Rede von
Dr.
Ludger
Volmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn unsere Fraktion die Ausschußempfehlung heute ablehnt, dann heißt das nicht, daß wir den Vertrag - so er im
Ratifizierungsverfahren in einigen Monaten hier vorliegen sollte - ebenfalls ablehnen werden. Aber wir glauben, daß das, was heute beschlossen wird, die falsche Verhandlungslinie ist, und wir glauben auch, daß die eigentliche Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen durch den vorgelegten Antrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD verharmlost wird.
Es wird in der Vorlage des Ausschusses nicht auf das Problem eingegangen, daß die Atomwaffenstaaten ihre Zusagen von 1975, nämlich rigoros abzurüsten, nicht eingehalten haben. Es wird auch nicht darauf hingearbeitet, diesen Prozeß so zu beschleunigen, daß die Nichtatomwaffenstaaten zu Recht annehmen können, daß es zu umfassenden atomaren Abrüstungsprozessen in der Zukunft kommt.
Es gibt ein zweites gravierendes Problem: Der Antrag suggeriert nämlich - ich mache das am Beispiel der Bundesrepublik deutlich -, daß ein Land, das heute keine Atomwaffen besitzt, in Zukunft auch keine besitzen kann, weil es diesen Nichtverbreitungsvertrag gibt. Der Nichtverbreitungsvertrag ist aber so lückenhaft, er ist im Grunde so dürftig, daß er nur aus Schleichwegen besteht. Ich wiederhole: Ich mache das am Beispiel Deutschlands klar.
Niemand unterstellt der Bundesregierung, daß sie den Besitz von Atomwaffen anstrebe, aber sie hat auch noch nie - auch die Vorgänger-Regierungen haben dies nie getan - die Verfügung von Atomwaffen, die Atomwaffenoption, definitiv ausgeschlossen: ganz im Gegenteil: Sie hat sowohl materiell als auch juristisch die Option immer aufrechterhalten.
Materiell drückt sich das etwa aus in dem Plutoniumlager in Hanau, wo 2 500 Tonnen atomwaffenfähiges Material lagern. Dieses haben zu dürfen hat sich die Bundesregierung zusichern lassen, als sie bereit war, den Vertrag befristet - damals befristet auf 25 Jahre - überhaupt mitzutragen. Sie hat sich auch zusichern lassen, daß sie Atomtechnologien - sogenannte zivile Technologien - entwickeln darf, die aber sogar die zivile Atomsprengung - nicht etwa die Energieerzeugung - beinhalteten. Was anders heißt das, als sich auf die Bombe vorzubereiten?
Das wurde - auf 25 Jahre - gemacht. Heute kann über eine unbefristete Verlängerung geredet werden, weil ein zweiter Mechanismus greift, wo man sich auch die Option offengehalten hat, und das ist die europäische Option.
Der deutsche Verzicht auf die Herstellung eigener Atomwaffen wurde immer im Zusammenhang mit dem WEU-Vertrag formuliert. Solange der WEU-Vertrag gelte, wolle die Bundesrepublik - jetzt Gesamtdeutschland - keine Atomwaffen haben. Der WEU-Vertrag läuft aber in drei Jahren aus. 1998 wird neu verhandelt. Damit ist das Feld völlig offen.
So, wie wir die Vorbereitung der Nachfolgekonferenz zur Verlängerung des WEU-Vertrages beobachten, zeichnet sich für uns ab, daß dort darauf hingearbeitet wird, daß im Rahmen eines gemeinsamen Stabs der WEU auch Deutschland an der eventuellen Mitverfügung über die britischen und englischen Atomwaffen beteiligt sein soll.
Ludger Volmer
Von daher ist die Bundesrepublik über diese Schleichwege trotz NPT immer noch in der atomaren Option. Solange die Bundesregierung nicht definitiv ein für allemal ausschließt, daß sie auf die atomare Option verzichtet, hat sie eine Glaubwürdigkeitslücke. Diese Glaubwürdigkeitslücke führt mit dazu, daß manche Staaten dem Nichtverbreitungsvertrag sehr skeptisch gegenüberstehen.
Wir bedauern dies. Wir glauben, daß die Atomstaaten oder die „Quasi-Atomstaaten", wie die Bundesrepublik z. B. von der Rand-Corporation genannt wird, ihrer Verpflichtung zu umfassender Abrüstung, zu einem endgültigen Verzicht auf atomare Optionen nachkommen sollten. Dafür, glauben wir, sollte die Bundesregierung eintreten. In der Ausschußvorlage sehen wir von solchen Zusicherungen nichts. Deshalb lehnen wir die ab.