Rede von
Kristin
Heyne
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sparsame Haushaltsführung ist das Gebot der Stunde. Damit sind sehr interessante Dinge verbunden, zum Beispiel die Frage: Wo ist in diesem Einzelplan das Sparschwein?
Beim Einzelplan 16 sind es die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden sie um 38 Prozent gekürzt. Verglichen mit dem Haushalt 1994 wurde dieser einzelne Posten sogar um 53 Prozent gekürzt. Im Berichterstattergespräch haben wir die Auskunft bekommen, daß das bedeutet, daß überhaupt kein neues Projekt in diesem Bereich begonnen werden kann. Das bedeutet vor allem, daß es keine Projekte zum Bereich des integrierten Umweltschutzes geben wird.
Gekürzt wird also gerade bei einem dringend notwendigen Schritt der Umweltpolitik: weg vom Ende des Schornsteins, hin zu einer Produktionsweise, die die Belastung der Umwelt schon in der Produktion so gering wie möglich hält oder ganz zu vermeiden sucht. Ich denke, das ist ein bemerkenswertes Signal hinsichtlich der Innovationskraft dieses Haushaltes.
Interessant ist natürlich ein Vergleich. Wenn man sich einmal die Verhältnisse in vergleichsweise dinosauriermäßigen Bereichen und Technologien anschaut, zum Beispiel im Bereich Atomkraft, dann findet man unter dem Titel „Sicherheit der kerntechnischen Einrichtungen und Strahlenschutz" mit verläßlicher Stetigkeit wachsende Titelansätze. Die Investitionen für Umweltbelastungen sind mit dem Haushalt 1996 zum erstenmal von den Ausgaben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz überflügelt worden. Ich denke, der Schwerpunkt dieses Ministeriums ist damit wieder einmal eindrucksvoll deutlich gemacht worden.
Der größte Ausgabenbereich im Einzelplan 16 ist der für die Endlagersuche. Der Kollege Kriedner hat es angesprochen, und die Kollegin Hustedt hat darauf schon reagiert. Wir sind allerdings der Meinung, daß dies Fehlausgaben sind, weil seit über 30 Jahren weltweit versucht wird, sichere Endlagerstätten zu finden. Sie werden nicht gefunden. Ihre Suche ist ein
Kristin Heyne
reines Alibi für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Dieses Alibi wollen wir nicht stützen.
Wir sind erst bereit, auf Endlagersuche zu gehen, wenn wir ein klares, kurzfristiges Ausstiegsszenario haben. Dann müssen wir die Restmenge berechnen und schauen, wo wir sie lassen. Das wird mit Sicherheit eine schlechte Endlagerung werden. Sie kennen das Bild: Die Atomkraft ist wie ein Flugzeug, das ohne Landebahn gestartet ist. Eine glatte Landebahn wird es für die Atomkraft nicht geben. Es wird eine Bruchlandung auf dem Acker sein. Diese wollen wir so sanft wie möglich ausfallen lassen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz Stellung nehmen zu den Anträgen der PDS. Wir haben Anträge gestellt, ebenso die PDS. Zum Teil überschneiden sie sich, zum Teil gehen unsere Anträge weiter, zum Teil haben wir andere Schwerpunkte gesetzt. Ich glaube, jeder von uns hat sein Profil deutlich gemacht. Wir sehen da viel Richtiges. Aber wir halten unsere Anträge natürlich für die besseren. Deswegen werden wir uns bei Ihren Anträgen enthalten.
Eine klare Schwerpunktsetzung des Ministeriums gibt es auch in einem weiteren Bereich, der heute schon angesprochen wurde, bei den Beratungs- und Investitionshilfen für die MOE-Staaten. Bezeichnenderweise finden sich diese Titel nur im Kapitel 16 04, Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. Im Kapitel 16 05, Umweltbundesamt, ist davon nichts zu finden. Im Berichterstattergespräch wurde uns erläutert, daß sich die Bundesrepublik entschieden habe, ihren Beitrag zur Förderung der Energiegewinnung in den MOE-Staaten im Bereich der Atomenergie zu leisten, und andere könnten andere Aufgaben übernehmen. Da muß man sich einmal fragen: Wer denn? England und Frankreich haben schließlich auch eine Atomindustrie, die will auch beschäftigt sein. Wer wird da etwas machen?
Es ist völlig unbestritten - wir haben das bei einer Berichterstatterreise noch einmal bestätigt bekommen -, daß die Energieeinsparpotentiale in den MOE-Staaten ungeheuer hoch sind. Der Verbrauch an Energie pro Wertschöpfungseinheit liegt bis zum Zehnfachen über dem westlichen Standard. Gemessen am westlichen Status quo gibt es bei der Primärenergie Einsparpotentiale von 50 bis 70 Prozent. Trotzdem beschränken sich die Beratungs- und die Investitionshilfen der Bundesrepublik wie auch der EU fast ausschließlich auf den Bereich der Atomenergie.
Es kann aus unserer Sicht nicht darum gehen, in oft riskanter und auf alle Fälle immer kostenintensiver Weise an den Atomkraftwerken sowjetischer Bauart in den MOE-Ländern herumzubasteln. Die allererste Hilfe Anfang der 90er Jahre mag in mancher Hinsicht noch Sinn gehabt haben. Was da heute an Nachrüstung versucht wird, ist in der Bundesrepublik, zum Beispiel in Greifswald, nicht gemacht worden, weil man es für zu riskant hielt. In den
MOE-Staaten wollen Sie das aber machen. Das ist ein Beschäftigungsprogramm für die Atomindustrie.
Kollege Kriedner, Sie beklagen, daß es von uns keine Vorlage gibt. Wir haben dieses Thema im Ausschuß ausführlich beraten. Wenn Sie sich jetzt unsere Anträge ansehen, dann werden Sie feststellen, daß wir keine Streichung des Tschernobyl-Programms und keine Streichung der Gelder für die MOE-Staaten vorsehen. Vielmehr fordern wir, daß über diese Verträge neu verhandelt wird, daß Sie den MOE- Staaten Know-how und auch Investitionshilfe in dem Bereich Energiesparen und in dem Bereich regenerativer und konventioneller Energieerzeugung anbieten. Natürlich ist es so, daß es auch in den MOE- Staaten nach wie vor einige recht großkotzige Herren gibt, die sich auf Großtechnologie im Atombereich verlassen und immer noch auf das Zauberwort Elektrifizierung vertrauen. Aber solange wir eine Situation schaffen, in der die Atomindustrie ständig sagen kann: „Ik bün all dor", werden die Stimmen in den MOE-Staaten, die sich für rationelle Energieerzeugung aussprechen, nicht durchdringen können.
Die Entscheidungen, die jetzt in den MOE-Staaten für die Zukunft getroffen werden - das sind Entscheidungen, die auch unsere Zukunft betreffen -, sind natürlich auch von dem Angebot abhängig, das der Westen macht. Wir fordern daher, die Mittel für die MOE-Staaten umzuwidmen und beim Umweltbundesamt zu etatisieren und dorthin auch die Federführung für die Beratungs- und Investitionshilfen zu geben.
Es ist eigentlich eine ziemlich merkwürdige Situation, daß diese Zuordnung für die Umweltministerin nicht selbstverständlich gewesen ist. Die Zuständigkeit der Umweltministerin für die Atomenergie einerseits und die Zuständigkeit des Wirtschaftsministers für die Förderung regenerativer Energien andererseits ist auf den ersten Blick eigentlich eine verkehrte Welt. Umgekehrt würde eher ein Schuh daraus, sollte man meinen. Die Förderung umweltfreundlicher Technologien sollte ein originäres Anliegen der Umweltministerin sein, während der Wirtschaftsminister sicher manchmal auch ein Interesse daran hat, eine umweltpolitisch problematische, aber einträgliche Industrie zu fördern.
Bei näherem Hinsehen erweist sich diese Vorstellung als zu kurz gedacht. Umweltpolitisch problematische Industrien können von der Umweltministerin viel wirkungsvoller gefördert werden als vom Wirtschaftsminister. Der Segen der Umweltministerin zerstreut Bedenken und Zurückhaltung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die Tragödie um die Ozongrenzwerte - ein Beispiel für die Anti-Spielverderber-Rolle der Umweltministerin - hat das deutlich gezeigt. Wir haben ihre Fürsorge für die Autonutzer und die Autohersteller erleben können.
Im diesjährigen Sommerloch wurde eine weitere Aufführung des Spiels geboten, das ich nennen möchte „möglichst lange begutachten und am Ende hinreichend vage Ergebnisse vorstellen". Nach fünf
Kristin Heyne
Jahren gutachterlicher Beschäftigungstherapie im Bereich der Getränkeverpackungen wurde nun endlich eine Studie vorgelegt. Es handelt sich dabei um eine Studie, mit der ein Vergleich der Verpackungssysteme im Milchbereich und im Bierbereich angestellt wird. Beim Bier war die Überlegenheit des Mehrwegsystems gegenüber Dosen und Einwegflaschen eindeutig. Auch bei der Milch erweist sich das Mehrwegsystem ökologisch überlegen gegenüber Giebelverpackungen und gegenüber Blockverpakkungen. Lediglich bei den Schlauchverpackungen wird bei langen Distributionswegen eine Überlegenheit des Schlauches für möglich gehalten. Milch über lange Strecken zu transportieren ist sowieso ökonomischer wie auch ökologischer Unsinn.
Also sollte man meinen, die Studie hat ein eindeutiges Ergebnis gehabt, und mit der gezielten Förderung von Mehrwegverpackungen auch auf der Bundesebene kann es jetzt endlich losgehen. Weit gefehlt! Was wir vorfinden konnten, war eine merkwürdig verklausulierte Schlußfolgerung der Umweltministerin. Sie heißt: „Förderung von Mehrwegverpackungen ist auch weiterhin vertretbar". Nun muß man sich fragen: Vertretbar gegenüber wem? Gegenüber den Herstellern von Getränkedosen und Blockverpackungen? Wem gegenüber fühlt sich diese Ministerin eigentlich verantwortlich? Fühlt sie sich der Verpackungsindustrie gegenüber verantwortlich oder den Menschen gegenüber, die in diesem Lande leben, den Kindern gegenüber, die zunehmend an Atemwegserkrankungen und Hauterkrankungen leiden?
Die primäre Frage der Umweltministerin sollte doch wohl sein, ob der hohe und weiter steigende Anteil an Getränkedosen und Blockverpackungen noch länger vertretbar ist. Auf diese Frage gibt die Studie eine eindeutige Antwort. Deshalb ist die Umweltministerin gefordert, eindeutig zu handeln.
Statt dessen spricht sie unter dem Mäntelchen von differenzierter Betrachtung von weiteren Untersuchungen - nach fünf Jahren Untersuchung!
Die Nachricht, die im Sommerloch sehr breit und effektiv verbreitet wurde, hieß in den Überschriften „Mehrweg ist nicht immer vorteilhaft". So etwas bleibt bei den Leuten hängen: Es gibt einen winzig kleinen Bereich, in dem es möglicherweise nicht vorteilhaft ist, aber einen riesengroßen Bereich, in dem es vorteilhaft ist. Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich bisher darum bemüht haben, vernünftige Einkaufswege zu finden, Gemeinschaften zu bilden, um zum Beispiel das Problem des schweren Transports - der Transport ist häufig schwieriger bei Mehrwegverpackungen - zu lösen, werden sich gemütlich zurücklehnen und sagen: Okay, wir brauchen uns nicht weiter darum zu kümmern! Unter dem Strich ist alles nicht so schlimm! Macht weiter wie bisher; Milch in Pappverpackungen, Bier in Dosen, und fertig ist die Sache! Das ist es, was bei dieser differenzierten Betrachtungsweise wirklich rübergekommen ist.
Herrn Rexrodt hätte das niemand so ohne weiteres geglaubt. Aber wenn die Umweltministerin das sagt - -! Frau Merkel, ich muß zugestehen, daß Sie in der Förderung bestimmter Wirtschaftszweige Erfolge zu verbuchen haben. Nur bleibt für mich natürlich die Frage: Wer kümmert sich dann noch um die Umwelt?
Die Umweltpolitik dieser Regierung hat zu oft die falschen Vorzeichen. Auch dieser Haushalt hat zu oft die falschen Vorzeichen. Wir werden ihn deswegen ablehnen.