Rede von
Rudolf
Dreßler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt, der uns heute morgen zusammengeführt hat, lautet „Regierungserklärung zur aktuellen Lage der Rentenversicherung". Der dafür verantwortliche federführende Minister hat es fertiggebracht, in den 47 Minuten, die er für die Abgabe der Erklärung benötigt hat, diesem Parlament nicht in einem einzigen Satz diese Lage zu erläutern. Nicht in einem einzigen Satz!
Weil das so ist, meine Damen und Herren, wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion jetzt diese Rolle übernehmen müssen.
Möglicherweise werden Sie sich noch bei manchen Stellen, an denen Sie soeben Beifall geklatscht haben, weil es Ihnen so viel Freude gemacht hat, überlegen müssen, wie Sie sich denn in den nächsten Tagen und Wochen mit den gleichen feuilletonistischen Unterhaltsamkeiten Ihres Sozialministers auseinandersetzen, die Sie eben in diesen 47 Minuten für opportun gehalten haben.
Jeder, der sich in diesem Parlament mit Rentenpolitik zu befassen hat, kann sich an den 9. November 1989 erinnern. Damals fiel nicht nur die Mauer in Berlin, und damals begann nicht nur die deutsche Einheit. Am gleichen Tag wurde in diesem Hause die Rentenreform 1992 beschlossen.
Ich habe bei dieser Gelegenheit für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unter anderem folgendes gesagt - ich zitiere -:
Wir schaffen die gesetzlichen Grundlagen ... für einen Regelmechanismus zur sozial ausgewogenen Lastenverteilung. Ob er in der politischen Praxis funktionieren wird, hängt davon ab, inwieweit die an diesem Reformgesetz beteiligten Parteien der Versuchung widerstehen werden, das Erreichte wieder zu zerreden.
Die Reform, die jetzt beschlossen wird, hält so lange und schafft so lange Sicherheit, wie der politische Konsens in den Eckwerten bestehenbleibt.
Ich zitiere das, meine Damen und Herren, weil heute der Zustand eingetreten ist, vor dem ich
damals gewarnt habe: Die Bundesregierung hat das gemeinsame Werk der Rentenreform durch eine Kette von einseitigen direkten und indirekten Manipulationen in den Strudel einer kurzfristig taktierenden Haushalts- und Schuldenpolitik hineingezogen und den Konsens zerstört.
Wie in den Jahren vor der Rentenreform 1989 wird das von den Rentenversicherungsträgern gemeldete Finanzierungsloch auch jetzt von Tag zu Tag größer. Mit jeder neuen Modellrechnung, die einer irritierten Öffentlichkeit vorgeführt wird, steigt der für die kommenden Jahre ausgerechnete Beitragssatz. Wie in den Jahren vor der Rentenreform 1989 wird ein Loch gestopft, indem das nächste aufgerissen wird. Herr Blüm, so wird Unsicherheit erzeugt, wo Verläßlichkeit erforderlich wäre.
Wer auf die tatsächliche Situation der Rentenversicherung hinweist, wurde in den letzten Tagen, wurde jetzt in 47 Minuten vom Bundesarbeitsminister bezichtigt, Horrormeldungen zu verbreiten oder sich als Sprengmeister des Sozialsystems zu betätigen. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus: Nicht wer die Wahrheit sagt, sondern wer wie Herr Blüm heute morgen die Öffentlichkeit über die tatsächliche Lage in der Rentenversicherung hinter das Licht führt, wer täuscht oder schwindelt, der ist auf dem Weg zur Zerstörung dieses Rentensystems, meine Damen und Herren.
Damit das zwischen Ihnen und mir, nicht zwischen Herrn Blüm und mir, klar ist: Die SPD verfügt nicht über andere Informationen als Herr Blüm selbst. Der Unterschied ist nur: Wir machen sie öffentlich, er will sie verheimlichen, weil sie seine falsche Politik offenbaren.
- Nur Ruhe!
Aus diesen Informationen ergibt sich einwandfrei, daß seine Beschwichtigungsparolen auch heute morgen nichts als Unwahrheiten und Ausflüchte sind.
Erstens. Nach den Annahmen des Jahreswirtschaftsberichts und nach geltendem Recht muß der Beitragssatz schon im kommenden Jahr auf 20 Prozent steigen. Haben Sie das hier heute morgen von Herrn Blüm gehört?
1998 kann er vorübergehend etwas zurückgenommen werden, klettert aber 1999 schon wieder auf
20 Prozent. Haben Sie das hier heute morgen gehört?
Die gesetzlich vorgeschriebene Schwankungsreserve von einer Monatsausgabe wird zum Jahres-
Rudolf Dreßler
ende 1996 mit 6,3 Milliarden DM Defizit klar unterschritten. Haben Sie das heute morgen gehört?
Wo sind denn die Deckungsvorschläge, meine Damen und Herren? Das wäre Aufgabe der Regierungserklärung heute morgen gewesen!
Zweitens. Auch die geplante Umstellung des Anpassungsverfahrens in den neuen Ländern vom sogenannten Ex-ante-Verfahren auf das Ex-post-Verfahren reicht nicht aus, die gesetzliche Mindestreserve zum Jahresende 1996 zu garantieren. Auch der Beitragsanstieg im Jahre 1997 auf 19,9 Prozent bliebe alarmierend. Haben Sie das hier heute morgen gehört?
Ich nicht.
Drittens. Selbst wenn zusätzlich zur Änderung der Anpassungsformel Ost der Beitragssatz schon zum 1. Juli 1996 per Gesetz auf 19,5 Prozent erhöht würde, was Herr Blüm gestern für die Bundesregierung ausdrücklich dementiert hat, würde die gesetzliche Mindestreserve zum Jahresende 1996 nicht eingehalten werden können. Auch am Beitragsanstieg auf 20 Prozent ab 1999 würde sich nichts ändern.
Dieses nenne ich in der Tat alarmierend. Herr Blüm, es wäre Ihre Pflicht gewesen, vor dem deutschen Parlament diese einfachen Wahrheiten, die Ihnen schriftlich seit dem 23. Januar 1996 bekannt sind, zu offenbaren. Das wäre Ihre Pflicht gewesen.
Ich habe 47 Minuten Lyrik und Angriffe gegen die Opposition gehört. Das zweite ist in Ordnung, Herr Blüm: Wenn man alle ist, muß man sich über Wasser halten und die Opposition beschimpfen. Aber statt zumindest den Mitgliedern Ihrer Regierungskoalition die Wahrheit über die Rentenversicherung zu sagen, verkaufen Sie Lyrik. Es ist unerhört, was Sie hier abgeliefert haben.
Die Konsequenz, meine Damen und Herren, ist: Niemand kann heute auf der Grundlage der uns bekannten Daten sicher sein, ob die Rentenkassen im kommenden Herbst nicht leer sein werden und Renten nur noch auf Pump gezahlt werden können, wenn sich der von der Bundesregierung politisch mit verantwortete Konjunkturabschwung fortsetzen sollte und sich die ökonomischen Rahmendaten gegenüber den Annahmen des Jahreswirtschaftsberichtes 1996 noch weiter verschlechtern. Wir stehen heute vor einem Scherbenhaufen, und der Verantwortliche ist niemand anders als der Bundesarbeitsminister.
Statt die Linie des Rentenkonsenses weiter zu verfolgen und seiner Sorgfaltspflicht für die Rentnerinnen
und Rentner, für die Beitragszahler zu genügen, hat er zugelassen, daß die Rentenversicherung zur Manövriermasse der Haushaltspolitik geworden ist, meine Damen und Herren.
Der Kollege Graf Lambsdorff erklärt offen, künftig könnten wir uns die Dynamisierung der Renten nicht mehr leisten. Geradezu dreist ist es, daß Graf Lambsdorff in diesem Zusammenhang das Wörtchen „wir" gebraucht, als ob ausgerechnet er persönlich Pflichtbeitragszahler dieses Systems wäre oder seine Altersvorsorge auf dessen Funktionieren angewiesen wäre.
Meine Damen und Herren, daß es soweit gekommen ist und der wirtschaftspolitische Sprecher der kleineren Koalitionsfraktion auf diese Weise jenes für völligen Unsinn erklärt, für das der Bundesarbeitsminister der gleichen Koalition angeblich noch wie ein Löwe kämpft, zeigt, daß die Rentenpolitik dieser Regierung bankrott ist.
Dabei geht es nicht um irgendeine Panne; es handelt sich vielmehr um den Ausdruck des generellen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Konkurses dieser Bundesregierung.
In dem Zustand der Rentenversicherung, den wir heute zu beklagen haben, manifestieren sich die drei wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Kardinalfehler der Regierung Kohl: erstens das völlige Versagen in der Beschäftigungspolitik, zweitens die gezielte Umverteilung von unten nach oben und drittens der Betrugsversuch bei der Finanzierung der deutschen Einheit, der Versuch, den Deutschen im Osten goldene Berge zu versprechen und gleichzeitig die Deutschen im Westen in dem Irrtum zu wiegen, alles sei ohne eine solidarische Anstrengung und ohne einen neuen gerechten Lastenausgleich zu erzielen.
Das alles hat dazu geführt, daß der Rentenversicherung seit am 9. November 1989 die Rentenreform verabschiedet wurde, eine Kette von Aderlässen zugemutet wurde. Jetzt, im Januar 1996, erleben wir das Resultat. Die Rentenversicherung, die jahrelang als Blutspenderin für die verfehlte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Bundesregierung herhalten mußte, ist ausgeblutet und muß selbst auf die Intensivstation.
Der erste Sündenfall war der politische Rentendiebstahl noch vor Inkrafttreten der Rentenreform 1992. Ich meine, die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages von 18,7 Prozent auf erst 17,7 Prozent und später auf 17,5 Prozent bei gleichzeitiger Erhöhung des Beitrages zur Bundesanstalt für Arbeit um 2,5 Prozentpunkte. Das war die Zweckentfremdung eines Reservepolsters. Das Eigentum der Beitrags-
Rudolf Dreßler
zahler der Rentenversicherung ist damals zur Finanzierung von allgemeinen Staatsausgaben, nämlich der Stützung des Arbeitsmarktes im Osten, mißbraucht worden.
Das Rentenüberleitungsgesetz war der nächste Schritt. Falsch war - das haben wir bei der Debatte und bei der Beratung immer wieder hinterlassen -, daß der Bundeszuschuß nicht zum Ausgleich der exorbitant hohen Arbeitslosigkeit im Osten erhöht wurde, und falsch war auch, daß die Auffüllbeträge nicht aus Steuermitteln, sondern vom Beitragszahler finanziert werden mußten.
Richtig bleibt trotzdem, daß die sozialdemokratische Fraktion dem Rentenüberleitungsgesetz schließlich zugestimmt hat. Das geschah nur, und das habe ich auch zu Protokoll gegeben, weil wir es bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen im Bundestag und im Bundesrat nicht verantworten konnten und durften, das Rentenüberleitungsgesetz an der falschen Finanzierung durch die Mehrheit dieses Hauses scheitern zu lassen.
Zu den Fehlern des Bundesarbeitsministers, die heute ausgebadet werden müssen, gehört auch die völlige Tabuisierung des Fremdrentengesetzes.
Heute morgen hat er wieder die Verdrängung hier zu Protokoll gegeben.
Ich zitiere, was ich hierzu am 21. Juni 1990 im Bundestag ausgeführt habe, Herr Blüm; ich erinnere Sie daran. Ich habe gesagt:
Schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer hat die SPD die Auffassung vertreten, daß das Fremdrentengesetz seine Berechtigung verloren hat. Sofort nach dem Fall der Mauer
- so habe ich hier gesagt -
hätte der Bundesarbeitsminister Blüm aktiv werden müssen. Die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze hatte
- weiteres immer noch Zitat -
dem bisherigen Fremdrentengesetz buchstäblich über Nacht die Grundlage entzogen.
Damals haben Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion mir deshalb von diesem Pult aus Sozialneid vorgeworfen, und Herr Blüm selbst hat sich hier hingestellt und diese Bemerkung zum Fremdrentengesetz wörtlich als „schäbige Rede" skizziert. DaS ist die Erinnerung an das Jahr 1990.
Heute sind die Fremdrentenleistungen auf rund 11 Milliarden DM jährlich angewachsen. Die Bundesregierung hat die Aussiedlerzahlen nicht begrenzt, wie sie es im Asylkompromiß versprochen hat. Weder wurde das Fremdrentengesetz geschlossen noch dessen Finanzierung neu geregelt. Das Ergebnis sind jährlich rund 11 Milliarden Deutsche Mark, die nicht die Rentenversicherung reklamiert, sondern die Mehrheit dieses Hauses zu Lasten der
Beitragszahler, und das Dilemma heute in Richtung der Liquidität dieses wichtigen Systems.
Der nächste Sündenfall: Trotz unserer Proteste wurden die Leistungen aus dem Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz den Beitragszahlern der Rentenversicherung aufgebürdet.
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Diese Regierung hat Mal für Mal die Rentenversicherung als Reservekasse für ihre bankrotte Haushaltspolitik mißbraucht. Sie ist objektiv überfordert worden durch Aufgaben, für die sie nicht gedacht war, und dieses heute der Rentenversicherung oder besser noch den Sozialdemokraten in die Schuhe zu schieben, das ist ja nun geradezu lächerlich.
Auch die angeblich so gigantische Mißbrauchswelle bei den Altersrenten ab dem 60. Lebensjahr für Arbeitslose ist in Wirklichkeit zum großen Teil Ausdruck von Kosten der deutschen Einheit, die aus der Rentenversicherung statt aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Die Zunahme des Zugangs an Arbeitslosenaltersrente ist nämlich im wesentlichen nur die Spätfolge des bis Ende 1992 praktizierten Altersübergangsgeldes in den neuen Bundesländern, das heißt einer Sonderregelung, die zwar wegen des Zusammenbruchs des Arbeitsmarktes Ost notwendig war, die aber weder als Mißbrauch verunglimpft noch der Finanzlast der Rentenversicherung zugeschlagen werden darf.
Im übrigen: Wenn es Mißbrauch wäre, dann gehörte ja Herr Blüm selbst zu den Missetätern.
Die Bugwelle des Altersübergangsgeldes ist seit Jahren vorhersehbar. Ich halte es für ein ausgesprochenes Armutszeugnis für den Arbeitsminister, daß er das Problem, das er mit verursacht hat, erst im Herbst vergangenen Jahres entdeckt haben will.
Noch schlimmer ist es, daß er es dann so ungeschickt gehandhabt hat, daß in den Betrieben eine regelrechte Torschlußpanik entstanden ist. Die Vorruhestandswelle, die der Minister jetzt so wacker zu bekämpfen vorgibt, hat er zum großen Teil in den letzten Jahren provoziert, meine Damen und Herren.
Vor allem aber trägt die gesetzliche Rentenversicherung die Lasten der Beschäftigungsmisere, die diese Regierung und dieser Arbeitsminister zu verantworten haben. Hier liegt des Übels Kern, denn das Finanzierungsproblem der Rentenversicherung ist in erster Linie kein Rentenproblem; es ist ein Arbeitsmarktproblem.
Die aktuelle Finanzlage der Rentenversicherung ist desolat, das ist wahr. Es gibt schon rein rechnerisch keine Möglichkeit mehr, durch kurzfristige Einsparungen zum Jahresende 1996 noch die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen liquiden Mindestschwankungsreserve von einer Monatsausgabe sicherzustellen. Dies gilt auch für den von der Bun-
Rudolf Dreßler
desregierung vorbereiteten Kahlschlag bei den Altersrenten mit 60 Jahren für Arbeitslose. Ich sage das den Koalitionsfraktionen, weil Herr Blüm diese Informationen an sie offensichtlich nicht weitergibt.
Diese Einsparungen können allenfalls mittelfristig wirksam werden, ganz abgesehen davon, daß die Zahl der Arbeitslosen und die Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit zwangsläufig ansteigen müssen, wenn älteren Arbeitslosen die Möglichkeit des Rentenzugangs ab dem 60. Lebensjahr genommen wird.
Nachdem die Regierung die Finanzen der Rentenversicherung an die Wand gefahren hat, kann das Schiff mit Flickschustereien wie bisher nicht mehr flottgemacht werden, vor allem nicht, wenn sich die Bundesregierung nicht von ihrer verhängnisvollen Strategie lossagt, die Beitragszahler für die deutsche Einheit zahlen zu lassen.
Wir verlangen deshalb die Einberufung einer neuen großen Rentenrunde. Vor allem aber verlangt die SPD-Bundestagsfraktion, daß die Karten nun offen auf den Tisch gelegt werden. Das Gemauschel mit den Zahlen und der Zustand, daß die Öffentlichkeit nur gerüchteweise und das Parlament nur aus Presseveröffentlichungen über die wahre Lage der Rentenfinanzen unterrichtet werden, muß aufhören.
Ich will an dieser Stelle ein persönliches Wort an Herrn Blüm richten. Es ist wahr, Herr Blüm - dazu stehe ich, und dafür habe ich meinen Kopf immer hingehalten, manchmal gegen erhebliche Turbulenzen der Gewerkschaftsbewegung im Jahre 1989 und innerhalb meiner eigenen Partei -, der Rentenkonsens ist wichtiger als wir beide, aber auch wichtiger als jede Koalition. Ich habe dazu immer gestanden. Niemand kann mir vorwerfen, daß ich Turbulenzen in der Rentenversicherung, die ich erfahren habe, auf dem Markt ausgetragen hätte.
Als ich von diesem Dilemma erfuhr, Herr Blüm, habe ich mich gefragt: Wo bleibt nun der Anruf und das Gespräch zur Bereinigung der Lage? Dann habe ich Anfang dieser Woche auf Befragen von Journalisten Zahlen mit der Stelle hinter dem Komma genannt. Herr Blüm, Sie hätten, als Sie das lesen mußten, wissen müssen, daß ich die gleichen Papiere habe wie Sie.
Was haben Sie gemacht? Anstatt Ihre Fraktion und die Regierung zu unterrichten, haben Sie in einem Pressegespräch erklärt, dies sei alles frei erfunden und stimme nicht. Daraufhin hat die SPD-Fraktion eine Aktuelle Stunde beantragt, die Sie gezwungen hat, eine Regierungserklärung abzugeben.
In dieser haben Sie, Herr Blüm, gerade gesagt, unsere Forderung nach einem Gespräch, nach einer großen Rentenrunde zur Bereinigung dieses wirklich katastrophalen Ergebnisses sei nicht nötig. Ich frage Sie allen Ernstes, ob Sie sich nicht besser bis zum Ende dieser Debatte das hier Gesagte noch einmal überlegen.
Bleibt das stehen - ich schaue dabei auch Herrn Schäuble, Herrn Solms und Herrn Glos an, die besondere Verantwortung in der Führung der Koalitionsfraktionen haben -, dann wird die SPD für das, was ab heute in der Rentenpolitik folgt, keine Verantwortung mehr zu übernehmen bereit sein.
Überlegen Sie sich genau, ob Sie den Satz, den Herr Blüm hier von sich gegeben hat, bis zum Ende dieser Debatte aufrechterhalten können.
Wir fordern in unserem Antrag, der Ihnen vorliegt, daß die Bundesregierung kurzfristig eine aktualisierte Fassung des Rentenversicherungsberichts 1995 für die Jahre 1995 bis 2009 vorlegt und dabei das Endergebnis des letzten Jahres für die mittelfristige Rechnung der revidierten ökonomischen Annahmen des Jahreswirtschaftsberichtes berücksichtigt.
Im Rentenkonsens 1989 wurde vereinbart, daß die Bundesregierung im Jahre 1997 einen Bericht über die Auswirkungen der Erhöhung der Altersgrenzen auf die Arbeitsmarktlage, die Finanzlage der Rentenversicherung und andere öffentliche Haushalte vorzulegen hat. Der Sinn dieser Regelung liegt darin, daß der Gesetzgeber rechtzeitig vor Beginn der Anhebung der Altersgrenzen die Möglichkeit hat, diese Entscheidung zu überprüfen.
Das mindeste, was wir verlangen müssen, ist, daß die Bundesregierung jetzt den 97er Bericht über die Auswirkungen der Erhöhung der Altersgrenzen vorzieht und unverzüglich vorlegt, bevor sie eine Gesetzesinitiative zur Änderung der Vorruhestandsregelung einleitet. Wir halten die Situation für so ernst, daß wir als Bundestagsfraktion immer wieder daran erinnern, daß die Finanzierungsprobleme der Alterssicherungssysteme nicht nur die der gesetzlichen Rentenversicherung sind, sondern auch alle anderen Sicherungssysteme betreffen. Deshalb brauchen wir nicht zuletzt auch die Offenlegung der Verhältnisse in der Beamtenversorgung.
Nach Art. 17 des Beamtenversorgungs-Änderungsgesetzes von 1989 ist die Bundesregierung bereits seit Beginn der 13. Wahlperiode, also seit mehr als einem Jahr verpflichtet, einen Bericht über die Entwicklung der Beamtenversorgung in den nächsten 15 Jahren zu erstatten.
Diese Pflicht hat die Bundesregierung bislang verletzt. Der Bundesinnenminister mauert vor sich hin und hofft, daß es keiner merkt.
Das Ziel ist klar: Die privilegierten Versorgungssysteme sollen abermals aus der Diskussion herausgehalten werden, während die beamteten Experten und Empfänger von Ministergehältern öffentlich darin wetteifern, die Altersversorgung der kleinen Leute kaputtzureden.
Die SPD-Fraktion ist nicht mehr bereit, das gesetzwidrige Verhalten des Bundesinnenministers länger hinzunehmen, und verlangt die unverzügliche Vorlage des Versorgungsberichtes.
Rudolf Dreßler
Zusammengefaßt: Die SPD-Fraktion würde es im Interesse der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und des sozialen Friedens bedauern, wenn dies das Ende des Bemühens um eine einvernehmliche Rentenpolitik wäre. Es liegt an der Bundesregierung, zum Rentenkonsens zurückzukehren.
Das bedeutet: Erstens. Alle Zahlen müssen auf den Tisch.
Zweitens. Die Bundesregierung muß ernsthaft bereit sein, die falsche Finanzierung der deutschen Einheit auf dem Rücken der Beitragszahler zu korrigieren.
Drittens. Die Regierung muß ernsthaft bereit sein, die Finanzierung des Fremdrentengesetzes zu ändern.
Viertens. Beim Vorruhestand und bei der arbeitsmarktbedingten Berufs- und Erwerbsfähigkeit muß die Regierung eine Lösung anbieten, die die Zahl der Arbeitslosen nicht erhöht, den Tarifvertragsparteien ein attraktives Angebot zur Förderung der Teilzeitarbeit machen, die Arbeitgeber in angemessener Weise an den Kosten beteiligen und auch für jene älteren Arbeitnehmer sozialverträglich etwas anbieten, die arbeitslos werden, ohne in den Genuß von Sozialplänen zu kommen.
Gesundheitlich stark beeinträchtigten Arbeitslosen weiterhin den Zugang zur Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zu ermöglichen, statt sie auf den Arbeitsmarkt zu verweisen, halten wir für selbstverständlich, und den Vertrauensschutz für bereits laufende und schon vereinbarte Sozialpläne zu gewährleisten ebenfalls.
Rentnerinnen und Rentner, aber auch Beitragszahler verlangen zu Recht die Abkehr von einer Politik der schleichenden Ausplünderung der Rentenkassen. Sie verlangen zu Recht, daß wieder Klarheit und Zuverlässigkeit in die Zukunft der Rentenversicherung gebracht wird. Sie verlangen ebenfalls zu Recht, daß wir das Sozialversicherungssystem vor den destruktiven Plänen der Partei der Besserverdienenden schützen.
Noch, meine Damen und Herren, ist es dazu nicht zu spät. Aber jetzt ist in der Tat die Bundesregierung am Zuge.
Ich danke Ihnen.