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    Plenarprotokoll 13/51 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Inhalt: Begrüßung des Erzbischofs von Kapstadt, Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu sowie des Abgeordneten Jan Nico Scholten (Niederlande) . . . . . . 4240 B Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 Haushaltsgesetz 1996) (Drucksache 13/2000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Drucksache 13/2001) Rudolf Scharping SPD . . . . . . . . . 4217 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 4226 C Peter Dreßen SPD 4231 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4235 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 4240 B Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . 4246 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . 4249 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS . . . . 4260 A, 4340 B Günter Verheugen SPD . . . . . . . . 4260 C Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister (Berlin) 4266 A Thomas Krüger SPD 4268 A Dr. Christa Luft PDS 4269 B Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4271 A, 4278 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . . 4272 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 4278 C Andrea Lederer PDS 4279 D Dr. Klaus Rose CDU/CSU 4281 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . 4283 C, 4289 B Jürgen Koppelin F.D.P 4285 A Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 4286 C Freimut Duve SPD 4288 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 4289 C Norbert Gansel SPD 4291 B Walter Kolbow SPD 4292 A Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . 4295 D Dietrich Austermann CDU/CSU . 4296 A, 4299 B Walter Kolbow SPD 4297 A Paul Breuer CDU/CSU 4297 D Manfred Opel SPD 4298 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 4299 C Dr. Ingomar Hauchler SPD 4300 D Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . 4301 D, 4304 A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4303 B Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . 4304 C Roland Kohn F.D.P. 4305 A Dr. Ingomar Hauchler SPD . . . 4305C, 4308 B Dr. Willibald Jacob PDS 4306 C Michael von Schmude CDU/CSU . . . 4307 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 4309 B Otto Schily SPD . . . . . . . . . . 4312 B Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4316A Ina Albowitz F.D.P. 4318 A Ulla Jelpke PDS 4320 C Horst Eylmann CDU/CSU 4322 A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4322 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . . . . 4323 B Fritz Rudolf Körper SPD . . . . . . 4326 A Heinz Dieter Eßmann CDU/CSU . 4327 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . 4329 D Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 4331 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 4332 C Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ CSU 4335 C Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . 4336 A Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . 4337 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 4339 A Manfred Kolbe CDU/CSU 4341 B Nächste Sitzung 4342 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4343* A Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 51. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 4217 51. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1995 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adler, Brigitte SPD 6. 9. 95 Andres, Gerd SPD 6. 9. 95 Behrendt, Wolfgang SPD 6. 9. 95 * Blunck, Lilo SPD 6. 9. 95 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 6. 9. 95 Frick, Gisela F.D.P. 6. 9. 95 Grießhaber, Rita BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 6. 9. 95 Hoffmann (Chemnitz), SPD 6. 9. 95 Jelena Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 6. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Knake-Werner, PDS 6. 9. 95 Heidi Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 6. 9. 95 Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 6. 9. 95 Karl-Hans Leidinger, Robert SPD 6. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 6. 9. 95 90/DIE GRÜNEN Lenzer, Christian CDU/CSU 6. 9. 95 Lotz, Erika SPD 6. 9. 95 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lüth, Heidemarie PDS 6. 9. 95 Neuhäuser, Rosel PDS 6. 9.95 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 6. 9. 95 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 6. 9. 95 Hermann Schätzle, Ortrun CDU/CSU 6. 9. 95 Schenk, Christa PDS 6. 9. 95 Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 6.9.95 Irmingard 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Aachen), SPD 6. 9. 95 Ursula Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 6. 9. 95 Wolfgang 90/DIE GRÜNEN Schultz (Everswinkel), SPD 6. 9. 95 Reinhard Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 6. 9. 95 Simm, Erika SPD 6. 9. 95 Dr. Solms, F.D.P. 6. 9. 95 Hermann Otto Thieser, Dietmar SPD 6. 9. 95 Thönnes, Franz SPD 6. 9. 95 Tippach, Steffen PDS 6. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 6. 9. 95 Vosen, Josef SPD 6. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 6.9.95 Heidemarie Zierer, Benno CDU/CSU 6. 9. 95 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Opposition versucht natürlich, in einer Haushaltsdebatte Bilder eines Landes zu zeichnen. Ich glaube nicht, daß die beiden Sprecher ein zutreffendes Bild unseres Landes mit seinen Problemen, mit seinen Herausforderungen, aber auch mit seinen Chancen gezeichnet haben.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir sind nicht auf dem Weg zu einer Zweidrittelgesellschaft, nicht auf dem Weg zur Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und auch nicht auf dem Weg zu außen- und verteidigungspolitischen Abenteuern. Wir sind verläßliche Partner im Bündnis mit demokratischen Staaten. Wir haben den größten Erfolg in der Geschichte Deutschlands dieses Jahrhunderts hinter uns. Angesichts der Anwesenheit des Friedensnobelpreisträgers sage ich, daß die Freiheit für 17 Millionen Deutsche mehr wert ist als ein Haushaltsproblem und die Debatte um mehr oder weniger als 5 Millionen DM im Etat eines Einzelplans.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich weise deshalb darauf hin, weil wir eigentlich der größte Gewinner der großen, dramatischen politischen Veränderungen der letzten Jahre sind. In Bautzen sitzen keine politischen Gefangenen mehr. Mittelstreckenwaffen, die früher auf beide Teile des geteilten Landes gerichtet waren, sind weg. Die Soldaten sind ohne einen Schuß abgezogen, und für 17 Millionen Menschen beginnt jetzt die große Chance eines Wiederaufbaus, der nicht nur negative Seiten hat, sondern schon heute erhebliche positive Seiten zeigt. Das ist die Lagebeschreibung in unserem Land.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Das ist jetzt fünf Jahre her. Das ist nicht ein alleiniges Verdienst der Bundesregierung, aber die Bundesregierung hat in dieser geschichtlichen Situation die Chance am Schopf ergriffen und einen soliden Einigungsvertrag gemacht, der kein Dokument ideologischen Denkens ist, sondern die Chance zu Eigentum, zu Demokratie und Rechtsstaat für 17 Millionen Menschen ist. Das ist eine gewaltige Leistung gewesen, an der wir unverändert festhalten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Eines muß auch klargestellt werden angesichts derer, die politisch anders denken als ich. Nicht die Treuhand hat die Wirtschaft der DDR ruiniert, sondern ein System hat diese Wirtschaft auf Grund gefahren.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Das war auch kein freiheitlicher Staat. Er war nicht so schön zu beschreiben wie eine Gesellschaft im Biedermeier, die sich die Nischen suchte. Schon im Biedermeier hat Metternichs Repression die Menschen erreicht. Auch die Nischen in Dresden waren von der Stasi-Überwachung nie frei.
    Die heutige Situation ist doch eine politische Leistung, die wir gemeinsam erreicht haben, die wir gewollt haben - vielleicht einige nicht so schnell. Aber im Grunde ist das eine Leistung, die uns auch einmal wieder Prioritäten vermitteln sollte. In Deutschland hat Freiheit nie eine große Konjunktur gehabt. Herr Kollege Fischer hat dies einmal in der Bosnien-De-

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    batte in anderem Sinne dargestellt. Wir haken es schon ab. Wir vergessen, daß 17 Millionen Menschen die Freiheit haben und wenden uns sogleich ausschließlich den Alltagsproblemen zu.
    Ich finde, es muß bei allen Arbeitslosenproblemen, bei allen Ausbildungsproblemen, die wir haben, und bei allen Notwendigkeiten zur wirtschaftlichen Entwicklung darauf hingewiesen werden, daß das Wertvollste ist, daß Menschen frei ihre Meinung äußern können, daß sie frei reisen können, daß sie überhaupt Alternativen haben, ja daß sie öffentlich frei denken können. Das ist die Leistung der Politik.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Im übrigen gibt es auch in Deutschland bei allen Problemen ganz gute Entwicklungszahlen in den neuen Ländern. Für 1995 wird ein reales Wachstum von 9,2 % geschätzt. Die Aussage zu den Exporten liegt bei 12,9 % plus reales Wachstum für ostdeutsche Produkte. Es geht doch ein Stück aufwärts. Wer diese Zahlen nennt, beschönigt doch keine Probleme, aber er stellt Wahrheiten dar. Immer muß man Menschen motivieren, daß wir es schaffen können. Man kann nicht ausschließlich die Botschaft vermitteln, es gehe alles schief;

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    denn wir wollen in den neuen Ländern ein Stück Mut und Zuversicht vermitteln.
    Im übrigen geschieht das alles, Herr Kollege Scharping, ohne daß in diesem Land jemand an den Bettelstab käme. Der Bezug von Sozialhilfe ist nicht schön, aber sie bedeutet mehr als nichts und ist eine gewaltige sozialpolitische Leistung, um Menschen davor zu bewahren, ins Nichts zu verfallen. Sozialhilfe und auch die gewaltigen Summen, die wir ausgeben, können nur bezahlt werden, weil dieses Land mit seinen politischen Rahmenbedingungen, die eine Leistung dieser Koalition sind, Menschen ermuntert, etwas zu tun, sie ermutigt, Risiken einzugehen und dazu veranlaßt, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das jedenfalls veranlassen wir doch durch unsere Politik.
    Man kann hinterher über verschiedene Bewertungen sprechen, aber man kann sicherlich sagen: Unser Land ist nicht auf einem Weg in die Armut, in die Umweltzerstörung und in Abenteuer. Unser Land hat eine solide Grundlage, und wir arbeiten zusammen nach dem größten Erfolg der Politik in der deutschen Geschichte in diesem Jahrhundert. Wir haben alle Chancen, das zu bewältigen.
    Wir haben ein Arbeitskräftepotential, das gut ausgebildet ist. Wir haben Menschen, die Mut haben, die in den neuen Ländern Verantwortung übernehmen können. Wir haben doch eher den Ärger, daß sie noch nicht die Chancen haben, so viel Verantwortung zu übernehmen, wie sie wollen. Vor uns steht doch ein positiver Abschnitt deutscher Geschichte und nicht ausschließlich Weinen und Wehklagen. Das ist die Haltung, die auch die Koalition einnimmt und die sie befürwortet.
    Ich beschreibe das einmal ganz einfach. Natürlich gibt es Arbeitslosigkeit. Es gibt Beschäftigungsprobleme, um deren Lösung wir uns kümmern müssen. Aber in diesem Haushalt ist eine gewaltige Leistung vollbracht worden, indem eine Freistellung des Existenzminimums und ein Familienleistungsausgleich erreicht worden sind. Da geht es um Milliardensummen.
    In diesem Haushalt stehen Förderprogramme für die neuen Länder, für den gewerblichen Mittelstand. Das Eigenkapitalhilfeprogramm ist aufgestockt worden. Es ist eine Entscheidung in dem Bereich des mittelständischen Groß- und Einzelhandels getroffen worden. Es gibt die Kombination mit den EU-Programmen. Die KfW sagt, daß sie den neuen § 7 a des Fördergebietsgesetzes, durch den sie nach dem Vorbild der ehemaligen Berlin-Darlehen 500 Millionen DM zur Eigenkapitalstärkung weitergeben kann, für gut hält.
    Wir haben in den neuen Ländern 140 neue außeruniversitäre Forschungsinstitute, 10 neue MaxPlanck-Institute, 24 Institute der Blauen Liste, 3 Großforschungseinrichtungen, 27 universitäre Arbeitsgruppen. Das ist doch nicht ein Nichts, das ist doch der Beginn einer Wissenschaftslandschaft! Das ist nicht nur eine verlängerte Werkbank, sondern der Beginn von Forschung und Entwicklung in den neuen Ländern mit allen Chancen, die dahinterstekken, und mit allen Möglichkeiten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir geben im Jahr 1 Milliarde DM für Projektförderung aus, 1 Milliarde für institutionelle Förderung. Wir haben im übrigen schon hervorragende Ergebnisse: in den Geowissenschaften in Potsdam, in der molekularbiologischen Forschung in Berlin.
    Herr Kollege Fischer, an dieser Stelle beginnt meine Kritik an Ihnen. Sie haben, was Forschung und Entwicklung, Biotechnologien betrifft, eher die Haltung der Angst. Wir haben eher die Haltung der Zuversicht. Sie haben den Glauben, Sie könnten wissenschaftliche Neugier untersagen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Käse!)

    Wir wissen aus der Geschichte: Das wird niemals gelingen. Nur Menschen entscheiden über die Handhabung von Forschungsergebnissen und die Möglichkeit, etwas zu erforschen, niemand anders und keine staatlichen Ge- und Verbote.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wenn wir in unserem Land in den Forschungsansätzen freier, entideologisierter und nicht weiter so engstirnig wären, hätten wir viel größere Chancen in der Entwicklung, Industrien bei uns zu erhalten und zum Entstehen zu bringen, die wir für die Zukunftsfähigkeit sicher brauchen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Es ist eben ein Unterschied, ob man die Technologie bejaht oder ob man nur vor den Folgen warnt und die Folgen des Verzichts nicht im Auge behält.
    Es ist nicht nur eine Frage, ob man große und kleine Anbieter bei der Öffnung des Marktes in der Telekommunikation hat, es ist die Voraussetzung für Beschäftigung in der Zukunft, an Stelle des Monopols der Telekom endlich viele Anbieter regionaler und lokaler Netze auf dem Markt zu haben und nicht nur einige EVUs, die sich aus ihrem Monopolbereich heraus in einen anderen hineinbegeben. Wir wollen die Chancen für mittelständische, für mittlere und kleinere Unternehmen und für Beschäftigung in Deutschland.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

    - Sehr schön! Wir können das dann in den politischen Debatten beobachten.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt auf die Vorlage, gespannt, wie er das macht!)

    Seit Jahren trägt meine Partei, die F.D.P., im Deutschen Bundestag, in der Koalition vor, daß wir die Gewerbekapitalsteuer für eine Substanzbesteuerung von Unternehmen halten, daß sie die Schaffung von Arbeitsplätzen behindert, da sie schon gezahlt werden muß, wenn noch überhaupt kein Gewinn gemacht worden ist. Wir tragen seit Jahren unter heftiger Beschimpfung von Sozialdemokraten vor, daß es doch gut wäre, diese Steuer abzuschaffen, wenn man die Beschäftigung in Deutschland stimulieren will.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    In diesem Herbst hat Herr Struck zum erstenmal signalisiert, daß es jetzt wohl gehe. Das heißt, es ist jetzt eine Situation eingetreten, Herr Kollege Scharping, in der wir neue Chancen nutzen und die strukturellen Veränderungen aufnehmen müssen.
    Es gibt eigentlich nur ein Land, in dem es politische Gruppierungen gibt, die glauben, daß man durch weniger Arbeit mehr Produktivität erziele. Es gibt kein anderes Land auf der Welt, in dem nicht über flexible Beschäftigungsverhältnisse geredet würde, in dem nicht über Arbeitszeiten geredet würde, in dem nicht Jahresarbeitszeitbudgets diskutiert würden. Namhafte Sozialdemokraten mahnen einen Modernisierungsschub in ihrer eigenen Partei an. Die heutige Debatte zeigt doch, daß Sie mehr Auskünfte geben müssen als wir.
    Unsere Politik zielt auf den strukturellen Wandel. Wir wollen mit dem Haushalt diese Bewegung bringen. Wir wollen Märkte öffnen. Wir wollen deregulieren. Wir wollen den Staat verschlanken, das öffentliche Dienstrecht reformieren, Genehmigungsverfahren verkürzen. Auf Ihrer Seite sitzen die Tabuwächter, vor allem in Gestalt von Herrn Dreßler, die mit jedem Totschlagargument kommen, wenn auch nur eine neue Idee präsentiert wird, wie wir bei der Beschäftigung in Deutschland vielleicht weiterkämen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Natürlich kann eine Regierung kritisiert werden, wenn sie Haushaltsansätze nicht ausreichend bringt. Eine Regierung ist nicht unangreifbar. Aber Tatsache ist, daß wir in diesem Land nicht ausschließlich sagen dürfen, Tarifverhandlungen sind gut, wenn sie Ergebnisse bringen, die dem sozialen Frieden dienen. Tarifverhandlungen müssen auch Beschäftigung animieren und beschäftigungswirksam sein.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Nur beides macht den Erfolg aus. Leider kann man sehr offen sagen, daß eine Kette von Tarifverträgen nicht immer beschäftigungswirksam in Deutschland war und daß in der eigenen Verantwortung der Tarifvertragsparteien nicht immer dieses Ziel erreicht wurde. Es gibt Tarifverträge, die jede Produktivität überschritten und die Betriebe überfordert haben. Jeder weiß, daß mittelständische Betriebe den Verbänden davonlaufen, weil sie in den großen Flächen und in den großen Regionen keine Luft zum Atmen mehr haben.
    Der Koalition geht es nicht um das Abschneiden von sozialen Sicherungssystemen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch!)

    Uns geht es aber um neue und mobile Wege für mehr Beschäftigung, weil die beste soziale Sicherheit ein Arbeitsplatz ist und nicht Arbeitslosenhilfe und nicht der zweite Arbeitsmarkt. Das ist der klare Unterschied zu all dem, was hier gesagt worden ist.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das ist eben die Deregulierung.

    Nehmen wir das Beispiel in einer ideologisierten Beschäftigungsdiskussion. Sie wissen wie ich, daß bei Sozialdemokraten und Grünen - einen grünen Verbündeten habe ich ja in Hessen, Herr Kollege Fischer, Ihren Fraktionsvorsitzenden Hertle - eine andere Auffassung besteht. Sie wissen, daß die Lebenswirklichkeit in Deutschland auch darin besteht, daß Menschen mit 580-DM-Verträgen arbeiten. Das sind nicht alles geknechtete Menschen. Da sind viele darunter, die möchten das so. Sie wollen sich auch so etwas dazuverdienen. Sie fragen sogar an, ob das nicht so möglich ist. Ich sage Ihnen, wenn die Lebenswirklichkeit solche Beschäftigungen ermöglicht, bin ich dafür und bin nicht für Abstrafung dieser Beschäftigungen, mit welchem Motto auch immer.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich finde, daß es wichtig ist, daß man nicht den Versuch macht, die Menschen völlig zu ändern. Es fühlen sich auch viele, die etwas dazuverdienen, in diesen Beschäftigungsverhältnissen wohl. Es ist auch verständlich, Herr Fischer - Sie haben es selbst gesagt, Oberkante Unterlippe -, daß bei der Steuerbelastung, die wir haben, jemand so eine Beschäftigung sucht, um einer weiteren Steuerbelastung zu entgehen.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Daran seid doch ihr schuld!)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Mich freut es, wenn die Menschen Beschäftigung haben. Ich ärgere mich nicht darüber, daß man ihnen jetzt nicht steuerlich nachkommen kann. Im übrigen müssen Sie wirklich einmal sehen, daß, wenn die Bundesversicherungsanstalt für einen Rentenanspruch von 6,31 DM pro Jahr einen monatlichen Beitrag von 107 DM berechnet, dies doch absurd ist.
    Lassen Sie doch die Menschen, die in diesen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten wollen, auch in ihnen arbeiten. Deshalb wehren wir uns, daß jetzt ganze Landesregierungen mit dem moralischen Zeigefinger kommen und sagen, das müßte man beseitigen. Das gilt auch für das berühmte Dienstmädchenprivileg. Es gibt eben Frauen, die hochclever und klug sind, mit guter Lebenserfahrung ausgestattet, die gerne einen Haushalt führen, die gerne eine Beschäftigung ausführen würden zum Management in einem Haus. Lassen wir sie doch, wenn man solche Beschäftigungen in unserer Gesellschaft anbieten kann, anstatt sie zu beschimpfen und das nicht wahrzunehmen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

    - Ich wußte, daß Sie sich so aufregen. Ich bleibe aber trotzdem dabei. Frau Matthäus-Maier, zwischen Ihnen und mir besteht ein Unterschied: Sie versuchen Macht über das Denken von Menschen zu gewinnen, indem Sie Argumente vortragen, an die Sie selbst nicht glauben, und nur auf Wirkung warten. Ich versuche die wahre Lebenswirklichkeit von Menschen in Deutschland zu beschreiben. Das ist der Unterschied.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir wollen für die F.D.P. sagen: Wir haben so viele Veränderungen. Mit unseren bisherigen Tarifverhandlungen, mit unserem bisherigen Beschäftigungssystem, mit unserer Hinnahme - sehenden Auges - der Entwicklung der Lohnnebenkosten werden wir Arbeitsplätze aus diesem Land eher vertreiben als schaffen. Deshalb ist es das Gebot der Stunde, wie wir es machen wollen: zu deregulieren, zu öffnen, ein Stück mehr Flexibilität zu bekommen, konkurrenzfähige Unternehmensbesteuerung vorzunehmen, niedrigere Lohnnebenkosten zu erreichen. Das wird auf der Seite der Politik und der Tarifvertragsparteien geklärt werden müssen. Nur niedrigere Lohnnebenkosten heißt, eine offene Diskussion zu führen, wer am Entstehen von Lohnnebenkosten beteiligt ist, wer sie zu verantworten hat, wie wir sie zumindest nicht explosionsartig weiter steigen lassen müssen. Denn es gibt zwei Wettbewerber: einmal andere, die billiger als wir produzieren, und dann die junge Generation, die bei uns für die Zukunft Arbeitsplätze nachfragt. Wer glaubt, der jungen Generation ehrlicherweise sagen zu können, es soll so bleiben, wie es ist, nichts soll sich ändern, es soll immer nur kürzere Arbeitszeiten und mehr Lohn geben, der soll das vertreten. Er betrügt die junge Generation in Deutschland um ihre Zukunft.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Deshalb muß hier die ethische Frage gestellt werden, wer eigentlich die größeren Chancen für die Zukunft anbietet.
    Es sind außenpolitische Bemerkungen von Herrn Kollegen Scharping und von Herrn Kollegen Fischer gemacht worden. Ich bin immer froh, wenn heute, nachdem wir am 30. Juni noch streitig diskutiert haben, etwa zwischen den Grünen und mir unstreitiger diskutiert werden kann. Aber eine Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: Wir haben damals recht gehabt. Ich glaube, wir haben die richtige Entscheidung getroffen. Wir haben sie nach heftiger und schwieriger Debatte auch mit Stimmen aus den Reihen der Grünen und der Sozialdemokraten getroffen. Heute müßten Sie eigentlich die Größe haben, zuzugeben, daß Sie sich damals geirrt haben, daß wir wohl richtig entschieden haben. Zumindest müßte die moralische Dimension des Vorwurfs, wir würden in ein außen- und verteidigungspolitisches Abenteuer gehen, heute herausgenommen werden. Ich habe das Gefühl, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben diese Koalition bei der Bundestagswahl zu Recht mit Mehrheit gewählt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Bei der Juni-Entscheidung hat sich gezeigt, daß diese Wahl richtig war.
    Das ist nun noch nicht zu Ende. Aber die Chance für eine politische Konfliktlösung ist heute eher gegeben als vor unserer Entscheidung und auch vor den Entscheidungen der NATO. Ich erwähne das deshalb, weil wir uns in der Innenpolitik manche Fehler leisten können. Viele sollten wir uns nicht leisten, aber Fehler in der Innenpolitik sind erträglich, wenn wir nach einer Entscheidung sagen: Das war wohl doch nicht so richtig. In der deutschen Außenpolitik darf man sich möglichst keinen Fehler erlauben. Der Bundeskanzler hat es einmal so ausgedrückt: Weil es ein Kernbestand der erfolgreichen Geschichte unseres Landes ist, ist Außen- und Bündnispolitik für Deutschland Staatsräson. Italien mag sich einige Sonderwege leisten können, auch unsere französischen Nachbarn, wie wir sehen, können manche Entscheidungen treffen: Wir können das nicht. Wir sind auf das Vertrauen der internationalen Völkergemeinschaft am stärksten angewiesen: wegen unserer geographischen Lage und wegen unserer Geschichte. Wer das nicht begreift, der sollte in Deutschland keine Regierungsverantwortung haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Das ist der Kern dieser wichtigen Entscheidung. Deshalb sage ich das in Richtung sozialdemokratische Partei. Herr Verheugen wollte im Sommer alles streitig stellen.

    (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Unglaublich!)

    Ein Parteiprogramm erreicht seine Grenze dann, wenn man weiß, daß man Regierungsverantwortung in Deutschland übernehmen will. Dann kann man nicht in Parteiprogramme schreiben und auf Partei-

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    tagen nicht beschließen, was die internationale Völkergemeinschaft und unsere Verbündeten irritiert.

    (Günter Verheugen [SPD]: Das tut doch keiner!)

    - Sie haben schon eine gewaltige Dimension der Nichtfähigkeit zur Übernahme internationaler Pflichten erreicht.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich finde, die großen politischen Gruppierungen haben alle Kraft zusammenzunehmen, den Bürgern unseres Landes beizubringen, daß die Zeiten des Windschattens von Mauer und Stacheldraht bei den gegenwärtigen internationalen Herausforderungen vorbei sind und daß wir uns einigen Problemen nicht durch Wegschauen entziehen können. Sie machen die Leute glauben, sie könnten sich dem durch Wegschauen entziehen. Wer Ihren saarländischen Ministerpräsidenten zum Thema Blauhelme reden hört und abschnittsweise seine Aussageunfähigkeit zu anderen Themen mitbekommt, wo es ernst wird, der muß sagen: Solange dieser Zustand bei Ihnen so bleibt, sollte Sie die Mehrheit der Bürger nicht mit Regierungsverantwortung in Deutschland beauftragen. Wir wollen das mit unserer Beteiligung auch so halten.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Die Opposition in diesem Hause ist in Kernfragen der deutschen Außenpolitik, in schwierigen Fragen, wenn es ernst wird, wenn man zu etwas stehen muß, nicht auskunftsfähig. Das hat der heutige Vormittag gezeigt.

    (Günter Verheugen [SPD]: Das zeigt, daß Sie keine Ahnung haben!)

    Die ökologische Dimension ist vorgetragen worden, Herr Kollege Fischer. Das nehmen wir gerne auf. Wir haben uns verabredet, im Herbst über ökologische Steuerungselemente zu reden. Wir haben auch der SPD das Gespräch angeboten. Sie, Herr Fischer, haben neulich erwähnt, daß Sie zu der Erkenntnis gekommen seien, daß das nicht mit Draufsatteln ginge. Vielmehr müsse man vorher wissen, wo die steuerliche Entlastung herkommen solle. Sie sind allmählich zum echten Minderheitensprecher bei den Grünen geworden.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Denn Sie haben darauf hingewiesen: Ob das bei allen so sei, sei noch nicht sicher. Ich sage nur eines: Wir sind bereit, über ökologische Steuerungselemente zu reden. Aber wir sind nicht bereit, über diese Elemente zu reden, bevor nicht auch klargeworden ist, wo wir andere Steuern senken.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist daran falsch, wenn eine demokratische Partei über Sachfragen diskutiert? Das soll mir mal einer sagen!)

    Es geht nämlich nicht um Draufsatteln, es geht um Umsteuern, wenn wir etwas unternehmen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tabaksteuer!)

    Deshalb ist das der Weg der Koalition. Es gibt zu diesem Vorgehen bei einer Steuerbelastung Oberkante Unterlippe, wie Sie sich ausdrücken, keine Alternative. Dann bemächtigen Sie sich aber argumentativ soweit Ihrer Bündnisgrünen, Herr Kollege Fischer, daß die nicht nahezu jeden Tag eine neue Steuer erfinden, bevor sie überhaupt gesagt haben, wo die Steuerbelastung heruntergehen soll.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Bei jeder unangenehmen Frage passen!)

    Diesen Weg können wir nicht beschreiten.
    Wir wollen überhaupt nicht bestreiten, daß wir in dieser Koalition Haltungs-, Meinungs- und Bewertungsunterschiede haben. Etwas anderes wäre auch unnatürlich. Drei Parteien bilden die Koalition. Es ist überhaupt keine Frage, daß wir Reibungspunkte und viel Arbeitsbedarf in Bereichen der Innen- und Rechtspolitik haben.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Kruzifix!)

    Wir haben vereinbart, im Jahr 1996 die Gesetze aus der letzten Legislaturperiode zu überprüfen. Wir werden das objektiv tun und werden dann entscheiden, wo Handlungsbedarf besteht.
    Es ist auch klar, daß wir im Staatsbürgerschaftsrecht gerne weitergehen würden.

    (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lauschangriff!)

    - Ich komme dazu. - Wir haben immer erklärt, daß wir für die Kinder der dritten Generation einen weiteren Schritt brauchen und daß das eine große Geste dieses Landes wäre. Wir wissen, daß das der Koalitionspartner anders sieht.

    (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das sagen Sie schon seit sechs Jahren!)

    Wir sind weiterhin in Gesprächen.
    Es ist auch in einer Koalition viel Reibung, weil sich natürlich ein enormer Arbeitsbedarf ergibt. Es gibt auch Ermüdungserscheinungen,

    (Günter Verheugen [SPD]: Das sieht man an Ihrer Rede! Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Meinen Sie Rexrodt?)

    weil manche Verhandlungsrunden genauso sind wie im richtigen Leben. Aber eines ist dann auch klar: Wir sind ein Partner, der in dieser Koalition auch seinen Erfolgsteil hat.
    Wir sind auch ein Partner, der dann, Herr Kollege Fischer, wenn es um das Thema der weltanschaulichen Neutralität des Staates geht, Stellung nimmt.

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Ich habe das Verfassungsgerichtsurteil begrüßt. Dennoch sage ich dazu: Klüger, entschiedener und klarer von Anfang an hätte das Verfassungsgericht das behandeln können.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Wir werten aber - das füge ich hinzu - jemanden, der christlicher Lebensüberzeugung ist, nicht ab. Ich habe hohen Respekt vor Glaubensintensität und vor Engagement. Nur, ich sage dazu: Dieser Staat hat nun einmal weltanschauliche Neutralität zu vertreten. Meines Erachtens ist das sogar ein Schutzrecht für die Konfessionen; denn die Konfessionen haben dadurch Schutz, daß der Staat sich nicht in ihre Belange einmischt, sondern heraushält.

    (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Wir sind auch mit Erscheinungsformen konfrontiert, die aus unserer Sicht nicht mehr in die heutige Zeit passen. Die französischen Atomversuche sind ein Stück alter Politik. Sie führen überhaupt nicht weiter. Wir wissen aber auch, daß in den politischen Auseinandersetzungen der heutigen Tage sich Nationen und Nachbarn nicht anders als durch das Wort und durch das Argument ihre Meinung sagen sollten. Das habe ich für meine Fraktion ausgedrückt; zu jeder Stunde wiederhole ich das, und ich teile es jedem, der es hören will, mit. Die Bundesregierung hat die französische Regierung wissen lassen, wie unsere Haltung ist.
    Es gibt einen Bewertungsunterschied in der Frage, ob wir hier noch mit einer Resolution nachfassen sollten. Ich finde, man sollte Nachbarn im freien Wort und in freier Debatte seine Auffassung zu diesem Vorgang sagen. Nicht unbedingt müssen Resolutionen beschlossen werden, die dann auch psychologisch bei den Nachbarn und bei befreundeten Nationen und deren Regierungen vielleicht doch nicht so gut wirken.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir haben in der Koalition vor, uns in diesem Herbst über Steuerreduzierungen Gedanken zu machen. Es gibt einen Bewertungsunterschied, was den Solidarzuschlag betrifft. Er ist einer auf Zeit, er ist kein Jahrhundertvertrag. Wir haben vereinbart, ihn jährlich zu überprüfen. Wenn es die wirtschaftliche und finanzielle Lage hergibt - der Finanzminister hat das gestern erklärt -, kann man in einem Zeitrahmen, der nach unserem Wunsch 1997, nach seiner Feststellung 1998 bedeutet, mit der Reduzierung des Solidarzuschlags beginnen. Das können wir ganz objektivierbar in der Koalition machen.
    Wir wissen, daß wir jetzt auch noch eine gewaltige Wegstrecke im Spannungsfeld von Freiheit, Verantwortung und Recht vor uns haben. Das ist nicht mit einfachen Lösungen zu bearbeiten. Die zunehmende Gewalt in unserer Gesellschaft ist nicht nur mit neuen Gesetzen zurückzudrängen, und der Schutz des Bürgers durch den und im Staat läßt sich manchmal nicht ohne kontroverse Diskussion bewerkstelligen.
    Eines sage ich aber für die Freie Demokratische Partei: Auch bei unterschiedlichen Bewertungen von Fragen einzelner Gesetze gibt es überhaupt keinen Unterschied in der Haltung, Kriminalität zu bekämpfen, alles zu tun, um Gewalt entgegenzutreten und Rechtsbrecher in diesem Land vor Gericht zu bringen. Das ist ganz eindeutig.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir haben viel Arbeit. Es gibt Probleme. Wir haben aber auch große Chancen. Diese Koalition hat bedeutende Herausforderungen großartig gemeistert. Sie hat die deutsche Einheit eingebettet. Sie hat notwendige Entscheidungen getroffen, um ein Zusammenwachsen zwischen Ost und West zu ermöglichen. Sie legt jetzt einen ernsthaften Sparhaushalt vor. Sie will solide finanzwirtschaftliche Bedingungen für die Zukunft haben. Sie hat auch die Sommerpause recht gut hinter sich gebracht. Nach meiner Einschätzung war das die beste Sommerpause, die je eine Regierung in Deutschland hinter sich gebracht hat. Wir haben uns dabei ganz gut erholt, und die Richtung stimmt.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf von der SPD)

    Wir werden weiter dafür eintreten, daß die deutsche Außenpolitik mit Klaus Kinkel an der Spitze europäisch eingebettet und weltoffen bleibt und daß wir in den internationalen Bündnissen auch unsere Pflichten wahrnehmen.
    Wir werden einen klaren marktwirtschaftlichen Kurs zu produktiven Arbeitsplätzen am ersten Arbeitsmarkt steuern. Wir wollen Belastungen reduzieren, und wir wollen den Weg der ökologischen Verantwortung am Markt statt des Staatsdirigismus gehen.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir wollen in dieser Koalition Forschungs- und Qualifizierungsanstrengungen zum Schutz der Umwelt unternehmen, zur Verbesserung der Produkte und der Produktion, und wir wollen in der Mitfinanzierung für den beruflichen Einstieg der jungen Generation eine erste Chance in der Aufstiegsfortbildung geben.
    Wir gehen auch auf dem Weg der Privatisierung und Entbürokratisierung weiter. Wir wollen verkürzte Genehmigungsverfahren, die Reform des öffentlichen Dienstes. Wir wollen aber dann die tatsächliche Privatisierung in den Bereichen Bahn und Post und nicht nur eine organisationsrechtliche.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das muß in dieser Legislaturperiode erledigt werden.
    Wir setzen im Kern - und das ist unser Unterschied zur versammelten Opposition - eher auf die Verantwortung des einzelnen, weil wir wissen: Für die künftige Freiheit und den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes brauchen wir Tugenden, die eine innere Demokratie stabilisieren. Das sind Selbstvorsorge und Eigenverantwortung, das ist das Leistungsprinzip, das ist die Toleranz.

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Solche Verhaltensweisen zu stützen und zu belohnen und zu ihnen zu ermuntern - das ist die Aufgabe von Politik in Deutschland. Das sind notwendige Haltungen in einer Demokratie. Sie müssen gesichert werden, um denen helfen zu können, die sich nicht ausreichend selbst helfen können. Das ist im Kern das tiefe moralische Ziel von Politik, weil wir in Deutschland wissen, daß Demokratie immer gefährdet ist, wenn wir große Verwerfungen haben.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was ist denn das für eine Philosophie!)

    Die Koalition hat diese Aufgabe bisher mit Erfolg auf ihrem Weg gemeistert. Herr Kollege Schäuble, wir wollen das auch vertrauensvoll in guter Zusammenarbeit fortsetzen. Mich beschleicht das tiefe Gefühl, daß sich erst jetzt, auch in der heutigen Debatte, in dem Zustand der Opposition das, was wir tun, rechtfertigt: Die Bürger haben zu Recht diese Regierung haben wollen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr! Lachen der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD])

    und wir wollen diesen Wählerwillen respektieren. Auf gute Zusammenarbeit!

    (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Andrea Lederer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 3. Oktober 1995 jährt sich zum fünftenmal die staatliche Vereinigung Deutschlands. Zu Recht haben viele Menschen in den neuen Bundesländern immer wieder beklagt, daß ihnen im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste einfach das westliche System übergestülpt wurde, daß es eben keine Vereinigung im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft war.
    Die Veränderungen, die seit 1990 für die Menschen in den neuen Bundesländern eingetreten sind, sind höchst unterschiedlicher Natur. Sie haben positive und negative Erfahrungen gemacht. Für die Mehrheit der Bevölkerung in den alten Bundesländern hat es seit der Vereinigung dagegen nur nachteilige Entwicklungen gegeben.
    Zunächst zu den neuen Bundesländern. Unstrittig ist, daß es dort inzwischen ein Maß an politischen Rechten und Freiheiten gibt, wie es in der DDR bis 1989 nicht vorstellbar war. Allerdings muß der Korrektheit halber hinzugefügt werden, Herr Gerhardt, daß diese zunehmenden politischen Rechte und Freiheiten von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR bereits Ende 1989 erkämpft worden sind und nicht erst durch die Vereinigung am 3. Oktober 1990.

    (Beifall bei der PDS)

    Aber die Vorzüge lassen sich auch gar nicht auf diese Frage reduzieren. Anerkannt werden muß, daß es inzwischen ein Angebot an Kunst, an Dienstleistungen und an Waren gibt, was ebenfalls bis 1989 so nicht vorstellbar war. Auf der Haben-Seite stehen darüber hinaus Infrastrukturentwicklungen von beachtlichem Ausmaß. Hierbei denke ich nicht nur an die Gestaltung von Stadtzentren, sondern auch an die Entwicklung von Telekommunikation in einem Umfang, wie ihn die DDR auch in Jahrzehnten nicht erreicht hätte.
    Das Problem ist nur, daß viele Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR dies alles mit einem von ihnen eben auch nie gekannten Grad an sozialer Unsicherheit bezahlen müssen. Niemand konnte sich real vorstellen, was Massenarbeitslosigkeit bedeutet, und die Bevölkerung ist heute täglich damit konfrontiert. Niemand konnte sich real vorstellen, was es bedeutet, daß selbst ein eingenommener Arbeitsplatz nie sicher ist und welche Art von Druck und Disziplinierung davon ausgeht.
    Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Es ist eine Realität, daß die Bürgerinnen und Bürger in der DDR in ihren Betrieben freier waren als heute, in der Öffentlichkeit allerdings wesentlich unfreier. Sie wollen die Alternative, entweder politische Rechte und Freiheiten und damit auch soziale Unsicherheit oder soziale Sicherheit, dann aber wenig politische Rechte und Freiheiten, nicht akzeptieren.

    (Zuruf von der PDS: Sehr gut!)

    Für demokratische Sozialistinnen und Sozialisten ist das auch nicht akzeptabel. Wir werden für eine Gesellschaft kämpfen, in der beides miteinander verbunden ist,

    (Beifall bei der PDS)

    etwa nach dem Motto: Es genügt nicht nur, in der Kneipe das Maul aufreißen zu können, wir wollen gerne, daß man es auch im Betrieb kann. Das konnte man bei uns früher, dafür nicht in der Kneipe. Dieser Tausch gefällt uns nicht. Wir wollen gerne, daß in beiden Einrichtungen die Meinungsfreiheit realisiert wird.

    (Beifall bei der PDS Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo konnte man das früher in den Betrieben?)

    - In arbeitsrechtlichen Fragen auf jeden Fall, Herr Poppe, wesentlich mehr. Sie konnten Ihren Chef ohne jedes Risiko einen Armleuchter nennen. Versuchen Sie das mal heute in einem privaten Unternehmen. Dann sind Sie schneller gefeuert, als Sie das ausgesprochen haben.
    Auf all diesen Gebieten gibt es sehr nachvollziehbare gemischte Gefühle. Wie gesagt, das Kunstangebot und auch das Literaturangebot sind z. B. wesentlich breiter geworden, aber der Zugang wird immer teurer. Auch hier scheint es wieder nur die eine Alternative zu geben: entweder soziale Chancengleichheit bei Zugang zu Kultur und Bildung, dann aber ideologische Einschränkungen, oder keine ideologischen Einschränkungen, dann aber keine soziale Chancengleichheit. Ich frage mich nur: Weshalb kann man freie Kunst, freie Bildung nicht mit sozialer Chancengleichheit beim Zugang verbinden?

    Dr. Gregor Gysi
    Oder nehmen Sie das Beispiel des Gesundheitswesens: Auf der einen Seite haben Sie eine sehr moderne und zukunftsträchtige Einrichtung wie die Polikliniken zerschlagen - übrigens unter Verletzung des Einigungsvertrages. Auf der anderen Seite haben Sie Krankenhäuser mit technischen Geräten ausgestattet, so daß man von einem Fortschritt sprechen muß. Wiederum werden die Versicherungsbedingungen immer komplizierter, und die Sorge der Menschen nimmt zu, daß irgendwann die soziale Stellung des einzelnen und der einzelnen über die medizinische Behandlung entscheidet und nicht mehr die Art der Erkrankung.

    (Beifall bei der PDS)

    Vor allem konnte sich niemand vorstellen, daß Sie Industrie, Landwirtschaft und auch kulturelle Einrichtungen in diesem Umfang zerstören würden und daß Sie damit den gesamten Osten in eine ökonomische und finanzielle Abhängigkeit vom Westen bringen würden.
    Verstehen Sie denn nicht, daß Sie von vielen als Kolonialisten empfunden werden müssen, wenn Sie z. B. über das Prinzip ,,Rückgabe vor Entschädigung" so viele Enteignungen durchführen, wie Sie sie in den neuen Bundesländern durchgeführt haben und immer noch durchführen? Hat das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" vielleicht - Herr Schäuble, Sie haben das bei Herrn Thierse kritisiert - nichts mit Ideologie zu tun, wenigstens mit Eigentumsideologie, welcher Art auch immer? Kommen Sie mir in diesem Zusammenhang bloß nicht mit Eigentumsgerechtigkeit. Dann müssen wir nämlich prüfen, wie die Alteigentümer irgendwann mal zu ihrem Eigentum gekommen sind.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie wissen so gut wie wir, daß Thurn & Taxis im Mittelalter noch Posträuber waren und nur dadurch ihr Eigentum angehäuft haben. Wie weit wollen wir denn zurückgehen, um Eigentumsgerechtigkeit wieder herzustellen?
    Weshalb negieren und mißachten Sie die Erfahrungen der Menschen aus dem Osten? Weshalb die Bestrafung im Rentenrecht, weshalb die vielen politischen Prozesse? Das alles dient nur dem Ziel, die Menschen dort zu demütigen und kleinzureden, ihre Biographien nicht zu akzeptieren.
    Übrigens, Herr Schäuble, muß ich Ihnen noch etwas sagen: Wenn Sie hier eine Rede halten, kommt jede Viertelstunde ein polemischer Satz gegen die PDS. Aber besonders glaubwürdig ist das nicht, weil Sie nie eine inhaltliche Auseinandersetzung vornehmen, sondern nur ideologisch tabuisieren. Das reicht aber in der heutigen Gesellschaft nicht mehr aus.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Man diskutiert nicht mit einem Chamäleon über Farbe!)

    Außerdem diskreditieren Sie damit 20 % der ostdeutschen Bevölkerung, die die PDS wählen.

    (Beifall bei der PDS)

    Im übrigen sind Sie nicht einmal mehr in Ihrem Antikommunismus glaubwürdig, nachdem Sie mit Vietnam vereinbart haben, daß Vietnamesinnen und Vietnamesen in dieses Land zurückgeführt werden. Das hätten Sie früher gar nicht gewagt. Heute betrachten Sie plötzlich ein kommunistisch regiertes Land als so demokratisch, daß Sie meinen, die Bürgerinnen und Bürger auch gegen ihren Willen dorthin zurückschicken zu können.

    (Beifall bei der PDS)

    Noch problematischer wird es, wenn ich von Ihrem Regierenden Bürgermeister aus Berlin, Herrn Diepgen, einen Brief bekomme, der mich um ideelle und materielle Wahlkampfhilfe für die CDU bittet. Das spricht dafür, daß Sie wirklich am Ende sein müssen, wenn Sie diesbezüglich auf meine Hilfe angewiesen sind.

    (Beifall bei der PDS - Lachen bei der SPD)

    In meiner grenzenlosen Großzügigkeit habe ich Ihnen eine Mark überwiesen - mehr war einfach nicht drin -, aber mehr aus politischen Gründen.
    Sie setzen in bezug auf die PDS den kalten Krieg fort, den wir eigentlich 1989 und 1990 beenden wollten. Damit spalten Sie übrigens auch die Bevölkerung in diesem Lande.
    Aus all den Gründen werden viele Menschen den 3. Oktober nicht feiern, ohne sich etwa die DDR zurückzuwünschen. Es ist auch nicht verwunderlich, daß weder jener Anklang findet, der versucht, jeden Fortschritt im Osten Deutschlands zu leugnen, noch jener, der ausschließlich von blühenden Landschaften faselt und in einer Art und Weise schönfärberisch auftritt, daß man sich wirklich an frühere Zeiten erinnert fühlt.
    Wir haben einen Antrag eingebracht - Herr Bundeskanzler, Sie sollten ruhig zuhören; es geht ja nicht um mich, sondern es geht um die Tausenden und Millionen Wählerinnen und Wähler, die Sie mißachten, wenn Sie nicht zuhören -, daß die Bundesregierung eine Erklärung zur Lage der Nation abgeben soll. So etwas war in früheren Jahren hier übrigens durchaus üblich und ist heute dringender notwendig denn je. Diese Bundesregierung soll endlich Rechenschaft ablegen über die Situation in Deutschland fünf Jahre nach der Vereinigung. Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, daß Sie dort etwas tun können, was Ihnen gemeinhin als Gabe abgesprochen wird, nämlich selbstkritisch auftreten.

    (Beifall bei der PDS)

    Aber in dieser Einheit steckten auch viele Chancen, die noch nicht genutzt worden sind. Mit dem 3. Oktober 1990 war nach 40jähriger Zweistaatlichkeit eine ganz wichtige Sorge genommen, nämlich die Sorge, daß es zwischen den beiden deutschen Staaten zu einem Krieg kommen könnte.
    Überhaupt war mit dem Ende der Systemkonfrontation die Gefahr eines Kriegs wesentlich reduziert. Es hätte deshalb die Chance bestanden, die Rüstungsausgaben erheblich zu senken, sich Schritt für Schritt von einer Militärpolitik zu verabschieden.

    Dr. Gregor Gysi
    Wenn man sich statt dessen die reale Entwicklung seit dem 3. Oktober 1990 ansieht, dann muß man feststellen, daß in der Bundesrepublik Deutschland Militärpolitik noch nie eine solche Rolle wie gegenwärtig gespielt hat. Was vor dem 3. Oktober 1990 noch undenkbar war, ist heute Realität: Die Bundesrepublik Deutschland ist Kriegspartei im Balkan geworden.
    Was ebenfalls kaum jemand am 3. Oktober 1990 geglaubt hätte, ist inzwischen Wahrheit: Die Verteidigungsausgaben steigen schon wieder.
    Übrigens muß die Bevölkerung hier einmal über einen Haushaltstrick informiert werden. Die meisten Bürgerinnen und Bürger denken nämlich, daß Kriegsbeteiligungen wie auf dem Balkan aus dem Verteidigungshaushalt bezahlt werden. In Wirklichkeit wurden schon die 16 Milliarden DM für den Golf-Krieg und auch jetzt die Hunderte Millionen für die Beteiligung am Balkankrieg aus dem Einzelplan 60 finanziert, d. h. aus der allgemeinen Finanzverwaltung. Das nenne ich fast schon einen geheimdienstlichen Verschleierungstrick.

    (Beifall bei der PDS Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das liegt doch alles offen!)

    Jetzt kommt etwas Spannendes: 1995 sieht dieser Einzelplan ein Volumen von 24 Milliarden DM vor. In der mittelfristigen Finanzplanung ist für das Jahr 1999 ein Betrag von 44 Milliarden DM vorgesehen. Das ist also fast eine Verdoppelung. Darf man eine Antwort auf die Frage erwarten, welche Kriege Sie für das Jahr 1999 geplant haben?
    Entschieden haben wir uns gegen die Atomtests durch Frankreich und China ausgesprochen. Nur, Herr Schäuble, was Sie heute dazu gesagt haben, das sollte die Bevölkerung wirklich wach werden lassen. Sie haben erklärt, Sie könnten sich ein Europa ohne Nuklearwaffen nicht vorstellen. Ist das wirklich nur ein Mangel an Phantasie?

    (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)

    Oder wollen Sie uns über diese Aussage jetzt schon deutlich machen, daß Deutschland über kurz oder lang über die Europäische Union über Atomwaffen verfügen soll und daß Sie überhaupt nicht die Absicht haben, von Atomwaffen abzulassen. Wenn Sie diese Absicht nicht haben, dann werden Sie auch von Tests nicht ablassen; denn das eine bedingt das andere. Dabei wäre es jetzt höchste Zeit, ein für allemal die Massenvernichtungswaffen, d. h. auch die atomaren, zu vernichten.

    (Beifall bei der PDS)

    Aber Sie haben die Bundesrepublik nicht nur dadurch verändert, daß Sie die Außenpolitik durch Militärpolitik ersetzt haben. Sie sind darüber hinaus dazu übergegangen, als Waffenexporteur eine große Rolle in dieser Welt zu spielen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte am 3. Oktober 1990 Platz sieben der Weltrangliste bei Waffenexporten und nimmt jetzt Platz zwei ein.
    Es bleibt schamlos, weltweit seine Waffen gewinnbringend zu verkaufen und dann die Soldaten angeblich friedenstiftend hinterherzuschicken. Es bleibt auch heuchlerisch, wenn Sie gerade der serbischen Seite einen furchtbaren Krieg vorwerfen, dann aber den Deserteuren gerade dieser Armee kein Asyl in der Bundesrepublik Deutschland gewähren.

    (Beifall bei der PDS)

    Sie haben überhaupt durch die faktische Abschaffung des Asylrechts die Bundesrepublik Deutschland geistig verändert; das macht mir die größten Sorgen. Es gibt kaum noch Solidaritäts- und Mitleidsgefühle mit Flüchtlingen. Täglich wird nur darüber nachgedacht, wie man sich Flüchtlinge vom Halse halten kann, ohne daß ein Beitrag zum Abbau der Fluchtursachen auf dieser Welt geleistet wird.
    Seit der Vereinigung gewöhnen Sie die Westdeutschen Schritt für Schritt an Sozial- und Demokratieabbau, wobei der Haushalt, den Sie für das Jahr 1996 vorlegen, eine neue Qualität besitzt: Es ist der Abschied vom Sozialstaatskompromiß und vom Gründungskonsens der Bundesrepublik in sozialen Fragen. Es ist der Durchbruch der Ellenbogengesellschaft.
    Das hat wieder viel mit dem geistigen Klima in unserer Gesellschaft zu tun. Noch nie stimmte das Motto für die Bundesrepublik so sehr wie heute, daß Geld die Welt regiert. Noch nie wurde über Arme in der Gesellschaft so verächtlich gesprochen und so bewußt ein Entsolidarisierungsklima organisiert. Wie bei Flüchtlingen wird auch hier versucht, jedes Mitleid, jedes Solidaritätsgefühl zu ersticken.
    Das alles wird noch ideologisch untermauert. Gerade die F.D.P. spricht sehr absichtsvoll immer von „Leistungsträgern", womit suggeriert werden soll, daß hinter Reichtum Leistung steckt. Wie oft, frage ich Sie, steckt dahinter eigentlich nur Erbschaft? Was hat das mit Leistung zu tun?

    (Beifall bei der PDS)

    Ist es nicht vielleicht doch noch immer so, daß der Gewinn vieler Leute von anderen erarbeitet wird und diese so gut wie gar nicht daran beteiligt werden? Wenn der Gewinn Ausdruck von Leistung ist, dann ist nach dieser ideologischen Logik Armut Ausdruck von fehlender Leistung. Mit einer solchen Ideologie eröffnet man nicht den Kampf gegen die Armut, sondern den Kampf gegen die Armen in dieser Gesellschaft.
    Das aber betrifft nicht nur die Obdachlosen, die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger und die Arbeitslosen. In ähnlicher Weise gehen Sie auch mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern um. Ihnen versuchen Sie täglich zu suggerieren, daß sie zuviel verdienen, daß sie zuviel Freizeit haben, daß sie zu häufig krank sind, kurzum: daß es ihnen in jeder Hinsicht zu gut ginge und daß deshalb Reallohnkürzungen und Kürzungen bei Lohnfortzahlungen, Verlängerung der Arbeitszeit und Verkürzung des Urlaubs etc. auf der Tagesordnung stünden. Das Gegenteil erzählen Sie natürlich jenen, die Sie zu Leistungsträgern erklären.

    Dr. Gregor Gysi
    Was ich Ihnen wirklich übelnehme und wofür diese Bundesregierung irgendwann bezahlen muß, das ist die Tatsache, daß Sie den gesamten Sozialabbau im Westen mit dem Osten begründen. Sie haben die deutsche Einheit zu einem gigantischen Sozialabbau für die gesamte Bundesrepublik genutzt und den Westdeutschen eingeredet, daß dies ihr Opfer für die deutsche Einheit sei. Den Ostdeutschen wollten Sie damit ein schlechtes Gewissen machen und sie zusätzlich demütigen; denn von jemandem, der scheinbar begünstigt ist und auf Kosten anderer lebt, erwartet man, daß er wenigstens die Klappe hält.
    Mit dieser Politik aber haben Sie schwere Verantwortung auf sich geladen; denn dadurch haben Sie die Bevölkerung in Ost und West künstlich gespalten. Deshalb appelliere ich angesichts des fünften Jahrestages der deutschen Einheit an Sie: Hören Sie damit auf, den Westdeutschen einzureden, daß sie den Sozialabbau den Ostdeutschen verdanken. Wir wissen alle, daß das eine Lüge ist.
    Lassen Sie mich, zum Schluß kommend, noch darauf hinweisen, daß Ihre gesamte Wirtschaftspolitik, entgegen Ihrer Darstellung, nicht in geringster Weise davon gekennzeichnet ist, daß Sie Arbeitsplätze schaffen wollen. In Wirklichkeit haben Sie ein Steuersystem aufgebaut, das jedes Finanzgeschäft und jede Spekulation begünstigt und das Wirtschaften im Zusammenhang mit Arbeitskräften immer nur bestraft. In diesem Sinne treten wir übrigens auch für grundsätzliche Steuerreformen ein, die Arbeit und Beschäftigung und eben nicht Spekulationen begünstigen, wie Sie dies mit Ihrer Steuerpolitik permanent tun.
    Ein tragisches Moment in unserer Gesellschaft besteht darin, daß die Politik der Bundesregierung scheinbar alternativlos ist. Das allerdings ist im wesentlichen ein „Verdienst" der SPD und, was die Außen- und Militärpolitik betrifft, inzwischen auch ein Verdienst von Joschka Fischer. Das muß man ehrlicherweise hinzufügen.
    Dann höre ich, daß es in dieser Gesellschaft angeblich kein Geld gebe und daß keine Möglichkeiten bestünden, an zusätzliche Mittel heranzukommen, um einen sozialen Ausgleich zu gestalten und Arbeitsplätze z. B. im öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen. Darf ich Sie einmal fragen, warum Sie bei den Billionen Finanzgeschäften, die an unseren Banken und Börsen jährlich stattfinden, keine steuerlichen Erhebungen durchführen? Darf ich Sie fragen, warum das frei vagabundierende Kapital von über 700 Milliarden DM von Ihnen nie angegriffen wird? Da, Herr Waigel, könnten Sie in den Topf greifen und für einen sozialen Ausgleich sorgen, anstatt die Arbeitslosen und die Armen in dieser Gesellschaft zu benachteiligen.

    (Beifall bei der PDS)

    Übrigens, Herr Gerhardt, wenn Sie vom Wissenschaftsstandort reden, ist das ein typisches Beispiel dafür, wie Sie Ostdeutsche demütigen. Wissen Sie, was Sie vorhin gesagt haben? Sie haben gesagt: Jetzt beginnt im Osten Wissenschaft und Forschung. Damit sagen Sie ganzen Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forscherinnen und Forschern aus der DDR, daß sie noch nie Wissenschaft und Forschung betrieben haben. Das nenne ich einen Akt der Demütigung, den Sie sich sparen sollten.

    (Beifall bei der PDS Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt nicht!)

    - Das hat er gesagt.

    (Zuruf von der F.D.P.: Nein, das hat er nicht gesagt!)

    Er hat gesagt „jetzt beginnt" , als ob es vorher nichts dergleichen gegeben hätte. Das ist das, was ich meine und worauf ich hinweisen wollte.
    Sie, Herr Bundeskanzler, sind Historiker und haben einen Hang zur Symbolik. Deshalb muß ich Sie eines wirklich fragen, und ich frage das wirklich mit allem Ernst: Was hat die Bundesregierung eigentlich geritten? Sie kennen meine Gegnerschaft zu den internationalen Militäreinsätzen der Bundeswehr. Darüber will ich jetzt gar nicht reden. Aber wenn Sie schon einen solchen Einsatz starten, darf ich Sie fragen: Was hat Sie denn ernsthaft geritten, gerade den ersten internationalen Einsatz der Bundeswehr am 1. September 1995 durchzuführen, d. h. 56 Jahre nachdem Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat? Hinsichtlich dieser Symbolik hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen in dieser Debatte.

    (Beifall bei der PDS)