Rede von
Dr.
Christa
Luft
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu denen, die in der ersten Runde in diesem Bonner Haushaltsausschuß waren. Ich kann den Ruf gern bestätigen, der ihm vorauseilte: Sachlichkeit hat in aller Regel Parteipolemik dominiert. Daran hat der Herr Kollege Wieczorek einen ganz großen persönlichen Anteil. Ich möchte ihm dafür meinen Respekt zollen.
Um 10 000 DM, um 100 000 DM und mitunter auch um einige Millionen DM ist mit den Ministerien sehr hart und manchmal auch erfolgreich gestritten worden. Aber, meine Damen und Herren, den Fehlansätzen, die der Regierungsentwurf in sich barg, wollten oder durften die Koalitionsabgeordneten in dem parlamentarischen Gremium Haushaltsausschuß nicht zu Leibe rücken.
Der Haushaltsentwurf und der heute wahrscheinlich doch mit Mehrheit zu beschließende Haushalt untersetzt nicht einmal die in der ohnehin dürftigen Regierungserklärung vom November 1994 gesetzten politischen Schwerpunkte. Allein das müßte auch die Koalitionsabgeordneten wachgerüttelt und sie zum Veto gezwungen haben, wenn es ihnen um Glaubwürdigkeit geht.
Leistet dieser Etat etwa auch nur annähernd einen Beitrag zur Erreichung des Vollbeschäftigungsziels, an dem die Koalition festhalten will? Anträge, Mittel für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in den Haushalt einzustellen und damit Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sind mit der bloßen Floskel „Wir wollen doch nicht den Sozialismus wiederbeleben" abgeschmettert worden. Meine Damen und Herren, welcher eigenartige Zusammenhang wird dort eigentlich hergestellt? Wenn Menschen arbeiten, dann sagt man: Das ist Sozialismus. Dann werden wir künftig wahrscheinlich noch einige Anhänger des Sozialismus in diesem Lande bekommen.
Für die Erprobung neuer Wege in der Arbeitsmarktpolitik wird kein Geld bewilligt. Der Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit ist eine finanzpolitische Manövriermasse, nur damit bei der Nettoneuverschuldung optisch ein attraktives Ergebnis herauskommt.
Nein, meine Damen und Herren, das hat mit politischer Weitsicht und Verantwortung nichts zu tun. Das ist plumpe Trickserei. Das geht zu Lasten derer, die in diesem Lande keine Arbeit, keine Lobby und kein politisches Gewicht haben.
Nicht anders sieht es mit der im November 1994 von der Regierung euphorisch verkündeten Zukunftsorientierung ihrer Politik aus. Ganze 3,3 % des Bundeshaushalts entfallen auf das Ressort Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Das waren im Bundeshaushalt 1989, zu Zeiten der alten Bundesrepublik, immerhin noch 3,8 %. Nicht nur, daß Deutschland seinen internationalen Ruf als Land der Wissenschaft längst verloren hat; es riskiert ihn auch auf dem Gebiet von Kunst und Kultur. Die in diesem Hause geführte Debatte um die Förderung der Kultur in Berlin hat das erneut bestätigt.
Imageverlust greift inzwischen bei der Ausbildung von Facharbeitern um sich. Die unsolide Finanzpolitik der letzten Jahre schnürt die Spielräume zum Anpacken solcher Zukunftsaufgaben immer mehr ein. Da nützt auch die stereotype Ausflucht nichts, der Aufbau des ach so maroden Ostens hätte das Geld verschlungen. Wie lange noch wollen Sie eigentlich aus dieser Legende Kapital schlagen?
Die meisten Menschen in den neuen Bundesländern haben es einfach satt, immer nur im Kontext mit DM-Lasten genannt zu werden.
Warum begreifen Sie die 16 Millionen dazugekommenen Menschen, darunter sehr viele junge, heranwachsende Menschen, die auch die künftige Rente mit erarbeiten könnten, nicht als eine Bereicherung dieses vereinten Landes? Sie müßten doch wenigstens zugeben, daß die Geburtenraten in dem ach so maroden Osten weitaus höher waren, als sie es heute sind, nachdem der „kaputte" Osten zu dem „heilen" Westen dazugekommen ist.
Warum sehen Sie dem weiteren Verfall der Produktions- und Wissenschaftspotentiale, der Entwertung von Qualifikationen in den neuen Ländern zu, anstatt sie im Interesse eines ökologisch verträglichen Anstiegs des gesamtdeutschen Sozialprodukts endlich nutzbar zu machen?
Selbst der neoliberale Wirtschaftsprofessor und Nicht-PDS-Sympathisant Wolfram Engels kommt im Zusammenhang mit der bekannten und umstrittenen „Spiegel"-Veröffentlichung über die im Osten angeblich verschwendeten 65 Fördermilliarden zu folgender Schlußfolgerung - ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche" -:
Die großen Summen sind das nicht. Die große Verschwendung rührt aus dem politischen Mißmanagement des Vereinigungsprozesses, und dieses Mißmanagement dauert immer noch an.
Dr. Christa Luft
Ich finde: Recht hat dieser Mann!
Meine Damen und Herren, in diesem Haushalt tickt eine Zeitbombe. Zugunsten eines kurzfristigen spektakulären Streicheffekts unterschreiben Regierung und Koalitionsfraktionen einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft. Für 1996 erscheint eine Neuverschuldung von mindestens 80 Milliarden DM am Horizont. Steuer- und Abgabenerhöhungen werden von einer Bedrohung zu einer Realität, fürchte ich.