Rede von
Hartmut
Koschyk
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Aussiedlerpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist auf einen Konsens aller hier im Deutschen Bundestag angewiesen, aber auch auf einen Konsens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und auch auf einen notwendigen gesellschaftlichen Konsens, was den weiteren Zugang von deutschen Aussiedlern nach Deutschland anbelangt.
Wir haben dafür gemeinsam 1992 nach dem Asylkompromiß die Grundlage in dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz gelegt, nach dem jährlich ca. 220 000 Aussiedler nach Deutschland kommen können. Wir haben es gemeinsam in den letzten Jahren durch eine Politik geschafft, die für den Zugang nach Deutschland sagt, das Tor bleibt offen, die aber auf der anderen Seite in den Herkunftsgebieten neue Perspektiven für das Bleiben schafft, so daß sich der Zuzug nach Deutschland verstetigt hat und so daß bei denen, die noch in ihren Heimatgebieten leben, das Vertrauen bleibt, daß kein Grund zur Panik einer übereilten Entscheidung über Gehen oder Bleiben zustande kommt.
Das beweisen auch, meine Damen und Herren, die Zahlen. Über 100 000 Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion haben einen Ausnahmebescheid für die Bundesrepublik Deutschland in der Tasche. Sie machen aber keinen Gebrauch davon. Sie suchen nach Perspektiven in ihrer Heimat und vertrauen darauf, daß wir ihnen die Option des Gehens oder Bleibens offenhalten.
Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen die Augen nicht davor verschließen, daß es an einigen Punkten der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Wochen und Monaten zu Problemen gekommen ist und das geregelte Aufnahmesystem zwischen Bund und Ländern Verzerrungen erfahren hat. Dies liegt daran, daß vor allem Aussiedler, die auf die neuen Bundesländern verteilt worden sind, aus den neuen Bundesländer in die alten Bundesländer abwandern. Dies führt dazu, daß Strukturen, die in den neuen Bundesländern mühsam aufgebaut worden sind, nicht ganz in Anspruch genommen werden, zum Beispiel Sprachkurse mangels Masse - wenn ich das einmal so sagen darf - nicht ausgefüllt sind, wir aber bei den Aufnahmekapazitäten in den alten Bundesländern wegen einiger Probleme der Bundesrepublik Deutschland Schwierigkeiten bekommen haben.
Das hat dazu geführt, daß wir ein Instrumentarium, das vorliegt, nämlich das Wohnortzuweisungsgesetz für Aussiedler aus dem Jahre 1989, im letzten Jahr um fünf Jahre verlängert haben, daß wir bei diesem Gesetz aber auf Bitten der betroffenen Länder zusätzliche Instrumentarien einbauen sollen, um den Zuzug von Aussiedlern auf die Bundesrepublik, vor allem zwischen den alten und den neuen Bundesländern, besser zu verteilen.
Ich will aber sehr deutlich sagen: Das Gesetz, daß wir heute beschließen, muß in einen gesamten Maßnahmenkatalog eingepaßt sein, und zu diesem Maßnahmenkatalog muß an erster Stelle gehören, daß
Hartmut Koschyk
wir die Information für Aussiedler in ihren Herkunftsgebieten dahin gehend verbessern, ihnen zu sagen: Überlegt euch bereits beim Stellen eures Antrages und bei Genehmigung eures Antrages, wohin ihr in der Bundesrepublik Deutschland geht!
Dazu gehört auch, daß wir sie über die Chancen beraten, die in den neuen Ländern auf Grund teilweise besserer und noch nicht so überlasteter Strukturen der Aufnahme bestehen, daß wir sie darauf vorbereiten und ihnen vor allem eines sagen: Ihr habt jetzt einen längeren Zeitraum, um euch auf eure Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten. Nutzt diese Zeit, um eure Sprachkenntnisse in den Herkunftsgebieten zu verbessern,
denn Sprache ist der Schlüssel der Integration! Vor diesem Hintergrund begrüßen wir es, daß die Bundesregierung die Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachvermittlung der Aussiedler in den Herkunftsgebieten verstärkt. Aber auch hier sage ich: - -
- Das wäre gar nicht schlecht, Herr Fischer;
die würden sie gut vorbereiten auf ihr Leben in der Bundesrepublik Deutschland.
Aber ich sage sehr deutlich: Noch so viele Sprachfibeln, noch so viele Sprachkurse, noch so viele Wörterbücher in den Begegnungszentren für die Rußlanddeutschen helfen nichts, wenn nicht auch der eigene Antrieb hinzukommt, die Zeit bis zur Ausreise zur Verbesserung der Sprachkompetenz zu nutzen.
Zu diesem Paket gehört auch, daß wir hier in der Bundesrepublik - und da gibt es ja neue Initiativen der Bundesregierung - in den Erstaufnahmeeinrichtungen die Aussiedler auch zum Ja zu den neuen Bundesländern beraten. Es ist richtig, wenn die Bundesregierung hier selbst Betroffene einsetzt; denn ich glaube schon, daß Rußlanddeutsche, die vor Jahren hierhergekommen sind und unsere Struktur kennen, die jetzt zu uns kommenden Landsleute am besten beraten können und sie auch überzeugen können, daß es nicht sinnvoll ist und der Eingliederung und neuen Chancen nicht dient, wenn man dorthin geht, wo schon viele sind, wo die Struktur nicht mehr in der Lage ist, weitere zu verkraften.
Durch das heute vorgelegte Gesetz wollen wir den Ländern die Möglichkeit geben, daß sie Aussiedlern dann einen vorläufigen Wohnort auf zwei Jahre befristet zuweisen können, wenn diese über keinen Arbeitsplatz verfügen.
Allein das Kriterium des Nachweises der Wohnung - das müssen wir hier ganz offen einräumen - hat nicht mehr gegriffen; denn wir haben in der Tat in einigen Regionen der alten Bundesländer auf einmal sehr viel Wohnraum durch Auflassung militärischer Liegenschaften, aber wir haben keine zur Verfügung stehende Arbeit, die vielleicht hier und da in den neuen Bundesländern besser gegeben ist, und wir haben auch nicht die Strukturen, daß zum Beispiel dann auch die Sozialhilfeträger zur unbegrenzten Hilfe in der Lage wären.
Wenn ich zum Beispiel aus einem Kreis in Niedersachsen höre, daß ihm bei 5 000 Aussiedlern im Kreis insgesamt 256 weitere zugewiesen werden, dann halte ich das für Zahlen, die deutlich machen, daß wir hier eine bessere Verteilung ermöglichen müssen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns natürlich der Diskussion stellen, wir schränkten die Freizügigkeit der Aussiedler zu stark ein. Das tun wir nicht, aber Freizügigkeit in Deutschland heißt nicht, daß ich überall in Deutschland die Leistungen bekommen kann, für die wir oftmals kommunale Strukturen brauchen. Wir können unsere Kommunen, die dann zum Beispiel Sozialhilfeträger sind, nicht überfordern, wenn wir in einem Teil Deutschlands zu wenige Aussiedler und in einem anderen Teil zu viele haben.
Deshalb ist es sicher im Interesse einer guten Eingliederung der Aussiedler, auch im Interesse der Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung, wenn wir sagen: In den ersten zwei Jahren muß es möglich sein, die Verteilung besser zu steuern, und wer sich nicht daran hält und an einen anderen Ort geht, der hat dann dort auch keinen Anspruch auf Leistungen aus dem Arbeitsförderungsgesetz, der hat dann dort auch keinen Anspruch auf volle Sozialhilfe, sondern nur auf einen Notbedarf der Sozialhilfe. Wenn Aussiedler allerdings Arbeitsplatz, Wohnung, Ausbildungsplatz vorweisen können, sind sie von diesen Regelungen nicht betroffen.
Das Ganze ist auf zwei Jahre befristet. Es liegt jetzt an den Ländern, das Instrumentarium, das ihnen der Bund gibt, zu nutzen. Wir bitten die Bundesregierung, daß sie uns immer wieder berichtet, wie dieses neue Instrumentarium angenommen wird.
Ich appelliere allerdings auch an die Länder, jetzt solidarisch zu sein.
Denn es geht nicht, dem Bund laufend die Tür einzurennen und zu sagen: „Macht da was" und dann, wenn der Bund das, was die betroffenen Länder wollen, macht, in eine akademische Diskussion einzutreten, ob nicht die Freizügigkeit für Aussiedler zu sehr tangiert ist. Jetzt müssen die Länder untereinander solidarisch sein. Wir sind uns im Bundestag einig. Ich bedanke mich bei der SPD für die Zustimmung im Innenausschuß. Ich nehme an, Sie werden auch
Hartmut Koschyk
heute zustimmen. Jetzt müssen aber auch die Länder gemeinsam dieses Instrumentarium annehmen und nutzen.
Herzlichen Dank.