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    Plenarprotokoll 13/67 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 67. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Inhalt: Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 5727 A Absetzung des Punktes III j von der Tagesordnung 5727 B Nachträgliche Ausschußüberweisung . 5727 B Begrüßung des Außenministers von Costa Rica, Herrn Dr. Fernando Naranjo, und einer Delegation 5796 D Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, 13/2593) 5727 C Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (Drucksachen 13/2604, 13/2626) . . . 5727 C in Verbindung mit Einzelplan 05 Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/2605, 13/2626) 5727 D in Verbindung mit Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (Drucksachen 13/2614, 13/2626) . . . 5727 D Günter Verheugen SPD 5728A, 5751 B Rudolf Seiters CDU/CSU 5732 D Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5736 A Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 5737 B Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 5739 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 5741 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . 5743 D Eckart Kuhlwein SPD 5744 B, 5751 C Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . . 5746 D, 5751B, 5751 D Eckart Kuhlwein SPD 5747 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 5749 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5752B, 5757 B Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 5756 D Dr. Helmut Haussmann F.D.P 5758 B Gerhard Zwerenz PDS 5759 D Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 5761 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5769 D Rudolf Scharping SPD 5770 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 5778B Günter Verheugen SPD 5779 B Ingrid Matthäus-Maier SPD 5781 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5784 A Ina Albowitz F.D.P. 5785 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5785 C Dr. Gregor Gysi PDS 5786 D Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 5790B Ernst Kastning SPD 5792A, 5799 B Paul Breuer CDU/CSU 5792 D Jürgen Koppelin F.D.P 5793 C Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 5796 D Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 5798D Stephan Hilsberg SPD 5799 C Eckart Kuhlwein (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5800C Dr. Peter Struck (Erklärung nach § 31 GO) 5801 A Namentliche Abstimmungen . . 5800B, 5801 C Ergebnisse 5802A, 5807 A Tagesordnungspunkt III: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Umweltbundesamtes (Drucksache 13/2687) . . . 5804 B b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Autobahnzusammenschluß sowie über den Bau und den Umbau einer Grenzbrücke im Raum Forst und Erlenholz (Olszyna) (Drucksache 13/2688) 5804 B c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen und der polnischen Landesstraßen an der deutsch-polnischen Grenze (Drucksache 13/2689) 5804 C d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über den Zusammenschluß der deutschen Bundesstraße B 97 und der polnischen Landesstraße 274 sowie über den Bau einer Grenzbrücke im Raum Guben und Gubinek (Drucksache 13/2690) . . . . . . . . . . . 5804 C e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AGB-Gesetzes (Drucksache 13/2713) . . . 5804 D f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlagerung des Sitzes des Bundesverwaltungsgerichts von Berlin nach Leipzig (Drucksache 13/2714) 5804 D g) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Fleischhygienegesetzes (Drucksache 13/2904) 5804 D h) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der von den britischen Streitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnsiedlung in Werl (Drucksache 13/2650) 5805 A i) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Leipzig, Essener Straße 1-3, an den Freistaat Sachsen (Drucksache 13/2678) . . . . . . . . 5805 A Zusatztagesordnungspunkt i: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (Drucksache 13/2838) 5805A b) Antrag der Gruppe der PDS: Grundrechte für die in der Europäischen Union lebenden Menschen (Drucksache 13/2457) 5805B Tagesordnungspunkt IV: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes (Drucksachen 13/192, 13/1583) 5805C b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kaffee-Übereinkommen von 1994 (Drucksachen 13/1667, 13/2648) 5805 C e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zum Filmförderungsgesetz (Drucksachen 13/1666, 13/1899 Nr. 2, 13/2647) . . . 5806 C f) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Erfahrungen mit der befristeten umsatzsteuer- lichen Übergangsregelung und den Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr sowie über den Stand der Bemühungen, zu einer endgültigen Umsatzsteuer-Regelung im europäischen Binnenmarkt zu kommen zu dem Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Funktionieren der MwSt-Übergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr (Drucksachen 12/8221, 13/725 Nr. 62, 13/1097, 13/ 1096 Nr. 2.1, 13/2673) 5806C g) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 11 - Erstattung des Sozialzuschlags für Rentenempfänger in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Drucksachen 13/2096, 13/2275 Nr. 1.6, 13/2762) . . 5806 C h) bis i) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 73 und 74 zu Petitionen (Drucksachen 13/2765, 13/2766) 5806D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Drucksachen 13/2620, 13/2626) . . . 5809B Dr. Emil Schnell SPD . . . . . . . . . 5809 C Michael von Schmude CDU/CSU . 5812A, 5817B Dr. R. Werner Schuster SPD 5814 B Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5814 D Armin Laschet CDU/CSU 5816 C Roland Kohn F.D.P. 5817D Dr. Willibald Jacob PDS 5819C Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . 5820B Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 5820D Dr. R. Werner Schuster SPD 5822 C Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern (Drucksachen 13/2606, 13/2626) 5823D in Verbindung mit Einzelplan 33 Versorgung (Drucksachen 13/2624, 13/ 2626) 5823 D Uta Titze-Stecher SPD 5824 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 5826 D Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 5828 B Uta Titze-Stecher SPD 5831 A, 5831 C Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F D.P. . 5832A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5832 B Dr. Burkhard Hirsch F D P. 5834 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5836 C Dieter Wiefelspütz SPD 5836 D Ulla Jelpke PDS 5837 C Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein CDU/CSU 5839A Günter Graf (Friesoythe) SPD 5839 D Erwin Marschewski CDU/CSU 5842 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI 5843 B Peter Dreßen SPD 5845 A Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 5845 D Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Drucksachen 13/2617, 13/2626) 5846 C Siegrun Klemmer SPD 5846 D Peter Jacoby CDU/CSU 5850 D Margot von Renesse SPD 5852 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5853 A Heinz Lanfermann F.D.P. . . . . 5854B, 5857 B Heidemarie Lüth PDS 5855 D Matthias Berninger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5856 D Maria Eichhorn CDU/CSU 5858 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 5859A Nächste Sitzung 5861 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5862* A 67. Sitzung Bonn, Mittwoch den 8. November 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 08. 11. 95 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 08. 11. 95 * Dr. Dobberthien, SPD 08. 11.95 Marliese Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 08. 11. 95 * Hafner, Gerald BÜNDNIS 08. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Dr. Hauchler, Ingomar SPD 08. 11. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 08. 11. 95 Meißner, Herbert SPD 08. 11. 95 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 08. 11.95 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Nickels, Christa BÜNDNIS 08. 11.95 90/DIE GRÜNEN Odendahl, Doris SPD 08. 11.95 Dr. Scheer, Hermann SPD 08. 11.95 Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 08. 11.95 90/DIE GRÜNEN Steindor, Marina BÜNDNIS 08. 11. 95 90/DIE GRÜNEN Terborg, Margitta SPD 08. 11.95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 08. 11. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Günter Verheugen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unsere heutige Debatte wird von dem Mord an dem israelischen Ministerpräsidenten Rabin überschattet. Viele von uns haben Yitzhak Rabin persönlich gekannt und wegen seiner mutigen und konsequenten Politik bewundert.
    Es wird heute noch genug Gelegenheit geben, uns zu streiten. Aber ich halte es für notwendig, mit einem Thema zu beginnen, das uns nicht nur im Deutschen Bundestag verbindet, sondern alle Menschen, die für Frieden und Versöhnung eintreten.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Der fanatische Mörder konnte Yitzhak Rabins Leben vernichten, aber nicht sein Lebenswerk.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Daß das wahr bleibt, ist unsere über die Tage der Trauer hinausreichende Verantwortung. Wir müssen deshalb den Friedensprozeß im Nahen Osten auch in der Zukunft mit allen unseren Kräften unterstützen.
    Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
    Für uns Deutsche geht es dabei um mehr als Hilfe bei der Beilegung eines beliebigen Konflikts. Der Frieden im Nahen Osten wird mehr sein als ein Interessenausgleich zwischen Israelis und Palästinensern. Er ist eine Existenzbedingung für den Staat Israel, und das geht uns Deutsche direkt und unmittelbar an.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P., des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Deshalb kann uns der Mord an Ministerpräsident Rabin in unserer Entschlossenheit nur bestärken, die deutsch-israelische Freundschaft als ein besonders kostbares Gut zu pflegen und zu bewahren.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Meine Damen und Herren, schrecklicher Haß, blind wütende Gewalt, entfesselter Fanatismus - das ist eine Realität in dieser Welt. Die Folgen haben wir jetzt in Israel erlebt. Seit Jahren erleben wir sie in unserer Nachbarschaft, im ehemaligen Jugoslawien. Zum erstenmal seit langer Zeit besteht jetzt Hoffnung, daß das Morden, Vertreiben und Plündern ein Ende findet und daß eine tragfähige Friedensregelung gefunden wird.
    In dieser Situation sehe ich keinen Sinn darin, noch einmal lange die Frage zu erörtern, wer wann was vielleicht falsch gemacht hat. Jetzt geht es um etwas viel Wichtigeres: Was können wir tun, um dem Frieden auch im ehemaligen Jugoslawien eine Heimat zu geben? Ich hoffe, daß wir vom Bundeskanzler und vom Außenminister dazu heute mehr hören als eine allgemeine Bestätigung der deutschen Verantwortung und konkrete Aussagen vielleicht nur zu einer möglichen Beteiligung am militärischen Teil der Umsetzung eines Friedensplans.
    Aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion kommt es jetzt darauf an, vorausschauende Lösungen zu finden, die nicht nur Bosnien für den Augenblick Frieden bringen, sondern die gesamte Region stabilisieren und keine Konfliktherde übriglassen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich weiß, daß das ein anspruchsvolles Ziel ist. Aber wenn wir es nicht wenigstens ernsthaft versuchen, werden wir mitverantwortlich für neues Blutvergießen und neue Gewalt. Ich unterscheide deshalb zwischen humanitärer Hilfe, Wiederaufbauhilfe für Kriegsgebiete und Aufbauhilfe für die gesamte Region.
    Humanitäre Hilfe muß überall dort geleistet werden, wo die Menschen ihrer bedürfen, ganz egal, wer sie sind und wo sie sind.
    Für den Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Gebiete sind zuerst die Konfliktparteien selbst verantwortlich. Wir sollten ihnen großzügig helfen, aber nicht ohne Bedingungen.

    (Beifall bei der SPD)

    Solche sind: demokratische Strukturen, Schutz von Minderheiten, Rüstungsverminderung und Gewaltverzicht.
    Die politische und wirtschaftliche Stabilisierung der gesamten Region reicht über das ehemalige Jugoslawien hinaus. Aufbauhilfe für die Region bis hin zur Eröffnung einer realistischen europäischen Perspektive verlangt grenzüberschreitende Kooperation, Vertrauensbildung und Abbau von Spannungsursachen. Wir wissen aus der Zeit der erfolgreichen Entspannungspolitik, daß ein solcher Weg möglich ist. Erfahrungen können genutzt werden. Gerade hier kann der deutsche Beitrag besonders ins Gewicht fallen.
    Die deutsche und europäische Politik sollte in dem in Gang gekommenen Friedensprozeß auf Ausgrenzungen verzichten. Wir wollen nicht den einen für gut und den anderen für böse erklären, sondern an einem gemeinsamen Neubeginn aller mitwirken. Dazu gehört auch die Bereitschaft, Serbien-Montenegro wieder einen Platz in der internationalen Gemeinschaft zu geben und entsprechend den Fortschritten des Friedensprozesses auch die Beziehungen zu diesem Land, bei dem ein Schlüssel für den Frieden in der Region liegt, wieder zu entwickeln. Die Zeit kann schnell kommen, wo auch Belgrad die Hand gereicht werden sollte. Es gibt gute Zeichen dafür, daß sie angenommen würde.

    Günter Verheugen
    Meine Damen und Herren, die Hoffnung auf Frieden im ehemaligen Jugoslawien erspart uns nicht eine bittere Frage: Warum konnte dieser Krieg nicht früher gestoppt werden? Vor allem aber: Was muß geschehen, damit sich eine solche Tragödie nicht wiederholt? Europa - das hat sich gezeigt - hat nicht das Maß an Einheit und den Entwicklungsstand seiner Institutionen, die es wirklich handlungsfähig gemacht hätten. Die Vereinten Nationen sind in ihrer politischen und militärischen Handlungsfähigkeit begrenzt. Dennoch wäre es falsch, das Engagement der Vereinten Nationen als Fehlschlag abzutun.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Hunderttausende Menschen verdanken dem Handeln der Vereinten Nationen ihr Leben. Die Friedensgespräche sind in Gang gekommen, nachdem es unter Führung der USA zu einem massiven militärischen Eingreifen gekommen war. Aber kann und darf das unser einziges Konfliktlösungsmodell sein? Nein. Wenn der Bosnienkonflikt eines deutlich gemacht hat, dann dies: Wir brauchen in Europa und in der Welt starke, handlungsfähige Systeme gemeinsamer Sicherheit, denen die Verantwortung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit obliegt und die sie zuverlässig wahrnehmen.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])

    Davon sind wir weit entfernt. Ich weiß auch nicht, ob es in absehbarer Zeit erreichbar ist. Aber es kann ein großes gemeinsames Ziel der deutschen und der europäischen Außenpolitik sein, solche Systeme zu schaffen. Wir brauchen Instanzen in Europa und in der Welt, die die Legitimation und die Fähigkeit haben, die Ursachen von Spannung und Gewalt vorbeugend zu bekämpfen, Krisen mit politischen Mitteln zu entschärfen und als letzte und äußerste Möglichkeit Verstöße gegen das Gewaltverbot zu ahnden.
    Die Satzung der Vereinten Nationen sieht das alles vor. Sie sieht auch Regionalorganisationen vor, die einen Teil ihrer Verantwortung übernehmen können. Für mich beantwortet sich die oft gestellte Frage nach der deutschen Verantwortung in der Welt so: Unser Land sollte mit seinem ganzen Gewicht und mit seinem ganzen Einfluß darauf hinwirken, daß die Vereinten Nationen so handeln können, wie es in ihrer Charta steht, und daß in Europa eine Sicherheitsgemeinschaft entsteht, die die Konfliktbewältigung zur gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Staaten macht.

    (Beifall bei der SPD)

    Was ein System kollektiver Sicherheit in seiner Verantwortung tut, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, das muß jedes Mitglied eines solchen Systems im konkreten Einzelfall unterstützen können, wobei Art und Ausmaß der Unterstützung selbstverständlich der Entscheidung in eigener, nationaler Verantwortung überlassen bleiben.
    Meine Damen und Herren, die Lösung, die sich für das ehemalige Jugoslawien anbahnt, daß nämlich die NATO in einer noch zu regelnden Verbindung mit anderen Staaten das tut, was eigentlich die UNO oder eine europäische Sicherheitsgemeinschaft tun müßte, ist aus dem Zwang widriger Umstände geboren und kein auf Dauer tragfähiges Modell.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich kann Ihnen leicht ein Dutzend Konflikte in der Welt aufzählen, wo es so nicht funktionieren würde. Nicht einmal in Europa könnte es überall so gehen. Die NATO ist für eine solche Aufgabe nicht geschaffen. Sie würde auf Dauer daran zerbrechen. Wohl aber kann die NATO eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Entwicklung eines europäischen Sicherheitssystems geht. Sie würde in einem solchen System nicht überflüssig, sondern könnte es als transatlantische Klammer sinnvoll ergänzen.
    Im Augenblick haben wir kein stabiles Sicherheitssystem, das ganz Europa umfaßt. Wir haben nur Bruchstücke. Bis jetzt kann ich nicht erkennen, wie die Bundesregierung aus den vorhandenen Einzelteilen NATO, OSZE, WEU, GASP, Partnerschaft für den Frieden usw. ein sinnvolles Ganzes schaffen will. Da wird an allen möglichen Ecken gewerkelt, aber ein Bauplan ist nicht zu erkennen.

    (Beifall bei der SPD)

    So entsteht dieser Eindruck eines heillosen Gewurstels, eines sich irgendwie Durchmogelns, das so kennzeichnend für die Außenpolitik dieser Regierung ist.

    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wie wahr!)

    Die verschiedenen Systeme sinnvoll aufeinander zu beziehen, sie anzupassen und zu verändern, wo es nötig ist, damit sie sich zu einem Ganzen fügen, das ist die große außenpolitische Aufgabe von heute.

    (Beifall bei der SPD)

    Für mich ganz und gar unverständlich, werden vor allem die Chancen nicht genutzt, die in einem Ausbau der OSZE liegen. Der OSZE fehlt das völkerrechtliche Fundament. Wir wollen, daß dieses Fundament geschaffen und dann Schritt für Schritt eine europäische Friedensgemeinschaft entwickelt wird.
    Die Europäische Union befindet sich in einer schwierigen Phase. Lassen Sie mich zunächst sagen, daß für uns Sozialdemokraten die europäische Einheit die alles entscheidende Konstante der deutschen Politik überhaupt ist.

    (Beifall bei der SPD)

    Daran darf es keinen Zweifel geben. Es ist kein Zweifel an Europa und an unserem festen Willen zur deutschen Integration in Europa, wenn man angesichts der jetzt nahe herangerückten Termine an die Bedingungen der Währungsunion erinnert. Die schrillen Reaktionen aus dem Regierungslager auf die Hinweise des SPD-Vorsitzenden auf die Modalitäten der Währungsunion waren ganz und gar unangebracht.

    (Beifall bei der SPD Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)


    Günter Verheugen
    Daß die Einhaltung der Stabilitätskriterien wichtiger ist als der Zeitplan, haben Sie, Herr Bundeskanzler, als erster gesagt. Das ist längst Allgemeingut in der deutschen Politik. Wir haben 1992 während der Maastricht-Debatte den Parlamentsvorbehalt durchgesetzt.

    (Beifall bei der SPD Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ich habe dies selbst vorgeschlagen!)

    - Ja, gegen Sie, Herr Waigel. - Wir wollen, daß der Bundestag die Verantwortung dafür übernimmt, daß die gemeinsame europäische Währung keinen Verlust an Währungsstabilität bedeuten wird.

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Geschichtsklitterung, Herr Verheugen!)

    Der CDU-Parteitag war nicht nur wegen der Ref ormen, denen er sich verweigert hat, interessant; er hat in diesem Punkt etwas beschlossen, was hier zitiert werden muß. Ich zitiere den CDU-Parteitagsbeschluß:
    Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Währung bleibt die dauerhafte Erfüllung der strengen Stabilitätskriterien des Maastrichter Vertrages. Die Sicherung einer dauerhaft integrierten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten im europäischen Währungsgebiet ist Voraussetzung für eine funktionierende Währungsunion.
    Wenn diese Worte einen Sinn haben, dann bedeuten sie, daß Maastricht nachgebessert werden muß; denn so steht es nicht im Vertrag.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir haben seinerzeit kritisiert, daß das nicht im Vertrag steht.

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Warum haben Sie zugestimmt?)

    - Auf diesen Zwischenruf, Herr Irmer, habe ich gewartet. Ich habe genau hier hingeschrieben: „Zwischenruf Irmer: Warum haben Sie zugestimmt?".

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Herr Irmer, wie sähe Europa heute aus, wenn der von dieser Regierung ausgehandelte und unterschriebene Vertrag an Deutschland und in Deutschland an der SPD gescheitert wäre? Das ist der Grund gewesen: Aus staatspolitischer Verantwortung haben wir diesem Vertrag zugestimmt.

    (Beifall bei der SPD Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.)

    - Da lachen Sie. Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, war damals nicht einmal in der Lage, die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Ratifizierung des Vertrags zu schaffen. Diese Arbeit haben wir für Sie gemacht.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber jetzt will ich etwas von Ihnen wissen, Herr Bundeskanzler und CDU-Vorsitzender: Wann und wie wollen Sie diese Forderung Ihres Parteitages unseren Partnern in der Europäischen Union präsentieren? Soll das Gegenstand der Regierungskonferenz werden? Ich würde es begrüßen. Aber was machen Sie, wenn Sie diese Nachbesserung nicht erreichen? Kommt dann die Währungsunion nicht? Sie haben den Vertrag abgeschlossen. Jetzt wollen Sie ihn anders.
    Ich könnte jetzt etwas zu Populismus und D-MarkNationalismus anmerken, aber ich unterlasse das, weil die Frage zu ernst ist und weil diese Debatte endlich in und mit der deutschen Öffentlichkeit geführt werden muß. Wo denn sonst, wenn nicht hier?

    (Beifall bei der SPD)

    Unsere Aufgabe ist es, die Deutschen davon zu überzeugen, daß die Währungsunion kommen muß, wenn die Bedingungen stimmen. Ich glaube nicht, daß die Deutschen davon schon überzeugt sind.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!)

    Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen: Natürlich muß die Europapolitik Gegenstand der Debatte in Deutschland sein. Wir haben sie nicht zu oft, sondern zu selten geführt.

    (Beifall bei der SPD Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: So ist es!)

    Europa braucht Europäer, und die gewinnt man durch Überzeugungsarbeit und nicht durch Gezerre hinter verschlossenen Türen.

    (Beifall bei der SPD)

    Zur Diskussion steht heute die Gesamtpolitik der Bundesregierung. Wenn man Ihnen, Herr Bundeskanzler, außen- und sicherheitspolitisch noch zugute halten kann, daß es eine Reihe von großen Fragen gibt, auf die noch niemand eine endgültige Antwort hat, und selbst Sie eine neue Weltordnung nicht im Alleingang schaffen können,

    (Lachen bei der SPD Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Aber wenn, dann er!)

    so sieht Ihre innenpolitische Bilanz heute schlimmer aus denn je. Das kann man nach 13 Jahren Regierung Kohl mit Bestimmtheit sagen:

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ihre Politik hinterläßt tiefe Spuren der Beschädigung
    in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen. Nach Ihnen wird einer lange Zeit schwer aufräumen müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    In der alles entscheidenden Frage der Beschäftigungspolitik sind Sie ein Kanzler der Untätigkeit.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Wurzel fast allen nationalen Übels bei uns ist die zu hohe Arbeitslosigkeit. Die jüngsten Zahlen von Ende Oktober zeigen: Die Arbeitslosigkeit liegt, mit steigender Tendenz, über der des Vorjahres. Sie kostet jetzt 130 Milliarden DM im Jahr. Das Hauptziel

    Günter Verheugen
    der Regierungspolitik müßte sein: Arbeitsplätze, Arbeitsplätze und noch einmal Arbeitsplätze.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber Sie überlassen das Problem dem Selbstlauf der Wirtschaft. Die ist an ihren Kosten und Erträgen interessiert. Ich stelle das nur fest; das ist ja nun einmal so. Für eine aktive Beschäftigungspolitik zu sorgen wäre Ihre Aufgabe.

    (Beifall bei der SPD)

    Ungenutzte Möglichkeiten gibt es zuhauf: regionale Strukturpolitik, mehr Forschung, mehr Qualifizierung, ökologischer Umbau. Das alles könnten Sie tun oder wenigstens fördern. Statt dessen kommen Sie uns mit dem Ladenschluß, der - so wie Sie es jetzt angelegt haben - beschäftigungspolitisch zu nichts anderem führen wird als einer uferlosen Vermehrung der 580-Mark-Jobs zu Lasten ordentlicher Teilzeitarbeitsverhältnisse.

    (Beifall bei der SPD Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Bei jeder konkreten Maßnahme blockieren Sie!)

    Viel redet diese Regierung von der Globalisierung der Märkte und der damit verbundenen Risiken. Dagegen müßten Sie auf die Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaft setzen, auf das Potential unserer Wissenschaftler und Techniker. Aber hier sind Sie ein Kanzler des Stillstands, der in sich ruht wie ein chinesischer Buddha.

    (Lachen und Beifall bei der SPD - Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Gefällt mir!)

    - Es gefällt Ihnen?

    (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das gefällt mir sehr gut!)

    Deutschland fällt als Forschungsstandort zurück. Sie haben Kapazitäten zerstört, statt neue zu entwikkeln. In unserem Land stecken große Kräfte. Aber Sie bringen es nicht fertig, sie freizusetzen.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie sind freigesetzt worden!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Darf ich um mehr Ruhe im Saal bitten! Man kann den Redner kaum mehr verstehen.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Günter Verheugen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Umweltpolitisch sind Sie der Kanzler des gebrochenen Wortes.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ihre gegenüber der internationalen Gemeinschaft gemachte, in diesem Jahr erst erneuerte Zusage, einen deutschen Beitrag zur Vermeidung der Klimakatastrophe zu leisten und bis 2005 den CO2-Ausstoß um 25 Prozent zu senken, ist nicht mehr zu erfüllen. Das sagen Ihre eigenen Experten. Sie haben auch nichts dafür getan. Auf der Habenseite steht eine schwächliche Wärmeschutzverordnung, sonst nichts.
    Von ökologischer Steuerreform ist bei Ihnen keine Rede mehr. Sie lassen auch hier die Dinge laufen und denken wohl: Soll doch die nächste Generation auch noch etwas zu tun haben. Und damit wir es nicht vergessen: Einen beklagenswerten Wechselbalg von Ozongesetz haben Sie zustande gebracht, in den Werten und technischen Erfordernissen so sehr manipuliert, daß kein Gesetz besser gewesen wäre als dieses. Man kann noch nicht einmal sagen, daß die Jahrhundertaufgabe der ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft bei Ihnen in schlechten Händen wäre. Sie haben diese Aufgabe überhaupt noch nicht erkannt.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie sind ein Kanzler der Wohnungsnot geworden. Es fehlen mehr als 2 Millionen Wohnungen, vom Sanierungsbedarf in Ostdeutschland ganz zu schweigen. Den sozialen Wohnungsbau haben Sie schon ruiniert, der freifinanzierte geht jetzt auch den Bach runter, wie die Verbände der Wohnungswirtschaft und der Bauindustrie übereinstimmend sagen. Und als hätten Sie die Mieter mit einer Politik, die bezahlbaren Wohnraum zu Mangelware macht, nicht schon genug geängstigt, verkaufen Sie jetzt mal soeben 48 000 Bundeswohnungen.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!)

    In diesen Wohnungen leben Menschen mit meist geringem Einkommen. Was glauben Sie wohl, wie diese Mieter über Ihre Regierungskunst und die Chaostruppe im Finanzministerium denken?

    (Beifall bei der SPD Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo waren denn die Chaostage?)

    Sie sind der Kanzler der Höchstbesteuerung geworden. Im Durchschnitt sind die Einkommen jetzt bei einer Steuer- und Abgabenquote von 48 Prozent angekommen, fast 10 Prozent mehr als zu Beginn Ihrer Regierungsarbeit. Haben wir von Ihnen nicht einmal gehört, daß sich Leistung wieder lohnen soll? Sollte das eine sportpolitische Aussage gewesen sein, war Tennis gemeint, Herr Bundeskanzler?

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Aber Sie haben die Steuerlast nicht nur erhöht, Sie haben sie auch anders verteilt, mit dem Ergebnis, daß die Normalverdiener heute wesentlich mehr zum Gesamtsteueraufkommen beitragen müssen als jemals zuvor. Es paßt ins Bild, daß es bei der Einkommens- und Vermögensentwicklung genau umgekehrt ist: Da sinkt der Anteil der Normalverdiener. Damit sind Sie auch noch zum Kanzler der Ungerechtigkeit geworden.

    (Beifall bei der SPD)

    Der Kanzler der Höchstverschuldung sind Sie ja schon lange. Angetreten waren Sie mit dem Versprechen, die Staatsverschuldung abzubauen. Allein in der Amtszeit des jetzigen Finanzministers haben Sie die Schulden- und Zinslast verdoppelt. Jede vierte Steuermark wird im nächsten Jahr für das Zahlen von Zinsen verbraucht. Haben Sie sich eigentlich einmal

    Günter Verheugen
    überlegt, was das gesellschaftspolitisch bedeutet, wer die Steuern bezahlt und wer die Zinsen bekommt?

    (Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Haben Sie was von der deutschen Einheit gehört? Michael Glos [CDU/CSU]: Halten Sie einmal eine ordentliche Abschiedsrede, Herr Verheugen!)

    Mit Ludwig Erhard verband sich einmal die Devise: Wohlstand ist für alle da. Das haben Sie mit Ihrer Politik gründlich widerlegt.

    (Beifall bei der SPD)

    Mit Ihrer Schuldenpolitik verschieben Sie die Finanzierungsprobleme auf spätere Generationen. Ihr Enkel möchte man wirklich nicht sein.

    (Beifall bei der SPD Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Eine lustige Rede!)

    Gelegentlich denken Sie auch ans Sparen, aber da fallen Ihnen immer nur diejenigen ein, die es ohnehin am schwersten haben. So soll es auch weitergehen: Arbeitslosenhilfe gekürzt, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose zusammengestrichen, alleinerziehenden Müttern die Hilfe weggenommen.
    In diesem Jahr haben Sie sich einen weiteren Platz im Buch der Rekorde erworben: Sie haben das größte Haushaltsloch produziert, das diesem Parlament jemals eingestanden werden mußte. So sind Sie in Ihrer Regierungszeit wenigstens bei den Löchern zur Weltspitze aufgestiegen:

    (Heiterkeit bei der SPD)

    Sie haben das tiefste Loch, nämlich in Windischeschenbach in der Oberpfalz, und Sie haben das größte Loch, und zwar in Ihrem Haushalt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wissen Sie was: Sie haben einen Finanzminister, der mit Geld nicht umgehen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    Nein, er kann mit Geld nicht umgehen. Wäre er der Chef einer Bank, würden seine Schalter von der Bankenaufsicht geschlossen.
    Wir kennen die Methoden, Herr Bundeskanzler, mit denen Sie die Ergebnisse Ihrer Politik vergessen machen wollen. Auf Parteitagen beklagen Sie die gesellschaftlichen Folgen Ihrer Politik, fordern mehr Verantwortung und Gemeinsinn und tun so, als hätten Sie nichts damit zu schaffen, daß diese Tugenden selten geworden sind.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Ich sage Ihnen: Jugendkriminalität, Gewaltbereitschaft, Rücksichtslosigkeit, zügellose Gewinnsucht - das alles fällt nicht vom Himmel. Das sind die sozialen Wirkungen politischer Ursachen, die Sie geschaffen haben.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nachher werden Sie sich hierherstellen und fragen: Von welchem Land redet denn die SPD? Schauen Sie sich doch um: Den Leuten geht es gut. Was wollen Sie denn? - Ja, es ist wahr. Den meisten Menschen in unserem Land geht es, verglichen mit anderen Ländern, gut.

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ihnen geht es nicht so gut!)

    Aber es sind zu viele, denen es nicht gut geht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wir dürfen nicht nur die sehen, die im Lichte stehen. Wir müssen auch die sehen, die auf die Schattenseite der glitzernden Wohlstandsfassaden abgedrängt sind. Der Staat ist nicht in erster Linie für die Starken da; seine besondere Fürsorge muß den Schwachen gelten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Wir wollen eine humane Gesellschaft, in der jeder seine gerechte Chance hat, aber die Politik dieser Regierung schafft Chancen nicht, sondern zerstört sie für zu viele. Wer das nicht sehen will oder die Zielgruppen der Fernsehwerbung für die ganze gesellschaftliche Wirklichkeit hält, der leidet an einem gefährlichen Realitätsverlust.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

    Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland sind vital und kreativ genug, um die großen Probleme zu bewältigen. Was die Gestaltungs- und Antriebskräfte lähmt, ist die Politik einer Regierung, von der auch nicht der Hauch jener Aufbruchstimmung ausgeht, die wir zur Gestaltung unserer Zukunft brauchen.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ina Albowitz [F.D.P.]: Aber von Ihnen!)