Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So ganz kann ich die Euphorie nicht begreifen, mit der mein Vorredner, Herr Schulz, das Jahressteuergesetz begrüßt hat. Besonders aus ostdeutscher Sicht fällt mir das schwer. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.
Mit der Vorlage des Entwurfs zum Jahressteuergesetz 1996 hat die Bundesregierung - wie heute schon mehrfach angemerkt - wieder einmal die Chance vertan, endlich grundlegende Ordnung in den Wust von Steuerwirrwarr und Verordnungschaos hineinzubringen.
Das gilt auch für die notwendige Förderung von Investitionen in den neuen Bundesländern, die jedenfalls nach dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf leider noch komplizierter würde als bisher. Herr Faltlhauser, richten Sie Herrn Waigel bitte aus: Ihr Entwurf wird nach wie vor der bestehenden Aufgabe, nämlich den Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft in den neuen Ländern zu unterstützen, nicht gerecht.
Wolfgang Ilte
Die Bundesregierung hat bis heute nicht begriffen, daß die Herstellung der inneren Einheit Deutschlands eine Herausforderung ist, der man nicht mit jährlich wiederkehrender und wachsender Flickschusterei gerecht werden kann. Ihre seinerzeit getroffene Entscheidung zur Eigentumsregelung „Rückgabe vor Entschädigung" war von Anfang an das schlimmste Innovationshindernis für Ostdeutschland. Damit haben Sie alles an eigenständigem Wachstumspotential kaputtgemacht, was es bis dahin noch gegeben hat.
Das können Sie auch mit noch so verzweifelter Hin- und Herflickerei nicht wieder repariert bekommen.
Als uns der Kanzler vor fünf Jahren die blühenden Landschaften versprach, gingen er wie auch seine Regierung davon aus, daß der Aufbau Ost bis 1995 gegessen sein wird. Ich muß allen Ernstes fragen, ob Sie wirklich der Auffassung sind, daß bis zum Jahre 1998 die blühenden Landschaften im Osten entstanden sein werden. Wäre es nicht besser, jetzt endlich ein richtiges Konzept zu machen, das wir auch wirklich gemeinsam durchsetzen, anstatt eine Verlängerung der Fördermaßnahmen anzubieten und zu sagen: Na gut, dann gucken wir mal 1998, wie es weitergeht. Meine Damen und Herren, für mich macht das einen reichlich hilflosen Eindruck,
Aber lassen Sie mich auf die Instrumentarien im einzelnen zu sprechen kommen: Hauptinstrumentarium ist und soll ja auch nach Ihren Vorstellungen weiterhin die Sonder-MA bleiben. Hier hoffen Sie, daß Sie mit dem Herumdoktern an der Sonder-AA und dem Hoch- und Herunterschieben von ein paar Prozentpunkten die Probleme schon irgendwie innerhalb von zwei Jahren in den Griff bekommen werden. Offensichtlich haben Sie die Aufgabenstellung völlig aus dem Blickfeld verloren. Aber ich kann Sie Ihnen gerne noch einmal vor Augen halten: Aufgabenstellung muß es doch sein, Kapital- und Vermögensbildung im Osten zu unterstützen, um einen damit einhergehenden Aufbau von funktionsgerechten, funktionierenden Wirtschaftsstrukturen zu erreichen.
Hingegen haben Sie, Herr Faltlhauser, durch die Investitionen im Osten eine Förderung von Kapital- und Vermögensbildung im Westen erreicht, wobei Ihnen der Aufbau von funktionierenden Wirtschaftsstrukturen im Osten bisher nicht gelungen ist.
Wir haben seinerzeit schon darauf hingewiesen, daß mit Hilfe einer Investitionsförderung über Investitionszulagen eine weitaus effektivere und - gestatten Sie mir den Ausdruck - punktgenauere Landung am gemeinsamen Zielort möglich gewesen wäre als mit dem Instrument der Sonder-AA.
Mit Hilfe der Investitionszulage wären auch ostdeutsche Betriebe in der Lage gewesen - auch die Handwerksmeister in Leipzig, Herr Schulz -, entsprechende Investitionen in erhöhtem Maße vorzunehmen, um somit in den Genuß von Förderinstrumentarien zu kommen. Ostdeutschen Unternehmen hilft nun einmal eine 50%ige Sonder-AA im Regelfall nicht.
Wenn Sie uns nicht glauben wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf Ihren Fraktionsvorsitzenden Schäuble. Er hat es Ihnen in einem Interview im „Handelsblatt" am 16. März doch ins Stammbuch geschrieben. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Allerdings müßte in den neuen Bundesländern mehr für die Vermögensbildung getan werden, damit es dort nicht in zehn Jahren eine Vermögensverteilung geben wird, die viel einseitiger als in Westdeutschland wäre. In der Koalitionsvereinbarung seien einige Schritte im Hinblick auf eine gleichmäßigere Vermögensverteilung in den neuen Bundesländern angekündigt.
Na prima, Herr Schäuble, jetzt aber nicht nur ankündigen, sondern auch machen! Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Während in westdeutschen Privathaushalten und Unternehmen in 40 Jahren Vermögensstrukturen gewachsen sind, ist dies in Ostdeutschland nun einmal nicht der Fall gewesen; es hat nicht stattfinden können. Fast alle 16 Millionen Ostdeutschen fingen 1990 bei der Währungsunion bei Null an. Es fehlte an den grundlegendsten Dingen. So hatte in Ostdeutschland niemand die Möglichkeit, über Bausparverträge, Lebensversicherung en, vermögenswirksame Leistungen oder ähnliches beleihungsfähiges Vermögen, was in unserer Gesellschaft auch familiäre Sicherheit bedeutet, aufzubauen. Das trifft für die Privathaushalte genauso wie für die Unternehmen zu. So etwas kann man in vier Jahren aus eigener Kraft nicht aufholen. Es fehlt ein klares Konzept der Bundesregierung, wie man dieses Vermögensgefälle zwischen Ost und West wenigstens mittelfristig auszugleichen gedenkt.
Wenn wir jetzt nicht endlich Nägel mit Köpfen machen, dann fundamentieren Sie diesen Zustand auf Jahre hinaus.
Oder nehmen Sie den Mietwohnungsbau. Sie schlagen vor, die 50%ige Sonder-AA auf 20 % zu verringern und für zwei Jahre zu verlängern. Wer soll denn in drei Gottes Namen innerhalb von zwei Jahren Mietwohnungen planen, beantragen, genehmigen lassen, finanzieren und dann auch noch anfangen zu bauen? Das ist doch schon im Ansatz viel zu kurz gegriffen.
Wolfgang Ilte
Sie haben die gesamte Problematik, Herr Hauser, überhaupt nicht begriffen. Die von Ihnen angebotene 20%ige Sonder-AfA ist für den Investor doch keinen Deut besser als die ohnehin schon vorhandene degressive Abschreibung nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes. Im Gegenteil, die degressive Abschreibung ist auf mittlere Sicht für Investoren sogar besser.
Nun schauen Sie sich doch im Osten einmal um, was tatsächlich passiert! Auf Grund der 50%igen Sonder-AfA sind zwar viele Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt errichtet worden. Für diese Wohnungen, z. B. bei mir im Wahlkreis, wird zur Zeit aber eine monatliche Kaltmiete von 25 DM pro Quadratmeter verlangt. Solche Wohnungen können Sie massenweise mieten. Diese Wohnungen stehen zu 50 % leer. Was wir im Osten weiterhin zur Verfügung haben - zwar nicht ganz so üppig -, sind Wohnungen aus dem „sozialen Wohnungsbau". Auf Grund der Mietpreisbindung sind unsere Plattenwohnungen noch relativ preiswert zu haben. Was aber völlig fehlt, ist eben bezahlbarer Wohnungsraum zwischen 6 DM und 15 DM pro Quadratmeter.
Dafür ist es notwendig, mit einem gewissen Förderanteil Wohnraum zu erstellen. Diesen Wohnraum braucht man nicht nur im Osten, man braucht ihn genauso im Westen.
Der Ende dieses Jahres auslaufende § 7 k des Einkommensteuergesetzes sieht hierfür im Prinzip schon das richtige Instrument vor. Leider ist er genau wie viele Ihrer Vorschriften viel zu kompliziert und hat daher bisher nicht gegriffen. Es gibt jedenfalls nach diesem Paragraphen weder im Osten noch im Westen einen spürbaren Anteil von bezahlbarem Wohnraum für die Menschen.
Wir erwarten, daß Sie mit uns gemeinsam ein Konzept erarbeiten, wie wir dieses oder ein ähnliches Instrument verbessern oder schaffen, um im Osten und möglicherweise auch im Westen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Ich gehe davon aus, daß wir das in den Ausschüssen noch diskutieren können.
Lassen Sie mich zum Schluß auf drei Probleme hinweisen. Das erste Problem, das mir im Jahressteuergesetz 1996 unzureichend gelöst scheint, ist die Investitionszulage für den mittelständischen innerstädtischen Handel. Sind Sie nun bereit, diesen kleinen mittelständischen Unternehmen eine Förderung zuteil werden zu lassen, oder sollen sie außen vor bleiben? Was ist des weiteren mit dem kleinen und mittelständischen Baugewerbe? Das Bauhandwerk - das wurde heute schon gesagt - soll gefördert werden, das Baugewerbe nicht. Beispielsweise gibt es in
meinem Ort zwei Betriebe. Der eine Betriebsinhaber hat einen Meisterbrief als Handwerker in der Tasche, der andere ist Bauingenieur. Beide setzen Fenster ein, sie machen haargenau die gleiche Arbeit. Der eine bekommt die Investitionszulage, der andere nicht. Anders kann ich Ihren Gesetzentwurf nicht verstehen. Soll das so bleiben, ist das so gewollt? Wenn ja, bin ich auf die Begründung gespannt.
Zweiter Punkt. Warum verzichten Sie auf die Einführung der Vermögensteuer in den neuen Ländern bis einschließlich 1998? Wenn Sie sich einmal vor Ort sachkundig machen würden, würden Sie feststellen, daß die Finanzverwaltung durchaus in der Lage ist, die Vermögensteuer in den neuen Ländern zu erheben. Die Einheitsbewertung der Grundstücke, die wegen der Grundsteuer ohnehin notwendig ist, kann doch kein ernstgemeinter Hinderungsgrund sein.
Ihr Verzicht auf die Vermögensteuer läßt für mich nur den Schluß zu, daß Sie vor allem jenen einen vermögensrechtlichen Vorteil verschaffen wollen, die ihren Wohnsitz beispielsweise von Hannover nach Leipzig verlegt haben, vielleicht auch noch denen, die sich im Osten mittlerweile ein gesundes Vermögen selbst erarbeitet haben. Das sind zwar nicht viele, aber sie gibt es auch schon. Warum in drei Gottes Namen wollen Sie zu Lasten der neuen Bundesländer eben auf diese Einnahmen verzichten?
Last but not least sei mir als Drittes die Frage erlaubt: Sind denn alle diese Fördermaßnahmen, die jetzt aufgeführt sind, von der EG schon genehmigt, oder wann gedenken Sie sie genehmigen zu lassen? Ich gehe davon aus, daß wir kurzfristig, zumindest noch im Laufe der Beratungen zu diesem Gesetz, die entsprechenden Zusagen aus Brüssel vorliegen haben werden, weil es uns ansonsten erneut passieren kann, daß wir hier ein Gesetz verabschieden, das uns Brüssel anschließend um die Ohren haut. Eine sich daraus ergebende Reaktion der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes möchte ich dann jedenfalls vor diesem Parlament nicht zu vertreten haben.
Besten Dank.