Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben gerade eine - so empfinde ich es - sehr deprimierende Botschaft rübergebracht. Sie wissen, die Beschäftigungswirksamkeit bei realem Wachstum liegt etwa an der Schwelle von 1,8 Prozent, das heißt aber im Klartext: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat uns gerade mitgeteilt, daß mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen in 1997 fest zu rechnen ist.
Darüber hinaus sage ich Ihnen: Die Teile in Ihrem Programm, die die Belastungen unten erhöhen, bringen nicht einen Arbeitsplatz mehr. Ich behaupte: Sie bringen auch nicht eine Mark an Investitionen mehr. Was sie jedoch bringen werden, ist ein Anstieg bei den Sozialhilfekosten und vor allen Dingen ein Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Das Generalabräumen bei den ABM-Stellen und ähnliches mehr: Führt das zu mehr Arbeitsplätzen oder zu einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen?
Hier wird auch und gerade in den ostdeutschen Ländern, Herr Bundeskanzler, etwas zerschlagen, was noch eine leicht blühende Landschaft hätte werden können. In der Konsequenz bedeutet das: In Ostdeutschland werden ABM-Strukturen zerschlagen und damit Strukturen, an denen die soziale Infrastruktur hängt. Was das mit der Herstellung der inneren Einheit zu tun hat, muß mir mal jemand erklären.
Schauen wir uns die Zukunftsfähigkeit an. Es gibt einen breiten Konsens. Wir müssen die Arbeitskosten, vor allem die Lohnnebenkosten, senken. Wir erklären aber nicht, daß wir deswegen die Leistungen kürzen wollen. Wir unterstützen Sie daher nachdrücklich bei der Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung, aber: Warum haben Sie nicht
Joseph Fischer
den Mut, wenn die Arbeitskosten das drängendste und drückendste Investitionsproblem im innereuropäischen Vergleich sind, gleichzeitig eine Strukturreform anzupacken? Wir tragen sie mit. Die zweite Stufe der Pflegeversicherung muß kommen, und zwar jetzt, aber lassen Sie sie uns aus Steuermitteln finanzieren.
Und zum zweiten - das ist ein Grundprinzip von uns -: Wir wollen die Bedarfsorientierung unten nicht aufgeben, sondern an ihr festhalten. Wir führen lieber die Bedarfsorientierung oben in den Sozialstaat ein.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Blüm, aus eigenem Erleben: Meine Mutter war, bevor sie starb, ein Schwerstpflegefall. Die beiden Kinder konnten sich - Gott sei Dank - ihre Pflege leisten. Ich kenne aber viele - ich weiß auch, wie hoch die Pflegekosten bei Schwerstpflegefällen sind -, die sich die Pflege nicht leisten können. Insofern bin ich ein nachdrücklicher, emphatischer Unterstützer Ihrer Position bei der Pflegeversicherung.
Aber noch einmal zurück zur Bedarfsorientierung - ich führe meinen eigenen familiären Fall an -: Wenn man sich bei Sozialhilfeempfängern von der Bedarfsorientierung verabschiedet und sie durch die Deckelung sich selbst überläßt, dann bin ich dafür, daß bei Einkommen, wie meine Schwester und ich sie beziehen, Bedarfsorientierung im Pflegefall eingeführt wird.
Herr Bundeskanzler, damit kommen wir in aller Sachlichkeit zu unserem Hauptvorwurf - ich nehme an, der eine oder andere im CDU-Präsidium und in der CDU-Fraktion sieht das ähnlich -: Warum haben Sie jetzt nicht die Kraft, zu sagen: Okay, wir müssen - bedingt durch die internationale Konkurrenz -, wenn wir unseren Sozialstaat in tragenden Teilen, in wichtigen Strukturen erhalten wollen, bei sinkendem Anteil des Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen neue Finanzierungswege gehen. Da bleibt nur die Steuerfinanzierung, wie es skandinavische Sozialstaaten mit Recht vorgemacht haben.
Wir bieten Ihnen an, eine Gegenfinanzierung über eine entsprechende Mineralölsteuererhöhung in einer Größenordnung von 20 Prozent mitzutragen.
- Pfennig, Entschuldigung. Heute haben sich schon andere versprochen.
Warum haben Sie nicht den Mut, eine richtige, zentrale sozialpolitische Entscheidung gleichzeitig mit einer entsprechenden strukturellen Erneuerung, die den Sozialstaat zukunftsfähig macht, zu verbinden?
Nun komme ich zum zweiten Punkt: zu der kommenden Generation. Daß es da nicht einen Aufstand in der Union gibt! Also, Herr Kollege Schäuble: Wenn ihm nichts mehr einfällt, fällt ihm sein Juraexamen ein, und er zieht sich hinter die Juristerei zurück.
Jetzt will ich Ihnen einmal etwas sagen: Sie laufen bei der Vermögensteuer mit dem Verfassungsgerichtsurteil wie mit einer Monstranz am Himmelfahrtstag durch die Gegend.
Der Herr Gerhardt wird nicht müde, permanent das Verfassungsgerichtsurteil zu zitieren. Wenn es aber um den Rechtsanspruch beim Kinderfreibetrag geht, wird vom Verfassungsgerichtsurteil nicht geredet, sondern dann kommen winkeladvokatorische Argumente, um der eigenen Fraktion den Abschied von eigenen Grundprinzipien klarzumachen.
Ich sage Ihnen, Herr Kollege Schäuble, Herr Bundeskanzler, das ist für uns die zentrale Frage: die Zukunftsfähigkeit, die kommende Generation. Das Signal, das Sie jetzt senden, ist, daß die Union mit ihrer Familienpolitik in dem Moment, in dem es bei den Haushalten ernst wird, bereit ist, als erstes in diesem Kernbereich der Zukunftsfähigkeit zu streichen. Und das wollen wir nicht!
Wir machen Ihnen ein Angebot. Herr Uldall und andere wollen doch, daß die Veräußerungsgewinne bei Immobilien versteuert werden. Wenn Sie heute drei Immobilien veräußern und damit länger als drei Jahre warten, gilt dies nicht als gewerblich und Sie können in Deutschland den Gewinn brutto einstecken. In Amerika - da handelt es sich ja nun weiß Gott um das Mutterland des Kapitalismus - müssen sie ihn selbstverständlich versteuern. Wenn Sie ein Aktienpaket, auf das Sie keine Dividende bezogen haben, länger als ein halbes Jahr halten, haben Sie in Deutschland ebenfalls einen freien Veräußerungsgewinn. Das wollen Ihre Experten ändern.
Wir bieten Ihnen an: Machen Sie es jetzt! Wir stimmen zu. Dann können wir ziemlich genau die Erhöhung des Kindergeldes gegenfinanzieren. Was spricht denn dagegen, meine Damen und Herren?
Das sind zwei konkrete Angebote, die wir Ihnen als Oppositionspartei gemacht haben, nämlich in zentralen Bereichen eine Strukturveränderung mitzutragen und gleichzeitig ein eindeutiges Signal für
Joseph Fischer
die Orientierung an der jüngeren Generation zu geben.
Ich frage Sie: Warum macht diese Bundesregierung das nicht mit?
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen nächsten Punkt ansprechen. Herr Bundeskanzler, Sie sagten, die Rente für die gegenwärtige Generation der Rentner sei sicher. Ich frage Sie: Wo läuft bei Ihnen das „gegenwärtig" ab? Wo ist die Grenze? Wir bestreiten ja gar nicht die für die Rente ungünstige demographische Entwicklung. Aber die Union sollte in diesem Zusammenhang vielleicht einmal über eine Neubewertung der Einwanderungspolitik in diesem Lande nachdenken.
Ich frage Sie: Reicht es in einer solchen Situation, wo es um die Zukunftsfähigkeit geht, über die Jugend, über die heutige Generation und darüber zu reden, was im Jahre 2030 ist?
Wenn ich mir Ihr Programm anschaue, frage ich mich: Wo bleibt in dieser Situation der Schwerpunkt der Familienförderung? Sie können doch nicht nur die demographische Entwicklung in diesem Lande beklagen, für die Sie - ich gebe es ja ehrlich zu - nichts können. Auf der anderen Seite müssen wir uns alle gemeinsam, nicht nur die Bundesregierung, ans Bein binden: Eines der reichsten Länder ist nach wie vor nicht eines der kinderfreundlichsten Länder. Das ist der eigentliche Skandal nach zwölf Jahren CDU/ CSU-Regierung in diesem Lande.
Meine Damen und Herren, wir bieten Ihnen ausdrücklich an, daß wir, wenn Sie eine Einkommensteuerreform mit Senkung des Spitzensteuersatzes linear-progressiv, aber auch mit Senkung des Einkommensteuersatzes machen, konstruktiv mitarbeiten werden, weil wir das für dringend geboten halten - nur, wenn Sie das wollen!
Derjenige, der es bisher nicht wollte, war Theo Waigel. Bei der Ökosteuer hat er blockiert, beim Bericht der Bareis-Kommission hat er blockiert. Insofern hat Oskar Lafontaine völlig recht: Warum ausgerechnet jetzt die Waigel-Kommission nach der BareisKommission mehr als die Idee eines Mäuschens produzieren soll, ist eine Frage, die Sie sich wohl selbst werden beantworten müssen.
Aber wenn wir diese Reform der Einkommensteuer mit der Senkung des Spitzensteuersatzes machen - wofür wir sind -, bei Streichung der Subventionen, bei Streichung der Umgehungstatbestände - völlig legal, das heißt Verbreiterung der entsprechenden Bemessungsgrundlagen - und bei einer linear-progressiven Absenkung des Eingangssteuersatzes, dann hat natürlich die Vermögensteuer eine ganz andere Perspektive, als das Herr Schäuble dargestellt hat. Insofern besteht für uns ein direkter Zusammenhang zwischen der Reform der Einkommensteuertarife und der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer. Da vertreten wir eine völlig andere Position.
Bei der Gewerbekapitalsteuer sind wir für die Abschaffung dieser Substanzbesteuerung - wenn den Gemeinden eine entsprechende Gegenfinanzierung angeboten wird, was der Fall ist. Aber bei der Gewerbeertragsteuer sind wir ganz anderer Meinung. Wir wollen ihre Revitalisierung und nicht ihre Abschaffung, weil es keine Substanzbesteuerung ist.
Ich sage Ihnen in dem Zusammenhang noch ein letztes: In der Bundesrepublik Deutschland kommt jetzt ein Generationswechsel, bei dem zwischen 2 000 und 3 000 Milliarden an Vermögensbesitz vererbt werden. Wir wollen keine konfiskatorische Besteuerung oder ähnliches. Aber wir sind der Meinung, daß es ein Skandal ist, wenn angesichts dieser Tatsache in diesem Land Sozialleistungen bei den Schwächsten abgebaut werden müssen und wir uns gleichzeitig eine Erbschaftsteuer leisten, mit der wir weltweit im Vergleich zu anderen reichen Ländern das Schlußlicht bilden. Hier sind wir ganz anders als die „Partei des neuen Egoismus".
Hier ist Solidarität, gerade der Erben, angesagt. Hier darf man nicht über Senkung reden, sondern hier reden wir über Erhöhung.
Wir reden nicht über die Abschaffung der Vermögensteuer, sondern auch hier wollen wir, daß ein entsprechender Anteil gezahlt wird. Wir wollen runter bei den Lohnnebenkosten. Wir wollen Mittelstandsförderung betreiben. Wir freuen uns, wenn es nach zwölf Jahren endlich so weit ist, daß die Eigenkapitalbildung beim Mittelstand gefördert werden soll. Warum haben Sie das nicht schon längst gemacht?
Eines muß ich Ihnen sagen: Sie hätten jetzt Einsparmöglichkeiten beim Militärhaushalt. Auch im Verkehrshaushalt haben Sie wunderbare Einsparmöglichkeiten. Damit ich nicht mißverstanden werde: Ich bin nachdrücklicher Anhänger eines schnellen Umzugs nach Berlin. Aber überprüfen Sie doch einmal diese Luxusbauten, die dort geplant werden. Auch hier wären Einsparmöglichkeiten. Auch hier wäre vermutlich weniger besser.
Das, meine Damen und Herren, sind die Punkte, die wir anpacken müssen. Es geht um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Bei der jüngeren Generation versagen Sie völlig. Die Solidarität beginnen Sie unter dem Druck der gegenwärtigen Entwicklungen aufzukündigen. An diesem Punkt werden wir entschieden Widerstand leisten, weil die Zukunft des Sozialstaats zugleich die Zukunft der sozialen Demokratie ist. Wir wollen keine amerikanische Entwicklung.