Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal, lieber Kollege Poß: Ihr Selbstverständnis vom Parlament scheint nicht besonders gut zu sein. Denn wir haben selbstverständlich jedes Gesetz, das eingebracht worden ist, intensiv beraten. Daß dabei Veränderungen entstehen, ist, so glaube ich, auch in den vergangenen Jahren ganz normal gewesen. Unsere Aufgabe wird sein, auch dieses Gesetz eingehend zu beraten. Wenn wir zu besseren Lösungen kommen, dann werden diese, wie auch früher, selbstverständlich entsprechend verarbeitet werden.
Wir haben in den letzten Jahren eine Reihe von Steuergesetzen verabschiedet. Aber kaum ein Gesetz ist bereits im Vorfeld, lange bevor überhaupt der erste Referentenentwurf vorlag, so intensiv diskutiert worden
wie das jetzt zur ersten Lesung anstehende Jahressteuergesetz 1996. Auch das spricht für die Offenheit des Finanzministeriums: Es hat bereits vorher alles auf den Tisch gelegt, um darüber zu diskutieren.
Das Gesetz enthält drei Themenkreise, die von ganz besonderem politischen Gewicht sind: die Neuregelung des Existenzminimums, die Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform und Schritte zur Vereinfachung des Steuerrechts. Einen vierten Punkt will ich gleich noch hinzufügen, nämlich die Verbesserung des Familienleistungsausgleichs, den wir noch im Laufe der parlamentarischen Beratungen einbringen wollen.
Mit dem Jahressteuergesetz erfüllen wir auch Wünsche und Forderungen der Verbände, z. B. der Bundessteuerberaterkammer, die gefordert hat: ein einheitliches Steuergesetz pro Jahr, Mitte des Jahres verkündet, einheitliche Regelungen des Inkrafttretens zum 1. Januar des Folgejahres, frühzeitige Einschaltung von Sachverständigen schon im Entwurfsstadium. - Genau das haben wir jetzt gemacht, und schon wird wieder darüber lamentiert, daß dies alles zuviel wäre und wir das doch alles aufdröseln, also statt dessen viele andere neue Gesetze einbringen sollten.
Hansgeorg Hauser
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben die Diskussion über diese Themen im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens nicht gerade sachlich, sondern ziemlich emotional und oft genug polemisch geführt. Herr Poß, Ihre Rede war dafür wieder ein typisches Beispiel.
Ich habe leider nicht genügend Zeit, um alle diese falschen Darstellungen zu korrigieren.
Natürlich ist die Versuchung groß, das so polemisch zu kommentieren, wie Sie das tun; denn die nächsten Landtagswahlen stehen vor der Tür.
Ich konzediere Ihnen gerne das Recht der Opposition, Ihre Idealvorstellungen publikumswirksam zu präsentieren und dabei etwas weniger Rücksicht auf bestehende Sachzwänge zu nehmen, als dies die Parteien, die in der Regierungsverantwortung sind, zu tun gezwungen sind.
- Sie brauchen sich dafür nicht zu verantworten.
Aber ich bin der festen Überzeugung: Es ist spätestens hier und heute die Zeit, mit dem Säbelrasseln und mit der Schwarzweißmalerei aufzuhören. Nicht Blockadepolitik, nicht ein kompromißloses „Entweder so oder gar nicht" ist jetzt gefragt, sondern konstruktive, harte, sachliche Arbeit, um die vor uns liegenden Probleme zu lösen.
Es sind im wesentlichen zwei Hauptschwierigkeiten, mit denen wir bei diesem Gesetz konfrontiert sind, einmal die Tatsache, daß wir unter erheblichem Zeitdruck stehen. Am 1. Januar 1996 muß die Regelung zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums in Kraft treten.
Das wissen Sie genau. Das ist eine klare verfassungsrechtliche Vorgabe. Es reicht eben nicht, wenn die Bestimmungen erst am 31. Dezember 1995 im Bundesgesetzblatt stehen.
- Sie wissen das auch, Herr von Larcher. Jedermann weiß, daß zur Umsetzung in die Praxis mindestens eine Vorlaufzeit von einem halben Jahr erforderlich ist. Da müssen neue Einkommen- und Lohnsteuertabellen gedruckt werden. Da müssen Umstellungen in
Lohnbuchhaltungen vorgenommen werden, eine Vielzahl von EDV-Programmen geändert werden usw. Das bedeutet im Klartext, daß wir noch bis zum Beginn der Sommerpause des Bundestages eine Regelung beschließen müssen, ob mit oder ohne Vermittlungsverfahren, sei dahingestellt.
Unter Zeitdruck stehen wir auch bei der Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform, allerdings nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Hier ergibt sich der sofortige Handlungsbedarf aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Auf den Punkt komme ich später noch einmal zurück.
Auch die Verbesserung der Förderung von Familien und die Steuervereinfachung können wir nicht auf die lange Bank schieben. Alle Parteien dieses Hauses haben sich für eine rasche Verbesserung der Leistungen für die Familien ausgesprochen; dann müssen wir das auch zügig angehen. Die Familien haben ein Recht darauf.
Wir brauchen nicht darüber zu reden, daß Steuervereinfachung not tut. Die besondere Situation in den vergangenen Jahren hat eine Vielzahl steuerpolitischer Entscheidungen - noch dazu in schneller Aufeinanderfolge - mit sich gebracht, bei denen dem Gesichtspunkt der Steuervereinfachung aus naheliegenden Gründen nicht die allererste Priorität eingeräumt werden konnte. Um so notwendiger ist es, dieses Thema unverzüglich in Angriff zu nehmen.
Die zweite Hauptschwierigkeit, mit der wir in diesem Gesetzgebungsverfahren konfrontiert sind, ist die angespannte Situation der öffentlichen Haushalte, also des Bundes, der Länder und Kommunen. Ich glaube, die gerade abgeschlossenen Haushaltsberatungen haben jedermann mit aller Deutlichkeit gezeigt, wie eng der finanzielle Rahmen ist, in dem wir uns auf absehbare Zeit bewegen können. Es führt kein Weg daran vorbei, daß wir uns alle nach der Decke strecken müssen und daß wir schweren Herzens auf viele Dinge verzichten müssen, mögen sie auch noch so wünschenswert sein.
Ich will an dieser Stelle auf eines klar und unmißverständlich hinweisen: Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen hat für uns absolute Priorität. Das war die Leitlinie der Finanzpolitik der Union in den vergangenen Jahren. Das wird sie auch in Zukunft bleiben.
Daß diese Politik richtig ist, erleben gerade wir jetzt in einer, wie ich meine, beeindruckenden Weise. Deutschland erfüllt die Kriterien der Maastrichter Verträge. Wer hätte das vor ein paar Jahren voraussagen können? Die D-Mark, schon immer ein Synonym für Stabilität, ist geradezu eine Ankerwährung geworden.
- Frau Matthäus-Maier, das haben Sie so nicht erwartet. Sie haben immer etwas anderes erzählt. Es paßt Ihnen auch nicht in den Kram, weil es nämlich zeigt, daß Ihre Politik der falsche Weg gewesen wäre und daß Ihre Horrorszenarien, mit denen Sie pausenlos
Hansgeorg Hauser
gegen die Finanz- und Steuerpolitik von Finanzminister Waigel polemisieren, nichts als Makulatur ist, die niemand im In- und Ausland ernst nimmt. Es war schon verwunderlich, daß Herr Scharping in seiner Haushaltsrede gestern allen Ernstes den Bürgern unseres Landes weismachen wollte, eine starke D-Mark bringe mehr Schaden als Nutzen.
Da muß ich nun schon wirklich fragen: Meinen Sie das wirklich ernst? Wollen Sie wirklich statt einer starken D-Mark eine schwache D-Mark? Wollen Sie wirklich statt einer stabilen Währung eine schwache Währung, die man nur mit spitzen Fingern anpackt, nur bedacht, daß man sie schnellstens wieder los wird, um in eine andere Währung zu fliehen? Ich glaube, das können Sie doch wirklich nicht wollen. Es zeigt sich jetzt unmißverständlich, welches Vertrauen die Finanzpolitik von Theo Waigel international genießt. Das verpflichtet uns, an diesem eingeschlagenen Kurs eisern festzuhalten.
Herr Poß, ich kann Ihnen nur in aller Deutlichkeit sagen: Dieser Finanzminister hat seine Hausaufgaben gemacht,
während in anderen Ländern diese Leistungen nicht erbracht worden sind, der Haushalt nicht konsolidiert worden ist und deshalb die Schwierigkeiten bei der Währung entstanden sind.
Zwischen diesen beiden Eckpfeilern - Eilbedürftigkeit einerseits und begrenzte finanzielle Mittel andererseits - haben wir nun in dem vorliegenden Gesetzentwurf zu den vier Eckpunkten Existenzminimum, Unternehmensteuerreform, Familienförderung und Steuervereinfachung Lösungen erarbeitet, die wir unter den gegebenen Umständen für die bestmöglichen halten. Dabei wird die Sorgfalt in den Beratungen - das möchte ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen - mit Sicherheit nicht zu kurz kommen. Wir werden ausreichend Zeit haben.
Ich möchte auch deutlich machen, daß diese Lösungen keine unabänderlichen Postulate darstellen, an denen kein Jota mehr geändert werden kann. Es ist kein Geheimnis - Sie haben es angesprochen -, daß wir bereits in den Fraktionsberatungen zu einigen Punkten des Gesetzentwurfes Diskussionsbedarf sahen. Wir sind für jede Lösung offen, die den genannten finanziellen Rahmen nicht überschreitet.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich einige Punkte herausgreifen, zunächst einmal die steuerliche Freistellung des Existenzminimums. Die Kritik ist uns bekannt; sie kommt aus unterschiedlichsten Richtungen. Ich sage ganz offen: Natürlich kann man sich einen idealeren Tarif vorstellen, und dafür gibt es sicherlich eine Reihe von Alternativvorschlägen.
Nur, diese Alternativvorschläge haben den kleinen Schönheitsfehler, daß sie samt und sonders sehr viel teurer sind und nur mit radikalen Veränderungen finanziert werden können.
Ich bin gerne bereit zuzugeben, daß der Vorschlag der Bareis-Kommission, die komplette Freistellung, sicherlich systemgerechter wäre -