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ID1310201900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/102 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 8975 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 8983 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8991 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8999 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 9003 A Dr. Gregor Gysi PDS 9005 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 9009 A Rudolf Scharping SPD 9012 D Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 9016 D Nächste Sitzung 9019 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9021* A Anlage 2 Zeitige Vorlage wichtiger EU-Dokumente in deutscher Sprache; Lösung der Eigentumsfragen zwischen Deutschland und Polen MdlAnfr 19, 20 - Drs 13/4403 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA 9021* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 9022* C 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 26. 4. 96 Antretter, Robert SPD 26. 4. 96 * Barnett, Doris SPD 26. 4. 96 Beck (Köln), Volker Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Beer, Angelika Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Behrendt, Wolfgang SPD 26. 4. 96 * Belle, Meinrad CDU/CSU 26. 4. 96 Bindig, Rudolf SPD 26. 4. 96 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 26. 4. 96 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 4. 96 Gleicke, Iris SPD 26. 4. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 4. 96 Haack (Extertal), SPD 26. 4. 96 * Karl Hermann Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 26. 4. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 26.4. 96 Horn, Erwin SPD 26. 4. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 26. 4. 96 * Jelpke, Ulla PDS 26. 4. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Kauder, Volker CDU/CSU 26. 4. 96 Krause (Dessau), CDU/CSU 26. 4. 96 Wolfgang Kuhlwein, Eckart SPD 26. 4. 96 Labsch, Werner SPD 26. 4. 96 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 26. 4. 96 Lederer, Andrea PDS 26. 4. 96 Lemke, Steffi Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Lummer, Heinrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 4. 96 Erich Marten, Günter CDU/CSU 26.4. 96 Mehl, Ulrike SPD 26. 4. 96 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 26. 4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 26.4. 96 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nelle, Engelbert CDU/CSU 26. 4. 96 Özdemir, Cern Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Probst, Albert CDU/CSU 26. 4. 96 * Reschke, Otto SPD 26. 4. 96 Dr. Rieder, Norbert CDU/CSU 26. 4. 96 Rixe, Günter SPD 26. 4. 96 Dr. Rochlitz, Jürgen Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 4. 96 * Schlauch, Rezzo Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen von Schmude, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * Schumann, Ilse SPD 26. 4. 96 Schwanitz, Rolf SPD 26. 4. 96 Steenblock, Rainder Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Steindor, Marina Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Such, Manfred Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Terborg, Margitta SPD 26. 4. 96 * Tröger, Gottfried CDU/CSU 26. 4. 96 Vosen, Josef SPD 26. 4. 96 Wallow, Hans SPD 26. 4. 96 Weis (Stendal), Reinhard SPD 26. 4. 96 Wiefelspütz, Dieter SPD 26. 4. 96 Wonneberger, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * * Zierer, Benno CDU/CSU 26. 4. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 19 und 20): Was unternimmt die Bundesregierung, damit wichtige EU-Dokumente zeitgleich nicht nur in englischer und französischer, sondern auch in deutscher Sprache vorgelegt werden? 9022* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Was unternimmt die Bundesregierung, damit die kürzlich vom polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau" als „großes Problem" angesprochene Eigentumsfrage einvernehmlich zwischen Deutschland und Polen gelöst wird? Zu Frage 19: Nach der Verordnung Nr. 1 von 1958 sind alle Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen der EU. Das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft wird in allen Sprachen gleichzeitig ausgeliefert und liegt damit in deutscher Sprache zum gleichen Zeitpunkt wie z. B. auch in Englisch und Französisch oder den anderen Sprachen der Gemeinschaft vor. Ebenso liegen die Dokumente, über die Rat und Kommission verhandeln, stets in deutscher Sprache vor. Abweichungen von dieser Regel werden in jedem Einzelfall von der Bundesregierung aufgenommen und umgehend behoben. Die Organe der Europäischen Union erkennen den Bedarf für Deutsch an; die deutschen Übersetzer stellen im Übersetzungsdienst der Kommission die größte Gruppe. Die Bundesregierung erhält allerdings auch häufig Entwürfe, die in englischer oder französischer Sprache abgefaßt sind. Das hängt damit zusammen, daß die Bediensteten von Kommission und Rat in der täglichen Praxis ohne Dolmetschung arbeiten müssen und Deutsch als Fremdsprache sehr viel weniger gesprochen und verstanden wird als Englisch und Französisch. Deshalb bemüht sich die Bundesregierung mit aktiver Unterstützung der Kommission und der Länder, durch Sprachkurse für höhere Bedienstete der europäischen Institutionen in Deutschland die Deutschkenntnisse bei den EU-Bediensteten zu fördern. Gemeinsam mit Frankreich setzt sich die Bundesregierung für eine Änderung der Einstellungsvoraussetzungen im Statut der Europäischen Beamten ein: Bewerber sollen danach über vertiefte Kenntnisse einer Gemeinschaftssprache und zufriedenstellende Kenntnisse in zwei weiteren Gemeinschaftssprachen - nicht wie bisher nur: in einer - verfügen. Wir erhoffen uns hiervon, daß Bewerber als dritte Sprache häufig auch Deutsch wählen werden. Zu Frage 20: Die Bundesregierung begrüßt, daß der Präsident Polens das Thema der entschädigungslosen Enteignung der Vertriebenen offen ansprach. Er hat allerdings in dem von Ihnen zitierten Interview gleichzeitig gesagt: „... ich befürchte, daß diesbezügliche Entscheidungen Spannungen hervorrufen würden, derer wir nicht Herr werden können. " Die Haltung der Bundesregierung in der Vermögensfrage, die auch die Bereitschaft einschließt, dieses Thema zum geeigneten Zeitpunkt in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen, ist Ihnen bekannt. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksachen 13/2995, 13/3528 Nr. 1.1 Drucksachen 13/3124, 13/3528 Nr. 1.4 Drucksachen 13/3275, 13/3528 Nr. 1.7 Drucksachen 13/3096, 13/3664 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksachen 12/8336, 13/725 Nr. 42 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 12/4733, 13/725 Nr. 29 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.4 Drucksache 13/3668 Nr. 1.5 Drucksache 13/3668 Nr. 1.6 Drucksache 13/3668 Nr. 1.7 Drucksache 13/3668 Nr. 1.8 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 1.1 Drucksache 13/3790 Nr. 2.4 Drucksache 13/3790 Nr. 2.5 Drucksache 13/3790 Nr. 2.6 Drucksache 13/3938 Nr. 2.18 Drucksache 13/4137 Nr. 2.17 Drucksache 13/4137 Nr. 2.24 Drucksache 13/4137 Nr. 2.25 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/3668 Nr. 2.16 Drucksache 13/3668 Nr. 2.25 Drucksache 13/3668 Nr. 2.49 Drucksache 13/3790 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.23 Drucksache 13/3938 Nr. 2.26 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/3529 Nr. 1.7 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2306 Nr. 2.29 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/3529 Nr. 1.3 Drucksache 13/3668 Nr. 2.59 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.6
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Theodor Waigel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben Herrn Peffekoven zitiert. Wenn Sie die Beurteilungen und die Mitwirkungen des Herrn Professors Peffekoven in allen Bereichen einmal solide und zusammenhängend darstellen würden, wäre erkennbar, daß das ganz sicher keine Unterstützung Ihrer Finanzpolitik ist.
    Wenn er kritisiert, daß da und dort die Stetigkeit fehlt, dann deswegen, weil wir im Bundesrat daran gehindert worden sind,

    (Widerspruch bei der SPD)

    vieles zur Konsolidierung durchzuführen. Und wenn Sie jetzt im Bundesrat die notwendigen Entlastungen der Länder und der Kommunen durch das Asylbewerberleistungsgesetz und die Reform des Sozialhilferechts verzögert und nicht rechtzeitig in Gang gesetzt haben, dann tragen Sie mit die Verantwortung dafür, daß die Konsolidierung nicht schon im Jahre 1996 in dem Umfang stattfindet, wie sie hätte stattfinden können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Sie haben dann wieder das Einkommensteuerrecht zitiert. Es ist schade, daß Herr Bürgermeister Voscherau nicht da ist. Ich hätte von ihm ganz gern einmal eine detaillierte Aufstellung über die Millionäre in Hamburg gehabt. Man kann nicht nur ein Wort in die Debatte werfen und dann die Begründung schuldig bleiben und damit die Emotionalität schüren. Das ist keine seriöse und keine ehrliche Steuer- und Finanzpolitik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Vollends scheinheilig ist es, wenn Sie sich wieder hinter Herrn Professor Bareis und die Kommission stellen. Gehen Sie einmal Punkt für Punkt die Gegenfinanzierungsvorschläge durch, und sagen Sie, ob Sie den Abbau der Steuerfreiheit von Nachtarbeits- und Sonntagszuschlägen, steuerliche Verschlechterungen im Gemeinnützigkeitsbereich, die Nichtabzugsfähigkeit der Kirchensteuer, ob Sie das alles wollen! Dann unterhalten wir uns weiter.
    Übrigens, was die Steuerpolitik anbelangt, sind Sie geradezu das personifizierte Steuerpolitikhindernis. Die Konjunktur wäre in diesem Jahr anders gelaufen, wenn wir die Unternehmensteuerreform, wenn wir den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer und die
    Verbesserung der Gewerbeertragsteuer rechtzeitig zum 1. Januar 1996 hätten in Kraft setzen können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dann wundere ich mich über eine merkwürdige Doppelzüngigkeit. Auf der einen Seite wird Abbau der Vergünstigungen und damit Herabsetzung des Steuersatzes verlangt. Dann bieten wir an einem Punkt eine aufkommensneutrale Verbesserung der Unternehmensteuerstruktur an, und zwar in einem Bereich, in dem wir Weltspitze sind, nämlich bei den Sätzen für die degressive Abschreibung: 30 Prozent in Deutschland, höchstens zwischen 10 und 20 Prozent in allen anderen Ländern. Wenn wir das auf eine breitere Grundlage stellen und damit sehr schnell Abgaben oder Steuern abschaffen wollen, dann müssen Sie doch bereit sein, spätestens im Jahre 1997, nämlich dann, wenn die Konjunktur wieder läuft, wenn auch die Investitionskonjunktur wieder läuft, den Bereich an Gegenfinanzierung anders zu beurteilen, als Sie das im Augenblick tun.
    Meine Damen und Herren, ich bin gern bereit, mit Ihnen, Herr Lafontaine, eine Diskussion über die versicherungsfremden Leistungen zu führen. Nur muß sie ehrlich erfolgen. Damit ist nämlich keine Abgabenentlastung verbunden, sondern das ist eine Verschiebung. Dann muß man darüber diskutieren, wo versicherungsfremde Leistungen Eingang in die sozialen Sicherungssysteme gefunden haben. Bei der Finanzierung der Einheit jedenfalls nicht. 80 Prozent der Einheitskosten sind steuerfinanziert. Wollen Sie denn die Knappschaft - das Saarland ist ja auch betroffen - möglicherweise rückwirkend für die letzten 20 Jahre dagegenstellen, die landwirtschaftliche Sozialpolitik, die Arbeitslosenhilfe? Und berücksichtigen Sie überhaupt nicht den 20prozentigen Rentenzuschuß? Tun Sie doch nicht so, als ob das die Lösung der Probleme wäre!
    Was die Schuldenhöhe anbelangt: 1995 hatten wir, gemessen am BIP, 58 Prozent Schuldenstandsquote. Zu einem Zeitpunkt, als es schwierig war, in Deutschland Finanzpolitik zu machen, haben wir mit der Privatisierung der Bundesbahn und der Regionalisierung etwas, wie ich meine, strukturell Wichtiges und Vernünftiges gemacht.

    (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])

    Dabei haben wir die Länder noch gut ausgestattet.
    Nur, wir haben die Schulden in den Bundeshaushalt übernommen, damit dies überhaupt möglich war. Diese Schulden spiegeln sich jetzt natürlich in den Kennziffern wieder. Die Bahnschulden können wir also aus der Quote herausrechnen.
    Wir müssen die Schuldenstandsquote auch um die Lasten der Einheit bereinigen. Herr Gysi, wenn wir die Kosten der Einheit darstellen, dann ist dies kein Vorwurf gegenüber den Menschen in den neuen Bundesländern. Im Gegenteil, wir sagen, daß mit ihrer Leistung in den neuen Bundesländern der gleiche Stand erreicht worden wäre wie in den alten Bundesländern. Sie haben aber unter der verbrecherischen

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Politik Ihrer Vorgänger gelitten, mit denen Sie in einem direkten Zusammenhang stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Fischer, was die Annahmen des BMF anbelangt: Ich kann Ihnen nur sagen - wenn Sie zu telefonieren aufhören -, daß wir von den Annahmen der offiziellen Steuerschätzung ausgehen. Im Mai des vergangenen Jahres hat die Steuerschätzung stattgefunden, die für den jetzigen Finanzplan erforderlich ist. Jetzt findet wieder eine Steuerschätzung statt, die für den nächsten Finanzplan zugrunde gelegt wird. Wir nehmen für den Haushalt und den Finanzplan jedesmal die Steuerschätzung, die dafür vorgesehen ist. Sie wird von Bund, Ländern und der Bundesbank unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Forschungsinstitute erstellt. Objektiver kann man das nicht machen.
    Nun hat Herr Fischer wieder vorgeschlagen, eine Steuer auf Spekulationsgewinne einzuführen. Darüber könnte man durchaus reden, wenn es Sinn machte. Nur, wer den Finanzplatz Deutschland, den Finanzplatz Frankfurt, erhalten will, der muß sich darüber im klaren sein, daß wir bei der bestehenden Freiheit des Kapitalverkehrs in Europa nur eines erreichen, nämlich daß der Verkauf dann in London stattfindet und nicht mehr in Frankfurt. Wollen wir damit wirklich den Finanzplatz Deutschland ruinieren? Sie haben doch einen Kämmerer in Frankfurt gehabt, der ein Minimum an Finanzkenntnissen hat. Vielleicht können Sie sich mit ihm zu einem Privatissimum treffen, um gemeinsam zu überlegen, welche Auswirkungen das auf Deutschland hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das lassen wir alles beiseite und kürzen bei der Sozialhilfe!)

    Herr Gysi, es lohnt sich eigentlich nicht, auf Sie einzugehen. Sie haben aber etwas über die Rentner, auch die der früheren DDR, gesagt. Unter dem früheren Regime waren die Rentner in der DDR die ärmsten Menschen. Wir haben ihnen durch eine Steigerung der Rente, die sich sehen lassen kann, die Menschenwürde wiedergegeben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Mit diesem Konsolidierungs- und Strukturreformpaket stellen die Koalition und die Bundesregierung die Weichen für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wir greifen die strukturellen Schwächen des Standorts Deutschland auf. Sie stehen im Mittelpunkt. Wir müssen gemeinsam mit den Tarifpartnern alles tun, um sie zu beseitigen.
    Die Staatsquote ist zu hoch. Dies ist nicht durch eine ausufernde Staatspolitik entstanden, sondern indem wir eine ganze Volkswirtschaft übernommen haben. Bis zum Jahr 2000 müssen wir die Staatsquote wieder auf den Stand vor der Wiedervereinigung, auf etwa 46 Prozent, senken. Wir müssen im Rahmen einer symmetrischen Finanzpolitik den einen Teil für die Reduzierung der Steuer- und Abgabenlast und den anderen Teil für die Reduzierung der Defizite verwenden.
    Angesichts einer 25jährigen Erfahrung in Deutschland und in anderen Ländern wissen wir, daß auf Grund globaler Märkte Fehler in der Struktur sofort bestraft werden: Absatzverlust, steigende Preise, steigende Zinsen, weichere Währung, weniger Wachstum und mehr Arbeitslosigkeit.
    Die Erfahrung in Deutschland und in allen G-7-Ländern sowie der Europäischen Union zeigt, daß eine solche Konsolidierung nicht nur mittel- und langfristig, sondern auch kurzfristig auf die Konjunktur und auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze wirkt. Es ist völlig übereinstimmend mit der zwischenzeitlichen Meinung im internationalen Währungsfonds und in der Gruppe der G 7.
    Die SPD muß sich entscheiden, was sie will: höhere Schulden, wie es der Vorsitzende des Haushaltsausschusses angedeutet hat, oder ob man von zu hoher Staatsverschuldung spricht wie Frau Matthäus-Maier oder ob man wie Herr Scharping die Vermögensabgabe fordert. Ich nehme an, Sie werden dazu nachher sicher noch einiges sagen.
    Nur, Herr Scharping, meine Frage an Sie ist: Wollen Sie wirklich eine Verteuerung des Kapitals und damit eine Zinserhöhung, was folglich negative Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen hätte? Haben Sie eigentlich bedacht, daß das Bundesverfassungsgericht eben festgestellt hat, daß hohe Kapitalvermögen wegen der hohen Ertragsteuerbelastung nicht zusätzlich mit einer Substanzabgabe belastet werden dürfen?

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber die Ausnahmeregelung war doch da!)

    Ich finde, das war ein Schnellschuß von Ihnen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein!)

    Sie sollten sich noch einmal gut überlegen, ob Sie das in der Diskussion aufrecht erhalten.
    Zwischenzeitlich weiß doch jeder, mit einer steuerfinanzierten Nachfrageerhöhung sind die Probleme nicht mehr zu lösen. Das haben die 70er Jahre gezeigt. Nur Konsolidierung schafft Wachstum. Der positive Zusammenhang zwischen Konsolidierung und Wachstum gilt auch kurzfristig.
    Lassen Sie mich einmal das Beispiel einiger anderer Länder darstellen. In Österreich soll das Budgetdefizit des Bundes in den Jahren 1996 und 1997 von jetzt 5 auf 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verringert werden. Das bedeutet Einsparungen pro Jahr in Höhe von 1,4 Prozent des BIP. Im öffentlichen Dienst gilt eine zweijährige Nullrunde mit Reallohnverzicht. Daneben gibt es Einschnitte bei den Frühpensionen, den Renten und bei der Arbeitslosenversicherung.
    In Schweden soll der Haushalt bis 1998 ausgeglichen werden, ausgehend von einem Defizit in Höhe von 10,5 Prozent des BIP. Das bedeutet Einsparungen von jährlich etwa 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Schwerpunkte der Ausgabenkürzungen liegen im Personalbereich und bei den Sozialausgaben.

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    Auch in Finnland wird bis Ende 1997 ein ausgeglichener Gesamthaushalt angestrebt. Im Zentralbudget 1996 beträgt das Einsparvolumen 1,9 Prozent des BIP. Einsparbereiche sind die Renten und die Arbeitslosenunterstützung.
    Sehr nah bei uns liegen die Niederlande. Sie haben einen Ministerpräsidenten - er war früher Finanzminister, kommt aus dem sozialistischen Bereich und war Gewerkschaftsvorsitzender. Dort ist für den Zeitraum 1995 bis 1998 ein Einsparvolumen von 2,75 BIP-Punkten zu erzielen. Gespart wird im Gesundheitswesen, bei den Renten, beim Kindergeld, bei sonstigen Sozialleistungen. Die Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst der Niederlande lagen 1994 bei nominal null Prozent, 1995 bei 0,5 Prozent, und für 1996 sind zum 1. Oktober 0,75 Prozent vereinbart.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na und?)

    - Sie sagen „Na und" ! Ich bitte Sie, endlich mal dem Beispiel von Wim Kok zu folgen, das in Ihre Politik umzusetzen und es auch gegenüber den Tarifpartnern zum Ausdruck zu bringen. Dann wären wir nämlich sehr viel weiter.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Unsere gestern gefaßten Beschlüsse liegen mit einem Sparvolumen von 50 Milliarden DM für den öffentlichen Gesamthaushalt oder 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Rahmen dessen, was sich auch andere Länder zutrauen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Erhöhen Sie einmal die Vermögensteuer wie in Schweden!)

    Für den Haushalt 1996 bleiben wir bei einer Defizitgrößenordnung von rund 60 Milliarden DM. Trotz der Einsparungen ist das Budget auch unter Berücksichtigung der Nettoentlastung des privaten Verbrauchs um 15 bis 20 Milliarden DM durch das Jahressteuergesetz 1996 und den Wegfall des Kohlepfennigs insgesamt konjunkturgerecht. Von einer Überkonsolidierung oder von einem „Kaputtsparen" kann überhaupt keine Rede sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wer wie Sie von der Opposition die notwendigen Strukturreformen im Sozialbereich als „Sozialabbau" diffamiert, hat im Gegensatz zu vielen Bürgern den Ernst der Lage nicht verstanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Die Bürger wissen sehr wohl: Dies ist notwendig. Sie sind auch bereit, ihren Beitrag zu erbringen, weil sie sich der Verantwortung für ihr eigenes Leben, für das Gemeinwohl und für die nächste Generation durchaus bewußt sind. Wir setzen auf die Vernunft der Menschen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Mit dem Einstieg in notwendige Strukturreformen, in mehr Flexibilität und Eigenverantwortung brechen wir die Ausgaben- und Abgabendynamik, die bisher eine deutliche Senkung der Lohnnebenkosten verhindert. Mit den Änderungen bei der Lohnfortzahlung, beim Kündigungsschutz und bei den befristeten Arbeitsverhältnissen räumen wir entscheidende Bremsklötze für Neueinstellungen aus dem Weg, gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)

    Dieses Konsolidierungspaket entlastet auch Länder und Gemeinden deutlich. Es trägt wesentlich dazu bei, daß die Länder ihren Konsolidierungsbeitrag von 25 Milliarden DM erbringen können. Damit passen die Maßnahmen genau zu den bereits von vielen Bundesländern eingeleiteten, zum Teil drastischen Sparmaßnahmen, die von Haushaltssperren über Kürzungen im gesamten Budget bis hin zu einem deutlichen Personalabbau reichen.
    Neben dem, was in dem Konzept steht, muß natürlich auch gesehen werden, welche Entlastungen die Kommunen und damit indirekt auch die Länder durch die Einführung der Pflegeversicherung haben. Das ist eine der größten Entlastungen gerade im kommunalen Bereich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Steuerpolitisch geht es jetzt um die Verwirklichung des abgekoppelten Teils des Jahressteuergesetzes 1996, um die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und eine mittelstandsfreundliche Senkung der Gewerbeertragsteuer bei vollem Ausgleich der Einnahmeausfälle der Gemeinden durch Beteiligung am Aufkommen der Umsatzsteuer. Ich bin sehr froh, daß die Kommunen, vor allen Dingen vertreten durch die kommunalen Spitzenverbände, sehr klar erkannt haben, daß dies ihre große Chance ist, die Finanzausstattung der Kommunen dauerhaft qualitativ und auch quantitativ zu verbessern.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir gehen einen wichtigen Schritt im Hinblick auf Mittelstandsverbesserung und Eigenkapitalausstattung durch die Verbesserung des § 7 g des Einkommensteuergesetzes. Wir werden den Solidaritätszuschlag absenken, und zwar zum 1. Januar 1997 auf 6,5 Prozent und zum 1. Januar 1998 auf 5,5 Prozent.
    Die Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer wird sozial ausgewogen erfolgen. Dabei werden wir dem Umstand Rechnung tragen, daß die Vermögensteuer auf Privatvermögen entfällt, und zwar genau aus den Gründen, die Wolfgang Schäuble vorhin dargestellt hat. Wir wären doch wirklich von allen guten Geistern verlassen, nur den erhebungsaufwendigsten Teil einer Steuer weiter zu erheben im Wissen darum, daß dafür in den nächsten Jahren entweder eine neue Hauptfeststellung bei der Einheitsbewertung oder eine riesige Bedarfsbewertung stattfinden muß, und im Wissen darum, daß die Stellen bei den Ländern knapp sind und daß wir sehr gut ausgebildete Finanzbeamte sehr wohl für andere Dinge, nicht zuletzt bei der Betriebsprüfung, dringend benötigen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Dieser private Teil der Vermögensteuer wird mit der Erbschaftsteuer zusammengefaßt. Dies ist durch

    Bundesminister Dr. Theodor Waigel
    eine Veränderung der Struktur des Erbschaftsteuertarifs möglich. Sie werden damit keine Möglichkeit haben, sich ein neues Verhetzungspotential aufzubauen. Sie werden sich nicht - wie früher beim Jäger 90 - ein Thema suchen können, das Sie uns dann in jeder Debatte vorhalten. Nein, wir sind sicher: Der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer, der Wegfall der Vermögensteuer, die Verbesserung der Gewerbeertragsteuer, die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer und eine vernünftige Gestaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind wichtige, positive Signale für Deutschland und seine Zukunftsfähigkeit sowie für die Investitionsbereitschaft gerade der Unternehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Herr Scharping, denken Sie doch noch einmal darüber nach, was uns eigentlich die Verdoppelung des Vermögensteuersatzes für Private, damals im Solidarpakt, gebracht hat: eine Verlagerung von Kapital, eine Umschichtung in den Haushalten und weniger diesbezügliche Möglichkeiten für uns. Wer mit dem Kapital so umgeht, wie Sie es tun, der muß bei einem freien Kapitalverkehr in Europa fürchten, daß das Kapital Deutschland verläßt. Das ist so ziemlich das letzte. Wir brauchen attraktive Bedingungen, damit Kapital wieder verstärkt nach Deutschland kommt und deutsches Kapital in Deutschland bleibt. Das ist unsere Politik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Meine Damen und Herren, wir werden auch unseren Kurs fortsetzen, fragwürdig gewordene Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen zurückzuschneiden. Allein in den letzten sechs Jahren haben wir Steuersubventionen in der Größenordnung von über 40 Milliarden DM in Deutschland abgebaut. Wir werden das fortsetzen. Wir denken an die Sonderabschreibungen für Schiffe und Flugzeuge, für die es meines Erachtens keinen Raum mehr gibt. Wir wollen und müssen gemeinsam mit den Ländern
    - aber da besteht die Mehrheit aus SPD-Finanzministern - noch verstärkt gegen Steuerbetrug und Steuergestaltungsmißbrauch angehen.

    (Lachen bei Abgeordneten der SPD)

    - Wir sind dazu bereit. Reden Sie doch endlich mit Ihren Länderfinanzministern!
    Herr Scharping, wir haben doch damals bei der Diskussion um einen Ausgleich für die mit dem Solidarpakt verbundenen Belastungen die Finanzminister gebeten, uns Vorschläge dazu zu machen, was mehr getan werden könnte. Dann sind Herr Schleußer und andere zurückgekommen und haben gesagt, das sei eine Illusion und die Summen, die genannt würden, seien schlichtweg Humbug; sie könnten nicht mehr tun.
    Lachen Sie doch nicht und unterhalten Sie sich mit den Leuten, die von dem Thema offensichtlich mehr als Sie verstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Wir wollen eine deutliche Verbreiterung der Bemessensgrundlage, und wir wollen dies durch eine umfassende Reform der Einkommensteuer verwirklichen. Daran werden wir in den nächsten Wochen und Monaten intensiv arbeiten. Ziel ist, die Steuerreform zum 1. Januar 1999 in Kraft zu setzen.
    Bei der Gelegenheit werden wir auch das vom Bundesrat angestoßene Thema „Dienstwagen und Verpflegungspauschsätze" noch einmal diskutieren. Wir sind für Verbesserungsvorschläge durchaus aufgeschlossen. Nur wünsche ich mir dann schon, daß man nicht nur Vereinfachungen und Verringerungen von Pauschsätzen will, sondern daß man dann, wenn andere es tun, es akzeptiert und keine neuen Initiativen in Gang setzt.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Recht hat er!)

    Meine Damen und Herren, der Wohlfahrts- und Steuerstaat - das müssen wir alle konstatieren - hat seine Grenzen erreicht. Wir können die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft - dazu gehört neben einem hohen individuellen und sozialen Lebensstandard auch die persönliche Freiheit und sozialer Gemeinsinn - im 21. Jahrhundert nur bewahren, wenn wir nicht kleinkariert Einzel- und Gruppeninteressen verteidigen. Mit diesem Programm für den Standort Deutschland im 21. Jahrhundert pakken wir die Wachstumsprobleme entschlossen an, schaffen die politischen Rahmenbedingungen für einen neuen Aufschwung und vermeiden unzumutbare Härten. Wir stellen uns damit der Gegenwart und der Zukunft.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Scharping


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage ist ernst, in mancher Hinsicht ist sie dramatisch. Sie ist ernst wegen der wirtschaftlichen Entwicklung, wegen der finanziellen Folgen für die öffentlichen Haushalte, wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt und vieler anderer Umstände. In dieser Situation muß es Änderungen geben. Der Streit geht nicht um die Frage, ob es Änderungen geben muß, sondern darum, in welche Richtung sie gehen. Der Streit geht nicht um die Frage, ob man in einer krisenhaften Situation Chancen entwickelt, sondern um die Frage, ob diese Regierung fähig ist, für das Land insgesamt Chancen zu entwickeln,

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    und ob sie eine neue, eine moderne, eine soziale Demokratie wirtschaftlich und kulturell begründen und die Kräfte bündeln kann, fernab der Tatsache, daß diese Regierung vor dem 24. März die Öffentlichkeit,

    Rudolf Scharping
    das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger belogen hat.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    Fernab dieser Tatsache mache ich auf eines aufmerksam: Mit der Bereitschaft der Gewerkschaften, strukturelle, tiefgreifende Reformen im Sinne von Beschäftigung und Wachstum mitzutragen, mit der Einsicht der Wohlfahrtsverbände und Kirchen, im Zweifel auch noch mit einem Angebot der Opposition spielt man nicht taktisch. Genau das aber haben Sie getan.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])

    Sie vertun eine enorme Chance und fallen zurück in den alten Trott. Sie machen aus einem Holzweg einen Trampelpfad Ihrer Politik!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Und ich sage das in allem Ernst; denn wer dauernd nach Auswegen sucht, landet am Ende in der Ausweglosigkeit. Ihre Politik ist in der Ausweglosigkeit gelandet.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    In einem Land mit acht Millionen Menschen, die als arm gelten, mit sechs Millionen Menschen, die mit irgendeiner Form von öffentlicher Unterstützung leben, mehr als vier Millionen Menschen, die arbeitslos sind, mehr als zwei Millionen Menschen, die eine preiswerte Wohnung suchen, mehr als einer halben Million Kinder, die ohne anständiges Dach über dem Kopf leben, häufig sogar auf der Straße leben müssen usw. usw., Herr Bundeskanzler, in einem solchen Land, das unbestritten Reichtum hat und Chancen bietet, aber mit dem Reichtum und den Chancen ungleich und ungerecht umgeht, dank Ihrer Politik,

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    sich in einem solchen Land, Herr Bundeskanzler, hinzustellen und von einer ungeheuer erfolgreichen Politik zu reden, das muß den betroffenen Menschen und den vielen anderen, die sich Sorgen machen, wie Hohn und wie selbstgefällige Arroganz in den Ohren klingen!

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ich finde, so mobilisiert man keine Kräfte.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Und dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie davon geredet, man dürfe sich in einer solchen Situation nicht an Besitzständen festhalten. Ja, welche Besitzstände meinen Sie denn da? Die Besitzstände derer, denen Sie die Lohnersatzleistungen seit mehreren
    Jahren gekürzt haben und erneut kürzen wollen? Die Besitzstände derer, die hoffen, daß es eine intelligente Lösung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gibt statt der pauschalen Bestrafung aller, die krank geworden sind?

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Besitzstände jener Menschen, die Kinder alleine erziehen?
    Ich finde es - und ich sage das auch hier im Parlament - eine Obszönität, daß die Erhöhung des Kindergeldes ausgesetzt werden soll und Sie gleichzeitig die Vermögensteuer abschaffen wollen. Das ist eine soziale Obszönität!

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Und dann wird ja fröhlich immer an den falschen Fronten gefochten. Ich nenne Ihnen fast wahllos einige Beispiele:
    Da kommt der Bundesfinanzminister und sagt, die SPD müsse endlich mal die Frage beantworten, ob sie mehr Kreditaufnahme wolle. Zunächst, damit Sie Ihre Antwort haben: Wir sind der Auffassung, daß man die 160 Milliarden Mark Kosten der Arbeitslosigkeit nicht durch Ausgabenkürzung hereinholen kann. Das ist völlig ausgeschlossen.

    (Beifall bei der SPD)

    Man muß den Sozialstaat langfristig konsolidieren, ja, aber ich sage einmal: Lügen Sie doch nicht sich, dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit in die Tasche! Ich habe hier einen Vermerk Ihrer Arbeitsgruppe Haushalt. Da steht: Im Bundeshaushalt 1997 beträgt nach derzeitigem Stand die Deckungslücke 30 Milliarden. Diese resultiert aus Steuermindereinnahmen usw. Diese Deckungslücke soll in Höhe von 25 Milliarden durch Einsparungen und in Höhe von 5 Milliarden durch eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme geschlossen werden.
    Meine Damen und Herren, es ist unredlich, eine Täuschung der Öffentlichkeit und für die weitere Debatte auch nicht gerade fruchtbar, uns vorzuwerfen, wir wollten die Erhöhung der Nettokreditaufnahme, während Ihre Arbeitsgruppen fröhlich vereinbaren, wir reden nur von 25 Milliarden und verschweigen die 5 Milliarden, die wir zusätzlich beim Kredit aufpacken wollen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: Standortfaktoren. Die Arbeitgeber, nicht die SPD, nicht die Gewerkschaften und nicht irgend jemand sonst, sagen: Für den Standort sind erstens Qualifikation, zweitens technisches Wissen, drittens Arbeitsproduktivität, viertens effektives Management, fünftens Abgabenquote besonders wichtig. Irgendwo bei zwölftens oder dreizehntes kommen die Arbeitskosten.
    Abgabenquote: Nie zuvor hat eine Regierung in der Bundesrepublik Deutschland die Abgabenquote

    Rudolf Scharping
    so hoch getrieben wie diese. Das ist die Folge ihrer Feigheit, dem Steuerzahler die Wahrheit zu sagen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie sagen: Die Arbeitskosten in Deutschland sind zu hoch. Das heißt nichts anderes, als daß der Bock, sich als Gärtner gerierend, die Folgen seiner eigenen Untaten beklagt.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Arbeitskosten in Deutschland sind nicht zu hoch, wohl aber die Abgaben auf die Arbeit.
    Ich frage Sie in allem Ernst, ob Ihnen in einer exportorientierten Nation, die Nachfrage im eigenen Land zur wirtschaftlichen Belebung braucht, nicht etwas auffällt, wenn Sie sich folgendes anhören: Die Lohnquote der Arbeitnehmer, also ihr Anteil am gemeinsam Erwirtschafteten, beträgt in Japan 75 Prozent, in den USA und Großbritannien 72 Prozent, in der Europäischen Union im Durchschnitt 70 Prozent und in Deutschland 66 Prozent.
    Die Tatsache, daß die Arbeitnehmer durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft seit Jahren - wirtschaftlich gesprochen - keinen wachsenden Ertrag mehr haben, wirkt sich auf der Nachfrageseite unserer Wirtschaft aus und hat zur logischen Konsequenz, daß wir in wirtschaftliche Schwächen hineinrennen. Wenn Sie diesen Prozeß fortsetzen, werden Sie die wirtschaftlichen Schwächen fortsetzen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Niemand bestreitet - wir sagen das auch in unserem eigenen Vorschlag -, daß wir die Zukunft sichern und den Zusammenhalt stärken müssen. Jawohl, es muß einiges verändert werden, es muß langfristig konsolidiert werden, aber dann bitte auch auf allen Seiten.
    Ich habe von unhaltbaren Zuständen gesprochen und ein bestimmtes politisches Vorhaben obszön genannt. Es ist am 14. Februar 1996 ein Urteil des Bundesfinanzhofs auf der Grundlage geltender Gesetze in Deutschland ergangen. Die Anschaffungskosten für ein in ein Einfamilienhaus eingebautes Schwimmbad gehören zu den Anschaffungskosten des Gebäudes und damit zur Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag nach § 10e Einkommensteuergesetz.
    Das heißt in schlichtem Deutsch folgendes: Wir haben es hier mit einer Koalition zu tun, die bereit ist, die Erhöhung des Kindergeldes auszusetzen, die aber unfähig ist, die Anschaffungskosten für ein privates Schwimmbad aus der Wohnungsbauförderung herauszunehmen. Das nenne ich skandalös.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nun will ich Ihnen noch etwas im Zuge der wahllosen Beispiele - die Redezeit und Ihr Bedürfnis, nach Hause zu kommen, ist eine doppelte Begrenzung dafür, Ihnen jedes denkbare Beispiel zu nennen - zu den Vermögen und ihrer Entwicklung sagen. Wir sind der Auffassung - das ist die erste grundsätzliche Antwort der Sozialdemokratie -: Entlastet die Arbeit von Kosten, sorgt dafür, daß sich der Einsatz von Arbeitskraft stärker lohnt!
    Das hat Folgen für die Lohnnebenkosten, für die Sozialversicherungsbeiträge, für die langfristige Konsolidierung des Sozialstaats, für die Beseitigung struktureller Defizite und für vieles andere. Es muß auch eine Folge in der Frage haben: Was lohnt sich eigentlich in Deutschland? Seine Arbeitskraft einzusetzen bekanntlich nicht, das muß man tun, um leben zu können. Zu investieren lohnt sich zu wenig, das ist auch ein allgemein bekannter Tatbestand, für den Sie leider Verantwortung tragen. Geldvermögen anzusammeln lohnt sich besonders. Das zeigt eine einfache Zahl, und ich nenne sie Ihnen nur für den Westen Deutschlands, weil sich im Osten Deutschlands, wie die Dinge liegen, Vermögen nur in ganz, ganz wenigen Händen ansammeln kann - skandalöse Zustände, wie ich finde, und wirtschaftlich übrigens höchst unvernünftig.
    Wir haben am Ende des Jahres 1994 ausweislich der Antwort der Bundesregierung in Deutschland ein Bruttogeldvermögen von 4 320 Milliarden DM. Auf den Westen Deutschlands entfallen davon 4 038 Milliarden DM. Im Westen Deutschlands ist allein das Geldvermögen - ich rede gar nicht von Grundbesitz und anderem - von 1989 bis 1994 um 40 Prozent gewachsen, um 40 Prozent!
    Wir können ja gern über technische Einzelheiten streiten; aber ich sage nochmals: Schauen Sie sich einmal die Erträge der Vermögen an und fragen Sie sich dann, ob Sie es mit der christlichen Motivation von Politik, mit dem schlichten moralischen Anstand, mit dem Empfinden für Gerechtigkeit oder mit der wirtschaftlichen Vernunft vereinbaren können - ich behaupte, mit keinem der vier Punkte -, daß der Zuwachs von Geldvermögen in der Bundesrepublik Deutschland in fünf Jahren 40 Prozent und der Zuwachs des Wertes der eingesetzten Arbeitskraft null beträgt. Das ist nicht verantwortbar.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nun kommen Sie mir doch nicht mit Ihrem technischen Klunkerkram! Natürlich können wir darüber reden, wie man Freibeträge macht - da haben wir einen Vorschlag gemacht -, wie wir das im einzelnen technisch organisieren usw. Die Tatsache, daß Sie immer technische Einwände erheben, kann doch eines nicht bemänteln: Sie haben den Willen nicht, für sozial gerechte Verhältnisse zu sorgen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Und dann redet der Bundeskanzler mit großer Geste und ebenso großer Selbstgefälligkeit von einer ungeheuer erfolgreichen Politik, davon, daß wir uns nicht an den Besitzständen festhalten dürften.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nicht so künstlich wie Sie!)


    Rudolf Scharping
    Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Antwort ist klar und eindeutig.
    Erstens. Wir wollen die Arbeit von Kosten entlasten, das heißt Lohnnebenkosten senken.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wie machen Sie das?)

    Und wir wollen gleichzeitig dafür sorgen, daß das stilliegende Vermögen und der Verbrauch von Umwelt dazu herangezogen werden.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Zweitens. Wir wollen auf diese Weise einen zukunftsträchtigen Weg eröffnen. Kollege Schäuble hat einen Einwand im Zusammenhang mit den Energiekosten gemacht, den ich ernst nehme. Ich nehme ihn durchaus ernst. Ich möchte aber Sie, Herr Kollege Schäuble, vor allen Dingen jedoch die deutsche Öffentlichkeit darauf hinweisen, daß es in Deutschland nur ganz eingeschränkt bestimmte Branchen gibt - im wesentlichen solche, die Prozeßenergie einsetzen -, in denen der Anteil der Energiekosten höher ist als der Anteil der Lohnkosten. Vor diesem Hintergrund ist jedes Modell, das im selben Umfang Lohnkosten herunterbringt und die Finanzierung über die Energiekosten sucht, für diese Unternehmen ein Vorteil, nicht ein Nachteil.
    Wir haben Ihnen ausdrücklich gesagt: Wir sind bereit, über die Frage der Prozeßenergie, über die Frage möglicher Umbrüche sorgfältig miteinander zu reden. Aber auch das sage ich Ihnen: Es liegt doch nicht an der mangelnden Bereitschaft, über einzelne Fragen zu reden, sondern an Ihrem Unwillen. Sie wollen das nicht, Sie wollen es schlicht nicht und machen deswegen allerlei Vorwände.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wir sind der Meinung, Leistung muß gefördert werden, berufliche Selbständigkeit, Risikobereitschaft und dergleichen mehr. Ich frage mich nur: Wie wollen Sie das hinkriegen in einem Land, das sich durch Sicherheitsdenken auszeichnet und manchmal ja auch blockiert? Wie wollen Sie es hinbekommen, daß junge Leute eine Existenz gründen können, daß sie das Wagnis der beruflichen Selbständigkeit eingehen, daß sie die Chancen des Aufstiegs suchen, wenn sie gleichzeitig in Deutschland weder eine mittelstandsorientierte Börse noch einen anständigen Zugang zu Wagniskapital oder Risikofinanzierung oder irgend etwas haben?
    Was Sie auf diesem Gebiet geboten haben und jetzt vorhaben, -ist schlicht jämmerlich. Es wird den Herausforderungen der wirtschaftlichen Zukunft in Deutschland nicht gerecht.

    (Beifall bei der SPD)

    Drittens. Wir wollen Normalverdiener und Leistungsträger entlasten. Es tut mir herzlich leid, aber für mich ist ein Mensch, der sehr viel Geld auf der Bank liegen hat, im Zweifel der Erbe eines Leistungsträgers, aber nicht unbedingt selbst ein Leistungsträger.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Für mich sind die Leute, die arbeiten gehen, die Facharbeiter, die Ingenieure, die Handwerker, die Polizeibeamten, die Krankenschwestern, die eigentlichen Leistungsträger dieses Landes, und die wollen wir entlasten.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Da sage ich mit kritischem Blick sowohl auf die Union wie auch auf die Grünen: Redet bitte schön nicht immer so viel von der Senkung des Spitzensteuersatzes! Fangt mal bei den Leuten an, die bei einem normalen Einkommen einen Eingangssteuersatz von knapp 26 Prozent haben!

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS] Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen beides! Rudolf, der Westerwelle wird schon ganz unruhig, wenn ihr uns da mit der Union zusammensetzt! Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Gefällt mir alles, Herr Fischer!)

    - Ist doch in Ordnung. Daß die Grünen in einer gewissen Gefahr sind, sich allzu egoliberal den F.D.P.lern anzunähern, ist unbestritten.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Auch der Abgeordnete Joschka Fischer muß bei aller Freundschaft aushalten, daß sich Sozialdemokraten auch mit grüner Politik kritisch auseinandersetzen. Ihr seid ja keine Unberührbaren.

    (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ihr habt eine Ehekrise!)

    Wichtiger aber ist mir folgendes: In einer solchen Zeit eine langfristige Konsolidierung des Sozialstaats zu betreiben, das setzt die Bereitschaft voraus, unbefangen darüber nachzudenken, was noch geht. Für die Sozialdemokratie stellt sich die Herausforderung - daraus machen wir auch gar keinen Hehl -, zu sagen: Wir können nicht mehr mit dem Status quo des Jahres 1982, sondern wir müssen mit dem Status quo des Jahres 1996 anfangen, also schlicht die eingetretene Realität als Ausgangspunkt nehmen. Wir können nicht daran vorbeisehen, daß Sie 13, 14 Jahre Politik gemacht haben, mit erheblichen Folgen für arbeitende Menschen, für sozial Schwächere usw.
    Deswegen sagen wir auch völlig offen: Forderungen nach Verbesserungen beispielsweise der Lohnersatzleistungen haben wir fallengelassen. Es gibt Bereiche, in denen der Sozialstaat dringend der langfristigen Konsolidierung bedarf. Mein Freund Oskar Lafontaine hat über die Sozialhilfe gesprochen.

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    - Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß es in Ihrer Partei unmöglich ist, daß man eine Konkurrenz ausficht

    Rudolf Scharping
    und trotzdem kollegial und freundschaftlich zusammenarbeitet.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Deswegen ist der Bundeskanzler Dr. Kohl zu einer solch einmaligen Erscheinung geworden, daß Sie sein Abtreten fürchten müssen, weil danach nichts mehr ist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundeskanzler hat Erfahrungen mit Männerfreundschaften, früher mit Franz-Josef Strauß!)

    Wenn die Elefanten - oder man müßte sagen: Buddhas - auf der Wiese trampeln, wächst kein Gras mehr. Das ist nun einmal so. So stark ist der Steuermann allerdings auch wieder nicht, daß Sie jetzt alle hoffen können, in dieser Konstellation noch einmal bis 1998 zu kommen.
    Aber ich will zurück zur Sache; die ist mir wichtiger.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das merkt man die ganze Zeit schon!)

    Wir wissen, daß manche Bereiche des Sozialstaats, zum Beispiel die Kuren, zum Beispiel die Frage, an die Sie sich auch nicht herantrauen, nämlich Leistungsstrukturen und leistungsgerechte Bezahlung im öffentlichen Dienst, oder bestimmte Privilegien bei der Beihilfe oder bestimmte Bevorzugungen von Beamten bei der Altersversorgung - ich könnte noch einige nennen -, in Ordnung gebracht werden müssen. Dazu sagen Sie nichts.

    (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Sie aber auch nicht!)

    Sie sagen nur etwas zu den Schwächeren, den Menschen, die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe beziehen. Aber bei denen, die ihre Interessen organisieren können, die Ihnen im Zweifel noch ein bißchen Druck machen, da haben Sie eine absolut zynische Einschätzung, nämlich: Es habe sich in den letzten 12, 13 Jahren herausgestellt - jetzt zum Beispiel am 24. März -, daß man Menschen auf diese Weise ausgrenzen, mies behandeln, ins Abseits drängen könne, und sie würden sich nicht wehren. Ich fürchte, Sie erliegen da einer Illusion; denn das Protestpotential, das gegen diese Art von Politik in Deutschland wachsen wird, wird Ihnen Schwierigkeiten machen. Das wäre egal. Es wird aber auch für die demokratische und soziale Stabilität dieses Landes eine Schwierigkeit bedeuten, wenn Sie so weitermachen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Meine Damen und Herren, was Sie uns vorlegen - unbeschadet mancher Einzelheiten, über die man dann reden kann; aber es geht hier ja um eine grundsätzliche Richtung -, ist in einer finanziellen, in einer sozialen, in einer wirtschaftlichen Schieflage. Das
    Schlimmste ist aber: Es ist in einer so offenkundigen moralischen Schieflage.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich will Ihnen ausdrücklich ankündigen, daß wir Ihnen diese Auseinandersetzung weder in wirtschaftlicher noch in finanzieller, noch in sozialer, noch in kultureller Hinsicht ersparen werden. Ich wiederhole: Sie werden keine Zustimmung finden, wenn Sie an dem Unfug und an der wirklichen Obszönität festhalten, das Kindergeld nicht zu erhöhen und gleichzeitig die Vermögensteuer zu beseitigen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich hatte mir im Freistaat Sachsen einigen Ärger zugezogen. Ich gebe zu, meine Bemerkung damals im Deutschen Bundestag war leichtfertig, und manche mußten sie als Verletzung empfinden. Ich hatte damals Kurt Biedenkopf gelobt. Von ihm gibt es den Satz, der Kapitän sei nicht so häufig auf Deck zu sehen - heute konnten wir ihn sehen -, er beschränke seine Tätigkeit darauf, die vielen Löcher im Schiff unter der Wasserlinie abzudichten, um die Sinkgeschwindigkeit zu verringern.

    (Lachen bei der SPD Michael Glos [CDU/ CSU]: Das trifft genau auf die SPD zu! Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Lassen Sie doch den Unsinn!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, Sie verzeihen mir den Hinweis: Eine klügere, treffendere und kürzere Zusammenfassung Ihrer Politik ist auch mir nicht eingefallen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)