Rede von
Norbert
Geis
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, wenn sie das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts verteidigen, müssen Sie bedenken, daß dasselbe Verfassungsgericht die christliche Gemeinschaftsschule, die nach der Verfassung des bayerischen Staates möglich ist, sanktioniert, also akzeptiert und als mit der Verfassung konform erklärt hat. Dasselbe Bundesverfassungsgericht hat auch das Schulgebet sanktioniert und als mit der Verfassung konform erklärt.
Daher dürfen Sie sich nicht darüber wundern, daß sich die Bevölkerung wundert, wenn das Symbol der christlichen Gemeinschaftsschule, die sehr wohl verfassungskonform ist, nämlich das Kreuz, nun nicht mehr aufgehängt werden kann. Das wird von weiten Teilen der Bevölkerung einfach nicht verstanden. Und ich sage Ihnen: Ich verstehe es auch nicht.
Das gleiche gilt auch für die Entscheidungen zum Tucholsky-Zitat vom August des letzten Jahres und vom letzten Dienstag. Auch sie stoßen in der Bevölkerung auf Unverständnis. Es ist nämlich nicht so, wie Sie sagen. Heute kann jemand in der Bundesrepublik Deutschland fast ohne argumentativen Auf-
Norbert Geis
wand sagen: Die Soldaten sind Mörder. Wen meint er denn? Er meint doch nicht Soldaten irgendwo in Afrika, sondern er meint doch die Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland. Wen denn sonst? Zumindest meinen die Soldaten hier, daß sie gemeint sind. Und die Bevölkerung meint auch, daß diese Soldaten gemeint sind. Deswegen stoßen diese Entscheidungen auf Unverständnis in der Bevölkerung. Ich habe Verständnis für dieses Unverständnis.
Es ist ja richtig, daß man differenzieren muß und daß diese Entscheidung auch einiges hergibt. Es ist ja auch richtig, daß man - wenigstens in diesem Forum - nicht pauschal das wiederholen kann, was die Bevölkerung draußen empfindet. Die Bevölkerung kann sich natürlich nicht im einzelnen so damit beschäftigen, wie wir das vielleicht tun sollten. Aber es ist schon wahr, daß das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes gelitten hat, und zwar nicht wegen der Kritik an den Beschlüssen, sondern weil es Entscheidungen gefällt hat, die von der Bevölkerung einfach nicht verstanden worden sind. Deswegen hat das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes gelitten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ja auch Ihrer Meinung, daß sich das Verfassungsgericht nicht zum Sprachrohr der Volksmeinung machen kann und daß es seine Urteile nicht nach demoskopischen Umfragen fällen kann. Da bin ich natürlich Ihrer Meinung. Die Verfassungsrichter müssen unabhängig sein. Sie brauchen diese Unabhängigkeit, um das sein zu können, was sie sein müssen, nämlich Wächter der Wertordnung, die in unserer Verfassung zugrunde gelegt ist.
Paul Kirchhof, selbst Verfassungsrichter, sagt: Die Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist es, daß das Verfassungsgericht im Wertewandel darauf achtet, daß die festgeschriebenen Werte - die Wertfestschreibungen, wie er wörtlich sagt - eingehalten werden. Die Wertfestschreibungen finden wir in unserer Verfassung zunächst einmal in den Grundrechten. Das zentrale Grundrecht unter unseren Grundrechten ist die Würde des Menschen. Zur Würde des Menschen gehört ganz unbestritten der Ehrenschutz. Das haben schon die alten Römer so abgeleitet, und das steht auch so im Preußischen Allgemeinen Landrecht.