Rede von
Dr.
Willibald
Jacob
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Worten unseres Bundeskanzlers heute morgen bin ich versucht zu sagen: Liebe Schwestern und Brüder!
Nach dieser friedfertigen Debatte hoffe ich, daß ich Sie durch einige neue Ideen noch etwas aufmuntern kann.
Die Debatte zum Haushaltsplan 1995 findet in einer Zeit statt, in der vielen Menschen bewußt wird, daß wir in globalen Zusammenhängen leben. Wir debattieren nach dem Weltsozialgipfel und während der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen. Aber wir debattieren national, im großen und ganzen provinziell, eingeengt durch die eigenen Interessen. Wie ich gehört habe, sind die einzige Ausnahme die Soldaten, denn Sie bauen eine ökonomische Armee auf, die global operiert, parallel zu dem, was die Wirtschaft tut. Aber genau da beginnen die Probleme.
Herr Minister Blüm hat in Kopenhagen zwar von der „moralischen Weltmacht Menschlichkeit" gesprochen, von der wir, Europa und die Bundesrepublik, ein Teil seien. In Wahrheit aber zeigen wir ein unmoralisches Gesicht, dargestellt im Zahlenwerk eines Finanzplanes.
Der Einzelplan 23 - Entwicklungszusammenarbeit -, um den es hier geht, verdeckt und ignoriert die wahren Verhältnisse, die heute zwischen den Entwicklungsländern und der Bundesrepublik bestehen. Die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten lehnen daher diesen Planteil ab.
Was hier verdeckt wird, ist die Tatsache, daß wir von den anderen leben. Das Instrument für diesen Kräfteentzug ist das gegenwärtige Kreditsystem und die entsprechenden finanziellen Planungen wie dieser Haushaltsplan.
Schon das Kreditsystem ist fragwürdig. Seine Handhabung aber ist kriminell. Mehr und mehr Menschen begreifen das. In Ostdeutschland können wir heute ein Lied davon singen: zuerst teilen und helfen, dann teilen und zahlen, und zwar mit Zins und Zinseszins. Am Ende ist nicht Solidarität das Ferment, das Menschen zusammenhält, sondern die ein-
Dr. Willibald Jacob
seitige Verpflichtung zur Rückzahlung und der angebliche Undank derer, die nicht für immer in ökonomischer Abhängigkeit leben wollen. Das ist ein Lied aus der christlichen Kolonialgeschichte. Ich sage das vor dem Hintergrund vieler kirchlicher Erklärungen, der Alternativen Deklaration von Kopenhagen, die ich für meine ostdeutsche Nichtregierungsorganisation unterschrieben habe.
Vor allem aber sage ich es vor dem Hintergrund einer jahrelangen und noch andauernden Mitarbeit bei der Dorfentwicklung in Indien. Heute diskutieren die Menschen bis in die letzten Dörfer des indischen Subkontinents die Folgen des sogenannten Schuldendienstes. Jeder Inder ist mit staatlichen Auslandsschulden in Höhe von 1 000 Rupien belastet. Die Menschen sind keinesfalls einverstanden, wenn westliche Kreditgeber sagen: Laßt uns die Schulden eintreiben, laßt sie uns umwandeln in Wertpapiere und damit spekulieren, laßt uns Grund und Boden, Immobilien in diesen Schuldnerländern erwerben.
Sie haben die Erfahrungen mit dem jahrhundertealten Zamindarsystem hinter sich, das für sie immer mit dem Verlust von Land und Unabhängigkeit endete. Der Grundbesitzer war zugleich Steuereinnehmer und ausbeutender Gläubiger, Repräsentant einer ökonomischen Totalität. Ganz ähnlich wirkt das heutige Finanz- und Kreditsystem, so daß sich mancher fragt: Kommt da nun ein Weltzamindarsystem, eine Art totalitärer Ökonomie?
Wir sollten deshalb in unserer Haushaltsdebatte das mithören, was einsichtige Ökonomen und Theologen, wie z. B. Ulrich Duchrow aus Heidelberg, heute wissen: Die Marktwirtschaft ist die Planwirtschaft der Reichen. Die planende Vernunft der Reichen steht auch in dem uns vorliegenden Haushaltsentwurf, gerade im Planteil 23. Denn er plant nicht den Schuldenerlaß, weder für die 30 ärmsten Länder noch für die anderen Entwicklungsländer. Er rechnet vielmehr damit, daß unsere eigene Entwicklung wie bisher von den Ärmsten mitfinanziert wird. Den 50 Millionen DM gegen die Kinderarbeit, die der Bundeskanzler versprochen hat, stehen Einnahmen des Nordwestens aus Schulden der Entwicklungsländer in Höhe von 163 Milliarden Dollar jährlich gegenüber.
Der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, hat in Kopenhagen vor einer weiteren Privatisierung von ökonomischen und sozialen Verantwortlichkeiten gewarnt. Die Regierungen, die versagt haben, treiben gleichzeitig den Prozeß der Privatisierung voran, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.