Rede von
Gerhard
Schulz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das heute vorgelegte Jahressteuergesetz 1996 enthält die für Gesamtdeutschland immens wichtige Fortsetzung der konsequenten steuerlichen Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland.
Getreu den Ankündigungen vor der Bundestagswahl, den Koalitionsvereinbarungen und dem Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministers setzt dieser vorgelegte Entwurf die erfolgreiche Förderpolitik für den Aufbau wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen in den neuen Bundesländern kontinuierlich und verläßlich fort.
Allen Bürgern Ostdeutschlands, insbesondere den dringend notwendigen Existenzgründern und Investoren, sei gesagt: Diese Regierungskoalition hat sich seit Beginn der deutschen Einheit unumstößlich zur Priorität des Aufbaus in Ostdeutschland bekannt und hat entsprechend gehandelt. Sie können sich auch in Zukunft auf uns verlassen.
Daß die Wirtschaft im Osten Deutschlands immer noch einen großen Bedarf an Unterstützung hat, ist unstreitig. Ein Blick auf die nackten Zahlen genügt: Betrug Ende 1994 das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in den alten Bundesländern monatlich rund 8 700 DM, so beträgt es im Osten Deutschlands mit rund 4 500 DM lediglich etwas mehr als die Hälfte.
Das heißt, trotz einer neunzigprozentigen Steigerung seit 1991 erwirtschaftet ein Erwerbstätiger in Ostdeutschland mit seiner Arbeitsleistung erst 50 % von dem, was sein Westkollege auf Grund einer besseren Infrastruktur und moderner Maschinen und Anlagen erwirtschaften kann.
Ich habe diese Kennzahl mit Bedacht gewählt, um Ihnen, meine Damen und Herren, die Problematik zu verdeutlichen: Wir brauchen immer noch dringend Investitionen, vor allem im industriellen Bereich, um
Gerhard Schulz
einen wettbewerbsfähigen Kapitalstock in Ostdeutschland aufzubauen und um zu einer ausgeglichenen Wirtschaftskraft in Gesamtdeutschland zu kommen.
Wenn auch einige Bereiche, z. B. das Handwerk - das ist gerade für mich als Leipziger Handwerksmeister erfreulich - und die Bauwirtschaft, eine immense Dynamik entwickeln, so hinken der industrielle Sektor und das verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland deutlich hinter der insgesamt positiven Entwicklung hinterher.
Exakt hier setzt der Entwurf des Jahressteuergesetzes an. Wie in den Koalitionsvereinbarungen angekündigt, wird die steuerliche Förderung in den neuen Bundesländern zielgenau auf bestimmte Problembereiche konzentriert. Es sei aber an dieser Stelle auch gesagt, daß über die Feinabstimmung der einzelnen Förderinstrumente durchaus noch Diskussionsbedarf besteht.
Ich werde darum zu einzelnen Punkten Anmerkungen machen, um zu verdeutlichen, wo aus Sicht der CDU-Abgeordneten aus den neuen Ländern Gesprächsbedarf besteht. Allerdings werden die Anmerkungen nicht so sein, daß Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Honig daraus saugen können; denn ich denke, die Gespräche innerhalb der Koalition werden zum Erfolg führen.
Zu den einzelnen Maßnahmen: Erstens. Im Rahmen der Investitionsförderung wird die fünfprozentige Investitionszulage für die Jahre 1997 und 1998 für Investitionen im verarbeitenden Gewerbe verlängert.
Zweitens wird die zehnprozentige Investitionszulage für das mittelständische Gewerbe und das Handwerk ebenso bis Ende 1998 fortgesetzt. Der Bundesfinanzminister hat hier übrigens eine sinnvolle Angleichung des Kriteriums „Investitionsbeginn" vorgenommen, was ein kleiner - das gebe ich zu, aber immerhin ein kleiner - Beitrag zur Steuervereinfachung ist.
Das sei an dieser Stelle auch einmal in Richtung des Finanzministers betont, der jetzt leider nicht mehr hier ist.
Zur zehnprozentigen Investitionszulage meine erste Anmerkung: Zur Stabilisierung des kleinen und mittelständischen Handels vor allem in Ballungs-
und Stadtgebieten wäre eine Hineinnahme dieses Wirtschaftsbereiches in die zehnprozentige Investitionszulage notwendig. Hierüber müssen wir noch einmal miteinander reden.
Nun aber zu den zum Teil entscheidenden Veränderungen im Jahressteuergesetz, was die Förderung für den Osten Deutschlands angeht: Die Sonderabschreibungen im Fördergebietsgesetz werden vernünftigerweise auf Kernbereiche konzentriert - eine Absicht, die bereits im Referentenentwurf, also vor der unsinnigen Verschwendungsdebatte, fixiert wurde.
So werden als Drittes die Sonderabschreibungen für Neu- und Altbauten, unabhängig davon, ob die Gebäude eigenbetrieblich oder fremdbetrieblich genutzt oder fremdvermietet werden, grundsätzlich für die Jahre 1997 und 1998 auf 20 % der Anschaffungs-
und Herstellungskosten abgesenkt.
Wir beweisen damit, daß wir durchaus gewillt sind, die Ostförderung an den konkreten Notwendigkeiten zu orientieren und gegebenenfalls auch zu modifizieren. Wir brauchen keine Förderung für weitere Handelseinrichtungen auf der grünen Wiese - da gibt es bereits jetzt schon zu viele -, und angesichts der erheblichen Leerstände bei Bürogebäuden ist eine weitere 50prozentige Abschreibung nicht mehr vonnöten.
Die konsequente Degression der steuerlichen Förderung sollte für die Subventionsvergabe in Gesamtdeutschland beispielgebend sein. Der Wirtschaftsstandort Deutschland könnte davon nur profitieren.
Viertens. Die Sonderabschreibungen für Ausrüstungsinvestitionen, für Investitionen in selbstgenutzten Gebäuden im verarbeitenden Gewerbe oder für Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen sollen 1997 und 1998 nur noch 40 % betragen. Hierzu meine zweite Anmerkung: Aufgrund des schlechten Zustandes der Bausubstanz in den neuen Ländern und des damit verbundenen hohen Modernisierungs- und Sanierungsbedarfs und entsprechend dem Leitsatz „Abschreibungen sind besser als Subventionen" - denn Subventionen sind weg, egal was mit dem Betrieb geschieht; Abschreibungen finden nur statt, wenn der Betrieb fortexistiert und Gewinne macht - müssen die 50prozentigen Sonderabschreibungen, wie im ursprünglichen Referententwurf vorgesehen, beibehalten werden. Für mich ist dabei jedoch entscheidend, was mit den durch die Absenkung eingesparten rund 2 Milliarden DM geschehen soll. Dienen Sie zur Finanzierung des Haushaltes, sehe ich uns in einem schwierigen Verhandlungswasser, verwenden wir sie aber zur Finanzierung von Eigenkapitalbildung und Liquiditätshilfen, können wir gerne darüber reden.
Meine Damen und Herren, die Unternehmensentwicklung in Ostdeutschland verläuft im Vergleich zu den wirtschaftshistorischen Erfahrungen Westdeutschlands rasend schnell. Sind die Unternehmen im Westen über Jahrzehnte hinweg in der Lage gewesen, Investitionskredite aus den Erträgen zu tilgen, ehe neue Investitionen anstanden, so müssen die ostdeutschen Unternehmen, um wachsen zu können und am Markt bestehenzubleiben, jetzt bereits Nachfolgeinvestitionen vornehmen, bevor ihre Erstinvestitionen refinanziert sind. Deshalb ist gerade bei erfolgreichen ostdeutschen Unternehmen zusätzlicher Kapitalbedarf sehr viel rascher entstanden, als dies voraussehbar war.
- Doch!
Gerhard Schulz
Die Lösung für dieses Problem muß zweigleisig sein. Ich möchte hier zwischen einer Beteiligungs-
und einer Liquiditätskomponente unterscheiden. Die Beteiligungskomponente zur Beschaffung von Eigenkapital für Unternehmen in den neuen Bundesländern ist bereits Gegenstand der neuen Förderelemente, die im Entwurf des Jahressteuergesetzes enthalten sind.
So ist fünftens vorgesehen, daß Steuerpflichtige für Darlehen, die sie für mindestens zehn Jahre einer Kapitalsammelstelle ab Beginn 1995 bis Ende 1998 zur Verfügung stellen, einen begrenzten Abzug von der Steuerschuld vornehmen können. Das so gesammelte Kapital soll ostdeutschen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.
Sechstens sollen Gewinne aus Veräußerungen von Kapitalgesellschaftsanteilen dann steuerfrei bleiben, wenn sie zum Erwerb von Anteilen an ostdeutschen mittelständischen Kapitalgesellschaften verwendet werden.
Bei diesen Beteiligungsförderungen muß aber garantiert sein, daß das Kapital insbesondere denjenigen kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute kommt, die wegen ihrer Größe keinen Zugang zum bestehenden Markt für Kapitalbeteiligungen haben und die aufgrund eines unvorhergesehenen Wachstumsschubs und trotz eines fundierten Unternehmenskonzeptes Kreditschwierigkeiten haben.
Zur Milderung des bestehenden Liquiditätsmangels trägt die Maßnahme bei, die ich als siebente erwähnen möchte. Es ist vorgesehen, die Ist-Versteuerungsgrenze bei der Umsatzsteuer von 250 000 DM auf 1 Million DM heraufzusetzen. Das ist ein wichtiger Schritt, denn damit müssen die Unternehmen, die es betrifft, die Umsatzsteuer erst abführen, wenn ihre Rechnung bezahlt worden ist, und nicht wie bisher bereits, nachdem sie die Rechnung geschrieben haben.
Über die übrigen Regelungen ist von meinen Vorrednern schon gesprochen worden und wird noch von meinen Nachrednern der Koalitionsfraktionen weitergehend gesprochen werden; das kann ich weglassen.
Ich möchte die Damen und Herren aus der Opposition allerdings davor warnen, aus kurzfristig populistischen und idelogisch fixierten Gründen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer abzulehnen. Mit dem Schüren von Neid schafft man keine wettbewerbsfähigen Wirtschaftstrukturen und keinen einzigen Arbeitsplatz.
Soweit zu den Vorhaben der Koalition innerhalb des Jahressteuergesetzes 1996!
Allerdings - das ist meine dritte und letzte Anmerkung - muß zusätzlich und kurzfristig, also noch in diesem Jahr, für ostdeutsche Klein- und Mittelbetriebe, die wegen der vorherrschenden schlechten Zahlungsmoral und ihrer knappen Kapitaldecke
ebenfalls Zahlungsschwierigkeiten haben oder die für notwendige Erweiterungsinvestitionen keine weiteren Kredite bekommen, obwohl die Firma gesund ist - ich habe es bereits erwähnt -, zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung gestellt werden. Dies muß außersteuerlich geregelt werden und kann deshalb nicht Gegenstand des Jahressteuergesetzes sein.
Ich kann mir aber vorstellen, daß wir uns schnell darüber einigen, die erwähnte Kapitalsammelstelle einzurichten und die steuerliche Begünstigung von Darlehen für Beteiligungen in den neuen Ländern vorzunehmen. Dann wäre ein Gespräch mit der Deutschen Ausgleichsbank oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau über eine Vorfinanzierung der Beteiligungskomponente noch 1995 sicherlich sinnvoll und möglicherweise nicht ganz aussichtslos. Wir könnten damit erreichen, daß das Geld nicht erst Ende 1996, sondern bereits Ende 1995 fließt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, ich rechne fest mir Ihrer Bereitschaft, das von mir Vorgetragene zu unterstützen; denn ich interpretiere Ihre bisherige Kommentarlosigkeit zum Bereich der steuerlichen Förderung des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland keineswegs als Sprachlosigkeit, sondern als Zustimmung und Anerkennung für unsere erfolgreiche Förderpolitik. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch im Namen der Regierungskoalition bedanken und setze auf weitere konstruktive Zusammenarbeit.
Schönen Dank.