Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich habe mit Schrecken gehört, mit welcher Vehemenz die Sozialdemokraten die Beibehaltung der Gewerbekapitalsteuer hier fordern.
Meine Damen und Herren, wir sind uns sicher darin einig: Es gibt viel Unsinn in der Steuergesetzgebung. Aber die Gewerbekapitalsteuer gehört in die Spitzengruppe der abschaffungsreifen Steuern. Deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer verschwinden.
Die Gewerbekapitalsteuer gefährdet die Arbeitsplätze;
denn die Unternehmen müssen Gewerbekapitalsteuer auch dann bezahlen, wenn diese Unternehmen Verlust machen. Welche Idiotie besteht darin, daß man die Unternehmen, die sowieso schon in Schwierigkeiten sind, in eine noch schwierigere Situation treibt?
Deswegen appelliere ich an alle Betriebsräte, daß sie ihre Wahlkreisabgeordneten massiv unter Druck setzen, damit diese hier im Bundestag für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer stimmen.
Nun könnte man natürlich mit Herrn Poß und den Sozialdemokraten sagen: Die Gewerbekapitalsteuer ist zwar unsinnig, aber wir erheben sie ruhig weiter. Darum geht es jedoch gar nicht. Wenn wir jetzt nicht
Gunnar Uldall
handeln, dann werden zum 1. Januar 1996 in Cottbus, in Dresden, in Magdeburg und in Neubrandenburg die Gewerbekapitalsteuern auch bei den neuen Betrieben erhoben.
Diese Betriebe sind in einer schwierigen Situation, und sie in dieser Situation mit einer zusätzlichen Gewerbekapitalsteuer zu belasten, ist unverantwortlich. Deswegen appelliere ich an die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder, sich intensiv im Bundesrat dafür einzusetzen, daß diese Vorlage des Bundesfinanzministers durchkommt.
Die Gewerbekapitalsteuer, meine Damen und Herren, ist bereits im letzten Jahrhundert konzipiert worden. Sie ist antiquiert und paßt nicht mehr in die volkswirtschaftlichen Abläufe des 20. oder gar des 21. Jahrhunderts. Mit Recht gab es deswegen immer wieder den Versuch, diese Steuer abzuschaffen. Aber dieses Mal stehen wir unter einem Handlungszwang.
Nach der Wiedervereinigung wurde die Erhebung dieser Steuern in den neuen Bundesländern bis zum Jahresende 1995 zunächst einmal ausgesetzt. Eine Verlängerung wird es aber nicht geben, weil die EU in Brüssel einem entsprechenden Antrag widersprechen würde. Sie wird nicht zustimmen, daß es einzelne Regionen gibt, die weiterhin begünstigt sind.
Aber selbst dann, wenn eine Genehmigung aus Brüssel zu erhalten wäre, wäre es wirtschaftlich ungerecht, in einem Teil Deutschlands diese Steuer zu erheben, in dem anderen Teil Deutschlands diese Steuer aber nicht zu erheben; denn es ist ja erfreulicherweise schon lange nicht mehr so, daß wir in Ostdeutschland nur mit Verlust arbeitende Betriebe haben. Würde man diesem Vorschlag folgen, zunächst eine Verlängerung der Aussetzung durchzusetzen, dann würden wir die paradoxe Situation haben, daß ein Betrieb in Ostdeutschland, der mit Gewinn arbeitet, von der Steuer freigestellt wird, aber ein Betrieb aus der gleichen Branche in Westdeutschland, der mit Verlust arbeitet, mit dieser Steuer belegt würde. Eine solche Besteuerungspraxis würde vor keinem Gericht Bestand haben.
Deswegen muß die Gewerbekapitalsteuer zum 31. Dezember diesen Jahres vereinheitlicht werden. Vereinheitlicht heißt aber nicht, daß sie in ganz Deutschland eingeführt werden kann, sondern das kann nur heißen: Die Erhebung der Gewerbekapitalsteuer muß in Gesamtdeutschland verschwinden.
Wenn wir den Aufholprozeß in Ostdeutschland weiter forcieren wollen, dann dürfen wir die Betriebe in den neuen Bundesländern nicht in schwerer Weise beeinträchtigen.
Würden wir die Gewerbekapitalsteuer bundesweit einführen, dann hätten wir die paradoxe Situation, daß ostdeutsche Betriebe durch den Ausbau der Wirtschaftshilfe gefördert und zur gleichen Stunde mit der Gewerbekapitalsteuer belastet würden. Ein solches politisches Handeln kann man keinem Bürger mehr erklären.
Die Gewerbekapitalsteuer ist eine zusätzliche Belastung für die deutschen Unternehmen, die es in dieser Form und in dieser Höhe in keinem anderen Land der Welt gibt. Sie beeinträchtigt damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und schadet dem Standort Deutschlands. Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker, die für die Wirtschaftspolitik und für die Arbeitsplätze verantwortlich zeichnen, müssen deswegen gemeinsam für die Beseitigung dieser Steuer arbeiten.
Ein weit verbreiteter Irrtum ist, daß es sich bei der Gewerbekapitalsteuer um eine Steuer handelt, die nur von wenigen Betrieben gezahlt wird. Die Gewerbekapitalsteuer wird in Deutschland von 350 000 Unternehmen gezahlt. Sie ist damit keine Großbetriebssteuer, wie bisweilen fälschlich behauptet wird. Sonst müßten wir in Deutschland ja 350 000 Großkonzerne haben.
Von diesen 350 000 Gewerbekapitalsteuerzahlern werden 240 000 in der Rechtsform einer OHG, einer Einzelfirma, einer Kommanditgesellschaft oder in Form einer GbR betrieben. Dies sind die typischen Rechtsformen mittelständischer Betriebe. Deswegen muß ausdrücklich festgehalten werden: Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer befreit Hunderttausende mittelständischer Unternehmen von dieser Zahlung.
Im übrigen bin ich dagegen, falsche Gegensätze zu konstruieren. Auch die mittelständischen Zulieferer und die mittelständischen Dienstleister haben ein Interesse daran, daß ihre Kunden aus dem Kreis der Großunternehmen ihnen Aufträge erteilen können und daß es diesen Unternehmen gutgeht.
Die Behauptung, die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sei gut allein für die Großen, aber schlecht für die Kleinen, ist deswegen falsch.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist gut für alle Betriebe.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Steuervereinfachung. Besser, als Steuern teilweise zu streichen oder
Gunnar Uldall
Steuern zu senken, ist die Abschaffung ganzer Steuern.
Gerade die Gewerbekapitalsteuer ist eine der kompliziertesten Steuern überhaupt. Dies möchte ich an der kaum noch zu überschauenden Form, wie diese Steuer berechnet wird, deutlich machen: Ausgangsgröße für die Berechnung der Gewerbekapitalsteuer ist der Einheitswert eines Betriebes. Zu ihm werden die Dauerschulden, die 50 000 DM übersteigen, hinzugerechnet, sofern sie ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dann wird die Hälfte des Wertes der gemieteten oder gepachteten Anlage hinzugezählt. Davon wird wieder etwas abgezogen, nämlich die Einheitswerte der Betriebsgrundstücke und die Einheitswerte der Beteiligung, dann der 120 000 DM übersteigende Wert erst mit 0,2 und dann mit dem Hebesatz, z. B. 400, multipliziert. Hat das jetzt irgend jemand verstanden?
Meine Damen und Herren, was ich hier eben vorgetragen habe, hört sich zwar kompliziert an. Das Schlimme ist nur, daß die Wirklichkeit noch viel, viel komplizierter ist als das, was ich eben geschildert habe.
Und Sie haben richtig gehört: Es werden Steuern auch auf Schulden erhoben. Wir sind das einzige Land in der Welt, in dem man für Schulden nicht nur Zinsen, sondern darauf sogar noch Steuern zu zahlen hat. Deswegen kann ich nur sagen: Weg mit diesem betriebs- und volkswirtschaftlichen Irrsinn!
Wenn wir die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft haben, dann haben wir Hunderte Seiten von Kommentaren und Erläuterungen überflüssig gemacht. Müssen wir in Deutschland wirklich unseren ganzen Ehrgeiz dafür einsetzen, das komplizierteste Steuersystem der Welt zu haben?
Mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer machen wir bei unserem Bemühen um die Steuervereinfachung einen großen Sprung nach vorn.
Das Gesetz beseitigt endlich eine immer wieder beklagte Benachteiligung der mittelständischen Unternehmen. In einer GmbH können die Gehälter der Geschäftsführer als Kosten abgesetzt werden und mindern dadurch die Gewerbeertragsteuer. In einer Personengesellschaft ist dieses aber nur bis zu einer Höhe von 48 000 DM möglich. Zukünftig kann dieser Betrag je nachdem, wie viele Gesellschafter-Geschäftsführer tätig sind, mehrfach abgezogen werden. Dieses verbessert deutlich die Chancengleichheit mittelständischer Familienbetriebe im Einzelhandel, im Handwerk oder im Kleingewerbe.
Die Freiberufler, meine Damen und Herren, sind durch dieses Gesetz, über das wir heute zum erstenmal beraten, nicht berührt. Dennoch sollten auch Sie sich zu Vorkämpfern für die Abschaffung der Gewerbesteuer machen, denn wir stehen heute an einem Scheideweg. Sollte es dieses Mal wieder nicht gelingen, die Gewerbekapitalsteuer zu beseitigen, so wird es - wie schon vereinzelt von Kommunen angekündigt - einen Ausbau der Gewerbesteuer geben, den man verharmlosend mit dem Wort „Revitalisierung" umschreibt. Dann würden auch die Ärzte, die Rechtsanwälte und die Architekten gewerbesteuerpflichtig. Deswegen meine Aufforderung an die Verbände der Freiberufler: Lehnen Sie sich nicht entspannt zurück, sondern stehen Sie auf und sorgen Sie mit uns für eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer!
Den Gemeinden sei versichert, daß sie durch diese Reform keinen finanziellen Nachteil erleiden sollen. Im Gegenteil: Das, was im Gesetz steht, ist eine Verbesserung der Gemeindefinanzen. Mein Kollege Seiffert wird das noch im einzelnen darlegen.
Meine Damen und Herren, zu der im Gesetz vorgesehenen Verschlechterung der degressiven Abschreibung bitte ich folgendes zu bedenken: Eine Abschreibung ist nur eine Steuerstundung; eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist ein echter Steuererlaß. Wenn man den Unterschied zwischen diesen beiden Dingen nicht versteht, dann möge man bitte einmal einen Schuldner fragen, was er lieber haben möchte: eine Stundung oder einen Erlaß seiner Schulden. Deswegen sage ich: Es ist die bessere Lösung, die Gewerbekapitalsteuer hier abzuschaffen. Dieses bitte ich bei der Diskussion über die im Gesetz vorgesehene Gegenfinanzierung zu berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, es spricht nur sehr wenig für die Beibehaltung der Gewerbekapitalsteuer. Wir sind offen für eine Diskussion im Finanzausschuß über die unterschiedlichsten Aspekte. Wir sind offen für eine faire Diskussion in dem gemeinsamen Bemühen, das deutsche Steuerrecht einfacher zu machen und dafür zu sorgen, daß unsinnige Steuern beseitigt werden. Hierzu machen wir Ihnen ausdrücklich das Angebot, daß wir uns gemeinsam im Finanzausschuß um eine gute Lösung bemühen. Man darf sich - ich sage das auch zu unseren sozialdemokratischen Kollegen - der Verantwortung auf Dauer nicht entziehen. Oppositionspolitik darf nicht nur Kritik üben, sondern Oppositionspolitik muß sich auch der Verantwortung für die gesamte wirtschaftliche Entwicklung stellen.
Meine Damen und Herren, es spricht, wie ich sagte, nur wenig für die Beibehaltung der Gewerbekapitalsteuer. Es spricht aber viel für eine Abschaffung dieser Steuer. Wenn alle von der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer eigentlich nur Vorteile ha-
Gunnar Uldall
ben, muß es doch möglich sein, die Streichung dieser Steuer endlich durchzusetzen. Es wäre verhängnisvoll, wenn aus der Sicht von Interessengruppen einzelne Forderungen so hoch gehängt werden, daß man die Zustimmung zu diesem Gesetz nur von der Erfüllung dieser Forderungen abhängig macht; dann blockiert man sich selber gegenseitig. Dieses wäre ein schlechtes Zeichen für die Reformfähigkeit unserer Volks- und Finanzwirtschaft.
Meine Damen und Herren, wir kämpfen mit aller Energie für eine Beseitigung der Gewerbekapitalsteuer. Damit leisten wir einen Beitrag zur Modernisierung unserer Wirtschaft, zur Sicherung von Arbeitsplätzen und für eine Vereinfachung des Steuerrechts. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.