich rede gar nicht von Grundbesitz und anderem - von 1989 bis 1994 um 40 Prozent gewachsen, um 40 Prozent!
Wir können ja gern über technische Einzelheiten streiten; aber ich sage nochmals: Schauen Sie sich einmal die Erträge der Vermögen an und fragen Sie sich dann, ob Sie es mit der christlichen Motivation von Politik, mit dem schlichten moralischen Anstand, mit dem Empfinden für Gerechtigkeit oder mit der wirtschaftlichen Vernunft vereinbaren können - ich behaupte, mit keinem der vier Punkte -, daß der Zuwachs von Geldvermögen in der Bundesrepublik Deutschland in fünf Jahren 40 Prozent und der Zuwachs des Wertes der eingesetzten Arbeitskraft null beträgt. Das ist nicht verantwortbar.
Nun kommen Sie mir doch nicht mit Ihrem technischen Klunkerkram! Natürlich können wir darüber reden, wie man Freibeträge macht - da haben wir einen Vorschlag gemacht -, wie wir das im einzelnen technisch organisieren usw. Die Tatsache, daß Sie immer technische Einwände erheben, kann doch eines nicht bemänteln: Sie haben den Willen nicht, für sozial gerechte Verhältnisse zu sorgen.
Und dann redet der Bundeskanzler mit großer Geste und ebenso großer Selbstgefälligkeit von einer ungeheuer erfolgreichen Politik, davon, daß wir uns nicht an den Besitzständen festhalten dürften.
Rudolf Scharping
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Antwort ist klar und eindeutig.
Erstens. Wir wollen die Arbeit von Kosten entlasten, das heißt Lohnnebenkosten senken.
Und wir wollen gleichzeitig dafür sorgen, daß das stilliegende Vermögen und der Verbrauch von Umwelt dazu herangezogen werden.
Zweitens. Wir wollen auf diese Weise einen zukunftsträchtigen Weg eröffnen. Kollege Schäuble hat einen Einwand im Zusammenhang mit den Energiekosten gemacht, den ich ernst nehme. Ich nehme ihn durchaus ernst. Ich möchte aber Sie, Herr Kollege Schäuble, vor allen Dingen jedoch die deutsche Öffentlichkeit darauf hinweisen, daß es in Deutschland nur ganz eingeschränkt bestimmte Branchen gibt - im wesentlichen solche, die Prozeßenergie einsetzen -, in denen der Anteil der Energiekosten höher ist als der Anteil der Lohnkosten. Vor diesem Hintergrund ist jedes Modell, das im selben Umfang Lohnkosten herunterbringt und die Finanzierung über die Energiekosten sucht, für diese Unternehmen ein Vorteil, nicht ein Nachteil.
Wir haben Ihnen ausdrücklich gesagt: Wir sind bereit, über die Frage der Prozeßenergie, über die Frage möglicher Umbrüche sorgfältig miteinander zu reden. Aber auch das sage ich Ihnen: Es liegt doch nicht an der mangelnden Bereitschaft, über einzelne Fragen zu reden, sondern an Ihrem Unwillen. Sie wollen das nicht, Sie wollen es schlicht nicht und machen deswegen allerlei Vorwände.
Wir sind der Meinung, Leistung muß gefördert werden, berufliche Selbständigkeit, Risikobereitschaft und dergleichen mehr. Ich frage mich nur: Wie wollen Sie das hinkriegen in einem Land, das sich durch Sicherheitsdenken auszeichnet und manchmal ja auch blockiert? Wie wollen Sie es hinbekommen, daß junge Leute eine Existenz gründen können, daß sie das Wagnis der beruflichen Selbständigkeit eingehen, daß sie die Chancen des Aufstiegs suchen, wenn sie gleichzeitig in Deutschland weder eine mittelstandsorientierte Börse noch einen anständigen Zugang zu Wagniskapital oder Risikofinanzierung oder irgend etwas haben?
Was Sie auf diesem Gebiet geboten haben und jetzt vorhaben, -ist schlicht jämmerlich. Es wird den Herausforderungen der wirtschaftlichen Zukunft in Deutschland nicht gerecht.
Drittens. Wir wollen Normalverdiener und Leistungsträger entlasten. Es tut mir herzlich leid, aber für mich ist ein Mensch, der sehr viel Geld auf der Bank liegen hat, im Zweifel der Erbe eines Leistungsträgers, aber nicht unbedingt selbst ein Leistungsträger.
Für mich sind die Leute, die arbeiten gehen, die Facharbeiter, die Ingenieure, die Handwerker, die Polizeibeamten, die Krankenschwestern, die eigentlichen Leistungsträger dieses Landes, und die wollen wir entlasten.
Da sage ich mit kritischem Blick sowohl auf die Union wie auch auf die Grünen: Redet bitte schön nicht immer so viel von der Senkung des Spitzensteuersatzes! Fangt mal bei den Leuten an, die bei einem normalen Einkommen einen Eingangssteuersatz von knapp 26 Prozent haben!
- Ist doch in Ordnung. Daß die Grünen in einer gewissen Gefahr sind, sich allzu egoliberal den F.D.P.lern anzunähern, ist unbestritten.
Auch der Abgeordnete Joschka Fischer muß bei aller Freundschaft aushalten, daß sich Sozialdemokraten auch mit grüner Politik kritisch auseinandersetzen. Ihr seid ja keine Unberührbaren.
Wichtiger aber ist mir folgendes: In einer solchen Zeit eine langfristige Konsolidierung des Sozialstaats zu betreiben, das setzt die Bereitschaft voraus, unbefangen darüber nachzudenken, was noch geht. Für die Sozialdemokratie stellt sich die Herausforderung - daraus machen wir auch gar keinen Hehl -, zu sagen: Wir können nicht mehr mit dem Status quo des Jahres 1982, sondern wir müssen mit dem Status quo des Jahres 1996 anfangen, also schlicht die eingetretene Realität als Ausgangspunkt nehmen. Wir können nicht daran vorbeisehen, daß Sie 13, 14 Jahre Politik gemacht haben, mit erheblichen Folgen für arbeitende Menschen, für sozial Schwächere usw.
Deswegen sagen wir auch völlig offen: Forderungen nach Verbesserungen beispielsweise der Lohnersatzleistungen haben wir fallengelassen. Es gibt Bereiche, in denen der Sozialstaat dringend der langfristigen Konsolidierung bedarf. Mein Freund Oskar Lafontaine hat über die Sozialhilfe gesprochen.
- Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß es in Ihrer Partei unmöglich ist, daß man eine Konkurrenz ausficht
Rudolf Scharping
und trotzdem kollegial und freundschaftlich zusammenarbeitet.
Deswegen ist der Bundeskanzler Dr. Kohl zu einer solch einmaligen Erscheinung geworden, daß Sie sein Abtreten fürchten müssen, weil danach nichts mehr ist.
Wenn die Elefanten - oder man müßte sagen: Buddhas - auf der Wiese trampeln, wächst kein Gras mehr. Das ist nun einmal so. So stark ist der Steuermann allerdings auch wieder nicht, daß Sie jetzt alle hoffen können, in dieser Konstellation noch einmal bis 1998 zu kommen.
Aber ich will zurück zur Sache; die ist mir wichtiger.
Wir wissen, daß manche Bereiche des Sozialstaats, zum Beispiel die Kuren, zum Beispiel die Frage, an die Sie sich auch nicht herantrauen, nämlich Leistungsstrukturen und leistungsgerechte Bezahlung im öffentlichen Dienst, oder bestimmte Privilegien bei der Beihilfe oder bestimmte Bevorzugungen von Beamten bei der Altersversorgung - ich könnte noch einige nennen -, in Ordnung gebracht werden müssen. Dazu sagen Sie nichts.
Sie sagen nur etwas zu den Schwächeren, den Menschen, die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe beziehen. Aber bei denen, die ihre Interessen organisieren können, die Ihnen im Zweifel noch ein bißchen Druck machen, da haben Sie eine absolut zynische Einschätzung, nämlich: Es habe sich in den letzten 12, 13 Jahren herausgestellt - jetzt zum Beispiel am 24. März -, daß man Menschen auf diese Weise ausgrenzen, mies behandeln, ins Abseits drängen könne, und sie würden sich nicht wehren. Ich fürchte, Sie erliegen da einer Illusion; denn das Protestpotential, das gegen diese Art von Politik in Deutschland wachsen wird, wird Ihnen Schwierigkeiten machen. Das wäre egal. Es wird aber auch für die demokratische und soziale Stabilität dieses Landes eine Schwierigkeit bedeuten, wenn Sie so weitermachen.
Meine Damen und Herren, was Sie uns vorlegen - unbeschadet mancher Einzelheiten, über die man dann reden kann; aber es geht hier ja um eine grundsätzliche Richtung -, ist in einer finanziellen, in einer sozialen, in einer wirtschaftlichen Schieflage. Das
Schlimmste ist aber: Es ist in einer so offenkundigen moralischen Schieflage.
Ich will Ihnen ausdrücklich ankündigen, daß wir Ihnen diese Auseinandersetzung weder in wirtschaftlicher noch in finanzieller, noch in sozialer, noch in kultureller Hinsicht ersparen werden. Ich wiederhole: Sie werden keine Zustimmung finden, wenn Sie an dem Unfug und an der wirklichen Obszönität festhalten, das Kindergeld nicht zu erhöhen und gleichzeitig die Vermögensteuer zu beseitigen.
Ich hatte mir im Freistaat Sachsen einigen Ärger zugezogen. Ich gebe zu, meine Bemerkung damals im Deutschen Bundestag war leichtfertig, und manche mußten sie als Verletzung empfinden. Ich hatte damals Kurt Biedenkopf gelobt. Von ihm gibt es den Satz, der Kapitän sei nicht so häufig auf Deck zu sehen - heute konnten wir ihn sehen -, er beschränke seine Tätigkeit darauf, die vielen Löcher im Schiff unter der Wasserlinie abzudichten, um die Sinkgeschwindigkeit zu verringern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, Sie verzeihen mir den Hinweis: Eine klügere, treffendere und kürzere Zusammenfassung Ihrer Politik ist auch mir nicht eingefallen.