Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat der Oppositionsführer Scharping von einer „Aufkündigung des Solidarpaktes" gesprochen. Ich kann nur sagen: Es ist mir völlig unerklärlich, wie er auf diese Idee kommt. Die Bundesregierung und diese Koalition stehen zu dem Solidarpakt, aber eben auch in allen Einzelheiten.
Meine Damen und Herren, die Länder haben damals im Vorwort zu ihrem eigenen Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht, daß, wenn sich die Situation so verbessert, daß das Aufkommen in den neuen Bundesländern höher ist als im Finanzausgleich vorgesehen, dies natürlich über Umsatzsteueranteile zurückgegeben werden muß, und zwar nicht an den Bund, sondern an den Steuerzahler. Es kann doch nicht wahr sein, daß aus diesem Bund-Länder-Finanzausgleich zugunsten der deutschen Einheit irgendeine öffentliche Hand Nutzen für andere Zwecke zieht.
Meine Damen und Herren, wir wollen die Lastenteilung im Rahmen des Solidarpakts nicht verändern. Wir wollen eine Anpassung der Umsatzsteuerverteilung, um eine Schlechterstellung der Länder durch den Abzug des Kindergeldes von der Steuer auszugleichen.
Ich habe die Rede von Herrn Scharping nachgelesen.
Er fordert schwarz auf weiß ein Kindergeld, das in die Steuertabellen eingearbeitet wird, ein Kindergeld, das im übrigen die Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht beschädigt. So weit, so gut. Nur wenn Sie das Kindergeld als nichtsteuerliche Leistung gewähren, also nicht in die Steuertabellen einarbeiten, können Sie eine Regelung über den Art. 104a des Grundgesetzes einführen. Das bedeutet aber eine Neuverteilung der Finanzierung des Kindergeldes über die direkte Einführung der Länderbeteiligung bei den Kosten.
So stellen wir uns das eigentlich nicht vor. Vielmehr wollen wir einen Abzug von der Steuer, und das erfordert selbstverständlich eine Neuverteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder, zu der wir bereit sind.
Nun haben wir, meine Damen und Herren, eben die Vertreterin der PDS zur deutschen Einheit gehört und ihr Klagelied vernommen. Das einzige, woran ich mich gern erinnere, Frau Luft, wenn ich Ihre Ausführungen höre, ist ein Plakat Anfang 1990 in Leipzig, auf dem Stand: Tausche Ostmark und Luft gegen D-Mark und Waigel.
Meine Damen und Herren, ich bin ziemlich sicher: An dieser Einschätzung der Menschen hat sich nichts geändert.
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Wider besseres Wissen wärmt die SPD auch die Mär von angeblichen Haushaltslücken und bisher verheimlichten geplanten Steuererhöhungen auf. Da zitiert sie plakativ, wir hätten unsere Haushaltsziele mit der Präzision einer abgesägten Schrotflinte erreicht. Nur, meine Damen und Herren, wenn die Flinte nach hinten losgeht, wie das bei Ihnen jedes Jahr der Fall ist, dann ist es mit der Präzision noch viel problematischer als bei einer Schrotflinte.
In all den Jahren - mit Ausnahme des Jahres 1993 - liegen wir unter den Planungen. 1994 und 1995 machten bzw. machen wir jeweils etwa 20 Milliarden DM weniger Schulden. Dies ist jedenfalls ein Erfolg und durchaus mit kaufmännischer Vorsicht zu erklären.
Wir haben unsere Planung stets auf der sicheren Seite gemacht, während Sie in Ihrer Regierungszeit die Planungswerte bei der Verschuldung regelmäßig überschritten haben. Jeder Haushalt, den Sie einbrachten, war ja im Grunde schon ein Nachtragshaushalt; denn vor Mitte des Jahres gab es bei Ihnen fast nie einen Haushalt. Das hat sich geändert, und das ist, meine ich, positiv.
Übrigens: Wenn ich an den ersten gesamtdeutschen Finanzplan des Jahres 1991 denke, möchte ich daran erinnern, daß die 50 Milliarden DM, um die die Ausgaben des Jahres 1994 höher waren als bei der Aufstellung angenommen, auf zwei Faktoren zurückzuführen sind, und zwar erstens auf 24 Milliarden DM höhere Arbeitsmarktausgaben und zweitens auf einen um 15 Milliarden DM höheren Zuschuß zum Fonds „Deutsche Einheit". Das wird wohl niemand im Hause bestreiten.
Wenn ich dann sehe, daß die Differenz zwischen dem im Jahre 1991 vorausgeschätzten Finanzplan 1994 und dem tatsächlichen Haushaltsergebnis 1994 wenig mehr als 10 Milliarden DM beträgt, meine ich: Das ist keine schlechte Planung, und das ist keine schlechte Erfüllung dessen, was wir uns vorgenommen haben.
Ich will ja niemandem vorwerfen, daß er falsche Voraussagen gemacht hat. Herr Kollege Wieczorek, davor ist niemand gefeit. Sie haben für 1993 80 Milliarden DM vorausgesagt. Ergebnis: 67 Milliarden DM. Ihr Vorgänger, der geschätzte Kollege Walther, hat 80 Milliarden DM für 1994 vorausgesagt, 50 Milliarden DM sind es geworden. In dieser Größenordnung ist das keine Schande. Nur, dann soll man sagen: Mir ist ein Irrtum unterlaufen. Freuen wir uns miteinander, daß es besser gekommen ist.
Wir planen solide, und wir brauchen daher auch keine Steuererhöhungen zu verstecken. Wir sagen klipp und klar, was auf den Bürger zukommt. Der Bürger weiß: 1996 kommt eine Steuer- und Abgabenentlastung von real 30 Milliarden DM auf ihn zu. Das ist gut für die Konjunktur, das ist gut für die Angebotsseite, vor allen Dingen aber auch für die Nachfrageseite; es ist sozial symmetrisch, wenn ich mir vor allen Dingen die Entlastung durch die Freistellung des Existenzminimums ansehe.
Im übrigen fordere ich die Stromversorgungsunternehmen nachdrücklich auf, ihre Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden DM durch den Wegfall des Selbstbehalts beim Kohlepfennig in Form einer deutlichen Senkung der Energiepreise voll an den Bürger und an die Unternehmen weiterzugeben. Das ist kein Spielraum, um die Dividenden zu erhöhen, um das auch einmal in aller Klarheit und Deutlichkeit zu sagen.
Eines ist richtig: Um das Ziel einer Nettokreditaufnahme in Höhe von 60 Milliarden DM im Haushalt 1996 zu erreichen, müssen noch zwei Maßnahmen umgesetzt werden. Durch die Befristung der Arbeitslosenhilfe oder durch alternative Einsparungen sind etwa 5 Milliarden DM zu erbringen, und daß das Abstandsgebot zwischen Arbeit einerseits und Lohnersatzleistungen bzw. Sozialhilfe andererseits wiederhergestellt werden muß, wieder deutlich werden muß, wird niemand bestreiten können. Die Höhe der Arbeitslosenunterstützung muß Anreize zur Aufnahme einer regulären Arbeit bieten, nicht dazu, Schwarzarbeit zu machen.
Auch für die Bahnreform ist noch ein Finanzierungsbeitrag von 6 Milliarden DM aus dem Verkehrsbereich notwendig. Es ist sehr wohl möglich, den Liegenschaftsverkauf bei der Bahn zu beschleunigen. Auch die Investitionspläne der Bahn sind nicht sakrosankt und können zeitlich gestreckt werden.
Meine Damen und Herren, die Opposition stellt die Behauptung auf, mit der Kürzung des Bundeszuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit würden Arbeitslose gegen Bergleute oder die Familien ausgespielt. Sie wissen ganz genau: Durch die Kürzung gibt es keine Verschlechterung bei den Leistungen der Bundesanstalt, auch nicht bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik, bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bei Fortbildung oder Umschulung. Die Kürzungen sind möglich, weil die Konjunktur durch einen Rückgang der Arbeitslosigkeit entsprechende Spielräume schafft.
- Aber natürlich.
Wenn wir 1993 durch die Einführung und das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren bereit gewesen sind, das Defizit in diesem Bereich, das sich auf Grund der höheren Arbeitslosigkeit ergeben hat, durch eine höhere Nettokreditaufnahme auszugleichen, dann müssen in dem Moment, wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht und dadurch die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik sinken, die so freiwerden-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
den Mittel der Rückführung der Nettokreditaufnahme dienen. Einen anderen Weg sehe ich nicht.
Meine Damen und Herren, natürlich haben die Schulden des Bundes in den letzten Jahren zugenommen. Das verheimlicht niemand. Nur: Es gehört zur Ehrlichkeit und zur Wahrheit, zu sagen, daß diese Schulden und die Kreditaufnahme direkte Folgen der deutschen Einheit sind. Wer dies beklagt, muß erklären, ob er diese Schulden nicht übernommen und deswegen nein zur deutschen Einheit gesagt hätte.
Nach neuen Rechnungen haben wir über 70 % der Nettobelastungen von etwa 260 Milliarden DM - wenn man die Steuererhöhung gegenrechnet - durch Einsparungen und Umschichtungen finanziert. Den Erfolg dieser Strategie haben uns die internationalen Finanzmärkte eindrucksvoll bestätigt.
In einem gebe ich dem SPD-Antrag recht. Dort heißt es: Nicht alles, was wünschenswert ist, ist finanzierbar. - Jahre haben Sie für diese Einsicht gebraucht, meine Damen und Herren, aber sie kommt nicht zu spät.
Trotzdem sind Sie sich nicht zu schade, in dieser Debatte im gleichen Atemzug eine Steuer- und Schuldenlawine zu beklagen und Mehrausgaben für Forschung, Bildung und Wohnungsbau zu fordern.
Ich frage: Wo steht denn diese Himmelskasse?
Zur „Steuerlawine": Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung der Steuerquote an. Sie werden feststellen: 1973, 1974 und in der ganzen Zeit zwischen 1976 und 1980 war die Steuerquote höher als heute. Damals haben Sie regiert. Sie mußten nicht mit den finanziellen Folgen einer deutschen Einheit fertig werden, und trotzdem: Wie verheerend haben Sie damals gewirtschaftet!
Gestern war sich ein Redner nicht zu schade, mir die Entfesselung der Verschwendungsdebatte vorzuwerfen. Wenn Sie sich schon mit jemandem auseinandersetzen wollen, dann mit jenem Blatt, das diese Debatte losgetreten hat.
Daß ich im Verein mit jenem Blatt wenige Tage vor der Hessen-Wahl diese Debatte losgetreten hätte, um Ihnen zu schaden, das kann nur ein krankes Hirn erfinden.
Herr Schily hat mir dann noch vorgeworfen, ich höchstpersönlich sei für die Verschwendung verantwortlich. Es war höchste Zeit, daß gestern der Kollege Schäuble Herrn Schily mit der Banane den Mund gestopft hat.
Es ist wirklich eine Zumutung, sich anhören zu müssen, was dieser Mann von sich gibt.
Heute steht die abschließende Beratung des Gesetzes zum Eigenmittelbeschluß der Europäischen Union an. Ich begrüße es, daß in den Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages von einer breiten Mehrheit über Parteigrenzen hinweg eine Zustimmung zu diesem Ratifizierungsgesetz empfohlen wurde. Wir nehmen das, was in diesem Zusammenhang in der Entschließung gesagt wird, sehr ernst. Das stimmt genau mit der Zielsetzung überein, die ich mir als Bundesfinanzminister vornehme.
Meine Damen und Herren, es ist richtig: Fast ein Viertel der Steuereinnahmen des Bundes werden für Zinsen und Zinsendiensthilfen ausgegeben. Auf Dauer wäre dies zuviel. Es spiegelt aber auch die Konsolidierungspolitik des Bundes wider.
Zinszahlungen sind in ihrer Höhe festgelegt und nur in geringem Umfang gestaltbar. Sind die Gesamtausgaben niedrig, wie dies in Konsolidierungsphasen zu sein hat, steigt der Anteil der Ausgaben für Zinsen zwangsläufig. Wenn wir die Gesamtausgaben überproportional erhöhten, dann würden die Zinsen proportional sinken.
Der Anstieg der Ausgaben im Bundeshaushalt für Zinsen und Zinsendiensthilfen ist auch eine Folge der Integration der Sondervermögen wie Erblastentilgungsfonds, Bundeseisenbahnvermögen und Fonds „Deutsche Einheit" in den Bundeshaushalt. Deren Schuldendienstverpflichtungen werden nunmehr ausschließlich aus dem Bundeshaushalt gezahlt.
Meine Damen und Herren, ich habe mich bei Ihnen, Herr Vorsitzender Wieczorek, beim ganzen Haushaltsausschuß und beim Parlament insgesamt zu bedanken. Wir gehen mit einem guten Haushalt in das Jahr 1995 und werden unserer finanzpolitischen Herausforderung und Aufgabenstellung gerecht.
Herzlichen Dank.