Rede von
Dr.
Heiner
Geißler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin am letzten Sonntag nach einer Feier der ChristlichDemokratischen Union in Bad Bergzabern zum 50jährigen Bestehen der CDU zu meinem Auto gegangen. Dann kam ein älterer Mann, Mitglied der CDU, den ich kannte, zu mir. Er war früher Arbeiter bei Gummi-Meyer in der Schreinerwerkstatt. Er hatte eine an diesem Sonntag erschienene Boulevardzeitung in der Hand und fragte mich wegen der Schlagzeile: Herr Geißler, jetzt habe ich 42 Jahre gearbeitet und immer ungefähr durchschnittlich verdient. Wird mir jetzt nach 42 Jahren die Rente gekürzt, und ist der Bundesarbeitsminister Norbert Blüm ein Betrüger?
Daraufhin habe ich ihm gesagt: Ich bin, seit ich in der Politik tätig bin, auch in der Zeit, als ich Generalsekretär war, immer eng verbunden gewesen mit der Sozialpolitik. Die meisten im Saal wissen das. Ich war 13 Jahre Sozialminister. Ich kann es beurteilen, und ich weiß, was ich sage. Ich habe zu dem Mann gesagt: Sie brauchen keine Angst zu haben, weder davor, daß Ihre Rente gekürzt wird, noch davor, daß überhaupt an der Auszahlung der Rente gerührt wird, die Sie sich in Ihrem langen Arbeitsleben erarbeitet haben. Und dies ist die Wahrheit.
Es sitzen ja ältere Leute heute vormittag vor dem Fernseher und können Gott sei Dank an dem teilhaben, was wir miteinander bereden. Herr Dreßler, das, was Sie gesagt haben, stimmt insoweit nicht, als Sie offenbar das Zahlenwerk, das der Bundesarbeitsminister in seiner Regierungserklärung vorgelegt hat, nicht zur Kenntnis genommen haben.
Nun mag es sein, daß 25 Minuten kurz sind, wenn man sich selber auf eine Rede vorbereitet. Ich will das überhaupt nicht bestreiten. Aber er hat es hier gesagt.
Selbst wenn man das problematisiert - man kann die Schwankungsreserve, die Fremdrenten und auch versicherungsfremde Leistungen, alles, was hier in diesem Zusammenhang gesagt wird, zur Diskussion stellen, und wir müssen auch darüber reden -, wissen Sie ganz genau: Selbst wenn die Schwankungsreserve drunter oder ein bißchen drüber ist - mit der Sicherheit der Renten
der Leute, die mir an jenem Sonntag begegnet sind, und der Rentnerinnen und Rentner, die jetzt zuhören, haben Ihre Zahlenspiele nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun.
Damit die Leute jetzt wirklich wissen, was los ist, fegen wir das alles einmal weg, und ich sage das, was einer derjenigen, die es ja wissen müssen, nämlich einer der für die Rentenversicherung Verantwortlichen, der Erste Direktor des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, vor wenigen Tagen kurz und bündig auf die Frage im ZDF-„Morgenmagazin" „Sind die Renten in Ost und West sicher?" gesagt hat:
Die Renten sind sicher. Es gibt zur gesetzlichen Rentenversicherung keine Alternative. Die Gegenmodelle, die vorgetragen werden, etwa die Grundrente, sind weder in sich schlüssig noch rechtlich und sozialpolitisch machbar noch politisch mehrheitsfähig.
Die Renten sind sicher. Das beinhaltet natürlich, daß wir ständig an Reformen arbeiten müssen. Aber es ist ein Unterschied, ob ich wegen akuter Probleme, die begründbar sind und auf die wir noch zu sprechen kommen werden, eine Diskussion zum Beispiel über Schwankungsreserve, Vorruhestand, mißbräuchlich angewendete Frühverrentung habe - das ist ein Kapitel - oder ob es um die andere, zentrale Frage geht - das empfinden doch die Leute bei unserer Diskussion -: ob sie in der Tat Angst um ihre Renten haben müssen.
Ich füge noch etwas hinzu, weil das auch gestern eine Rolle gespielt hat. Wir haben in Europa unterschiedliche Rentensysteme. Wir haben zum Beispiel auch Rentensysteme wie in dem sonst gepriesenen und durchaus positiv zu bewertenden Holland, das aber eben nicht unser beitragsbezogenes, leistungsbezogenes Rentensystem hat. Das gilt auch für Schweden. Diese Länder reformieren völlig zu Recht ihr Sozialsystem. Sie ändern ihr Rentensystem, das sozusagen Versorgungscharakter hat, und steigen jetzt auf die leistungsbezogene Rente um. Deswegen sage ich noch einmal: Wir haben überhaupt keinen Grund, von diesem erfolgreichsten Alterssicherungsmodell aller Industrieländer in der Welt abzukehren, wenn andere inzwischen von ihrem falschen Modell umsteigen und unseres übernehmen.
Dr. Heiner Geißler
Kein vernünftiger Mensch würde eine erfolgreiche Alterssicherung, wie wir sie haben, in dieser Form in Frage stellen, wie es geschehen ist.
Wenn mich der Mann fünf Tage später gefragt hätte oder wenn ich ihm am nächsten Sonntag begegnet wäre, hätte er mir wahrscheinlich noch ganz andere Fragen gestellt. Denn dann hätte er nicht nur die Sache aus der Boulevardzeitung zur Kenntnis genommen. Vielmehr hätte er auch Aussagen aus diesem Industrieverband und aus jenem, von jener Großbank und einer anderen Bank gelesen, die immer in dasselbe Horn stoßen: Die Renten seien unsicher. Wenn man dann nachfragt, auch öffentlich, dann heißt es immer - ich könnte es zitieren -: So war das nicht gemeint; oder: Da bin ich mißverstanden worden. Das alles müssen wir immer wieder von diesen Leuten hören, wenn es wirklich zur sachlichen Diskussion kommt.
Aber es sind ja nicht die Leute, die aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse daran haben. Daß ein Rentenversicherungssystem mit einem Volumen von mehr als 300 Milliarden DM auch für internationale Finanzmärkte, für internationale Versicherungskonzerne ein interessantes Finanzpotential ist, kann ich verstehen. Die Diskussion kann man auch führen. Wenn diese Leute sie führen, muß man das akzeptieren, und dann kann man es sachlich widerlegen.
Jetzt frage ich aber einmal die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei: Was soll man eigentlich von Ihren Äußerungen halten, die sich nahtlos an das anschließen, was wir in den letzten fünf oder sechs Monaten von der Boulevardzeitung bis zum Versicherungskonzern gehört haben? Daß das nichts mehr mit der Sorge um die Rentnerinnen und Rentner zu tun hat, sondern primitiver Wahlkampf ist,
kann ich Ihnen an einem einzigen Beispiel sagen, das mich wirklich erregt:
In Rheinland-Pfalz - das sollte jeder wissen - klebt die Sozialdemokratische Partei Plakate, auf denen steht: „Die CDU redet so lange über die Renten, bis sie kaputt sind."
Herr Dreßler, ich habe die Debatten von Mitte 1976 nachgelesen. Walter Arendt, Arbeits- und Sozialminister von 1969 bis 1976, war wirklich einer der großen Sozialpolitiker. Ich war damals lange Zeit Vorsitzender der Arbeitsministerkonferenz der Länder und habe dadurch Kontakte mit ihm gehabt. Wir haben zu der Zeit auch Debatten über die Renten geführt. Lesen Sie bitte einmal die Debatten nach, die Mitte der 70er Jahre geführt worden sind.
Damals ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat darunter gelitten, und Walter Arendt hat daraus nachher die Konsequenz ziehen müssen. Walter Arendt hat in
der Tat die Rentner verunsichert, indem er gesagt hat: Die Renten werden erhöht. Dann haben Sie - ich weiß nicht, wie oft - die Anpassung verschoben, und man hat die Rentenerhöhung staatlich festgesetzt und vieles andere mehr. Das wissen Sie alles ganz genau.
Ich will jetzt gar nicht von Frau Fischer reden, die auch von Rentenkürzung spricht. Ich will auch nicht von Frau Schüller reden, die die Jugend gegen das Alter ausspielt. Lassen wir das; das ist alles debattiert worden.
Ich zitiere jetzt, was Sie, Herr Dreßler, heute morgen gesagt haben, nicht in den letzten Tagen, sondern heute morgen angesichts der unbestreitbaren Situation, daß die Renten nicht gefährdet sind und daß bei allen Problemen, die Sie genannt haben und die auch Norbert Blüm genannt hat - er hat die Zahlen auf den Tisch gelegt, über die wir reden müssen -, kein Rentner auf die ihm zustehende Rente verzichten muß. Sie haben gesagt: Ausplünderung - den Begriff haben Sie heute morgen verwendet -, Scherbenhaufen, Diebstahl; die Rentenversicherung sei auf der Intensivstation. Das bedeutet ja wohl, daß sie offenbar unmittelbar vor dem Verenden ist. Lieber Herr Dreßler, was glauben Sie denn, was Sie mit solchen Ausführungen angesichts der objektiven Lage, die Sie selber bestätigen müssen, in den Köpfen und in den Herzen von Millionen von alten Leuten anrichten?
Das ist doch eine Katastrophe!
Egon Friedell, einer der großen Journalisten, hat einmal gesagt: Aus einem Waschlappen kann man keine Funken schlagen. Aber man kann es doch. „Fiction finding" statt „Fact finding" passiert hier. Es wird etwas erfunden aus parteipolitischen Gründen.
Ich halte das für eine Katastrophe, für eine absolute Katastrophe.
Als ich Generalsekretär war, ist etwas Schlimmes passiert. Tschernobyl ist in die Luft gegangen. Es gab große Diskussionen über dieses schlimme Ereignis. Eine Boulevardzeitung hat damals die Überschrift gebracht: „Auch in Deutschland: Vögel fallen tot vom Himmel" . Auf eine Anfrage von mir, wo denn welche heruntergefallen seien, antwortete der für diese Schlagzeile verantwortliche Redakteur: Herr Geißler, weisen Sie mal nach, daß keine vom Himmel gefallen sind! So läuft die Diskussion über die Renten zur Zeit ab.