Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 3. Oktober 1995 jährt sich zum fünftenmal die staatliche Vereinigung Deutschlands. Zu Recht haben viele Menschen in den neuen Bundesländern immer wieder beklagt, daß ihnen im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste einfach das westliche System übergestülpt wurde, daß es eben keine Vereinigung im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft war.
Die Veränderungen, die seit 1990 für die Menschen in den neuen Bundesländern eingetreten sind, sind höchst unterschiedlicher Natur. Sie haben positive und negative Erfahrungen gemacht. Für die Mehrheit der Bevölkerung in den alten Bundesländern hat es seit der Vereinigung dagegen nur nachteilige Entwicklungen gegeben.
Zunächst zu den neuen Bundesländern. Unstrittig ist, daß es dort inzwischen ein Maß an politischen Rechten und Freiheiten gibt, wie es in der DDR bis 1989 nicht vorstellbar war. Allerdings muß der Korrektheit halber hinzugefügt werden, Herr Gerhardt, daß diese zunehmenden politischen Rechte und Freiheiten von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR bereits Ende 1989 erkämpft worden sind und nicht erst durch die Vereinigung am 3. Oktober 1990.
Aber die Vorzüge lassen sich auch gar nicht auf diese Frage reduzieren. Anerkannt werden muß, daß es inzwischen ein Angebot an Kunst, an Dienstleistungen und an Waren gibt, was ebenfalls bis 1989 so nicht vorstellbar war. Auf der Haben-Seite stehen darüber hinaus Infrastrukturentwicklungen von beachtlichem Ausmaß. Hierbei denke ich nicht nur an die Gestaltung von Stadtzentren, sondern auch an die Entwicklung von Telekommunikation in einem Umfang, wie ihn die DDR auch in Jahrzehnten nicht erreicht hätte.
Das Problem ist nur, daß viele Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR dies alles mit einem von ihnen eben auch nie gekannten Grad an sozialer Unsicherheit bezahlen müssen. Niemand konnte sich real vorstellen, was Massenarbeitslosigkeit bedeutet, und die Bevölkerung ist heute täglich damit konfrontiert. Niemand konnte sich real vorstellen, was es bedeutet, daß selbst ein eingenommener Arbeitsplatz nie sicher ist und welche Art von Druck und Disziplinierung davon ausgeht.
Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Es ist eine Realität, daß die Bürgerinnen und Bürger in der DDR in ihren Betrieben freier waren als heute, in der Öffentlichkeit allerdings wesentlich unfreier. Sie wollen die Alternative, entweder politische Rechte und Freiheiten und damit auch soziale Unsicherheit oder soziale Sicherheit, dann aber wenig politische Rechte und Freiheiten, nicht akzeptieren.
Für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten ist das auch nicht akzeptabel. Wir werden für eine Gesellschaft kämpfen, in der beides miteinander verbunden ist,
etwa nach dem Motto: Es genügt nicht nur, in der Kneipe das Maul aufreißen zu können, wir wollen gerne, daß man es auch im Betrieb kann. Das konnte man bei uns früher, dafür nicht in der Kneipe. Dieser Tausch gefällt uns nicht. Wir wollen gerne, daß in beiden Einrichtungen die Meinungsfreiheit realisiert wird.
- In arbeitsrechtlichen Fragen auf jeden Fall, Herr Poppe, wesentlich mehr. Sie konnten Ihren Chef ohne jedes Risiko einen Armleuchter nennen. Versuchen Sie das mal heute in einem privaten Unternehmen. Dann sind Sie schneller gefeuert, als Sie das ausgesprochen haben.
Auf all diesen Gebieten gibt es sehr nachvollziehbare gemischte Gefühle. Wie gesagt, das Kunstangebot und auch das Literaturangebot sind z. B. wesentlich breiter geworden, aber der Zugang wird immer teurer. Auch hier scheint es wieder nur die eine Alternative zu geben: entweder soziale Chancengleichheit bei Zugang zu Kultur und Bildung, dann aber ideologische Einschränkungen, oder keine ideologischen Einschränkungen, dann aber keine soziale Chancengleichheit. Ich frage mich nur: Weshalb kann man freie Kunst, freie Bildung nicht mit sozialer Chancengleichheit beim Zugang verbinden?
Dr. Gregor Gysi
Oder nehmen Sie das Beispiel des Gesundheitswesens: Auf der einen Seite haben Sie eine sehr moderne und zukunftsträchtige Einrichtung wie die Polikliniken zerschlagen - übrigens unter Verletzung des Einigungsvertrages. Auf der anderen Seite haben Sie Krankenhäuser mit technischen Geräten ausgestattet, so daß man von einem Fortschritt sprechen muß. Wiederum werden die Versicherungsbedingungen immer komplizierter, und die Sorge der Menschen nimmt zu, daß irgendwann die soziale Stellung des einzelnen und der einzelnen über die medizinische Behandlung entscheidet und nicht mehr die Art der Erkrankung.
Vor allem konnte sich niemand vorstellen, daß Sie Industrie, Landwirtschaft und auch kulturelle Einrichtungen in diesem Umfang zerstören würden und daß Sie damit den gesamten Osten in eine ökonomische und finanzielle Abhängigkeit vom Westen bringen würden.
Verstehen Sie denn nicht, daß Sie von vielen als Kolonialisten empfunden werden müssen, wenn Sie z. B. über das Prinzip ,,Rückgabe vor Entschädigung" so viele Enteignungen durchführen, wie Sie sie in den neuen Bundesländern durchgeführt haben und immer noch durchführen? Hat das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" vielleicht - Herr Schäuble, Sie haben das bei Herrn Thierse kritisiert - nichts mit Ideologie zu tun, wenigstens mit Eigentumsideologie, welcher Art auch immer? Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang bloß nicht mit Eigentumsgerechtigkeit. Dann müssen wir nämlich prüfen, wie die Alteigentümer irgendwann mal zu ihrem Eigentum gekommen sind.
Sie wissen so gut wie wir, daß Thurn & Taxis im Mittelalter noch Posträuber waren und nur dadurch ihr Eigentum angehäuft haben. Wie weit wollen wir denn zurückgehen, um Eigentumsgerechtigkeit wieder herzustellen?
Weshalb negieren und mißachten Sie die Erfahrungen der Menschen aus dem Osten? Weshalb die Bestrafung im Rentenrecht, weshalb die vielen politischen Prozesse? Das alles dient nur dem Ziel, die Menschen dort zu demütigen und kleinzureden, ihre Biographien nicht zu akzeptieren.
Übrigens, Herr Schäuble, muß ich Ihnen noch etwas sagen: Wenn Sie hier eine Rede halten, kommt jede Viertelstunde ein polemischer Satz gegen die PDS. Aber besonders glaubwürdig ist das nicht, weil Sie nie eine inhaltliche Auseinandersetzung vornehmen, sondern nur ideologisch tabuisieren. Das reicht aber in der heutigen Gesellschaft nicht mehr aus.
Außerdem diskreditieren Sie damit 20 % der ostdeutschen Bevölkerung, die die PDS wählen.
Im übrigen sind Sie nicht einmal mehr in Ihrem Antikommunismus glaubwürdig, nachdem Sie mit Vietnam vereinbart haben, daß Vietnamesinnen und Vietnamesen in dieses Land zurückgeführt werden. Das hätten Sie früher gar nicht gewagt. Heute betrachten Sie plötzlich ein kommunistisch regiertes Land als so demokratisch, daß Sie meinen, die Bürgerinnen und Bürger auch gegen ihren Willen dorthin zurückschicken zu können.
Noch problematischer wird es, wenn ich von Ihrem Regierenden Bürgermeister aus Berlin, Herrn Diepgen, einen Brief bekomme, der mich um ideelle und materielle Wahlkampfhilfe für die CDU bittet. Das spricht dafür, daß Sie wirklich am Ende sein müssen, wenn Sie diesbezüglich auf meine Hilfe angewiesen sind.
In meiner grenzenlosen Großzügigkeit habe ich Ihnen eine Mark überwiesen - mehr war einfach nicht drin -, aber mehr aus politischen Gründen.
Sie setzen in bezug auf die PDS den kalten Krieg fort, den wir eigentlich 1989 und 1990 beenden wollten. Damit spalten Sie übrigens auch die Bevölkerung in diesem Lande.
Aus all den Gründen werden viele Menschen den 3. Oktober nicht feiern, ohne sich etwa die DDR zurückzuwünschen. Es ist auch nicht verwunderlich, daß weder jener Anklang findet, der versucht, jeden Fortschritt im Osten Deutschlands zu leugnen, noch jener, der ausschließlich von blühenden Landschaften faselt und in einer Art und Weise schönfärberisch auftritt, daß man sich wirklich an frühere Zeiten erinnert fühlt.
Wir haben einen Antrag eingebracht - Herr Bundeskanzler, Sie sollten ruhig zuhören; es geht ja nicht um mich, sondern es geht um die Tausenden und Millionen Wählerinnen und Wähler, die Sie mißachten, wenn Sie nicht zuhören -, daß die Bundesregierung eine Erklärung zur Lage der Nation abgeben soll. So etwas war in früheren Jahren hier übrigens durchaus üblich und ist heute dringender notwendig denn je. Diese Bundesregierung soll endlich Rechenschaft ablegen über die Situation in Deutschland fünf Jahre nach der Vereinigung. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie dort etwas tun können, was Ihnen gemeinhin als Gabe abgesprochen wird, nämlich selbstkritisch auftreten.
Aber in dieser Einheit steckten auch viele Chancen, die noch nicht genutzt worden sind. Mit dem 3. Oktober 1990 war nach 40jähriger Zweistaatlichkeit eine ganz wichtige Sorge genommen, nämlich die Sorge, daß es zwischen den beiden deutschen Staaten zu einem Krieg kommen könnte.
Überhaupt war mit dem Ende der Systemkonfrontation die Gefahr eines Kriegs wesentlich reduziert. Es hätte deshalb die Chance bestanden, die Rüstungsausgaben erheblich zu senken, sich Schritt für Schritt von einer Militärpolitik zu verabschieden.
Dr. Gregor Gysi
Wenn man sich statt dessen die reale Entwicklung seit dem 3. Oktober 1990 ansieht, dann muß man feststellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Militärpolitik noch nie eine solche Rolle wie gegenwärtig gespielt hat. Was vor dem 3. Oktober 1990 noch undenkbar war, ist heute Realität: Die Bundesrepublik Deutschland ist Kriegspartei im Balkan geworden.
Was ebenfalls kaum jemand am 3. Oktober 1990 geglaubt hätte, ist inzwischen Wahrheit: Die Verteidigungsausgaben steigen schon wieder.
Übrigens muß die Bevölkerung hier einmal über einen Haushaltstrick informiert werden. Die meisten Bürgerinnen und Bürger denken nämlich, daß Kriegsbeteiligungen wie auf dem Balkan aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden. In Wirklichkeit wurden schon die 16 Milliarden DM für den Golf-Krieg und auch jetzt die Hunderte Millionen für die Beteiligung am Balkankrieg aus dem Einzelplan 60 finanziert, d. h. aus der allgemeinen Finanzverwaltung. Das nenne ich fast schon einen geheimdienstlichen Verschleierungstrick.
Jetzt kommt etwas Spannendes: 1995 sieht dieser Einzelplan ein Volumen von 24 Milliarden DM vor. In der mittelfristigen Finanzplanung ist für das Jahr 1999 ein Betrag von 44 Milliarden DM vorgesehen. Das ist also fast eine Verdoppelung. Darf man eine Antwort auf die Frage erwarten, welche Kriege Sie für das Jahr 1999 geplant haben?
Entschieden haben wir uns gegen die Atomtests durch Frankreich und China ausgesprochen. Nur, Herr Schäuble, was Sie heute dazu gesagt haben, das sollte die Bevölkerung wirklich wach werden lassen. Sie haben erklärt, Sie könnten sich ein Europa ohne Nuklearwaffen nicht vorstellen. Ist das wirklich nur ein Mangel an Phantasie?
Oder wollen Sie uns über diese Aussage jetzt schon deutlich machen, daß Deutschland über kurz oder lang über die Europäische Union über Atomwaffen verfügen soll und daß Sie überhaupt nicht die Absicht haben, von Atomwaffen abzulassen. Wenn Sie diese Absicht nicht haben, dann werden Sie auch von Tests nicht ablassen; denn das eine bedingt das andere. Dabei wäre es jetzt höchste Zeit, ein für allemal die Massenvernichtungswaffen, d. h. auch die atomaren, zu vernichten.
Aber Sie haben die Bundesrepublik nicht nur dadurch verändert, daß Sie die Außenpolitik durch Militärpolitik ersetzt haben. Sie sind darüber hinaus dazu übergegangen, als Waffenexporteur eine große Rolle in dieser Welt zu spielen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte am 3. Oktober 1990 Platz sieben der Weltrangliste bei Waffenexporten und nimmt jetzt Platz zwei ein.
Es bleibt schamlos, weltweit seine Waffen gewinnbringend zu verkaufen und dann die Soldaten angeblich friedenstiftend hinterherzuschicken. Es bleibt auch heuchlerisch, wenn Sie gerade der serbischen Seite einen furchtbaren Krieg vorwerfen, dann aber den Deserteuren gerade dieser Armee kein Asyl in der Bundesrepublik Deutschland gewähren.
Sie haben überhaupt durch die faktische Abschaffung des Asylrechts die Bundesrepublik Deutschland geistig verändert; das macht mir die größten Sorgen. Es gibt kaum noch Solidaritäts- und Mitleidsgefühle mit Flüchtlingen. Täglich wird nur darüber nachgedacht, wie man sich Flüchtlinge vom Halse halten kann, ohne daß ein Beitrag zum Abbau der Fluchtursachen auf dieser Welt geleistet wird.
Seit der Vereinigung gewöhnen Sie die Westdeutschen Schritt für Schritt an Sozial- und Demokratieabbau, wobei der Haushalt, den Sie für das Jahr 1996 vorlegen, eine neue Qualität besitzt: Es ist der Abschied vom Sozialstaatskompromiß und vom Gründungskonsens der Bundesrepublik in sozialen Fragen. Es ist der Durchbruch der Ellenbogengesellschaft.
Das hat wieder viel mit dem geistigen Klima in unserer Gesellschaft zu tun. Noch nie stimmte das Motto für die Bundesrepublik so sehr wie heute, daß Geld die Welt regiert. Noch nie wurde über Arme in der Gesellschaft so verächtlich gesprochen und so bewußt ein Entsolidarisierungsklima organisiert. Wie bei Flüchtlingen wird auch hier versucht, jedes Mitleid, jedes Solidaritätsgefühl zu ersticken.
Das alles wird noch ideologisch untermauert. Gerade die F.D.P. spricht sehr absichtsvoll immer von „Leistungsträgern", womit suggeriert werden soll, daß hinter Reichtum Leistung steckt. Wie oft, frage ich Sie, steckt dahinter eigentlich nur Erbschaft? Was hat das mit Leistung zu tun?
Ist es nicht vielleicht doch noch immer so, daß der Gewinn vieler Leute von anderen erarbeitet wird und diese so gut wie gar nicht daran beteiligt werden? Wenn der Gewinn Ausdruck von Leistung ist, dann ist nach dieser ideologischen Logik Armut Ausdruck von fehlender Leistung. Mit einer solchen Ideologie eröffnet man nicht den Kampf gegen die Armut, sondern den Kampf gegen die Armen in dieser Gesellschaft.
Das aber betrifft nicht nur die Obdachlosen, die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger und die Arbeitslosen. In ähnlicher Weise gehen Sie auch mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern um. Ihnen versuchen Sie täglich zu suggerieren, daß sie zuviel verdienen, daß sie zuviel Freizeit haben, daß sie zu häufig krank sind, kurzum: daß es ihnen in jeder Hinsicht zu gut ginge und daß deshalb Reallohnkürzungen und Kürzungen bei Lohnfortzahlungen, Verlängerung der Arbeitszeit und Verkürzung des Urlaubs etc. auf der Tagesordnung stünden. Das Gegenteil erzählen Sie natürlich jenen, die Sie zu Leistungsträgern erklären.
Dr. Gregor Gysi
Was ich Ihnen wirklich übelnehme und wofür diese Bundesregierung irgendwann bezahlen muß, das ist die Tatsache, daß Sie den gesamten Sozialabbau im Westen mit dem Osten begründen. Sie haben die deutsche Einheit zu einem gigantischen Sozialabbau für die gesamte Bundesrepublik genutzt und den Westdeutschen eingeredet, daß dies ihr Opfer für die deutsche Einheit sei. Den Ostdeutschen wollten Sie damit ein schlechtes Gewissen machen und sie zusätzlich demütigen; denn von jemandem, der scheinbar begünstigt ist und auf Kosten anderer lebt, erwartet man, daß er wenigstens die Klappe hält.
Mit dieser Politik aber haben Sie schwere Verantwortung auf sich geladen; denn dadurch haben Sie die Bevölkerung in Ost und West künstlich gespalten. Deshalb appelliere ich angesichts des fünften Jahrestages der deutschen Einheit an Sie: Hören Sie damit auf, den Westdeutschen einzureden, daß sie den Sozialabbau den Ostdeutschen verdanken. Wir wissen alle, daß das eine Lüge ist.
Lassen Sie mich, zum Schluß kommend, noch darauf hinweisen, daß Ihre gesamte Wirtschaftspolitik, entgegen Ihrer Darstellung, nicht in geringster Weise davon gekennzeichnet ist, daß Sie Arbeitsplätze schaffen wollen. In Wirklichkeit haben Sie ein Steuersystem aufgebaut, das jedes Finanzgeschäft und jede Spekulation begünstigt und das Wirtschaften im Zusammenhang mit Arbeitskräften immer nur bestraft. In diesem Sinne treten wir übrigens auch für grundsätzliche Steuerreformen ein, die Arbeit und Beschäftigung und eben nicht Spekulationen begünstigen, wie Sie dies mit Ihrer Steuerpolitik permanent tun.
Ein tragisches Moment in unserer Gesellschaft besteht darin, daß die Politik der Bundesregierung scheinbar alternativlos ist. Das allerdings ist im wesentlichen ein „Verdienst" der SPD und, was die Außen- und Militärpolitik betrifft, inzwischen auch ein Verdienst von Joschka Fischer. Das muß man ehrlicherweise hinzufügen.
Dann höre ich, daß es in dieser Gesellschaft angeblich kein Geld gebe und daß keine Möglichkeiten bestünden, an zusätzliche Mittel heranzukommen, um einen sozialen Ausgleich zu gestalten und Arbeitsplätze z. B. im öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen. Darf ich Sie einmal fragen, warum Sie bei den Billionen Finanzgeschäften, die an unseren Banken und Börsen jährlich stattfinden, keine steuerlichen Erhebungen durchführen? Darf ich Sie fragen, warum das frei vagabundierende Kapital von über 700 Milliarden DM von Ihnen nie angegriffen wird? Da, Herr Waigel, könnten Sie in den Topf greifen und für einen sozialen Ausgleich sorgen, anstatt die Arbeitslosen und die Armen in dieser Gesellschaft zu benachteiligen.
Übrigens, Herr Gerhardt, wenn Sie vom Wissenschaftsstandort reden, ist das ein typisches Beispiel dafür, wie Sie Ostdeutsche demütigen. Wissen Sie, was Sie vorhin gesagt haben? Sie haben gesagt: Jetzt beginnt im Osten Wissenschaft und Forschung. Damit sagen Sie ganzen Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forscherinnen und Forschern aus der DDR, daß sie noch nie Wissenschaft und Forschung betrieben haben. Das nenne ich einen Akt der Demütigung, den Sie sich sparen sollten.
- Das hat er gesagt.
Er hat gesagt „jetzt beginnt" , als ob es vorher nichts dergleichen gegeben hätte. Das ist das, was ich meine und worauf ich hinweisen wollte.
Sie, Herr Bundeskanzler, sind Historiker und haben einen Hang zur Symbolik. Deshalb muß ich Sie eines wirklich fragen, und ich frage das wirklich mit allem Ernst: Was hat die Bundesregierung eigentlich geritten? Sie kennen meine Gegnerschaft zu den internationalen Militäreinsätzen der Bundeswehr. Darüber will ich jetzt gar nicht reden. Aber wenn Sie schon einen solchen Einsatz starten, darf ich Sie fragen: Was hat Sie denn ernsthaft geritten, gerade den ersten internationalen Einsatz der Bundeswehr am 1. September 1995 durchzuführen, d. h. 56 Jahre nachdem Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat? Hinsichtlich dieser Symbolik hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen in dieser Debatte.