Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vertiefung der Integration, die Erweiterung der Union und ihrer Möglichkeiten, ihre Behauptung im weltweiten Prozeß und die Verteidigung ihrer Ideale, das sind alles unbestrittene Ziele. Wenn man aber über Europa so routiniert und so leidenschaftslos redet wie der Bundeskanzler,
dann drohen diese Ziele zu sich verbrauchenden Formeln zu werden,
dies insbesondere deshalb, weil die Menschen, wie ich denke: zu Recht nach Jahren der europäischen Integration und ihrer Vermittlung über den wirtschaftlichen Vorteil fragen, ob die Vertiefung der Union den Menschen und ihrer konkreten Lebenssituation tatsächlich hilft.
Herr Bundeskanzler, Sie haben neben vielen anderen Themen - leider nicht mehr zum Erstaunen der SPD - die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Kontinents wiederum nur am Rande gestreift. Dies ist ein schweres Versäumnis.
Dies ist insbesondere deshalb ein schweres Versäumnis, weil die Bundesanstalt für Arbeit in diesen Minuten jene Zahlen bekanntgeben wird, die bezogen auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland - dem wirtschaftlich wichtigsten Land in Europa - bedenkliche Signale beinhalten.
Im November 1995 ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland erneut gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen liegt um 150 000 Personen über der Zahl im November 1994. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland ist um 163 000, im Westen Deutschlands sogar um 190 000 Personen zurückgegangen.
Wer im Rahmen einer Regierungserklärung über diese Entwicklung, die diese Zahlen darstellen, kein einziges Wort verliert, der hat nicht verstanden, daß wir in Europa nur dann eine gemeinsame Chance haben, wenn es in Europa auch endlich eine gemeinsame Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik gibt.
Niemand bestreitet, daß wir eine Vertiefung der Europäischen Union brauchen und daß zur Vertiefung der Europäischen Union gehört, daß wir uns auf Bürgerrechte verständigen. Deshalb hat die Sozialdemokratie vorgeschlagen, sich im Rahmen der Vertragsverhandlungen zur Revision von Maastricht I auf eine Charta europäischer Bürgerrechte zu verständigen. Deshalb haben wir gefordert, daß Europa auch ein Kontinent der inneren Sicherheit mit einer grenzüberschreitenden Bekämpfung der organisierten Kriminalität wird. Deshalb haben wir gefordert, die Rechte des Parlaments zu stärken und die Entscheidungsverfahren in der Europäischen Union zu vereinfachen und durchschaubarer zu machen. Deshalb haben wir gefordert, nicht allein die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen zu stärken, son-
Rudolf Scharping
dern auch dafür zu sorgen, daß europäische Institutionen kompetenter und entscheidungsmächtiger werden.
Wir sind der Meinung, daß diese politische und demokratische Vertiefung der Union eine unabdingbare Voraussetzung für die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung ist.
Wer allerdings seine Hausaufgaben nicht macht, der kann in Europa nicht glaubwürdig für solche Ziele eintreten.
Wer sich hier in den Deutschen Bundestag stellt und entgegen einem erstrittenen Parlamentsvorbehalt, entgegen der Bestimmungen des Art. 23 Abs. 2 des Grundgesetzes sagt: „Ihre Fragen zur Wirtschafts- und Währungsunion will ich nicht beantworten",
der verstößt gegen den Geist einer demokratischen Kontrolle, und er kann in Europa nicht glaubwürdig vertreten, was er mit arroganten Worten dem eigenen Parlament verweigert.
Wer - ich schaue jetzt die Bundesjustizministerin mit ein wenig Mitleid an - nicht in der Lage ist, in Deutschland die notwendigen Gesetze zur Bekämpfung organisierter Kriminalität zu schaffen, der kann schlecht in Europa für entsprechende Ziele eintreten.
Natürlich, Herr Bundeskanzler, ist auch richtig, daß wir Stabilität im Umfeld der Europäischen Union brauchen, daß wir dort eine hohe Verantwortung wahrnehmen. Es bleibt auch richtig, daß wir diese Stabilität durch sehr vielfältige Formen der Kooperation, der Zusammenarbeit auf vielen Feldern der Politik voranbringen müssen.
Da wäre als Beispiel zu nennen die durchaus erfolgreiche Mittelmeerkonferenz. Da ist zu nennen die Notwendigkeit einer Perspektive für Zypern und Malta, für Zypern notfalls ohne Regelung aller Einzelprobleme, die diese Insel belasten. Da wäre zu nennen die Notwendigkeit einer intensiven Zusammenarbeit mit den Staaten im Nahen Osten, um den dort stattfindenden faszinierenden, allerdings auch immer noch gefährdeten Friedensprozeß zu unterstützen. Da ist zu nennen die Zollunion mit der Türkei, die hoffentlich noch in diesem Monat im Europäischen Parlament eine Mehrheit findet.
Da ist zu nennen die Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten: wirtschaftlich, auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik, durch Erweiterung der NATO, durch Stärkung der OSZE, durch Kooperation mit Rußland. Da ist - das will ich alles unterstützen - die transatlantische Agenda zu nennen, die wir in vielerlei Hinsicht erweitern müssen, beispielsweise ökonomisch, indem wir zunehmend mehr Prinzipien einer Freihandelszone zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Nordamerika entwickeln.
Das alles sind unbestrittene Ziele. Aber auch da muß man fragen, ob in Europa selbst Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß diese Ziele erreicht werden können. So notwendig die Vertiefung der bestehenden Union ist, so unabdingbar ist auch, daß die Europäische Union im Zuge dieser vertieften Integration erweiterungsfähig gemacht wird.
- Wenn das für Sie nichts Neues ist, verehrter Kollege, dann frage ich mich, warum Sie nicht endlich mit den Hausaufgaben anfangen.
Wer in Deutschland allerdings Angst davor hat, sich mit Subventionsempfängern und mit wohleingerasteten Gewohnheiten auseinanderzusetzen - -
- Sie rufen „Kohle". Wir können über die Kohle reden. Wir können auch über den Stahl reden. Ich bin gespannt, Herr Haussmann, wann Sie Ihre Politik Ihrer begrenzten Klientelorientierung aufgeben.
Fangen Sie doch einmal an, nicht über die Klientel der anderen zu reden, sondern über Ihre eigene.
Sie fordern Subventionsabbau und begeben sich gleichzeitig hinter die Büsche, wenn es um die Subvention der eigenen Klientel geht. Das ist keine besonders mutige, auch keine besonders überzeugende Politik.
Damit wären wir bei dem dritten großen Hauptthema, nämlich der wirtschaftlichen Integration. Es ist richtig, daß zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration eine unauflösliche Wechselwirkung besteht. Es ist auch richtig, daß die ökonomische, die soziale, die kulturelle, die innenpolitische, am Ende die politische Integration Europas Friedenspolitik mit anderen Mitteln ist. Es bleibt richtig, daß die Integration Europas das gelungenste Beispiel von Lernfähigkeit aus zwei verheerenden Weltkriegen auf unserem Kontinent ist.
Wenn sich dieses Europa nicht in zwar wichtigen, am Ende aber unzureichenden Möglichkeiten erschöpfen soll, dann müssen die wirtschaftlichen Entwicklungen auf unserem Kontinent mit Blick auf seine Behauptung im globalen Wettbewerb und mit Blick auf die Lösungsmöglichkeiten für schwerwie-
Rudolf Scharping
gende Beschäftigungsprobleme in den einzelnen Mitgliedstaaten gleichermaßen bedacht werden. Das letzte geschieht nicht.
Die Europäische Kommission hat unter dem Vorsitz des soeben von Herrn Bundeskanzler Kohl zu Recht, wie ich finde, hochgelobten Jacques Delors
1993 ein Weißbuch mit konkreten Perspektiven für die Vertiefung der Union im Sozialen und im Wirtschaftlichen vorgelegt.
Ich finde, es ist an der Grenze der Glaubwürdigkeit, wenn ein Bundeskanzler im Deutschen Bundestag den Präsidenten, der für dieses Weißbuch verantwortlich war, in hohen Tönen lobt, die Notwendigkeit wirtschaftlicher Kooperation einklagt und dann gleichzeitig eine Regierung anführt, die alle konkreten Maßnahmen auf der Grundlage dieses Weißbuchs in der Europäischen Union verhindert, verzögert oder gar aktiv bekämpft. Das ist gänzlich unglaubwürdig.
Dafür gibt es leider sehr viele Beispiele: Es ist nicht gelungen, einen Beschäftigungspakt in Europa zustande zu bringen. Wer will das auch in Europa zustande bringen, wenn er es noch nicht einmal in Deutschland zustande bringt?
Ich bleibe bei der Feststellung, daß alle Probleme, alle Aufgaben, alles, was wir uns im Wirtschaftlichen, Sozialen und Ökologischen vornehmen, in Europa besser zu regeln sind, als wenn es jedes Mitgliedsland für sich allein versuchen wollte. Das befreit aber nicht davon, in Europa und zu Hause konkret etwas zu tun.
Ich habe mir die Ergebnisse angesehen und muß sagen: Der faszinierende, tiefgreifende Wandel in den Auffassungen der Gewerkschaften in Deutschland, ihre Bereitschaft, unangenehme Wahrheiten auszusprechen und sie ihren Mitgliedern offen zu sagen, wie auch ihr Angebot - ausgehend von der IG Chemie und dann in einer großen Initiative von der IG Metall und ihrem Vorsitzenden Klaus Zwickel -, ein „Bündnis für Arbeit" in Deutschland zustande zu bringen, wird auf der Arbeitgeberseite mit einer Verweigerung und auf der Regierungsseite sogar mit einer Verschärfung des Kurses des sozialen Abbaus beantwortet. Das ist verantwortungslos.
Es ist, Herr Bundeskanzler, genau jene Haltung, die die Bundesregierung daran hindert, in Europa für einen wirksamen Beschäftigungspakt einzutreten. Auch dafür gibt es leider Beispiele.
In Europa wird seit langem - ich nenne nur zwei dieser Beispiele - die Frage der geringfügigen Beschäftigung diskutiert. In Deutschland sind viereinhalb Millionen Menschen ohne Sozialversicherung beschäftigt. Im nächsten Jahr wird der Beitrag zur Rentenversicherung steigen.
Gelänge es, einen großen Teil dieser geringfügigen Beschäftigung in Deutschland in geregelte Teilzeit umzuwandeln, notfalls mit einem Sozialversicherungsscheck, notfalls mit einer pauschalen Leistung an die Rentenversicherung, dann müßte der Rentenversicherungsbeitrag nicht steigen.
Wer in Deutschland die Höhe der Lohnnebenkosten und die daraus folgende Belastung der Arbeitsplätze beklagt, der muß sich zu fragen beginnen, welchen Beitrag die Politik, die Bundesregierung und diese Koalition geleistet haben. Es ist heuchlerisch, die Höhe der Lohnnebenkosten zu beklagen und gleichzeitig eine Politik zu betreiben, die genau diese Belastung der Wertschöpfung und der Arbeitsplätze in Deutschland in immer neue Rekordhöhen treibt.
Wir brauchen in Deutschland wie in Europa eine Entlastung der Mitte: der Mitte der Gesellschaft, der Mitte der Einkommensbezieher. Das wird nur gelingen, wenn man die Systeme insgesamt tragfähiger macht und dafür sorgt, daß sich nicht alle möglichen Leute davonstehlen können oder herausgedrückt werden.
Geringfügige Beschäftigung, die uns in Europa mit Sicherheit noch beschäftigen wird - dazu wird es auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs geben -, ist ein Beispiel für das Herausdrücken von Menschen aus den Systemen der sozialen Sicherheit und des sozialen Konsenses. Ebenso ist für die kümmerliche Haltung der Bundesregierung in Sachen Ordnung auf dem ersten Arbeitsmarkt die Entsenderichtlinie ein signifikantes Beispiel. Wer unfähig ist, für Stabilität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen, der wird am Ende unfähig bleiben, für stabile Entwicklung in Europa zu sorgen.
Deshalb ist es nicht nur ein Thema in Deutschland, wenn man um die Frage ringt, ob es in diesem Land - auch vorbildlich für Europa; ich erinnere einmal an die Situation in Frankreich - zu einem Bündnis zugunsten der Arbeit und der Arbeitsplätze kommt. Wenn allerdings ein Bundeswirtschaftsminister
von morgens bis abends nur die Sorge um seinen eigenen Arbeitsplatz hat, dann kann er sich um die Arbeitsplätze anderer kaum noch sorgen. Dafür ist keine Luft mehr.
Was Sie uns auf diesem Felde bieten, das ist eine lustlos vorgetragene Regierungserklärung. Das ist
Rudolf Scharping
erstaunlich, weil ja niemand von uns bestreitet, daß dieser Bundeskanzler durchaus europäisches Engagement hat - seine Regierung weniger und die sie tragenden Kräfte auf eine höchst unterschiedliche Weise. Dabei bleiben eben ganz viele Dinge im Vagen und im Ungefähren.
Unsere erste Aufforderung ist, in Deutschland ein „Bündnis für Arbeit" zu schmieden, damit man in Europa Beschäftigungspolitik glaubwürdig einfordern kann.
Unsere zweite Aufforderung ist, daß in Europa der Trend gestoppt wird, immer mehr soziale Standards, soziale Rechte und soziale Möglichkeiten abzubauen.
In Deutschland wird häufig argumentiert, der Sozialstaat sei zu teuer. Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, die Arbeitslosigkeit wird zu teuer.
Sie ist es nicht nur finanziell. Wenn wir am Beginn dieses Jahres eine wirtschaftliche Entwicklung mit einigermaßen befriedigenden Wachstumsraten und mit einer Arbeitslosenzahl, die rund eine viertel Million unter dem Vorjahresstand lag, hatten und jetzt im November verzeichnen müssen, daß wir nicht mehr 250 000 Arbeitslose weniger als im Vorjahr, sondern 150 000 mehr haben, dann kennzeichnet das die dramatische Wende in der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.
Das kennzeichnet den Handlungsbedarf, und das kennzeichnet die Notwendigkeit, daß wir auf dem Stuhl des Bundeswirtschaftsministers endlich wieder einen Fachmann haben müssen,
nachdem die F.D.P. dieses Amt, das von Erhard und Schiller geprägt worden ist, in seinem öffentlichen Ansehen und in seiner Wirksamkeit nicht nur auf Null, sondern unter Null gebracht hat.
Da kommt ja nicht nur Herr Rexrodt, da kommt die gesamte Koalition und sagt, das liege an den Sozialkosten in Deutschland. Wegen des sozialen Konsenses, wegen der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens , wegen der gegenseitigen Verantwortung und wegen der europäischen Solidarität wehren wir uns dagegen, daß hier immer der Sozialstaat für die Unfähigkeit der Regierung in Deutschland und mancher in Europa, etwas Wirksames gegen Arbeitslosigkeit zu tun, verantwortlich gemacht wird.
Das läßt sich übrigens auch mit Zahlen untermauern. Im Westen Deutschlands ist die Sozialleistungsquote, also der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt, auf 27,3 Prozent gesunken. In Großbritannien beträgt diese Quote 27,2 Prozent, in Europa insgesamt 27,1 Prozent. Ich belasse es bei diesen einfachen Zahlen und füge hinzu: Wer den Menschen ständig einreden will, daß die soziale Verpflichtung untereinander nur noch unter finanziellen Gesichtspunkten zu betrachten und diese finanzielle Dimension zu groß geworden sei, redet an der Wahrheit vorbei. Er belügt die Leute, er zerstört den sozialen Zusammenhalt in den Mitgliedstaaten, und er zerstört die Chance, ein an Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt orientiertes Europa aufzubauen.
Als dritten Punkt nenne ich die Wirtschafts- und Währungsunion.
Ich halte zunächst fest, daß nach unserer Überzeugung die Wirtschafts- und Währungsunion notwendig ist. Sie liegt im ökonomischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Sie liegt im Interesse der Integration Europas. Sie liegt im Interesse der Behauptung Europas im weltweiten Wettbewerb. Sie liegt im Interesse der politischen Integration unseres Kontinents.
Ich füge hinzu - ich zitiere jetzt -:
Wir wollen keineswegs Termine verschieben.
Aber realistischerweise muß ich darauf hinweisen, daß die Reihenfolge so sein muß, daß das Stabilitätskriterium an erster Stelle rangiert
und die Frage des Kalenders die zweite Stelle einnimmt. Das muß klar und deutlich ausgesprochen werden.
Jetzt rufen Sie dazwischen: „Er kennt den Vertrag nicht!". Sie rufen dazwischen: „Vertrag, Vertrag, Vertrag!" Können Sie mal ein bißchen mehr Phantasie entwickeln?
Was ich eben zitiert habe und was Sie so kritisch
kommentieren, ist die Stellungnahme Ihres eigenen
Rudolf Scharping
Bundeskanzlers aus der Sitzung des Bundestages vom 27. Mai 1994.
Sie müssen schon ein bißchen aufpassen! Ich zitiere hier den Bundeskanzler aus den Reihen der CDU/ CSU. Es ist ja verständlich, daß das gleich kritisiert wird. Herr Haussmann muß seine Existenz in einer Fraktion, die zu mittlerweile fast 20 Prozent aus ehemaligen Ministern besteht - -
Herr Bundeskanzler, ärgert Sie das?
Ich muß Ihnen sagen, es bestehen ja gewisse Aussichten, daß der Prozentsatz noch steigt.
Daß Sie das nicht mögen, weil es etwas über den Zustand Ihres Koalitionspartners sagt, kann ich nachvollziehen. Die Sorge, daß das auf Sie übergreifen könnte, kann ich auch nachvollziehen. Sie machen bisher nur nicht den Eindruck, daß Sie das ändern können.
Das stimmt schon numerisch nicht. Ich will Ihnen im Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Währungsunion noch einmal sagen: Ich finde es erstaunlich, daß Sie mit Zwischenrufen, Kritik und Ablehnung ein Zitat des Bundeskanzlers zur Wirtschafts- und Währungsunion begleiten.
Ich will im Zusammenhang mit der Gestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion auch sagen: Das Problem ist - jedenfalls bis 1998 - vermutlich nicht der Zeitplan. Forderungen, im Zusammenhang mit der Revision des Maastricht-Vertrages zugleich eine Revision der Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion herbeizuführen, sind aus unserer Sicht falsch. Sie führen nicht zu einem vernünftigen Ergebnis.
Was aber erreicht werden muß, ist zweierlei. Es muß zwischen den Staaten, die an der Währungsunion teilnehmen, eine dauerhafte Verständigung auf die Stabilität zwischen diesen teilnehmenden Staaten geben.
Das hat mit der Unabhängigkeit des Europäischen Währungsinstitutes zu tun und mit der Frage, ob dieses Währungsinstitut auf der anderen Seite ein politisches Gegengewicht erhält. Um Jacques Delors zu zitieren: Ohne eine Wirtschaftsregierung wird am
Ende auch die gemeinsame Währung nur schlecht funktionieren.
Ich füge hinzu: Stabilitätskriterien dürfen nicht nur Eintrittskriterien sein. Sie müssen dauerhaft gelten, nicht nur für das Geld, sondern auch für die Stabilität des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft selbst.
Noch wichtiger scheint mir zu sein, daß man zu einer Regelung zwischen den Ländern, die teilnehmen, und jenen Ländern findet, die nicht teilnehmen. Wenn sich kein Europa der zwei Geschwindigkeiten auf Grund ökonomischer Zwänge entwickeln soll, wenn wir nicht ökonomisch auseinanderfallen sollen, dann muß auch eine Vereinbarung zwischen den an der Währungsunion teilnehmenden und den an ihr nicht teilnehmenden Ländern gefunden werden; denn sonst wird das zum wirtschaftlichen Schaden aller in Europa und in der Europäischen Union.
Wie sich die Währungsrelationen in den letzten Jahren entwickelt haben, das ist im Ergebnis nicht nur eine ständige Höherbewertung der Deutschen Mark, sondern auch eine Antriebskraft dafür, daß Arbeitsplätze aus Deutschland exportiert werden
und gleichzeitig ungesteuerte Einwanderung nach Deutschland stattfindet.
Meine Damen und Herren, ich finde es erstaunlich, daß der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der Europäischen Union nicht über die Entwicklung der wirtschaftlichen, der sozialen und der Dimension der Beschäftigung gesprochen hat - allenfalls in Nebensätzen.
Man kann fast alles unterschreiben, was er zur Vertiefung der Europäischen Union sagt. Wir sehen gewisse Probleme, ob das gelingen wird und ob es ernst gemeint ist im Zusammenhang mit den Rechten des Parlamentes, mit einer Charta der Bürgerrechte, mit dem Willen, wirklich innere Sicherheit in Europa zu schaffen.
Aber ich sage Ihnen voraus: Wenn wir Herz, Seele und Verstand der Menschen erreichen wollen, dann wird Europa viel konkreter, und zwar viel konkreter dort werden müssen, wo die größten Bedrängnisse sind: bei der wirtschaftlichen Entwicklung, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bei der Sicherung des sozialen Zusammenhalts, beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen - alles Stichworte, zu denen die Bundesregierung weder etwas sagt noch etwas Hinreichendes tut. Ändern Sie das bitte!