Rede von
Helmut
Wieczorek
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist seit Jahren Tradition, daß der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Rahmen der dritten Lesung hier im Plenum spricht. Ich halte das für eine gute und sachgerechte Tradition.
Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einige Besonderheiten der Beratungen der letzten Monate herausstellen: Für viele Ausschußmitglieder war dies ein Haushalt zum Lernen. Immerhin setzt sich der Haushaltsausschuß seit Beginn dieser Legislaturperiode zu einem Drittel aus neuen Mitgliedern zusammen. Diese neuen Mitglieder haben sich mit großem Engagement und Arbeitsaufwand erst einmal in die schwierige Materie einarbeiten müssen. Das war schon eine Bravourleistung.
Die Beratungen verliefen wie in der Vergangenheit konstruktiv und sachlich, obwohl rund 450 schriftliche Anträge zu beraten waren, Anträge nicht etwa von den kleinen Parteien, sondern im wesentlichen von den großen Fraktionen: von der Koalition und der SPD.
Lassen Sie mich zu dieser Antragsflut einige kritische Anmerkungen machen. Ich denke, das Berichterstattersystem, das wir seit Jahren praktizieren, hat
sich bei den Haushaltsberatungen sehr bewährt. Anders könnte dieser Bundeshaushalt mit immerhin 10 800 Ausgabetiteln und über 9 000 Einnahmetiteln nicht sachgerecht beraten werden.
Daher, meine Kolleginnen und Kollegen, ist es sicherlich kein gutes Verfahren, wenn über Arbeitsgruppen oder Fraktionen dieses System durch eine stark steigende Zahl nachgeschobener Anträge überholt wird.
Das macht die Beratungen unübersichtlich und ist der Sache nicht dienlich.
Gestatten Sie mir auch noch eine Anmerkung am Rande in Richtung Koalition. Die Beratungen wurden immer dann völlig unübersichtlich, wenn man Spannungen in der Koalition fühlte. Über diesen Tatbestand könnte man nun länger philosophieren, da er nicht nur einmal vorkam. Ich will mir dies ersparen, weil es den ordnenden Händen der Obleute zu verdanken war, daß die Linie dann doch wieder beachtet wurde.
Ich möchte den Obleuten Adolf Roth, Karl Diller, Wolfgang Weng und Oswald Metzger herzlich für ihre Mitarbeit danken.
Ich möchte in diesen Dank auch Barthel Kalb für die CSU und Frau Dr. Luft für die PDS einschließen. Sie haben konstruktive Arbeit geleistet.
Ich möchte mich auch bei den Mitarbeitern des BMF und insbesondere bei der Parlamentarischen Staatssekretärin, Frau Karwatzki, bedanken, die uns immer zur Verfügung gestanden hat.
Meine Damen und Herren, wenn ich einmal dabei bin zu danken, möchte ich dem Ausschußsekretariat herzlich danken.
Die Sekretariatsmitarbeiter haben seit Januar Tag und Nacht - das meine ich im wörtlichen Sinne - zur Verfügung gestanden. Die Arbeitsleistung wird an einer einzigen Zahl deutlich. Vom 1. Februar an bis heute sind über 100 000 Blatt Papier nur für den Haushaltsausschuß gedruckt worden, die alle von Ihnen gelesen und verarbeitet wurden, aber zunächst einmal von den Mitarbeitern zu erstellen waren.
Meine Damen und Herren, in den Ausschußberatungen habe ich sehr bedauert, daß die Starrheit der Koalition selbst bei kleineren Änderungsanträgen nicht zu überwinden war. Vorschläge, die von den Oppositionsparteien kamen - egal, von welcher Gruppierung -, selbst wenn sie in der Sache von dem einzelnen Kollegen für richtig gehalten wurden, wurden nicht beachtet. Die Beratungen haben deutlich
Helmut Wieczorek
darunter gelitten, daß die Koalition in ihren Vorberatungen wohl sehr mühevoll zu Einigungen gekommen ist. Handlungsspielräume waren für den einzelnen nicht mehr gegeben.
Ich denke, wir müssen sehr vorsichtig sein, wenn wir die Kollegen aus den einzelnen Bereichen durch Vorberatungen und Vorfestlegungen so in ein Korsett zwängen, daß wir gelegentlich die Grenze der Unabhängigkeit der einzelnen Kollegen sicherlich angekratzt haben.
Erinnern wir uns daran, daß das Parlament der Haushaltsgesetzgeber ist und nicht die Koalitionskungelkreise. Das möchte ich hier ganz ausdrücklich und deutlich ansprechen
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Das Parlament legt die Ansätze fest und darf es nicht der Exekutive überlassen, wo Erhöhungen und Einsparungen vorgenommen werden. Das ist in diesem Jahr wesentlich deutlicher gewesen als in den Vorjahren.
Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit, lieber Detlev, gebietet es aber, daß auch bei den Erhöhungsanträgen Farbe bekannt wird. Erhöhungsanträge, die damit begründet werden, daß aus allgemeinen Finanzmitteln die Dekkung kommen kann, darf es nicht geben. Von einer verantwortungsbewußten Koalition darf so ein Wort überhaupt nicht in den Mund genommen werden. Wenn eine Finanzierung nur über neue Schulden möglich ist, dann sagen Sie es bitte deutlich, und dann sollten wir das auch so zur Kenntnis nehmen.
Mit großer Sorge verfolge ich, daß in den vergangenen Jahren in immer stärkerem Maße politisch Verantwortliche keinen Versuch mehr unternehmen, Politik zu gestalten, sondern sich darauf zurückziehen, daß kein Geld da sei. Ich erinnere an die Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre, in denen immer wieder Vertreter der Regierung, aber auch der Fraktionen den Haushaltsausschuß oder den Finanzminister dafür verantwortlich machten, daß sie keine Politik mehr gestalten könnten. Man macht es sich zu einfach, durch den bloßen Hinweis auf allgemeine Sparzwänge auf die eigene gestalterische Rolle in der Politik zu verzichten.
Meine Damen und Herren, ist es nicht gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel so, daß wir alle gezwungen sind, die Ausgaben grundlegend zu überprüfen? Kann man oder müßte man dies nicht zum Anlaß nehmen, die tatsächlichen und besonders ausgabewirksamen Problembereiche eher verstärkt anzugehen?
Diese Erkenntnis setzt sich in der Bevölkerung immer mehr durch, obwohl leider der Bundeskanzler im Zusammenhang mit der deutschen Einheit den gravierenden historischen Fehler begangen hat, die vorhandene Opferbereitschaft in der Bevölkerung nicht abzurufen, sondern statt dessen die Staatsverschuldung bewußt in Kauf genommen hat.
Durch die von der Staatsschuld verursachte Zinsbelastung ergibt sich, daß im Gesamtvolumen des Bundeshaushalts nur wenige disponible Größen enthalten sind. 90 oder gar 95 % der Ausgaben sind gebunden. Besonders deutlich wird das Ausmaß, wenn man sich vor Augen hält, daß der Etat des Bundesarbeitsministers und die Bundesschuld gemeinsam mehr als 50 % des Gesamtvolumens des Haushalts binden. Es bleibt in der Tat nur wenig Gestaltungsspielraum.
In diesem Zusammenhang stellt sich mir auch die Frage, ob nicht das aus gutem Grund in unserer Geschäftsordnung vorgesehene Instrument des § 96, wonach die Vereinbarkeit mit der Haushaltslage Grundvoraussetzung für die Verabschiedung eines jeden kostenwirksamen Gesetzes ist, zu einer stumpfen Waffe verkommen ist.
- Gelegentlich werde ich das Gefühl nicht los, Herr Kollege Weng, daß das Selbstbewußtsein - oder sollte man sagen: die Konfliktbereitschaft - der Haushälter der Koalition dem Druck der Regierung nicht standhält, und das ist ein Armutszeugnis.
Meine Damen und Herren, die Möglichkeiten linearer und titelweiser Kürzungen sind zunehmend ausgereizt. Nur durch strukturelle Veränderungen des Haushalts, d. h. in der langfristigen Neuorganisation von Politikbereichen, können neue Lösungen gesucht werden. Dies ist unsere vornehmste Pflicht, denn die Aufgabe der heutigen Politik ist nicht nur die Bewältigung der Gegenwart, sondern die Gestaltung der Zukunft.
Das gebietet einfach unsere Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Die Finanzpolitik und insbesondere die Haushaltspolitik müssen sich darauf besinnen, daß sie eine dienende Funktion haben, um Politik für die Menschen zu ermöglichen. Die gestalterische Rolle der Politik müssen sie den Fachbereichen überlassen.
Ich möchte noch einmal dringend daran appellieren, sich nicht ständig hinter dem Argument knapper Finanzen zu verstecken, sondern endlich auch strukturell neue Lösungen zu entwickeln, um den Staat
Helmut Wieczorek
wieder handlungsfähig zu machen. Die Kommunen haben den Bund, was Innovationen angeht, längst überholt und sind in der Gestaltung des Lebens ihrer Bürger weitaus kreativer.
Meine Damen und Herren, nach wie vor fehlt es der Politik aber an Mut. Hierzu rechne ich den Mut, den Bürgern unangenehme Wahrheiten zu sagen. Das gilt auch für den Bereich der Subventionen und der Steuervergünstigen, deren mögliche Abschaffung in jedem Jahr erneut diskutiert wird, um diese dann doch fortzuschreiben.
Dabei bin ich mir natürlich darüber im klaren, daß es zu kurz gedacht ist, wollte man dem radikalen Vorschlag folgen, Subventionen von heute auf morgen zu streichen. Wenn man das tut, wird man nur einen Verschiebebahnhof haben; denn binnen kurzem wird man die gleichen Ansätze in Zuschüssen bei der Bundesanstalt für Arbeit wiederfinden.
Subventionen, meine Damen und Herren, die vom Staat gegeben werden, müssen der Branche eine Anpassung an nicht selbst verschuldete Absatz- oder Herstellungsprobleme ermöglichen. Sie dürfen nur auf Zeit gegeben werden und müssen immer, Frau Albowitz, den Charakter einer Anpassungshilfe haben.
- Ich sage Ihnen, das beste Beispiel dafür ist die Werfthilfe, die jetzt ausläuft und bei der diese wichtige Strukturveränderung nur mit einer Hilfe des Staates bewältigt werden konnte.
- Weil Sie gerade von der Kohle sprechen, Frau Albowitz: Es gibt einen zweiten Bereich der Subventionen, den ich gern nun noch ansprechen würde. Dann ist das Bild rund, und dann können Sie sich wieder auslassen. Ich meine die Subventionen, die aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen heraus gegeben werden - wie dies bei der Landwirtschaft und bisher bei der Energieversorgung der Fall war - und die zur Daseinsvorsorge der Menschen in unserem Lande gehören. Aber auch in diesem Bereich - das gebe ich gerne zu - müssen wir regelmäßig überprüfen, ob die Grundlagen für die Hergabe von Subventionsmitteln noch gegeben sind.
Aber, Frau Albowitz, Subventionsmittel müssen kalkulierbar und ihr Abbau muß planbar sein. Wir können nicht von heute auf morgen hinein- und wieder herausspringen.
Diejenigen, die Forderungen nach sofortigen Subventionsstreichungen stellen, müssen sich vorhalten lassen, daß sie dabei etwas Entscheidendes übersehen; ich meine das schlimmste Übel unserer Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit und das damit verbundene persönliche Schicksal.
Lassen Sie mich bei diesem Aspekt einen Moment verweilen. Verschärft wird die Problematik dadurch, daß derjenige, der bei uns arbeitslos wird und nicht innerhalb kurzer Zeit einen neuen Arbeitsplatz findet, befürchten muß, Langzeitarbeitsloser zu werden. Noch größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Abhängigkeit von der Sozialhilfe zum Schicksal wird, das in vielen Fällen auch die Lebensläufe kommender Generationen beeinträchtigt. Ich begrüße daher ausdrücklich die erneute Aufnahme des Wiedereingliederungsprogrammes für Langzeitarbeitslose zumindest bis Ende 1998.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf das schwierigste Kapitel des Haushaltes, und zwar das Kapitel, das im Einzelplan 32 geregelt wird: die Bundesschuld. Wenn man die Nachrichten der letzten Wochen verfolgt hat, weiß man, daß dies immer wieder ein beherrschendes Thema ist. Es ist schon frappierend, wie wir mit der deutschen Sprache umgehen. Wir sprechen einerseits von einem „Sparhaushalt" und leisten uns andererseits eine Nettokreditaufnahme, also eine Neuverschuldung, von 50 Milliarden DM. Die Gesamtkreditaufnahme des Bundes - das wird oft übersehen, wenn die Wirkung des Bundes auf die allgemeinen Kapitalmärkte beurteilt wird - beträgt in diesem Jahr 200 Milliarden DM, auch wenn diese Bruttokreditaufnahme natürlich auch die Rückzahlung von Schulden der vergangenen Jahre beinhaltet. Aber man muß sich einmal über die Marktmacht der Bundesnachfrage nach Geld klar werden.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen kaum etwas Neues, wenn ich darauf hinweise, daß der Umfang der Verschuldung des Staates das zentrale finanzpolitische Thema ist und zu den ältesten und aktuellsten Themen der Finanzwirtschaft gehört. Öffentliche Verschuldung - das sage ich, Herr Kollege Roth, hier ganz klar und deutlich - ist sicher dann vertretbar, wenn wichtige öffentliche Investitionen, die längerfristig eine optimale Entfaltung des Wachstumspotentials der Volkswirtschaft erlauben, zügig bereitgestellt werden müssen. Voraussetzung dafür ist, daß die Schuldenfinanzierung gegenüber der Steuerfinanzierung die Leistungsbereitschaft der Bürger weniger beeinträchtigt. Daneben ist die Schuldenfinanzierung wohl notwendig und auch zu rechtfertigen, wenn hierdurch kommenden Generationen eine hinreichende Infrastruktur überliefert wird,
sie dann aber auch an der Finanzierung dieser Einrichtungen beteiligt werden.
Im Augenblick ist es aber so, daß das stabilisierungspolitische Ziel der staatlichen Verschuldung stärker in den Mittelpunkt gerückt wird und in den
Helmut Wieczorek
letzten Jahren ein großer Teil unseres Schuldenniveaus hierauf beruht. Daß jede Regierung bestrebt ist, mit einer wohlfahrtsstaatlich ausgerichteten Politik ein Maximum an Wählerstimmen zu erreichen, liegt auf der Hand. Wenn Politik, wie in den letzten Jahren, auf Pump finanziert wird, dann wird der Anschein erweckt, das Angebot an öffentlichen Gütern könne quasi zum Nulltarif bereitgestellt werden. Dadurch hat die Bundesregierung das von ihr beklagte Anspruchsdenken in der Gesellschaft selbst erzeugt. Die Geister, die Sie selbst riefen, werden Sie nun, wie es im „Zauberlehrling" heißt, nicht mehr so recht los.
Die Bürger reagieren verdrossen, politikverdrossen.
Die Neuverschuldung muß auf eine Größenordnung heruntergefahren werden, die weder die Menschen heute noch künftige Generationen knebelt. Davon aber sind wir mit der von der Bundesregierung für dieses Jahr vorgelegten Kreditermächtigung noch sehr weit entfernt.
Meine Damen und Herren, wir sind uns hier im Hause doch völlig einig darüber, daß es unakzeptabel ist, das gegenwärtige Verschuldungsniveau ohne Besserungsperspektive auf längere Sicht andauern zu lassen. Das Problem einer für Deutschland beispiellosen Abgabenquote mit einer beispiellos hohen Neuverschuldung ist so groß, daß es nicht rein fiskalisch gewertet oder gelöst werden kann. Diese Problematik verbietet es, Lösungen in ständigen Abgabenerhöhungen und unsystematischen Einsparungen zu suchen. Vielmehr sollten die Finanzpläne der öffentlichen Haushalte in Deutschland gedanklich und sachlich im Zusammenhang mit einer kritischen Betrachtung unseres Steuersystems, mit der Struktur und den Kosten unseres Sozialsystems, mit der nachlassenden Innovationsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft und mit der zunehmend gefährdeten Stellung der Industrie im internationalen Wettbewerb gesehen werden.
Hierbei sind die Risiken einzubeziehen, die sich aus einer nicht mehr zu durchschauenden Wechselkurspolitik ergeben.
Meine Damen und Herren, nicht erst seit heute weise ich darauf hin, daß der größte Risikofaktor für die deutsche Wirtschaft nicht nur die Standortbedingungen im Inneren unseres Landes sind, sondern die Standortbedingungen, die sich aus der außenwirtschaftlichen Positionierung der D-Mark im internationalen Währungsgefüge ergeben.
Wenn wir über den Standort Deutschland reden, müssen wir auch den Außenwert der D-Mark objektiv und ohne Scheuklappen bewerten. Der Außenwert der D-Mark entspricht schon seit einiger Zeit nicht mehr der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Wir müssen im Augenblick feststellen, daß die Wechselkursrelationen der nationalen Währungen zueinander nicht mehr die Positionierung der nationalen Wirtschaftsstandorte in der Weltwirtschaft zutreffend ablichten. Wir haben es damit zu tun, daß große Geldmengen in unterschiedlichen Währungen in Sekundenschnelle um die Welt geschickt werden können, ohne daß die Staatsbanken darauf unmittelbaren Einfluß haben. Die Staatsbanken selbst sind nicht mehr in der Lage, auf diese ungeheure Flexibilität nichtstaatlicher Marktteilnehmer auch nur zu reagieren.
Daneben ist die unterschiedliche Interessenlage der einzelnen Währungsgebiete nicht zu verachten. Bei der Unterbewertung der eigenen Währung entstehen für die eigene Wirtschaft Wettbewerbsvorteile; bei Überbewertung entsteht eine Herausforderung zur Produktivitätssteigerung und zur Kostensenkung. Wird diese Herausforderung nicht mehr gemeistert - ich denke, wir haben die Grenze des Möglichen fast erreicht -, dann gehen Märkte und Investitionen an das Ausland verloren.
Dieses ökonomische Einmaleins steht im Widerspruch zum eigenen Erleben der Bürger. Aufwertungen der nationalen Währungen werden von der öffentlichen Meinung als Erfolg, Abwertungen als Mißerfolg der Wirtschaftspolitik empfunden und beim Urlaub im Ausland auch so wahrgenommen. So galt es beispielsweise als großer Erfolg der Reaganomics, daß Mitte der 80er Jahre der Dollar gegenüber allen anderen westlichen Währungen einen Höchststand erreichte. Erst später war man bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Wirtschaftskraft und der Dollarkurs nicht miteinander korrespondierten und damit der Beginn einer tiefen Wirtschaftskrise in den USA eingeläutet wurde.
Deutschland, unser Land, meine Damen und Herren, befindet sich heute in einer ähnlichen Gefahr. Wie eine Monstranz vor der Prozession tragen der Bundesfinanzminister und wir alle den Außenwert der D-Mark vor uns her. Die Bundesbank verficht mit wechselnden Argumenten einen Weg, der durch eine Leitzinsführungspositionierung den Wechselkurs der D-Mark wesentlich bestimmt. Dieser Kurs, meine Damen und Herren, ist aber weder durch die Faktorkosten noch durch das technologische Zukunftspotential des außenhandelsabhängigen Wirtschaftssegmentes der deutschen Volkswirtschaft nachzuvollziehen.
Meine Damen und Herren, die D-Mark ist gedopt, und dieses Zinsdoping der D-Mark impliziert eher größere Gefahren für den Industriestandort Deutschland als das Dollardoping Mitte der 80er Jahre in den USA, weil im Unterschied zu den USA die deutsche Wirtschaft außenhandelsabhängiger ist. Die derzeit populäre Vorstellung, durch Senkung der Lohnkosten dieses Problem lösen zu können, führt durch den Nachfrageausfall nur immer tiefer in die Rezession.
Nein, meine Damen und Herren, saldenmechanisch würde ein stark defizitärer Staatshaushalt das Vertrauen in die Währung eher schmälern und sie abwerten.
Helmut Wieczorek
Ich möchte gerne wiederholen, was der Staatssekretär Ludewig in der letzten Haushaltsausschußsitzung über den Zusammenhang zwischen Wechselkurs und Arbeitskosten in einem Nebensatz gesagt hat - ich gebe zu, ich habe ihn dazu animiert. Er hat sinngemäß ausgeführt: Die Lohnerhöhungen, über die in der Metallindustrie jetzt so entschieden gestritten wurde, haben für den Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus, aber insbesondere für den Bereich des Automobilbaus im Verhältnis zu den Veränderungen der Wechselkurse in den letzten vier Wochen nur höchstens ein Viertel der Belastung ausgemacht, die wir bei Wechselkursen in den vier Wochen hatten. - Das stellt die Dimension unseres Problems dar. Wir aber sind immer bereit, uns an den Arbeitskosten auszulassen und die wirklichen Zusammenhänge zu verdrängen.
Die Bundesbank hat den ersten Schritt getan. Sie ist aufgefordert, diese Entwicklung sehr verantwortungsbewußt zu beobachten und die nötigen Schritte zur Zinsanpassung einzuleiten. Für die Bundesregierung aber kann das nur heißen: Rückführung der Staatsverschuldung. Das allerdings ist auch das Kredo, das wir über die Haushaltsberatungen der nächsten Jahre setzen müssen: neue Strukturen, Rückführung der Verschuldung. Dann, denke ich, werden wir auch einigermaßen optimistisch in die Zukunft sehen können und die Zukunft gestalten können, wenn uns die Fachbereiche dabei helfen.
Herzlichen Dank.