Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Wochen nahm ich an einer Podiumsdiskussion teil, bei der es auch um solche Fragen ging. Dort berichtete ein Kinderarzt von einer Untersuchung, bei der Kinder in den Vereinigten Staaten von Amerika und Kinder in der Bundesrepublik Deutschland befragt wurden. Sie wurden nicht danach befragt, wie sie sich verhalten, was sie machen, wie sie mit ihren Eltern zurechtkommen, sondern sie wurden schlicht und einfach gefragt: Was fällt dir beim Stichwort Gesundheit ein?
Den amerikanischen Kindern fiel ein: kein Junk food essen, nicht soviel Fernsehen gucken - ich sagte ja, sie wurden nicht gefragt, ob sie es tun oder nicht, sondern sie wurden gefragt, was ihnen einfällt -, viel draußen spielen, Sport treiben. Und was fiel den deutschen Kindern ein? Arzt, Krankenhaus, Apotheke, Spritze, Krankenschwester.
Ich meine, das zeigt etwas, was mit dem heute zu behandelnden Thema zu tun hat. Unabhängig davon, wie sie sich verhalten, wissen amerikanische Kinder offenbar besser, was ihrer Gesundheit guttut als deutsche Kinder. Das ist aber nicht allein Schuld der Politik, sondern das ist natürlich auch Schuld der Eltern, der Umwelt, des Fernsehens; da kann man jetzt eine ganze Menge Leute und Faktoren aufzählen.
Ich hatte nur so ein bißchen den Eindruck, als hätten die Kinder in Amerika den Gesundheitsbericht der Europäischen Kommission gelesen, in dem über die Determinanten, also die Dinge, die die Gesundheit bestimmen, folgendes steht. Negativ: Mißbrauch von Alkohol, von Tabak, von Drogen, von Arzneimitteln, zu wenig Bewegung und falsche Ernährung.
Editha Limbach
Und positiv dann natürlich genau das Umgekehrte - darunter sind viele Faktoren, die in der Familie eine Rolle spielen -: Zuwendung, Interesse, sich beheimatet fühlen und viele Dinge, die in einer Gesellschaft eine Rolle spielen, ob man nämlich die Kinder verjagt, weil sie ein bißchen Lärm machen, oder ob man in der Gaststätte fast Angst haben muß, ein Kind bei sich zu haben, weil es ja vielleicht kleckern oder den Ober einmal dumm angucken könnte. Gerade wenn man die Umwelt betont, muß man diese sehr umfassend betrachten. Ich selbst tue dies.
Ich habe mich etwas gewundert, Herr Lennartz, daß Sie in Ihrem Antrag zu diesem Thema, das natürlich und richtigerweise hochemotional ist, weil Umwelt und Kindergesundheit zusammentreffen, arg negativ begonnen haben. Ich finde, daß man immer dann, wenn man den Leuten erst Angst macht und anschließend sagt, was man dagegen macht, wenig Echo findet.
Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten darauf hingewiesen, daß z. B. die Kindersterblichkeit Gott sei Dank und erfreulicherweise enorm zurückgegangen ist. Ich hätte mich auch gefreut, wenn Sie darauf hingewiesen hätten, daß wir durch Vorsorgeuntersuchungen, Impfschutzmaßnahmen und dergleichen auf vielen Gebieten im Umgang mit Kinderkrankheiten sehr viel weiter sind, als es der Fall war, als wir kleine Kinder waren. Dann hätte ich gesagt: Heute aber haben wir neue Gefährdungen, über die wir nachdenken müssen, und zwar präventiv. Deshalb ist es richtig, wenn wir sagen: Auch eine gesunde Umwelt gehört zu den Voraussetzungen, damit Kinder und Erwachsene gesund leben können.
Ich bin aber ein bißchen traurig über Ihren Antrag, weil ich dachte, wir hätten uns gemeinsam einige kluge Schritte vornehmen können.
In diesem Antrag stehen eine ganze Menge von Punkten. Dort ist einfach alles, was nur geht, zusammengepackt.
Ich möchte hier keineswegs alle diese Punkte beurteilen, nehme aber einmal einen Punkt heraus, und zwar Punkt 18:
Maßnahmen gegen die ständig zunehmende Reizüberflutung von Kindern müssen ergriffen werden. Kinder im Alter von zehn Jahren sehen durchschnittlich zweieinhalb bis drei Stunden pro Tag fern.
Das ist leider wahr. Ich frage mich aber: Was soll denn die Bundesregierung dagegen machen? Soll sie verbieten, daß Kinder fernsehen? Dann müßten wir in jedem Haushalt jemanden neben das Fernsehgerät stellen, der aufpaßt.
Bei dieser Frage spielen Erziehung, ein anderes interessantes Angebot und übrigens auch Hilfen für
Eltern eine große Rolle. Wie sonst soll das gemacht werden?
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wenn es beispielsweise so außerordentlich schwer ist, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchzusetzen, dann wundere ich mich nicht, daß manche Eltern, durch alle möglichen Dinge überlastet, in ihrer Verzweiflung die Kinder gelegentlich einmal eine Stunde vor den Fernseher setzen, um sie ruhigzustellen. Hätten wir z. B. genügend Kinderbetreuungsplätze, hätten die Kinder wenigstens in der Zeit genug andere Anregungen und müßten nicht vor das Fernsehgerät gesetzt werden.
Kommen wir nun zu etwas anderem. Sie haben gesagt, Sie wüßten praktisch schon, welche Umweltschäden auf die Gesundheit einwirkten. Allerdings haben Sie gesagt, es müsse mehr erforscht werden. Das ist wahr. Wenn man aber auf der einen Seite sagt, da muß viel mehr erforscht werden, auf der anderen Seite aber schon weiß, welche Folgen auftreten, dann frage ich mich: Wie ernst ist Ihnen eigentlich das eine oder das andere?
Wenn ich das richtig gelesen habe, hat der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung auf Anregung des Umweltausschusses das Büro für Technikfolgenabschätzung beauftragt, eine Studie zu einem Projekt „Umwelt und Gesundheit" zu entwickeln. Die Ergebnisse sollen im Mai 1996 vorliegen. Ich wäre froh, es kämen solche Ergebnisse dabei heraus, daß wir uns anschließend gemeinsam im Deutschen Bundestag daranmachen könnten, daraus Folgerungen zu ziehen und diese dann auch umzusetzen.
Natürlich haben Sie auch einige Punkte dargelegt, bei denen wir völlig mit Ihnen übereinstimmen: Grenzwerte beim Trinkwasser, Grenzwerte in anderen Bereichen. Selbstverständlich ist das dringend nötig. Das ist auch eine staatliche Aufgabe. In Erfüllung dieser Aufgabe setzt sich die Bundesregierung, vom Bundestag unterstützt, auf der europäischen Ebene für vernünftige Regelungen ein. Das ist allemal besser, als wenn wir nur versuchten, etwas national zu entwickeln und dies überall sonst nicht so funktioniert.
Genauso richtig ist Ihre Anregung bezüglich der Ausbildung der Mediziner, mehr zur Umweltmedizin überzugehen.
- Selbstverständlich ist das richtig. Wie Sie aber wissen, bestimmt nicht die Bundesregierung und auch nicht der Bundestag per Gesetz darüber, was in diesem Bereich passiert. Das heißt, wir müssen auf allen Ebenen dafür sorgen, daß das erfolgt.
Sie können nicht einfach hierherkommen und im Bundestag den Eindruck erwecken, als könne und müsse die Bundesregierung bzw. der Bundestag in
Editha Limbach
allen Feldern, vor allem auch dort, wo sie bzw. er es gar nicht kann, tätig werden.
Es gibt eine Menge Punkte in Ihrem Antrag - ich führe sie jetzt nicht einzeln auf -, wo es heißt: in Benehmen mit den Ländern. Wenn man einmal genau hinschaut, dann stellt man fest, daß es sich gerade um Länderaufgaben handelt. Über die Gesundheitserziehung in der Schule können wir hier im Bundestag soviel reden und uns so einig sein, wie wir wollen. Ich glaube auch, wir sind uns einig. Wenn das aber auf der Länderebene von den Kultusministern nicht umgesetzt wird, dann stehen wir da.
Wir können hier beschließen, was wir wollen, weil nicht wir die Kompetenz haben, sondern andere.
Ich meine, es gehört auch zur Fairneß, daß man in einen solchen Antrag nach Möglichkeit nicht alles Wünschenswerte hineinschreibt, sondern sehr konkret sagt: Da ist der Punkt, für den wir verantwortlich sind, und das wollen wir machen.
Deshalb, meine ich, ist es zwingend erforderlich, daß wir uns in den Ausschüssen mit diesen Punkten befassen, damit wir wirklich zu dem Ergebnis kommen, das wir für unsere Kinder brauchen.
Weil Sie so sehr auf die Umwelt hingewiesen haben, möchte ich folgendes sagen: Aus dem Bericht der EU-Kommission geht hervor, daß die häufigste Todesursache bei Kindern im Alter zwischen einem Jahr und 14 Jahren Unfälle sind.
- Ja, und das hängt durchaus mit der Umwelt zusammen, weil es natürlich auch Unfälle in den Räumen gibt, in denen Kinder spielen, auf den Straßen, auf denen sie sich aufhalten. Aber bis zum fünften Lebensjahr finden die meisten Unfälle von Kindern zu Hause statt.
Auch da frage ich mich: Sind das alles Dinge, die wir als Bundestag beschließen können? Natürlich können wir beschließen: Es finden ab sofort keine Unfälle mehr statt!
- Ja, natürlich ist das Quatsch, Herr Lennartz. Deshalb sage ich es ja auch. Aber so etwas könnte man Ihrem Antrag gelegentlich entnehmen.
Nein, wir müssen dazu beitragen, daß die Unfallgefahr gemindert wird. Das gehört auch zur Umwelt. Aber da frage ich mich z. B. auch, ob nicht manche Regelung auf Landesebene eher zu Unfällen beiträgt, statt sie zu verhindern.
- Ja, das will ich Ihnen sofort sagen. Es gibt viele hunderttausend Vorschriften für einen Spielplatz mit der Folge, daß er so sicher eingerichtet wird - ich weiß, daß da Haftungsgründe eine Rolle spielen; dafür war ich lange genug in der Kommunalpolitik tätig -, daß das Kind ein normales Verhalten - wenn es stolpert, rutscht, fällt oder sonst etwas - gar nicht mehr lernt. Ich kenne keinen Baum, der gleichmäßig dicke Äste hat, die kein bißchen dicker sein dürfen. Ich fände es viel schöner, wenn man den Kindern auf die Spielplätze Bäume setzte, auf denen man herumklettern darf und, weil man nicht so hoch klettert, sich allenfalls das Knie aufschürft, wenn man einmal herunterfällt.
Ich habe das nur gesagt, weil ich denke, daß vieles von dem, was Sie beklagen, auch eine Folge dessen ist, wie wir uns als Erwachsene und als Verantwortliche innerhalb der Politik, aber auch außerhalb der Politik auf die Situation von Kindern einstellen und diese erleichtern. Da gibt es den Bereich, in dem wir gesetzliche Möglichkeiten haben. Da gibt es den Bereich, in dem wir mit Einfluß ausüben können. Da gibt es den Bereich, in dem Länder oder Kommunen gesetzliche Möglichkeiten haben. Und es gibt auch den Bereich, in dem Eltern, Erzieher, Verwandte selbst verantwortlich sind. Das trifft auch für Rauchen, Trinken, Medikamentenmißbrauch und dergleichen zu.
Deshalb, meine ich, sollte man nicht, wie Sie das gemacht haben, immer wieder sagen, die Regierung müsse dieses und jenes tun, sondern statt dessen sagen, was wir alle gemeinsam auf allen Ebenen, auf denen wir Verantwortung haben, tun müssen, damit auch in Zukunft die Berichte, die wir über die Gesundheit unserer Kinder bekommen, so sind, daß wir uns freuen können, daß heute mehr Kinder gesund sind als vor vielen, vielen Jahren.