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ID1310201300

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    Plenarprotokoll 13/102 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 8975 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saar- land) 8983 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 8991 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 8999 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 9003 A Dr. Gregor Gysi PDS 9005 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 9009 A Rudolf Scharping SPD 9012 D Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 9016 D Nächste Sitzung 9019 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 9021* A Anlage 2 Zeitige Vorlage wichtiger EU-Dokumente in deutscher Sprache; Lösung der Eigentumsfragen zwischen Deutschland und Polen MdlAnfr 19, 20 - Drs 13/4403 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw StMin Dr. Werner Hoyer AA 9021* D Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 9022* C 102. Sitzung Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 26. 4. 96 Antretter, Robert SPD 26. 4. 96 * Barnett, Doris SPD 26. 4. 96 Beck (Köln), Volker Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Beer, Angelika Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Behrendt, Wolfgang SPD 26. 4. 96 * Belle, Meinrad CDU/CSU 26. 4. 96 Bindig, Rudolf SPD 26. 4. 96 * Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 26. 4. 96 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 26. 4. 96 Gleicke, Iris SPD 26. 4. 96 Dr. Glotz, Peter SPD 26. 4. 96 Haack (Extertal), SPD 26. 4. 96 * Karl Hermann Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 26. 4. 96 Dr. Höll, Barbara PDS 26.4. 96 Horn, Erwin SPD 26. 4. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 26. 4. 96 * Jelpke, Ulla PDS 26. 4. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Kauder, Volker CDU/CSU 26. 4. 96 Krause (Dessau), CDU/CSU 26. 4. 96 Wolfgang Kuhlwein, Eckart SPD 26. 4. 96 Labsch, Werner SPD 26. 4. 96 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 26. 4. 96 Lederer, Andrea PDS 26. 4. 96 Lemke, Steffi Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Lummer, Heinrich CDU/CSU 26. 4. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 26. 4. 96 Erich Marten, Günter CDU/CSU 26.4. 96 Mehl, Ulrike SPD 26. 4. 96 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 26. 4. 96 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 26.4. 96 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nelle, Engelbert CDU/CSU 26. 4. 96 Özdemir, Cern Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Probst, Albert CDU/CSU 26. 4. 96 * Reschke, Otto SPD 26. 4. 96 Dr. Rieder, Norbert CDU/CSU 26. 4. 96 Rixe, Günter SPD 26. 4. 96 Dr. Rochlitz, Jürgen Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Dr. Scheer, Hermann SPD 26. 4. 96 * Schlauch, Rezzo Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen von Schmude, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * Schumann, Ilse SPD 26. 4. 96 Schwanitz, Rolf SPD 26. 4. 96 Steenblock, Rainder Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Steindor, Marina Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Such, Manfred Bündnis 90/ 26. 4. 96 Die Grünen Terborg, Margitta SPD 26. 4. 96 * Tröger, Gottfried CDU/CSU 26. 4. 96 Vosen, Josef SPD 26. 4. 96 Wallow, Hans SPD 26. 4. 96 Weis (Stendal), Reinhard SPD 26. 4. 96 Wiefelspütz, Dieter SPD 26. 4. 96 Wonneberger, Michael CDU/CSU 26. 4. 96 * * Zierer, Benno CDU/CSU 26. 4. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Antwort des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Drucksache 13/4403 Fragen 19 und 20): Was unternimmt die Bundesregierung, damit wichtige EU-Dokumente zeitgleich nicht nur in englischer und französischer, sondern auch in deutscher Sprache vorgelegt werden? 9022* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 102. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. April 1996 Was unternimmt die Bundesregierung, damit die kürzlich vom polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau" als „großes Problem" angesprochene Eigentumsfrage einvernehmlich zwischen Deutschland und Polen gelöst wird? Zu Frage 19: Nach der Verordnung Nr. 1 von 1958 sind alle Sprachen der Mitgliedstaaten gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen der EU. Das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft wird in allen Sprachen gleichzeitig ausgeliefert und liegt damit in deutscher Sprache zum gleichen Zeitpunkt wie z. B. auch in Englisch und Französisch oder den anderen Sprachen der Gemeinschaft vor. Ebenso liegen die Dokumente, über die Rat und Kommission verhandeln, stets in deutscher Sprache vor. Abweichungen von dieser Regel werden in jedem Einzelfall von der Bundesregierung aufgenommen und umgehend behoben. Die Organe der Europäischen Union erkennen den Bedarf für Deutsch an; die deutschen Übersetzer stellen im Übersetzungsdienst der Kommission die größte Gruppe. Die Bundesregierung erhält allerdings auch häufig Entwürfe, die in englischer oder französischer Sprache abgefaßt sind. Das hängt damit zusammen, daß die Bediensteten von Kommission und Rat in der täglichen Praxis ohne Dolmetschung arbeiten müssen und Deutsch als Fremdsprache sehr viel weniger gesprochen und verstanden wird als Englisch und Französisch. Deshalb bemüht sich die Bundesregierung mit aktiver Unterstützung der Kommission und der Länder, durch Sprachkurse für höhere Bedienstete der europäischen Institutionen in Deutschland die Deutschkenntnisse bei den EU-Bediensteten zu fördern. Gemeinsam mit Frankreich setzt sich die Bundesregierung für eine Änderung der Einstellungsvoraussetzungen im Statut der Europäischen Beamten ein: Bewerber sollen danach über vertiefte Kenntnisse einer Gemeinschaftssprache und zufriedenstellende Kenntnisse in zwei weiteren Gemeinschaftssprachen - nicht wie bisher nur: in einer - verfügen. Wir erhoffen uns hiervon, daß Bewerber als dritte Sprache häufig auch Deutsch wählen werden. Zu Frage 20: Die Bundesregierung begrüßt, daß der Präsident Polens das Thema der entschädigungslosen Enteignung der Vertriebenen offen ansprach. Er hat allerdings in dem von Ihnen zitierten Interview gleichzeitig gesagt: „... ich befürchte, daß diesbezügliche Entscheidungen Spannungen hervorrufen würden, derer wir nicht Herr werden können. " Die Haltung der Bundesregierung in der Vermögensfrage, die auch die Bereitschaft einschließt, dieses Thema zum geeigneten Zeitpunkt in geeigneter Weise zur Sprache zu bringen, ist Ihnen bekannt. Anlage 3 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksachen 13/2995, 13/3528 Nr. 1.1 Drucksachen 13/3124, 13/3528 Nr. 1.4 Drucksachen 13/3275, 13/3528 Nr. 1.7 Drucksachen 13/3096, 13/3664 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksachen 12/8336, 13/725 Nr. 42 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksachen 12/4733, 13/725 Nr. 29 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.4 Drucksache 13/3668 Nr. 1.5 Drucksache 13/3668 Nr. 1.6 Drucksache 13/3668 Nr. 1.7 Drucksache 13/3668 Nr. 1.8 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 1.1 Drucksache 13/3790 Nr. 2.4 Drucksache 13/3790 Nr. 2.5 Drucksache 13/3790 Nr. 2.6 Drucksache 13/3938 Nr. 2.18 Drucksache 13/4137 Nr. 2.17 Drucksache 13/4137 Nr. 2.24 Drucksache 13/4137 Nr. 2.25 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/3668 Nr. 2.16 Drucksache 13/3668 Nr. 2.25 Drucksache 13/3668 Nr. 2.49 Drucksache 13/3790 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.23 Drucksache 13/3938 Nr. 2.26 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/3529 Nr. 1.7 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/2306 Nr. 2.29 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/3529 Nr. 1.3 Drucksache 13/3668 Nr. 2.59 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.6
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    Sie haben gerade eine - so empfinde ich es - sehr deprimierende Botschaft rübergebracht. Sie wissen, die Beschäftigungswirksamkeit bei realem Wachstum liegt etwa an der Schwelle von 1,8 Prozent, das heißt aber im Klartext: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat uns gerade mitgeteilt, daß mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen in 1997 fest zu rechnen ist.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)

    Darüber hinaus sage ich Ihnen: Die Teile in Ihrem Programm, die die Belastungen unten erhöhen, bringen nicht einen Arbeitsplatz mehr. Ich behaupte: Sie bringen auch nicht eine Mark an Investitionen mehr. Was sie jedoch bringen werden, ist ein Anstieg bei den Sozialhilfekosten und vor allen Dingen ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
    Das Generalabräumen bei den ABM-Stellen und ähnliches mehr: Führt das zu mehr Arbeitsplätzen oder zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Hier wird auch und gerade in den ostdeutschen Ländern, Herr Bundeskanzler, etwas zerschlagen, was noch eine leicht blühende Landschaft hätte werden können. In der Konsequenz bedeutet das: In Ostdeutschland werden ABM-Strukturen zerschlagen und damit Strukturen, an denen die soziale Infrastruktur hängt. Was das mit der Herstellung der inneren Einheit zu tun hat, muß mir mal jemand erklären.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Schauen wir uns die Zukunftsfähigkeit an. Es gibt einen breiten Konsens. Wir müssen die Arbeitskosten, vor allem die Lohnnebenkosten, senken. Wir erklären aber nicht, daß wir deswegen die Leistungen kürzen wollen. Wir unterstützen Sie daher nachdrücklich bei der Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung, aber: Warum haben Sie nicht

    Joseph Fischer (Frankfurt)

    den Mut, wenn die Arbeitskosten das drängendste und drückendste Investitionsproblem im innereuropäischen Vergleich sind, gleichzeitig eine Strukturreform anzupacken? Wir tragen sie mit. Die zweite Stufe der Pflegeversicherung muß kommen, und zwar jetzt, aber lassen Sie sie uns aus Steuermitteln finanzieren.
    Und zum zweiten - das ist ein Grundprinzip von uns -: Wir wollen die Bedarfsorientierung unten nicht aufgeben, sondern an ihr festhalten. Wir führen lieber die Bedarfsorientierung oben in den Sozialstaat ein.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Ich sage Ihnen, Herr Kollege Blüm, aus eigenem Erleben: Meine Mutter war, bevor sie starb, ein Schwerstpflegefall. Die beiden Kinder konnten sich - Gott sei Dank - ihre Pflege leisten. Ich kenne aber viele - ich weiß auch, wie hoch die Pflegekosten bei Schwerstpflegefällen sind -, die sich die Pflege nicht leisten können. Insofern bin ich ein nachdrücklicher, emphatischer Unterstützer Ihrer Position bei der Pflegeversicherung.
    Aber noch einmal zurück zur Bedarfsorientierung - ich führe meinen eigenen familiären Fall an -: Wenn man sich bei Sozialhilfeempfängern von der Bedarfsorientierung verabschiedet und sie durch die Deckelung sich selbst überläßt, dann bin ich dafür, daß bei Einkommen, wie meine Schwester und ich sie beziehen, Bedarfsorientierung im Pflegefall eingeführt wird.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Herr Bundeskanzler, damit kommen wir in aller Sachlichkeit zu unserem Hauptvorwurf - ich nehme an, der eine oder andere im CDU-Präsidium und in der CDU-Fraktion sieht das ähnlich -: Warum haben Sie jetzt nicht die Kraft, zu sagen: Okay, wir müssen - bedingt durch die internationale Konkurrenz -, wenn wir unseren Sozialstaat in tragenden Teilen, in wichtigen Strukturen erhalten wollen, bei sinkendem Anteil des Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen neue Finanzierungswege gehen. Da bleibt nur die Steuerfinanzierung, wie es skandinavische Sozialstaaten mit Recht vorgemacht haben.
    Wir bieten Ihnen an, eine Gegenfinanzierung über eine entsprechende Mineralölsteuererhöhung in einer Größenordnung von 20 Prozent mitzutragen.

    (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pfennig!)

    - Pfennig, Entschuldigung. Heute haben sich schon andere versprochen.
    Warum haben Sie nicht den Mut, eine richtige, zentrale sozialpolitische Entscheidung gleichzeitig mit einer entsprechenden strukturellen Erneuerung, die den Sozialstaat zukunftsfähig macht, zu verbinden?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

    Nun komme ich zum zweiten Punkt: zu der kommenden Generation. Daß es da nicht einen Aufstand in der Union gibt! Also, Herr Kollege Schäuble: Wenn ihm nichts mehr einfällt, fällt ihm sein Juraexamen ein, und er zieht sich hinter die Juristerei zurück.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Sie laufen bei der Vermögensteuer mit dem Verfassungsgerichtsurteil wie mit einer Monstranz am Himmelfahrtstag durch die Gegend.

    (Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Der Herr Gerhardt wird nicht müde, permanent das Verfassungsgerichtsurteil zu zitieren. Wenn es aber um den Rechtsanspruch beim Kinderfreibetrag geht, wird vom Verfassungsgerichtsurteil nicht geredet, sondern dann kommen winkeladvokatorische Argumente, um der eigenen Fraktion den Abschied von eigenen Grundprinzipien klarzumachen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Ich sage Ihnen, Herr Kollege Schäuble, Herr Bundeskanzler, das ist für uns die zentrale Frage: die Zukunftsfähigkeit, die kommende Generation. Das Signal, das Sie jetzt senden, ist, daß die Union mit ihrer Familienpolitik in dem Moment, in dem es bei den Haushalten ernst wird, bereit ist, als erstes in diesem Kernbereich der Zukunftsfähigkeit zu streichen. Und das wollen wir nicht!

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Wir machen Ihnen ein Angebot. Herr Uldall und andere wollen doch, daß die Veräußerungsgewinne bei Immobilien versteuert werden. Wenn Sie heute drei Immobilien veräußern und damit länger als drei Jahre warten, gilt dies nicht als gewerblich und Sie können in Deutschland den Gewinn brutto einstecken. In Amerika - da handelt es sich ja nun weiß Gott um das Mutterland des Kapitalismus - müssen sie ihn selbstverständlich versteuern. Wenn Sie ein Aktienpaket, auf das Sie keine Dividende bezogen haben, länger als ein halbes Jahr halten, haben Sie in Deutschland ebenfalls einen freien Veräußerungsgewinn. Das wollen Ihre Experten ändern.
    Wir bieten Ihnen an: Machen Sie es jetzt! Wir stimmen zu. Dann können wir ziemlich genau die Erhöhung des Kindergeldes gegenfinanzieren. Was spricht denn dagegen, meine Damen und Herren?

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Das sind zwei konkrete Angebote, die wir Ihnen als Oppositionspartei gemacht haben, nämlich in zentralen Bereichen eine Strukturveränderung mitzutragen und gleichzeitig ein eindeutiges Signal für

    Joseph Fischer (Frankfurt)

    die Orientierung an der jüngeren Generation zu geben.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

    Ich frage Sie: Warum macht diese Bundesregierung das nicht mit?
    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen nächsten Punkt ansprechen. Herr Bundeskanzler, Sie sagten, die Rente für die gegenwärtige Generation der Rentner sei sicher. Ich frage Sie: Wo läuft bei Ihnen das „gegenwärtig" ab? Wo ist die Grenze? Wir bestreiten ja gar nicht die für die Rente ungünstige demographische Entwicklung. Aber die Union sollte in diesem Zusammenhang vielleicht einmal über eine Neubewertung der Einwanderungspolitik in diesem Lande nachdenken.

    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich frage Sie: Reicht es in einer solchen Situation, wo es um die Zukunftsfähigkeit geht, über die Jugend, über die heutige Generation und darüber zu reden, was im Jahre 2030 ist?
    Wenn ich mir Ihr Programm anschaue, frage ich mich: Wo bleibt in dieser Situation der Schwerpunkt der Familienförderung? Sie können doch nicht nur die demographische Entwicklung in diesem Lande beklagen, für die Sie - ich gebe es ja ehrlich zu - nichts können. Auf der anderen Seite müssen wir uns alle gemeinsam, nicht nur die Bundesregierung, ans Bein binden: Eines der reichsten Länder ist nach wie vor nicht eines der kinderfreundlichsten Länder. Das ist der eigentliche Skandal nach zwölf Jahren CDU/ CSU-Regierung in diesem Lande.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wir bieten Ihnen ausdrücklich an, daß wir, wenn Sie eine Einkommensteuerreform mit Senkung des Spitzensteuersatzes linear-progressiv, aber auch mit Senkung des Einkommensteuersatzes machen, konstruktiv mitarbeiten werden, weil wir das für dringend geboten halten - nur, wenn Sie das wollen!
    Derjenige, der es bisher nicht wollte, war Theo Waigel. Bei der Ökosteuer hat er blockiert, beim Bericht der Bareis-Kommission hat er blockiert. Insofern hat Oskar Lafontaine völlig recht: Warum ausgerechnet jetzt die Waigel-Kommission nach der BareisKommission mehr als die Idee eines Mäuschens produzieren soll, ist eine Frage, die Sie sich wohl selbst werden beantworten müssen.
    Aber wenn wir diese Reform der Einkommensteuer mit der Senkung des Spitzensteuersatzes machen - wofür wir sind -, bei Streichung der Subventionen, bei Streichung der Umgehungstatbestände - völlig legal, das heißt Verbreiterung der entsprechenden Bemessungsgrundlagen - und bei einer linear-progressiven Absenkung des Eingangssteuersatzes, dann hat natürlich die Vermögensteuer eine ganz andere Perspektive, als das Herr Schäuble dargestellt hat. Insofern besteht für uns ein direkter Zusammenhang zwischen der Reform der Einkommensteuertarife und der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer. Da vertreten wir eine völlig andere Position.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Bei der Gewerbekapitalsteuer sind wir für die Abschaffung dieser Substanzbesteuerung - wenn den Gemeinden eine entsprechende Gegenfinanzierung angeboten wird, was der Fall ist. Aber bei der Gewerbeertragsteuer sind wir ganz anderer Meinung. Wir wollen ihre Revitalisierung und nicht ihre Abschaffung, weil es keine Substanzbesteuerung ist.
    Ich sage Ihnen in dem Zusammenhang noch ein letztes: In der Bundesrepublik Deutschland kommt jetzt ein Generationswechsel, bei dem zwischen 2 000 und 3 000 Milliarden an Vermögensbesitz vererbt werden. Wir wollen keine konfiskatorische Besteuerung oder ähnliches. Aber wir sind der Meinung, daß es ein Skandal ist, wenn angesichts dieser Tatsache in diesem Land Sozialleistungen bei den Schwächsten abgebaut werden müssen und wir uns gleichzeitig eine Erbschaftsteuer leisten, mit der wir weltweit im Vergleich zu anderen reichen Ländern das Schlußlicht bilden. Hier sind wir ganz anders als die „Partei des neuen Egoismus".

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Hier ist Solidarität, gerade der Erben, angesagt. Hier darf man nicht über Senkung reden, sondern hier reden wir über Erhöhung.
    Wir reden nicht über die Abschaffung der Vermögensteuer, sondern auch hier wollen wir, daß ein entsprechender Anteil gezahlt wird. Wir wollen runter bei den Lohnnebenkosten. Wir wollen Mittelstandsförderung betreiben. Wir freuen uns, wenn es nach zwölf Jahren endlich so weit ist, daß die Eigenkapitalbildung beim Mittelstand gefördert werden soll. Warum haben Sie das nicht schon längst gemacht?
    Eines muß ich Ihnen sagen: Sie hätten jetzt Einsparmöglichkeiten beim Militärhaushalt. Auch im Verkehrshaushalt haben Sie wunderbare Einsparmöglichkeiten. Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich bin nachdrücklicher Anhänger eines schnellen Umzugs nach Berlin. Aber überprüfen Sie doch einmal diese Luxusbauten, die dort geplant werden. Auch hier wären Einsparmöglichkeiten. Auch hier wäre vermutlich weniger besser.
    Das, meine Damen und Herren, sind die Punkte, die wir anpacken müssen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Bei der jüngeren Generation versagen Sie völlig. Die Solidarität beginnen Sie unter dem Druck der gegenwärtigen Entwicklungen aufzukündigen. An diesem Punkt werden wir entschieden Widerstand leisten, weil die Zukunft des Sozialstaats zugleich die Zukunft der sozialen Demokratie ist. Wir wollen keine amerikanische Entwicklung.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)




Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen auch keine amerikanische Entwicklung, Herr Kollege Fischer,

    (Lachen und Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der PDS)

    die von einer „Hire-and-fire"-Mentalität begleitet wird. Der Herr Bundespräsident hat das, was wir mit dem Hinweis auf Amerika meinen, vor wenigen Tagen sehr präzise ausgedrückt: Wir brauchen ein Stück dieser mentalen Standortfähigkeit, die diese Nation ausstrahlt. -

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Er hat das mit einen Hinweis auf Carl Zuckmayer zitiert. Es geht nicht vorrangig um die Frage von Arbeitsbedingungen und Investitionen. Es geht um die mentale Fähigkeit zur Veränderung, die wir in Deutschland brauchen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Das, Herr Kollege Fischer, ist nun einmal klar zu beantworten, und das ist auch die Grundlage unseres Programms.
    Wir werden der Veränderungen mit der sozialpolitischen Begleitung von Problemen nicht Herr werden; die kennen wir. Beschäftigungsprogramme haben wir schon gemacht. Strukturhilfen sind gewährt worden. Frühverrentungen sind gemacht worden. Arbeitszeitverkürzungen sind gemacht worden. Die AB-Maßnahmen sind erhöht worden. Viele haben geglaubt, die 35-Stunden-Woche bringe den Beschäftigungsschub. All das, was die Opposition hier im Hause erzählt, ist reale Politik, aber die Arbeitslosenzahl ist gestiegen. Deshalb kann das nicht die letzte Antwort sein.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Das hat die Koalition bewegt, sich neu zu verabreden. Ich möchte sehr persönlich sagen, Herr Bundeskanzler, Herr Kollege Waigel: Vielleicht wissen wir erst heute in der Debatte und in den nächsten Tagen, was dies für eine Bedeutung für die Koalition und für unser Land haben wird. Ich halte das für eine der wichtigsten Entscheidungen in dieser Legislaturperiode und bedanke mich ausdrücklich bei CDU und CSU für die faire Zusammenarbeit und das gute Übereinkommen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, der Punkt ist doch nicht, daß sich hier Regierung und Opposition gegenübersitzen und wir mit Freude Sparmaßnahmen einleiten würden.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Doch, die F.D.P. schon!)

    Wir wissen, daß sie schwerwiegend sind und daß
    man Menschen überzeugen muß. Aber wir wissen
    auch: Wir würden die Gesellschaft um ihre Zukunft
    betrügen, wenn wir jetzt nicht zu Entscheidungen kämen. Das ist der Kern unseres Programms.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Unser Programm verlangt dieser Gesellschaft nicht zuviel ab. Es verlangt nur eines: Fähigkeit zum Wandel, Fähigkeit zu neuem Denken und Fähigkeit zu strukturellen Veränderungen. Ich erkläre ausdrücklich für die F.D.P.: Wir wollen diesen Wandel, wir wollen diese Veränderungen, wir wollen der jungen Generation eine Zukunftschance mit einer neuen, gesicherten Rentensystematik und mit neuen Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Dazu bitten wir um ein Stück Zurückhaltung bei Tarifverhandlungen und um Geduld von einem Jahr bei den Zuwächsen. Das kann eine Gesellschaft ertragen, die wie unsere Gesellschaft in diesem Wohlstand lebt. Darum bitten wir.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Weltweit werden die Gesellschaften gewinnen, die die Veränderungen kompetent bewältigen, und es werden diejenigen verlieren, die verdrängen. Das Wahlergebnis im März hat im übrigen gezeigt, daß die Mehrheit der Bevölkerung denen mehr zutraut, die ihr sagen: Wir wollen uns verändern. - Wir haben all das, was jetzt beschlossen worden ist, im Wahlkampf jedem, der es hören wollte, erklärt, als notwendige Grundlage von Entscheidungen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben es verschwiegen!)

    Die große Oppositionspartei hat die Wahlen auch deshalb verloren, weil sie die Probleme verdrängt hat und weil sie zum Wandel und zur Modernität gegenwärtig nicht auskunftsfähig ist. Das war der Kern dieser Entscheidungen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Man muß einfach die Wahrheit sagen. Jeder weiß, daß Tarifverhandlungsrunden der Vergangenheit denen geholfen haben, die Beschäftigung hatten, und denen eher Schwierigkeiten gemacht haben, die Beschäftigung suchten. Jeder weiß, daß Solidargemeinschaften, die wir haben, von den eigenen Mitgliedern überstrapaziert worden sind, weil viele geglaubt haben, sie könnten auf Kosten Dritter leben, und es hinterher zu Beitragssteigerungen in exorbitanter Höhe gekommen ist.
    Jeder weiß, daß Steuern in unserem Land hoch sind. Wenn es so einfach wäre, daß Steuersenkungen nur Ausfall in Haushalten bedeuteten, dann hätte man das schon in den 80er Jahren spüren müssen. Da hat diese Koalition Steuersenkungen durchgeführt. Das Ergebnis war: mehr Beschäftigung und mehr Konsolidierung der Haushalte.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wenn die Steuerhöhe über die Haushaltskonsolidierung entscheiden würde, dann müßten wir einen überschäumenden Haushalt haben. - Hohe Steuern haben wir genug. -

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer hat sie denn eingeführt?)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Aber wir haben Probleme. Das zeigt, daß der umgekehrte Weg von Senkung und Entlastupg die einzige Chance ist.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich will noch einmal - auch für die Öffentlichkeit - sagen: Macht eine Koalition, die mit der SPD vor vier Monaten Kindergeld von 70 auf 200 DM erhöht und 7,2 Milliarden DM Familienleistungsausgleich geschaffen hat, eigentlich einen politischen Fehler und schädigt sie die Zukunft des Landes, wenn sie jetzt darum bittet, die nächste Erhöhungsstufe erst im nächsten Jahr zu verwirklichen? Ist das eine Beeinträchtigung unserer Gesellschaft? In welchem Land leben wir denn, wenn diese Gesellschaft eine Erhöhung ein Jahr später nicht aushalten kann? Das ist doch wirklich zumutbar!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Jetzt reden wir einmal über Beschäftigung. Wer hat uns denn mit dem Stichwort „ Dienstmädchenprivileg " beschimpft,

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Matthäus-Maier!)

    obwohl die Bundesanstalt für Arbeit nahezu 700 000 Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten prognostiziert? Schwarzarbeit haben Sie mit Ihrem Verhalten gefördert! Wir wollen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Detlev von Larcher [SPD]: Warum schreien Sie eigentlich so?)

    Es zählt auch zur einfachen Wahrheit, daß in einem Betrieb mit fünf Arbeitnehmern - das sind meistens keine Betriebe mit großem Gewinn; das sind Betriebe, die in Form der Personengesellschaft geführt werden - die Entscheidung darüber, ob man einen weiteren Arbeitnehmer einstellt, auch davon abhängig ist, wie man, wenn die Ertragslage nicht mehr so gut ist, mit dem Risiko fertig wird. Deshalb ist die Erhöhung des Schwellenwertes eine Chance für Tausende von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland und bedeutet nicht eine Vernichtung von Arbeitsplätzen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Der Kern unserer gemeinsamen Verabredung ist doch nicht mehr und nicht weniger, als aus gemachten gesellschaftlichen Erfahrungen soziale Sicherungssysteme im Verhältnis zu Beschäftigungschancen neu zu justieren. Jeder in Deutschland weiß, daß Verteilungspolitiker in langen Jahren des Wachstums soziale Sicherungssysteme geschaffen haben, die jetzt Beschäftigung gefährden. Da aber das höchste soziale Gut Beschäftigung ist, müssen die sozialen Sicherungssysteme so umgebaut werden, daß dieses größte Gut mehr zum Durchbruch kommen kann. Das ist der Kern des Programms.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wollen ihnen wieder neue Chancen geben.
    Herr Ministerpräsident Lafontaine, jeder weiß, daß die Gewerbekapitalsteuer eine Substanzbesteuerung ist. Sie haben im vergangenen Jahr die Koalition gebeten, die Beratungen darüber etwas zu verschieben, und dies mit der Ankündigung verbunden, auch die SPD sei auf dem Wege der Überlegung und brauche hinsichtlich einer Verfassungsänderung noch ein bißchen Zeit. Wir haben darauf reagiert. Jetzt aber kommen Sie wieder und erklären, Sie seien nicht bereit, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Das ist das absurdeste steuerpolitische Bekenntnis, das ich seit langem gehört habe. Es ist falsch; die Annahmen stimmen nicht.
    Wenn Sie uns erzählen wollen, daß ein Diffamierungspotential bei einem Aufkommen aus der Besteuerung privater Vermögen in Höhe von 2 Milliarden DM möglich sei, wovon die Hälfte im übrigen durch Verwaltungskosten aufgezehrt wird,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Unwahr! Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Bleiben Sie mal bei der Wahrheit, Herr Kollege!)

    und daß die Koalition nicht den richtigen Weg gehe, wenn sie allein aus Vereinfachungsgründen dies bei der Erbschaftsteuer mit einbinden will, dann täuschen Sie die deutsche Öffentlichkeit. Stecken Sie die Diffamierung beiseite; es lohnt sich nicht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, wir haben dieses ganze Paket deshalb auf den Weg gebracht - es ist schwierig genug -, weil unsere Gesellschaft auch im Interesse der demokratischen Stabilität Auskunft über die Beschäftigung in Deutschland braucht. In unserem Land ist Arbeitslosigkeit ein größeres Problem - auch im kollektiven Gedächtnis unserer Nation - als in jedem europäischen Nachbarland. Wir haben dieses Paket auf den Weg gebracht, um der jüngeren Generation auch eine Zukunftschance zu vermitteln, wenn sie nach ihrem Erwerbsleben soziale Sicherheit im Hinblick auf das Älterwerden haben will. Darüber wird es ohnehin noch eine heiße Debatte geben.
    Aber ich sage uns allen in der Koalition: Ich begrüße außerordentlich, daß wir zu den beiden zentralen Punkten Tarifreform im Steuersystem sowie Diskussion der Rentenformel und der Neuentwicklung der zukünftigen sozialen Sicherheit in unserer Gesellschaft verabredet haben - es ist richtig, wie es der Herr Bundeskanzler erklärt hat -, daß wir noch in dieser Legislaturperiode, also vor Wahlen, Entscheidungen treffen und die Gesetzgebung abschließen. Das sind die wichtigsten psychologischen Orientierungsdaten für Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Nicht das Verschieben der Sozialhilfeerhöhung um ein Jahr gefährdet unsere Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt, auch nicht das Verschieben der Familienförderung um ein Jahr. Unsere Gesellschaft braucht für den sozialen Zusammenhalt in den großen Entwicklungslinien die Auskünfte, die eine Regierung geben muß. Die geben wir unserer Gesellschaft in dieser Legislaturperiode.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Das ist die wichtigste Entscheidung dieser Koalition.
    Dahinter ist die übrige Diskussion darüber, die Lohnfortzahlung tariffähig zu machen, die Gesellschaft zu bitten, damit einverstanden zu sein, daß wir Erhöhungen um ein Jahr verschieben, eine zweitrangige Diskussion. Entscheidend ist, ob diese Gesellschaft und die politisch führenden Kräfte noch die Fähigkeit haben, Systeme zu verändern, bei denen die Erkenntnis der letzten Jahrzehnte jedem klar vor Augen geführt hat, daß sie der Beschäftigung schaden und Zukunftsvorsorge verbauen.
    Herr Kollege Fischer, Ihre Bewegung hat Verdienste. Sie hat Engagement für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen mit in diese Gesellschaft gebracht. Die Staatsquote aber ist das gesellschaftliche Ozonloch der Bundesrepublik Deutschland, und dieses muß beseitigt werden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Darüber werden wir einen schönen Kompetenzstreit führen.

    (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn an der Regierung? Dafür sind Sie doch verantwortlich!)

    Ich freue mich darauf. Es kann eine politische Partei für die Zukunft der Gesellschaft Aussagen nur treffen, wenn sie hinsichtlich der Grundannahmen der großen Systeme ein Reformmodell vorstellt, das finanzierbar ist, den sozialen Zusammenhalt festigt und die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland stabilisiert.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Gerhardt, wie lange sind Sie an der Regierung?)

    Eines füge ich hinzu: Nahezu jedes europäische Nachbarland hat im Hinblick auf diese Systeme schon reagiert. Alle um uns herum haben bei all dem, was wir heute besprechen, ihre Entscheidungen getroffen. Wenn Sie, Herr Kollege Scharping, in der Sozialistischen Internationale nachfragen, geben Ihnen diejenigen, die irgendwo in der Verantwortung standen oder stehen, nahezu die gleichen Auskünfte wie der Herr Bundeskanzler heute morgen.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Richtig! Die haben das schon viel früher gemacht!)

    Wir erfinden hier kein Modell, das die Armen ärmer und andere reicher machen soll.

    (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir haben uns zu diesen Entscheidungen entschlossen, weil ein Stück gesellschaftliche Zukunft damit verbunden ist.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir haben das auch deshalb unternommen, weil wir wissen, daß, wenn in einer Gesellschaft ganze Schichten wegbrechen, wenn die keine Beschäftigungschancen mehr haben, die Demokratie doch sehr gefährdet ist. Wir haben bei Wahlen schon Vorboten erlebt. Wir haben bei der baden-württembergischen Landtagswahl wider Erwarten schon bei den kleinsten Hinweisen den Pendelausschlag erlebt, der zeigt, was sich in dieser Gesellschaft vollzieht, wenn Menschen Angst vor Wettbewerb haben und sich nicht offen den Veränderungen stellen. Eines wissen wir aber: Jeder, der sich Veränderungen entzieht, jeder, der das verdrängt, wird scheitern.
    Man mag diese Koalition kritisieren, weil sie darum bittet, mit Zuwächsen zu einem späteren Zeitpunkt einverstanden zu sein. Man mag sie kritisieren, weil sie Einsparungen vornimmt. Man mag sie auch kritisieren, weil sie die Lohnfortzahlung tariffähig macht. Man muß aber eines zur Kenntnis nehmen: Dieses Land steht jetzt im Kern vor der Frage der Veränderungsbereitschaft und der Modernisierungsbereitschaft.
    Wer zur Modernisierung nicht bereit, nicht fähig oder in der Lage ist, der kann hier nicht regieren. Die Auskunft der Koalition ist die Fähigkeit der Koalition zur Modernisierung des Standortes Deutschland. Deshalb wollen wir auch weiter gut und fair zusammenarbeiten.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)