Rede von
Günter
Verheugen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Umweltpolitisch sind Sie der Kanzler des gebrochenen Wortes.
Ihre gegenüber der internationalen Gemeinschaft gemachte, in diesem Jahr erst erneuerte Zusage, einen deutschen Beitrag zur Vermeidung der Klimakatastrophe zu leisten und bis 2005 den CO2-Ausstoß um 25 Prozent zu senken, ist nicht mehr zu erfüllen. Das sagen Ihre eigenen Experten. Sie haben auch nichts dafür getan. Auf der Habenseite steht eine schwächliche Wärmeschutzverordnung, sonst nichts.
Von ökologischer Steuerreform ist bei Ihnen keine Rede mehr. Sie lassen auch hier die Dinge laufen und denken wohl: Soll doch die nächste Generation auch noch etwas zu tun haben. Und damit wir es nicht vergessen: Einen beklagenswerten Wechselbalg von Ozongesetz haben Sie zustande gebracht, in den Werten und technischen Erfordernissen so sehr manipuliert, daß kein Gesetz besser gewesen wäre als dieses. Man kann noch nicht einmal sagen, daß die Jahrhundertaufgabe der ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft bei Ihnen in schlechten Händen wäre. Sie haben diese Aufgabe überhaupt noch nicht erkannt.
Sie sind ein Kanzler der Wohnungsnot geworden. Es fehlen mehr als 2 Millionen Wohnungen, vom Sanierungsbedarf in Ostdeutschland ganz zu schweigen. Den sozialen Wohnungsbau haben Sie schon ruiniert, der freifinanzierte geht jetzt auch den Bach runter, wie die Verbände der Wohnungswirtschaft und der Bauindustrie übereinstimmend sagen. Und als hätten Sie die Mieter mit einer Politik, die bezahlbaren Wohnraum zu Mangelware macht, nicht schon genug geängstigt, verkaufen Sie jetzt mal soeben 48 000 Bundeswohnungen.
In diesen Wohnungen leben Menschen mit meist geringem Einkommen. Was glauben Sie wohl, wie diese Mieter über Ihre Regierungskunst und die Chaostruppe im Finanzministerium denken?
Sie sind der Kanzler der Höchstbesteuerung geworden. Im Durchschnitt sind die Einkommen jetzt bei einer Steuer- und Abgabenquote von 48 Prozent angekommen, fast 10 Prozent mehr als zu Beginn Ihrer Regierungsarbeit. Haben wir von Ihnen nicht einmal gehört, daß sich Leistung wieder lohnen soll? Sollte das eine sportpolitische Aussage gewesen sein, war Tennis gemeint, Herr Bundeskanzler?
Aber Sie haben die Steuerlast nicht nur erhöht, Sie haben sie auch anders verteilt, mit dem Ergebnis, daß die Normalverdiener heute wesentlich mehr zum Gesamtsteueraufkommen beitragen müssen als jemals zuvor. Es paßt ins Bild, daß es bei der Einkommens- und Vermögensentwicklung genau umgekehrt ist: Da sinkt der Anteil der Normalverdiener. Damit sind Sie auch noch zum Kanzler der Ungerechtigkeit geworden.
Der Kanzler der Höchstverschuldung sind Sie ja schon lange. Angetreten waren Sie mit dem Versprechen, die Staatsverschuldung abzubauen. Allein in der Amtszeit des jetzigen Finanzministers haben Sie die Schulden- und Zinslast verdoppelt. Jede vierte Steuermark wird im nächsten Jahr für das Zahlen von Zinsen verbraucht. Haben Sie sich eigentlich einmal
Günter Verheugen
überlegt, was das gesellschaftspolitisch bedeutet, wer die Steuern bezahlt und wer die Zinsen bekommt?
Mit Ludwig Erhard verband sich einmal die Devise: Wohlstand ist für alle da. Das haben Sie mit Ihrer Politik gründlich widerlegt.
Mit Ihrer Schuldenpolitik verschieben Sie die Finanzierungsprobleme auf spätere Generationen. Ihr Enkel möchte man wirklich nicht sein.
Gelegentlich denken Sie auch ans Sparen, aber da fallen Ihnen immer nur diejenigen ein, die es ohnehin am schwersten haben. So soll es auch weitergehen: Arbeitslosenhilfe gekürzt, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose zusammengestrichen, alleinerziehenden Müttern die Hilfe weggenommen.
In diesem Jahr haben Sie sich einen weiteren Platz im Buch der Rekorde erworben: Sie haben das größte Haushaltsloch produziert, das diesem Parlament jemals eingestanden werden mußte. So sind Sie in Ihrer Regierungszeit wenigstens bei den Löchern zur Weltspitze aufgestiegen:
Sie haben das tiefste Loch, nämlich in Windischeschenbach in der Oberpfalz, und Sie haben das größte Loch, und zwar in Ihrem Haushalt, meine Damen und Herren.
Wissen Sie was: Sie haben einen Finanzminister, der mit Geld nicht umgehen kann.
Nein, er kann mit Geld nicht umgehen. Wäre er der Chef einer Bank, würden seine Schalter von der Bankenaufsicht geschlossen.
Wir kennen die Methoden, Herr Bundeskanzler, mit denen Sie die Ergebnisse Ihrer Politik vergessen machen wollen. Auf Parteitagen beklagen Sie die gesellschaftlichen Folgen Ihrer Politik, fordern mehr Verantwortung und Gemeinsinn und tun so, als hätten Sie nichts damit zu schaffen, daß diese Tugenden selten geworden sind.
Ich sage Ihnen: Jugendkriminalität, Gewaltbereitschaft, Rücksichtslosigkeit, zügellose Gewinnsucht - das alles fällt nicht vom Himmel. Das sind die sozialen Wirkungen politischer Ursachen, die Sie geschaffen haben.
Nachher werden Sie sich hierherstellen und fragen: Von welchem Land redet denn die SPD? Schauen Sie sich doch um: Den Leuten geht es gut. Was wollen Sie denn? - Ja, es ist wahr. Den meisten Menschen in unserem Land geht es, verglichen mit anderen Ländern, gut.
Aber es sind zu viele, denen es nicht gut geht, meine Damen und Herren.
Wir dürfen nicht nur die sehen, die im Lichte stehen. Wir müssen auch die sehen, die auf die Schattenseite der glitzernden Wohlstandsfassaden abgedrängt sind. Der Staat ist nicht in erster Linie für die Starken da; seine besondere Fürsorge muß den Schwachen gelten.
Wir wollen eine humane Gesellschaft, in der jeder seine gerechte Chance hat, aber die Politik dieser Regierung schafft Chancen nicht, sondern zerstört sie für zu viele. Wer das nicht sehen will oder die Zielgruppen der Fernsehwerbung für die ganze gesellschaftliche Wirklichkeit hält, der leidet an einem gefährlichen Realitätsverlust.
Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland sind vital und kreativ genug, um die großen Probleme zu bewältigen. Was die Gestaltungs- und Antriebskräfte lähmt, ist die Politik einer Regierung, von der auch nicht der Hauch jener Aufbruchstimmung ausgeht, die wir zur Gestaltung unserer Zukunft brauchen.