Rede von
Dr.
Rudolf
Seiters
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt ein elementares deut-
Rudolf Seiters
sches Interesse an einer starken Gemeinschaft Europa - in der Mitte des Kontinents, vor dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen, angesichts aktueller Gefährdungen. Wir wollen die Handlungsfähigkeit Europas stärken, seine demokratische Legitimität sichern, das Subsidiaritätsprinzip durchsetzen und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß auch unsere östlichen und südlichen Nachbarn an Stabilität, Prosperität und Sicherheit teilhaben.
Deutschland gilt zu Recht als ein Motor der europäischen Entwicklung. Der Deutsche Bundestag sollte der Bundesregierung und dem Bundeskanzler die volle Unterstützung und Rückendeckung für die deutschen Initiativen geben mit dem Ziel eines unwiderruflichen politischen und wirtschaftlichen Zusammenschlusses und auch einer Beschäftigungspolitik, wie wir sie ja auch auf dem Gipfel in Essen angesteuert haben.
Gestern, meine Damen und Herren, hatten wir ja noch Hoffnung auf Lernfähigkeit bei der SPD. Herr Kollege Scharping, Ihre Rede und ihre Kritik an dieser europäisch ausgerichteten Bundesregierung war überzogen und völlig abwegig,
und sie reiht sich leider ein in eine lange Kette außenpolitischer Fehler und Irrtümer in den ganzen letzten Jahren. Schauen Sie sich doch die Helden in Ihrer ersten Reihe einmal an! Die eine, die Dame, ist die personifizierte Belastung des deutsch-französischen Verhältnisses, und der andere steht für eine bündnisunfreundliche Politik.
Auf Schröder, Lafontaine und Spöri kommen wir noch zu sprechen. Damit ist kein europäischer Staat zu machen.
Ich habe hier ein Zitat von Helmut Schmidt aus seiner leider nicht gehaltenen Rede für den SPD-Bundesparteitag:
Man muß sich bisweilen schämen, wenn Sozialdemokraten selbst zu tun nicht bereit sind, was sie von anderen verlangen.
Auch zum Korrigieren eigener irrtümlicher Meinungen braucht man Tapferkeit. Aber Opportunismus,
- Herr Kollege Scharping -
Eitelkeit und Egomanie sind vom Übel. Sie können sogar zu Todsünden eines Politikers werden.
Und dann sagt er:
Kümmert euch - hier schließe ich Heidi Wieczorek ein - um die Freundschaft mit Frankreich. Sie ist das kostbarste Gut, was uns im 20. Jahrhundert zugefallen ist.
Wir haben für die Regierungskonferenz ehrgeizige Ziele. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat ihre Vorstellungen sehr präzise formuliert. Wir wissen, daß wir nicht alles durchsetzen können. Aber ich sage an die Bedenkenträger, die schon jetzt unterwegs sind, um die Erwartungen an die Regierungskonferenz herunterzuschrauben: Es wäre ein großer Fehler, im Vorfeld der Konferenz jene Ziele zur Disposition zu stellen, für die eine Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten noch nicht gesichert ist. Wenn die politische Union Europas eine Schicksalsfrage für unseren Kontinent ist, dann müssen wir um die notwendigen Fortschritte auch kämpfen und werben, und dann müssen die Vorschläge zur Reform der Europäischen Union auch dem Anspruch genügen, den europäischen Einigungsprozeß entscheidend voranzubringen.
Ich möchte einige Punkte herausgreifen. Wir wollen, daß Europa außenpolitisch wirksamer und überzeugender als bisher handelt. Wer die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stärken will, muß ja zur Schaffung der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik und Verteidigung sagen. Deshalb muß die WEU weiter gestärkt und möglichst bald in die Europäische Union integriert werden.
Erforderlich ist auch, daß wir in allen Fragen der gemeinsamen Außenpolitik vom Vetorecht wegkommen. Ohne Mehrheitsentscheidungen wird die Europäische Union in entscheidenden außen- und sicherheitspolitischen Fragen keine größere Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit erreichen.
Mehrheitsentscheidungen will auch die SPD; aber sie will die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an deren vorherige Vergemeinschaftung binden. Jeder weiß: Das ist 1996 nicht erreichbar. Deswegen sage ich Ihnen: Wer auf der Regierungskonferenz die Einführung von Mehrheitsentscheidungen von der vorherigen Vergemeinschaftung der Außen- und Sicherheitspolitik abhängig macht, muß wissen, daß er damit das Vetorecht zementiert, die Einführung von Mehrheitsentscheidungen blockiert und damit gleichzeitig die Stärkung der Wirksamkeit der europäischen Außenpolitik behindert. Deswegen lehnen wir diese falsche und unsachgerechte Bedingung ab.
Noch einmal zur europäischen Verteidigung: Sie wird nur funktionieren, wenn Deutschland keine Sonderrolle für sich beansprucht. Was die SPD in Wiesbaden und Mannheim beschlossen hat, ist eine Absage an die von allen WEU-Partnern vereinbarte Petersberg-Erklärung und damit auch eine grundsätzliche Absage an die geplante Verteidigungspolitik und Verteidigung im Rahmen von WEU und Euro-
Rudolf Seiters
päischer Union. Deswegen appellieren wir an die SPD-Bundestagsfraktion, sich wie in der Bosnienfrage nicht an den Beschlüssen von Mannheim zu orientieren. Wenn Sie an Mannheim festhalten, ja, wenn Sie zulassen, wie in dieser Woche geschehen, daß Herr Verheugen die außen- und sicherheitspolitischen Beschlüsse der Grünen in Bremen ausdrücklich begrüßt, dann werden Sie noch lange Zeit bündnis- und europaunfähig bleiben.
Wenn es richtig ist, daß die europäische Einigung immer auf ganz Europa angelegt war, dann muß der Norderweiterung jetzt bald die Osterweiterung folgen. Wenn wir die Wohlstandsgrenze in Europa nicht beseitigen, wird das fortbestehende wirtschaftliche Gefälle am Ende die Stabilität der gesamten Union gefährden. Deshalb ist die konkrete Beitrittsperspektive der Polen, der Ungarn, der Tschechen und anderer für uns Deutsche so wichtig. Ihre Vorbereitung auf die Mitgliedschaft erfordert größte Anstrengungen. Aber zu Opfern - das zeigt ja auch das Beispiel Frankreich - ist bekanntlich nur bereit, wer ein Ziel vor Augen hat, welches er auch erreichen kann.
Wir setzen uns deshalb dafür ein, daß erste mittel- und osteuropäische Staaten um das Jahr 2000 in die Europäische Union aufgenommen werden können und daß Beitrittsverhandlungen sechs Monate nach der Regierungskonferenz beginnen.
Wir erwarten, daß die beim Essener Gipfel vereinbarte Heranführungsstrategie im Sinne einer immer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit weiterentwickelt wird.
Auch die Art und Weise - das hat der Bundeskanzler auch bei dem Gipfel in Essen praktiziert -, wie die Regierungschefs unserer assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder bei EU-Gipfeln, auch bei dem in Madrid, einbezogen werden, ist eine politisch-psychologisch wichtige Frage, die die Europäische Union nichts kostet, den Menschen in diesen Staaten aber signalisiert, wie sehr sie bereits dazugehören.
Ich denke speziell an unser Verhältnis zu Polen, das in der Vergangenheit zu oft von Unrecht und Verletzungen überschattet war. Ich bin dafür, daß wir uns mit Blick auf die Europäische Union, aber auch mit Blick auf die NATO weiterhin als Anwalt Polens betrachten. Mir jedenfalls fällt kein Argument ein, warum wir den Polen den Beitritt zur Europäischen Union und zur NATO verwehren oder erschweren sollten, wenn die Voraussetzungen vorliegen und Polen ihn wünscht.
Meine Damen und Herren, ich habe von den Bedenkenträgern gesprochen, die in unserem Lande wieder unterwegs sind. Die Wirtschafts- und Währungsunion steht nicht auf der Tagesordnung der
Regierungskonferenz. Sie gehört aber zu den wichtigsten Themen, die die Menschen in unserem Lande interessieren. Sie wird auch auf dem bevorstehenden Gipfel in Madrid erörtert werden.
Wir haben nichts gegen eine öffentliche Auseinandersetzung. Die gemeinsame Währung braucht das Vertrauen der Menschen. Wir müssen die Sorgen der Bürger, daß eine europäische Währung unter Umständen weniger stabil sein könne als die D-Mark und sich die Währungsunion zu einer Umverteilungsunion zu Lasten Deutschlands entwickeln könne, sehr ernst nehmen.
Die Stabilität der D-Mark und die Geldpolitik der Bundesbank sind eine Erfolgsgeschichte, auf die wir mit Recht stolz sind. Wir werden auch vor diesem Hintergrund die Stabilität der Währung nicht auf dem Altar der europäischen Währungsunion opfern.
Deshalb sind strenge Kriterien im Maastricht-Vertrag enthalten, dem der Deutsche Bundestag mit einer Mehrheit von 96 Prozent und der Bundesrat einstimmig zugestimmt haben. Daran will ich doch noch einmal erinnern.
Was uns Sorge bereitet, ist die leichtfertige Art und Weise, mit der Sozialdemokraten, Herr Lafontaine und Herr Schröder an der Spitze, mit den Sorgen und Ängsten unserer Bürger im wahrsten Sinne des Wortes spielen.
Wer heute noch, wie Lafontaine, seine alten Ressentiments gegen die erfolgreiche und alternativlose deutsch-deutsche Währungsunion pflegt, ist wohl kaum berufen, besonders qualifiziert über die europäische Währungsunion zu reden.
Wer, wie Schröder, auf der Regierungskonferenz Nachverhandlungen zum Maastricht-Vertrag fordert und heute das Zieldatum 1999 nicht nur in Frage stellt, sondern für unmöglich erklärt, Herr Scharping und Herr Verheugen, der verabschiedet sich, so der Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, von seiner politischen Verantwortung für die Europäische Union, verbrennt die Balken des eigenen Hauses, lockert den Konvergenzdruck und die Finanzdisziplin der Mitgliedstaaten, fällt der französischen Regierung, aber auch anderen Regierungen bei ihrem Stabilitätskurs in den Rücken, will ein Wahlkampfthema. Das ist unverantwortlich.
Als Kommissionspräsident Santer in der vergangenen Woche im Zusammenhang mit der Währungsunion von den Propheten des Unglücks gesprochen hat, muß er auch an führende Vertreter der SPD gedacht haben.
Rudolf Seiters
Eines fand ich besonders interessant. Herr Scharping erklärt: Wir stellen den Zeitplan nicht in Frage; die Kriterien sind zwar wichtiger als der Zeitplan, aber wir stellen ihn nicht in Frage. - Heute fand eine Attacke gegen die Währungsunion aus den Reihen von Schröder und Lafontaine statt. Wer reiht sich ein? Der SPD-Politiker Spöri erklärt die Währungsunion zu einem Alptraum für die europäische Idee und sagt: Der Zeitpunkt 1999 ist tot.
Gott sei Dank widerspricht der DGB. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält am Zeitplan für die Währungsunion fest. Je früher sie komme, desto eher könne es eine europäische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik geben.
Mit anderen Worten - das kennzeichnet das Motto der SPD -: „Es lebe der Stammtisch! Arbeitsplätze sind nicht so wichtig! "
Meine Damen und Herren, wir halten am Zeitplan und an der strikten Auslegung der Stabilitätskriterien fest. Wir begrüßen den von Finanzminister Waigel vorgeschlagenen Stabilitätspakt, der keine Verschärfung der Eintrittsbedingungen, sondern eine Konkretisierung der im Maastricht-Vertrag niedergelegten Sanktionsmechanismen darstellt. Die im Vertrag von Maastricht vereinbarte Wirtschafts- und Währungsunion ist ein entscheidender Schritt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten und die Stabilität in der Europäischen Union zu sichern und zu stärken.
Das will ich noch in Ihre Reihen hinein sagen. Wären wir 1990 den Bedenkenträgern gefolgt, die damals den Fahrplan zur deutschen Einheit verändern und den deutschen Einigungsprozeß verzögern wollten, hätten wir heute nicht die Einheit unseres Vaterlandes.
Weil das so war, werden wir auch heute mit Blick auf die europäische Währungsunion den Bedenkenträgern von 1995 aus Verantwortung für Deutschland und für die politische Einigung Europas entgegentreten.