Rede von
Manfred
Müller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesaußenminister, ich habe mir drei Wörter aus Ihrer Rede notiert: Unsinn, Blödsinn und unflätig. So haben Sie die Rede des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag tituliert. Ich habe immer mehr Zweifel, ob Sie allein von Ihrer Sprache her die Anforderungen erfüllen, die an einen Außenminister, der Chef des diplomatischen Dienstes ist, zu stellen sind.
Vielleicht denken auch Sie über eine neue Beschäftigung nach, bei der solche Wörter eher angemessen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die PDS hat den Maastrichter Vertrag stets abgelehnt; aber sie hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß es keine Alternative zur europäischen Integration gibt. Gerade weil wir dies so sehen, weil wir beim Scheitern dieser Integration befürchten, daß das Gespenst des Nationalismus zurückkehrt, möchten wir die Bundesregierung dringend davor warnen, sich weiter auf einen Integrationsfahrplan festzulegen, der Europa ausschließlich aus der Perspektive des Monetarismus, der Effektivierung der Institutionen und der gemeinsamen Sicherheitspolitik betrachtet.
Schauen wir nach Frankreich, meine Damen und Herren, und wir sehen, wohin diese Politik führt. Was dort Hunderttausende zum Streik treibt, zu einem Streik, der von zwei Dritteln der Bevölkerung Frankreichs unterstützt wird, ist eine Politik, die kein anderes Ziel mehr kennt, als endlich die Konvergenzkriterien zu erfüllen. Ich meine, es ist höchste Zeit, daß in einer europapolitischen Debatte im deutschen Parlament Solidarität mit den Streikenden und ihren Gewerkschaften zum Ausdruck kommt. Ich freue mich darüber, daß die deutschen Gewerkschaften deutlich gemacht haben, daß sie alles tun werden, um Streikbrecherarbeiten etwa aus Deutschland zu verhindern. Ich meine, daß das Sozialdumping, das bisher das Bild in Europa prägt, nicht noch ergänzt werden darf durch ein Europa der Streikbrecherorganisationen. Deshalb ist es höchst notwendig, daß die Gewerkschaften ihre sozialpolitische Aufgabe innerhalb Europas noch stärker, noch kräftiger erfüllen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Sie müssen endlich näher zusammenrücken, um ein entschiedenes Gegengewicht gegen die allein auf die Freiheit des Geldes innerhalb Europas fixierte bisherige Europapolitik zu setzen.
Wenn das Erreichen der einseitig fiskalischen, monetaristischen Konvergenzkriterien dazu führt, daß das soziale Netz eines Landes zerstört wird, wenn das gewaltsame Reduzieren der Staatsverschuldung die öffentliche Infrastruktur zerstört und Zehntausende von Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verlieren, dann verliert das künftige Europa nicht nur die vielbeschworene soziale Dimension, es verliert auch noch seinen letzten Rest an öffentlicher Akzeptanz. Da nutzen auch keine schönfärberischen Umfragen. Die Akzeptanz innerhalb Europas hängt eben davon ab, was dieses Europa den Menschen nutzt. Schafft es Arbeitsplätze, oder vernichtet es Arbeitsplätze? Schafft es soziale Sicherheit? Sichert es bisher erreichte soziale Standards, oder zerstört die Europapolitik diese bisher erreichten Kriterien?
Die Bürger, von denen im Antrag der Koalition ganz wenig die Rede ist, haben ein berechtigtes Interesse an Arbeitsplätzen. Aber die in Essen beschlossenen und bejubelten Beschäftigungsstrategien haben bisher nicht zu einem Erfolg geführt, sondern werden durch die einseitige Fixierung auf monetäre und fiskalische Konvergenzkriterien zur Makulatur gemacht.
Die in Madrid vorgesehene Überprüfung der Beschäftigungsstrategie ist eine Farce, solange sie
Manfred Müller
von den Konvergenzkriterien der Währungsunion konterkariert wird. Immer noch sind nach den letzten Erhebungen fast 18 Millionen Menschen in der Union offiziell arbeitslos. Die Arbeitslosenquote liegt annähernd unverändert bei 10,6 Prozent. Alle Sachverständigen gehen davon aus, daß sie im nächsten Jahr steigen wird.
Die Bürger der Union haben die berechtigte Erwartung, daß sich ihre sozialen Lebensbedingungen durch die Integration verbessern. Aber was passiert wirklich? Nicht nur daß die Armut in der Union zunimmt, das Wachstum der Armut beschleunigt sich auch noch. Nicht nur in Frankreich, wo die sozialen Sicherungssysteme auf dem Altar der Konvergenzkriterien geopfert werden - was Millionen zum Widerstand auf die Straße treibt -, nein, auch in der Bundesrepublik kommen die sozialen Standards unter den Rasenmäher des Finanzministers.
Es ist doch kein Zufall, daß aus dem Hause des Finanzministers just in dem Moment neue Vorschläge zur Verschlechterung der Vorruhestandsregelung und der sozialen Absicherung älterer Arbeitsloser kommen, in dem die Wirtschaftswissenschaftler berechtigte Zweifel anmelden, ob die Bundesregierung in diesem Jahr tatsächlich die geforderten Konvergenzkriterien erreichen wird. Und es ist auch kein Zufall, daß die Schraube des Sozialabbaus in diesem Haus um so schneller gedreht wird, je näher die Regierungskonferenz kommt, auf der die Bundesregierung ihre Forderungen gegenüber Europa um so nachdrücklicher formulieren kann, je mehr sie sich als Musterknabe der Haushaltsdisziplin ausgeben kann.
Es kann sein, daß die Bundesregierung dieses Ziel erreicht. Es ist sogar möglich, daß bis 1999 Frankreich und vielleicht sogar noch Großbritannien in das monetaristische Korsett der Währungsunion passen - aber um welchen Preis? Sie dürfen doch nicht glauben, daß die Menschen in diesem Lande nicht allmählich begreifen, daß der geplante Integrationsprozeß nicht nur keine Verbesserungen, sondern sogar dramatische Verschlechterungen bringt. Es gibt einen unauflöslichen Widerspruch zwischen der Jagd nach dem Erreichen der präzise festgelegten Konvergenzkriterien und den schwammigen Zielen der Integration.
Es ist unübersehbar, daß Sozialleistungen und Arbeitsplätze nicht nur in Frankreich, sondern gerade auch in der Bundesrepublik den monetären Konvergenzkriterien geopfert werden - geopfert werden müssen, wenn man keine anderen Kriterien hat, wenn man bewußt darauf verzichtet, soziale, arbeitsmarktpolitische und ökologische Standards für die Integration vorzuschreiben.
Die Koalitionsfraktionen haben in einer Stellungnahme zu unserem Antrag vom 21. Juni die kühne Position vertreten, daß soziale Kriterien für die Integration überflüssig seien, weil sich Vollbeschäftigung von alleine einstellen werde, wenn nur die Haushaltsdefizite abgebaut und die Zinsen niedrig gehalten werden. - Dafür fehlt nicht nur ein Nachweis, sondern der Gegenbeweis ist längst erbracht.
Solange sich diese Politik darauf kapriziert, den Besserverdienenden und den Unternehmen die Steuern zu senken, und man in der Folge bei eben diesen Leuten Kredite aufnimmt, weil die Steuerausfälle tiefe Haushaltslöcher reißen, bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig, als die Haushaltskonsolidierung mit Sozialabbau, Leistungskürzung und Arbeitsplatzvernichtung zu erkaufen.
Arbeitslosigkeit ist in der Bundesrepublik keine Folge zu hoher Löhne oder zu hoher sozialer Transferleistungen - erst recht nicht im übrigen Europa -, sondern eine Folge zu geringer Binnennachfrage. Wäre es anders, müßten überall in Europa die Arbeitslosenquoten niedrig sein, wo auch die Löhne niedrig und die sozialen Transferleistungen gering sind. Sie wissen, daß das Gegenteil der Fall ist. Aber genau diese Binnennachfrage bauen Sie weiter ab, wenn Sie Sozialabbau verschreiben und Arbeitsplätze für öffentliche Dienstleistungen abbauen.
Sie tun dabei immer so, als seien Löhne und Sozialleistungen lediglich ein Kostenfaktor und als verwandele sich das Mehr an Gewinnen, das Sie den Unternehmen durch Steuersenkungen zuschieben, in reine Nachfrage. Das Gegenteil ist der Fall. Sinkende Löhne und sinkende soziale Transferleistungen schränken die Nachfrage ein, und steigende Profite verwandeln sich nicht in Arbeitsplätze, sondern in Finanzinvestitionen.
Ein Europa, in dem sich lediglich die Hoffnungen der Finanzminister und Notenbankpräsidenten erfüllen, wird schwerlich jenes Engagement der Bürger finden, von dem es in der Vorlage der Regierungskoalition heißt, daß es unverzichtbar ist. Ein Integrationsprozeß, bei dem der soziale Besitzstand und die öffentliche Infrastruktur unter den Hammer kommen, findet weder Engagement noch Akzeptanz; er schürt nationalistische Ängste und gefährdet den sozialen Frieden.
Wir halten es für unverzichtbar, daß die dritte Stufe der Währungsunion mit den klar definierten Zielen einer Sozialunion verkoppelt wird. Dazu gehören die Halbierung der Arbeitslosenrate bis zum Jahr 2000, die Entwicklung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors und eine Neuverteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Dazu gehören soziale Mindeststandards, die Verhinderung von Lohndumping und der Anspruch auf mindestens ortsübliche Bezahlung für alle.
Eine Einbindung solcher Kriterien in den Vertrag würde ein wirkliches Europa der Bürger schaffen und kein Europa der Finanzminister. Ein solches Europa würde in der Bevölkerung das finden, was der von ihnen gewollten Integration immer mehr fehlt, nämlich positives Engagement und demokratische Akzeptanz.
Ich danke Ihnen.